Brasiliens Präsident in der Bredouille, Biden unter Beschuss – und was ein echter Mann ist
Woche 18/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck, Bettina Hamilton-Irvine und Christof Moser, 01.05.2020
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Corona: Lockerungsübungen in Europa
Darum geht es: Diese Woche haben mehrere europäische Länder (darunter auch die Schweiz) neue Lockerungen ihres Lockdown beschlossen. In der EU-Kommission debattierten derweil die Justiz- und Innenminister über eine mögliche Öffnung der Grenzen in Europa.
Warum das wichtig ist: In Spanien, wo seit Mitte März eine der striktesten Ausgangssperren weltweit gilt, durften ab dieser Woche Kinder wieder in Begleitung der Eltern die Wohnung verlassen. Ab diesem Wochenende sollen auch Erwachsene wieder draussen spazieren oder Sport machen können, wie Regierungschef Pedro Sánchez bekannt gab. Wenn sich die Lage weiterhin positiv entwickelt, sollen Geschäfte, Lokale und Hotels entlang eines 4-Phasen-Plans allmählich wieder geöffnet werden. Frankreich kehrt ebenfalls in kleinen Schritten zum gewohnten Leben zurück: Premierminister Edouard Philippe hat diese Woche erklärt, wie die Ausgangssperre ab dem 11. Mai schrittweise aufgehoben werden soll. Der britische Premier Boris Johnson will in den kommenden Tagen einen Plan für sein Land präsentieren, wie er bei seinem ersten Auftritt seit seiner Covid-Erkrankung sagte. Währenddessen sucht die EU-Kommission nach einer gemeinsamen Lösung für die geschlossenen Grenzen. Die Justiz- und Innenministerinnen der Schengen-Staaten plädieren für eine koordinierte Öffnung der Binnengrenzen. In einem zweiten Schritt sollen Menschen aus Drittstaaten wieder einreisen können. Wann es so weit sein wird, blieb offen.
Was als Nächstes geschieht: Werden die Fallzahlen mit den beschlossenen Lockerungen wieder ansteigen? Ein Blick nach Österreich stimmt zuversichtlich: Dort wurde eine grössere Zahl an Geschäften bereits Mitte April geöffnet – und die Zahl der täglichen Neuansteckungen schrumpft bis heute kontinuierlich weiter. Für ein Fazit ist es aber definitiv noch zu früh. Die japanische Insel Hokkaido zeigte, was mit einer verfrühten Lockerung droht: eine erneute Explosion der Fallzahlen und ein erneuter Lockdown. Ein Worst-Case-Szenario, das Expertinnen auch für die USA befürchten.
Brasilien: Justizminister geht, Untersuchung kommt
Darum geht es: Brasiliens Justizminister Sérgio Moro hat am vergangenen Freitag seinen Rücktritt erklärt. Dies, nachdem Präsident Jair Bolsonaro den Chef der Bundespolizei entlassen hatte, der ein Vertrauter Moros ist. Ersetzt werden sollte der abgesetzte Polizeichef mit einem Freund der Familie Bolsonaros. Dessen Nominierung musste Bolsonaro jedoch wieder zurückziehen, nachdem ein Richter des obersten Gerichts auf Antrag der Opposition gegen die Ernennung eine einstweilige Verfügung ausgesprochen hatte. Er wirft dem Präsidenten möglichen Amtsmissbrauch vor.
Warum das wichtig ist: Der Richter wirft dem Bolsonaro-Clan konkret vor, er versuche politischen Einfluss auf die Bundespolizei zu nehmen. Die nationale Polizeibehörde führt Untersuchungen gegen zwei Söhne von Jair Bolsonaro: Carlos, ein Stadtrat von Rio de Janeiro, und Eduardo, ein Abgeordneter in Brasília. Die Vorwürfe gegen die Söhne sind nicht ohne: Carlos soll der Chef eines kriminellen Fake-News-Rings gewesen sein. Andere Hinweise deuten auf Verstrickungen mehrerer Söhne mit Milizen hin, ein weiterer Vorwurf lautet auf Abzweigung öffentlicher Gelder. Um die Untersuchungen zu torpedieren, wollte Papa Bolsonaro den Posten des Polizeichefs mit dem Sicherheitschef seines Wahlkampfs besetzen. Zum Nachfolger von Justizminister Moro ernannte Bolsonaro den bisherigen Generalstaatsanwalt, der ebenfalls als ein enger Gefolgsmann von ihm gilt.
