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Das Bundesgericht entscheidet gegen die Öffentlichkeit

Von Brigitte Hürlimann, 14.10.2019

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Mitte November 2018 fand am Zürcher Arbeits­gericht ein bemerkenswerter Prozess statt. Die Mitarbeiterin einer Schweizer Grossbank klagte gegen ihre Arbeit­geberin und machte eine geschlechter­bedingte Lohn­diskriminierung geltend. Sie verlangte vor Gericht eine Entschädigung von rund 30’000 Franken – ein Klacks für die Bank. Die Frage ist: Hat sie das Geld bekommen? Oder einen Teil davon? Wie beurteilt das Gericht die Diskriminierungsfrage?

Nun steht endgültig fest: Das alles werden wir nie erfahren. Obwohl es um einen Fall von höchstem öffentlichem Interesse geht. Und um ein Rechts­gebiet mit spärlicher Rechtsprechung.

Die Journalistin der Republik, die als einzige Zuschauerin an der Haupt­verhandlung teilgenommen hatte, war mitten im Prozess aus dem Saal gewiesen worden: Mit der Begründung, es komme jetzt zu gerichtlichen Vergleichs­gesprächen, die nicht öffentlich seien. Auch die vorläufige Einschätzung des dreiköpfigen Gerichts­gremiums dürfe die Journalistin nicht mit anhören.

Die Tür ging zu und blieb fortan geschlossen.

Die Republik wehrte sich mit rechtlichen Mitteln gegen den Rauswurf – und unterliegt nun auch letztinstanzlich, vor Bundes­gericht; nachdem bereits das Zürcher Obergericht die Geheimnis­krämerei geschützt hatte.

Die fünf Bundes­richterinnen der Ersten zivilrechtlichen Abteilung verlieren nur wenige Worte über eine umstrittene Frage von grundlegender Bedeutung, die zuvor noch nie höchst­gerichtlich entschieden wurde. Das Urteil soll denn auch in der amtlichen Urteils­sammlung publiziert werden. Das Gericht konstatiert, die meisten Stimmen in der hiesigen Rechts­lehre gingen von der Nicht­öffentlichkeit gerichtlicher Vergleichs­verhandlungen aus. Und diesen Stimmen schliesst sich das Bundes­gericht an: Vergleichs­gespräche stellten «keinen Schritt auf dem Weg zur gerichtlichen Entscheidung über den Streit­gegenstand dar». Ihr Inhalt werde nicht protokolliert und dürfe einem allfälligen Urteil nicht zugrunde gelegt werden.

Bei Vergleichs­gesprächen handle es sich nicht um eine «rechtsprechende Tätigkeit». Diese wäre gemäss Bundes­verfassung und Zivil­prozess­ordnung grundsätzlich öffentlich. Vergleichs­gespräche gelten gemäss Bundes­gericht jedoch «nicht als Gerichts­verhandlung respektive Verhandlung und unterstehen nicht dem Grundsatz der Justizöffentlichkeit».

Das Gleiche gilt nach Meinung des Bundes­gerichts für die vorläufige gerichtliche Einschätzung, die ein Gericht jeweils vor den Vergleichs­gesprächen abgibt. Diese würde es Publikum und Medien­vertretern ermöglichen, eine erste gerichtliche Einordnung des zuvor öffentlich dargelegten Prozess­stoffes zu hören.

Was das Bundes­gericht in seinem knapp siebenseitigen Urteil nicht erwähnt: dass es für die Annahme der Nicht­öffentlichkeit gerichtlicher Vergleichs­gespräche an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Und dass die Bundes­verfassung bei Grundrechts­einschränkungen eine solche Grundlage fordert. Plus Verhältnis­mässigkeit. Plus ein öffentliches Interesse an der Einschränkung.

Und es ist unbestritten, dass es sich bei der Öffentlichkeit der Gerichts­verhandlungen um ein Grundrecht handelt.

Doch mit dem verfassungs­mässigen Gehalt der Republik-Beschwerde setzen sich die Richterinnen kaum auseinander; ebenso wenig übrigens all jene Stimmen in der Rechts­lehre, die ohne Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen von geheimen Vergleichs­gesprächen vor Gericht ausgehen.

Dabei gäbe es durchaus Kommentatoren, die sich für mehr Öffentlichkeit in den Gerichts­verfahren einsetzen – im Zivilrecht wie im Strafrecht. Markus Schefer und Lukas Schaub von der Universität Basel beispiels­weise problematisieren die Nicht­öffentlichkeit der privaten Schieds­verfahren. Wesentliche Bereiche des Wirtschafts­rechts werden hinter verschlossenen Türen entschieden: ohne jegliche Transparenz und ohne dass die Rechts­wissenschaft die Entscheide kennt und kommentieren könnte.

Immerhin erwähnt das Bundes­gericht in seinem Entscheid die Bedeutung der Justiz­öffentlichkeit, die Medien­freiheit oder aber die wichtige Brücken­funktion der Gerichts­berichterstattung. Um dann sogleich die empfindliche Einschränkung der Öffentlichkeit höchst­gerichtlich abzusegnen. Einen winzigen Türspalt lässt das Gericht offen, indem es am Rande erklärt, es sei im Rahmen der Republik-Beschwerde nicht zu beurteilen, ob Instruktionsverhandlungen öffentlich seien oder nicht.

An Instruktions­verhandlungen, die vor dem Prozess stattfinden, kommt es nämlich häufig zu gerichtlichen Vergleichs­gesprächen. Bloss erfährt die Öffentlichkeit nie, ob und wann es zu solchen Instruktions­gesprächen kommt; anders als bei den Haupt­verhandlungen, die im Voraus bekannt gegeben werden müssen. Was beim besagten Prozess am Zürcher Arbeits­gericht auch geschah.

Nach dem höchst­gerichtlichen Willen ist es nun aber so, dass diese Haupt­verhandlung in einen öffentlichen und einen geheimen Teil gesplittet werden darf.

Wie gesagt: Das steht nirgends so im Gesetz. Und glücklicher­weise gibt es doch die eine oder andere Richterin, die eine ganz andere Auffassung von Justiz­öffentlichkeit hat. Denn auch mit dem neusten Entscheid aus Lausanne ist es nicht verboten, die Zuschauerinnen und Medien­vertreter während des ganzen Prozesses im Gerichts­saal zuzulassen.

In den seltenen Fällen, in denen sich überhaupt jemand an einen Zivil­prozess verirrt.

Urteil 4A_179/2019 vom 24. September 2019. Ab dem 14. Oktober 2019, 13 Uhr, auf der Entscheid­datenbank des Bundes­gerichts abrufbar.

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