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Innenansichten

05.02.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Wir haben es in den letzten Monaten immer wieder gehört: Wenn Zeit und Platz knapp werden, müssen Menschen in Spitälern oder Arztpraxen in der Not den Entscheid fällen, wem sie sofort helfen – und wer warten muss. Manchmal ist auch schlicht kurzfristig kein Bett mehr frei. Und das bedeutet für jemanden am anderen Ende der Leitung einen Moment grosser Ohnmacht.

Nadine Lagrange, 48 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, hat ihn erlebt – und er lässt sie seither nicht mehr los. «Man liest diese Dinge in der Zeitung, dass die Spitäler überlastet seien», sagt sie im Gespräch mit Republik-Journalistin Olivia Kühni. «Aber man kann sich das eigentlich nicht vorstellen, was das heisst, wenn man diesen Satz hört: ‹Tut uns leid, wir haben keinen Platz.›» Vor allem, sagt sie, wenn es einen Menschen betreffe, der einem anvertraut wurde.

Lagrange arbeitet als Fachfrau Betreuung in einer Arbeits- und Wohngemeinschaft für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Sie unterstützt die Frauen und Männer in ihrem Alltag: Sie begleitet sie zum Arzt, geht mit ihnen einkaufen, unterstützt sie in ihrer Körperpflege, sorgt dafür, dass sie die richtigen Medikamente einnehmen, hört ihnen zu, wenn sie wütend oder traurig sind, greift ein, wenn Konflikte zu eskalieren drohen.

Manche Menschen würden diesen Beruf gering schätzen, sagt Lagrange. Ihn als Zwischenlösung sehen oder als Mühsal. Sie habe seit ihrer Kindheit – auch mit ihren guten Schulnoten und vielen Möglichkeiten – immer nur genau dies tun wollen. «Ich bin dafür da, dass die mir anvertrauten Menschen ein gutes Leben führen können, ganz egal, ob die Gesellschaft sie für normal hält oder nicht», sagt sie. «Das ist eine Aufgabe, für die ich mein ganzes Herz hergebe.»

Vor einigen Wochen erkranken elf der Bewohnerinnen an Covid. Weil sich auch ein Teil des Teams ansteckt, arbeitet Lagrange zwei Wochen praktisch ohne Unterbruch. Die meisten Erkrankten erholen sich gut, doch bei einem Mann sacken praktisch über Nacht die Sauerstoffwerte ab, das Fieber steigt auf über 41 Grad. «Also haben wir alle Notaufnahmen der Region angerufen, und drei davon sagten: Covid? Tut uns leid, kein Platz mehr.» Das vierte Spital hat noch einen Platz frei – und der Mann, nach zwei Wochen Intensivbehandlung, überlebt.

Lagrange sagt, sie denke seither sehr oft über diese Minuten nach. Das Nein am anderen Ende der Leitung. Ihre eigene Verzweiflung. Sie höre und lese, wie Leute sagten, es seien doch nur alte Menschen, die sterben würden. Und frage sich: Denken die womöglich auch so über Behinderte?

«Dieser Gedanke macht mich sehr, sehr traurig.»

Und nun:

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Corona ist viel tödlicher als die Grippe. Dies zeigt eine Schweizer Studie von 14 Spitälern, in denen die Verläufe von Influenza- und Covid-19-Erkrankungen verglichen wurden. Das Projekt hatte als Studie zur Grippe Ende 2018 begonnen; als in der ersten Pandemiewelle das neue Virus dazukam, erweiterten die Forscherinnen ihr Beobachtungsnetz. Die Anzahl der Todesfälle von Hospitalisierten ist bei Covid-19 rund dreimal so hoch wie bei der Grippe.

Der Aargau gleist die Durchführung von Massentests auf. Mit wöchentlichen Speicheltests sollen regelmässig asymptomatische Personen entdeckt werden. Zunächst liege der Fokus auf Schulen, Pflegeheimen und Betreuungseinrichtungen, so das Gesundheitsdepartement des Kantons. Es sollen wöchentlich 100’000 bis 125’000 Tests durchgeführt werden. Auch der Kanton Wallis plant, wöchentlich «mehrere zehntausend Personen» zu testen – darunter auch in Unternehmen und Tourismusorten.

Swissmedic hat Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Impfungen ausgewertet. Bisher habe es insgesamt 63 Meldungen zu Nebenwirkungen gegeben, schreibt die Arzneimittelbehörde. Davon sind 59 Prozent leichtere Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Fieber und Schmerzen an der Injektionsstelle. Bei 41 Prozent wurden schwerere Nebenwirkungen wie erschwerte Atmung, Hautausschläge oder grippale Symptome festgestellt. Es wurden 6 Todesfälle bei vorerkrankten Patientinnen zwischen 85 und 92 Jahren zum Zeitpunkt der Impfung berichtet; in keinem Fall gebe es konkrete Hinweise, dass die Impfung die Ursache für den Todesfall war. Allein in der vergangenen Woche sind gemäss Bundesamt für Gesundheit rund 107’000 neue Impfungen registriert worden.