Was als Nächstes geschieht: Das oberste Gericht gab der Bundespolizei 60 Tage Zeit, um Justizminister Moro zu seinen Vorwürfen zu befragen. Moro hat bereits öffentlich ausgesagt, Bolsonaro habe Zugang zu Polizeiinformationen haben wollen. Wie lange sich der als rechtsextrem geltende brasilianische Präsident noch im Amt halten kann, hängt davon ab, ob die Untersuchung handfeste Beweise für Amtsmissbrauch hervorbringt.
Libyen: Warlord kündigt Uno-Abkommen auf
Darum geht es: Der selbst ernannte libysche Generalfeldmarschall Khalifa Haftar will die Kontrolle über das ganze Land. Am Montag hat er sich selber zum Machthaber über Libyen ausgerufen. Dabei hat er auch verkündet, das Uno-Abkommen von 2015 sei «eine Sache der Vergangenheit». Seine Libysche Nationalarmee akzeptiere ein «Volksmandat» und werde nun das Land führen.
Warum das wichtig ist: Libyen ist zersplittert, seit Herrscher Muammar al-Ghadhafi im Jahr 2011 gestürzt wurde. Die Milizen, die sich zuvor gegen Ghadhafi verbündet hatten, kämpfen seit seinem Tod um die Vorherrschaft im Land. Auch ein 2012 gewähltes Übergangsparlament und Wahlen im Jahr 2014 konnten Libyen nicht stabilisieren – im Gegenteil: Der Konflikt eskalierte zunehmend, im Land herrscht Chaos. Aktuell steht auf der einen Seite des Konflikts die von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj geführte Einheitsregierung in der Hauptstadt Tripolis, die seit 2015 von der Uno anerkannt wird. Auf der anderen Seite General Haftar, der eine Gegenregierung im Osten des Landes unterstützt. Seit Haftar im April 2019 seine Offensive gegen Tripolis ausgerufen hat, liefern sich seine Truppen und die Regierungstruppen und verbündete Milizen heftige Kämpfe rund um die Hauptstadt. Ein geltendes Waffenembargo wird immer wieder verletzt.
Wie es weitergeht: Verschiedene Länder versuchen zu schlichten: So mahnte Russland, eine Lösung könne nur «auf dem Weg einer politischen und diplomatischen Verständigung aller Parteien erreicht werden». Auch die USA forderten Haftar auf, sofort mit der Regierung in Tripolis eine dauerhafte Waffenruhe zu vereinbaren. Doch Haftar hat in seiner Ansprache am Montag keine Zweifel darüber gelassen, dass er keine Verhandlungslösung mit der Regierung in Tripolis anstrebt.
Sexueller Übergriff: Neue Anschuldigung gegen Joe Biden
Darum geht es: Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden wird beschuldigt, im Jahr 1993 eine junge Frau namens Tara Reade, die damals in seinem Senatsbüro arbeitete, sexuell angegriffen zu haben. Bidens Kampagnenteam schreibt in einem Statement, den Vorfall habe es nie gegeben.
Warum das wichtig ist: Es ist nicht das erste Mal, dass Biden sich mit Vorwürfen von ehemaligen Mitarbeiterinnen konfrontiert sieht: Bereits Anfang 2019 beschuldigten ihn sieben Frauen – darunter Tara Reade –, er habe sie geküsst, umarmt oder auf eine unpassende Art berührt. Biden teilte damals mit, er habe die Botschaft der Frauen verstanden und werde sich in Zukunft respektvoller verhalten. Die neuen Vorwürfe sind aber happiger: Reade sagt, Biden habe sie gegen eine Wand gedrückt und sei mit den Fingern in sie eingedrungen. Hinter der Bühne machen Frauenrechts-Aktivistinnen Druck, Biden, der sich immer öffentlich gegen sexuelle Gewalt eingesetzt habe, müsse persönlich Stellung nehmen. Währenddessen benutzen die Republikaner, deren Präsident Donald Trump in mindestens zwölf Fällen sexueller Übergriffe beschuldigt wird, den Fall, um die Demokraten als Hypokriten darzustellen, was Geschlechtergerechtigkeit betrifft. Aktuell läuft es aber noch gut für Biden: Er hat gerade die Vorwahl in Ohio und die Unterstützung von Hillary Clinton gewonnen.
Was als Nächstes geschieht: Ob die Vorwürfe Biden ernsthaft schaden werden, muss sich noch zeigen. Während prominente Stimmen der #MeToo-Bewegung nach wie vor hinter Biden stehen, fordern andere, er solle zeigen, wie man Verantwortung übernehmen und gleichzeitig wählbar bleiben könne. Biden, der letzte verbleibende Präsidentschaftskandidat der Demokraten, soll an einem Parteitag im Sommer offiziell nominiert werden. Die Wahl gegen Donald Trump findet am 3. November statt.
Zum Schluss: Ein Mann ohne Maske
Im Moment teilen sich die Patriarchen in ziemlich genau zwei Gruppen auf: Es gibt diejenigen, die sich bei einem Spitalbesuch – als Einzige – in einen kanarienvogelgelben Chemieschutzanzug hüllen und eine eindrückliche Schutzmaske aufsetzen. Und solche, die sich – als Einzige – nicht mal einen Lappen auf den Mund halten, weil sie einfach zu hart dafür sind. US-Vizepräsident Mike Pence – seines Zeichens Chef der amerikanischen Corona-Taskforce – gehört, wie wir seit dieser Woche wissen, zur Kategorie der Letzteren. Beim Besuch der renommierten Mayo Clinic in Minnesota verzichtete er auf eine Schutzmaske, obwohl diese in der Klinik vorgeschrieben sind. Er lasse sich regelmässig testen, redete sich Pence heraus (oder: weiter hinein). Zudem wolle er dem Personal «in die Augen schauen». Seither rätseln amerikanische Journalistinnen, wie denn eine Maske, die notabene nur Mund und Nase bedeckt, Pence an diesem Vorhaben hätte hindern sollen. Melinda Henneberger von «USA Today» findet keine Antwort, kommt aber zum Schluss: Echte Männer tragen Masken, Mr. Pence.
Was sonst noch wichtig war
Saudiarabien: Für Minderjährige soll es künftig keine Todesstrafen mehr geben. Das hat König Salman entschieden. Wenige Tage zuvor hatte er Bestrafungen durch Auspeitschen verboten.
Venezuela: Präsident Nicolás Maduro ernennt Tareck El Aissimi zum Ölminister. El Aissimi, der zuvor bereits verschiedene Ministerposten besetzt hat, ist ein mutmasslicher Drogenhändler und wird von den USA gesucht. Erfahrungen in der Ölbranche, dem wichtigsten Industriezweig Venezuelas, hat er keine.
Schweiz: Marcel Ospel stirbt im Alter von 70 Jahren. Der Ex-UBS-Chef ist in der Nacht auf Sonntag einem langen Krebsleiden erlegen.
Italien: Die Industriellenfamilie Agnelli hat diese Woche ein Viertel aller Zeitungen und Magazine in Italien übernommen, darunter die beiden grossen Tageszeitungen «La Repubblica» und «La Stampa». Der Chefredaktor der «Repubblica» wurde entlassen. Es wird befürchtet, dass vor allem linke Stimmen künftig aus den Blättern verschwinden werden.
Polen: Die EU-Kommission hat ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen gestartet. Grund ist ein im Februar erlassenes Gesetz, das die Kritik einer Richterin an einem Entscheid eines Berufskollegen unter Strafe stellt. Die Justizreform untergrabe die Unabhängigkeit der Richterinnen und verletze EU-Recht, urteilte die Kommission.
Die (garantiert coronafreien) Top-Storys
Eine Geschichte der Gewalt Im Dezember 2018 erhängt sich im Aargau eine Frau in ihrer Garage. Sie ist Mutter von fünf Kindern, der Kindsvater ein Schläger. Und die Behörden zögern, übersehen, ignorieren, bis sie stirbt. Der Schweizer Journalist Peter Hossli hat diese Woche mit einem Text ohne Trost den Medienpreis Aargau/Solothurn gewonnen.
Gegen das Trauma Die Jahre des Kriegs haben im Irak Generationen traumatisiert. Seit wenigen Jahren kann man im Land nun Psychotherapie studieren, die ersten Studentinnen haben ihre Abschlussprüfungen gerade erst hinter sich gebracht. Die Reportage über die neuen Heilsbringer einer verwundeten Nation lesen Sie in der «Zeit».
«Eine Sendung für Arschlöcher – und Freunde» So beschreibt der legendäre Berliner Komiker Kurt Krömer, gewohnt frei Schnauze, seine jüngste Show «Chez Krömer». Für die geleitet er seine Gäste in einen Verhörraum mit ordentlich Stasi-Vibes. Für die erste Staffel (mit unfreiwillig lustigen Menschen wie CDU-Star Philipp Amthor oder Motivationstrainer Jürgen Höller) hat Krömer gleich einen Grimme-Preis bekommen. Auch die zweite Staffel ist seit kurzem vollständig auf Youtube zu sehen. Zum Verhör stellten sich dieses Mal unter anderem FDP-Politiker Konstantin Kuhle (kurz nach der fatalen Wahl in Thüringen) und Prinz Marcus von Anhalt. Preisverdächtig.
Illustration: Till Lauer