An der Frühjahrssession wird das Parlament getestet. Während der Frühjahrssession sollen sich alle National- und Ständerätinnen einmal wöchentlich testen lassen können. Die Tests sollen freiwillig sein. Dies hat die Verwaltungsdelegation der beiden Räte entschieden und am Freitagabend mitgeteilt.

Und zum Schluss: Der Lagebericht zur Woche

An dieser Stelle haben wir vor einer Woche geschrieben: Die Ansteckungszahlen sinken. Und auch diese Woche haben wir da eine gute Nachricht: Sie sinken weiter. Ebenso geht die Zahl der Spitaleinweisungen zurück – wie auch die der Todesfälle. Dass diese Zahlen das Infektionsgeschehen von vor rund zwei Wochen abbilden und wir de facto keinen genauen Überblick über das heutige haben, haben wir hier schon mehrfach betont. Das heisst: Wir wissen im Grundsatz, in welche Richtung es geht. So richtig up to date sind wir nicht.

Neue Spitaleinweisungen; gleitender Mittelwert über 7 Tage. Die Daten nach dem 29. Januar sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berücksichtigt. Stand: 05.02.2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit.

Der Frühling naht zögerlich, aber er naht, und das lässt auf bessere Tage – und vor allem auf sonnigere – hoffen. Es folgt: die obligatorische Regenwolke in Form der beiden Virusvarianten aus Grossbritannien und Südafrika, die seit letztem Jahr in der Schweiz nachgewiesen sind. (Die südafrikanische Variante ist nicht nur ansteckender als die bisherige. Sondern es wird davon ausgegangen, dass sich bereits infizierte Menschen noch einmal anstecken können. Und es ist unklar, wie gut oder schlecht die Impfungen auch bei diesen Mutationen wirken.)

Insbesondere die britische Variante verbreitet sich rasch. Bereits vergangene Woche hatte der Chef der wissenschaftlichen Taskforce, Martin Ackermann, vermutet: Im März dürfte diese Variante in der Schweiz wohl die Hälfte der Infektionen ausmachen – und danach dominieren.

Das Doofe dabei ist: Sie ist eben ansteckender als die bisherige. (Hier haben wir nachgerechnet, was das konkret heisst.) Wohl auch deshalb ist in Schulen derzeit ein Anstieg an infizierten Kindern und Klassen in Quarantäne zu beobachten.

Auch Gesundheitsminister Alain Berset sprach an der Bundesrats-Medienkonferenz diese Woche aufgrund der Verbreitung der Mutationen von einer «Pandemie in der Pandemie». Deswegen seien weitreichende Lockerungen der Massnahmen ab Ende Februar unrealistisch.

Ein Blick nach Portugal zeigt, dass es in dieser Pandemie viele Unsicherheiten gibt – eine dritte Welle kann, wenn sie kommt, auch sehr rasch über eine Region hereinbrechen. In Portugal ist die Zahl der Ansteckungen und Spitaleintritte nach den Feiertagen (mit vielen Reisenden und ohne Shutdown) explodiert, und das Gesundheitssystem wurde überrollt (so sehr, dass die Schweiz dem Land Unterstützung angeboten hat). Aber auch in der unmittelbaren Nachbarschaft haben wir ein Problem: Im österreichischen Tirol verbreitet sich die südafrikanische Virusvariante rasant, auch in seinen Seitentälern und der Landeshauptstadt Innsbruck. Tirol teilt eine Grenze mit Graubünden.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Wir wünschen Ihnen ein erholsames Wochenende.

Olivia Kühni und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Nun wird die Chefredaktion mit den Augen rollen und händeringend «Na gut, wenns unbedingt sein muss!» seufzen. Wir geben zu, wir (ähm, das heisst: ein hier nicht näher benannter Teil des Newsletter-Teams) haben einen neuen Lieblings-Bezugsort für Herziges aller Art. Und zwar den Twitter-Account des Smithsonian’s National Zoo in Washington D. C. (auf ihre herumtollenden Pandas haben wir hier schon mal hingewiesen). Nun sind die Meerschweinchen dran: Und zwar können die nicht genug bekommen von Schneemenschen – in denen allerlei Leckereien versteckt sind. Hier gehts zum Nagerglace!

PPPPS: Anmerkung der Chefredaktion – bitte PPPS streichen.

PPPPPS: Anmerkung der Produktion – wir streichen das nur auf ausdrücklichen Befehl.

PPPPPPS: Anmerkung des nicht näher benannten Teils des Newsletter-Teams – ich habe aktuelle Fotos aus dem Inneren des Redaktionskühlschranks. Nur so nebenbei.

PPPPPPPS: Anmerkung der Chefredaktion – na gut, wenns unbedingt sein muss. Dafür sei an der Stelle jetzt auch erwähnt, dass wir Verstärkung im Verwaltungsrat der Republik suchen. Unbedingt bewerben – hier entlang bitte!

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