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Geheimjustiz, obergerichtlich abgesegnet

Von Brigitte Hürlimann, 25.04.2019

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Gut fünf Monate ist es her, dass die Republik über die Lohndiskriminierungsklage einer Bank­angestellten berichtet hat. Na ja, zumindest ansatzweise. Die Ausgangs­lage war auf jeden Fall spannend und relevant. Die Klägerin machte geltend, sie habe bei der Tochter­gesellschaft einer Schweizer Grossbank für gleichwertige Arbeit weniger verdient als ihre männlichen Kollegen und 2017 auch keinen Bonus erhalten – im Gegensatz zu den Männern im Team. Sie forderte am Zürcher Arbeits­gericht deshalb 30’000 Franken, gestützt auf das Gleichstellungsgesetz.

Hat sie das Geld bekommen, ganz oder teilweise? Ist das Gericht ihrer Argumentation gefolgt? Oder aber der Haltung der Grossbank, die von einer lächerlich kleinen und sachlich gerechtfertigten Lohn­differenz spricht? Und zudem sagt, man habe der Mitarbeiterin auch kündigen dürfen, trotz hängiger Lohndiskriminierungsklage?

All diese Fragen können nicht beantwortet werden, denn bis heute teilt das Arbeits­gericht nicht mit, ob und allenfalls wie das Verfahren beendet werden konnte. Mit einem Vergleich? Einem Urteil? Oder wird weiter verhandelt? Alles unklar.

Die einzige anwesende Journalistin war im Laufe des Prozesses aus dem Saal gewiesen worden mit der Begründung, es fänden nun Vergleichs­gespräche statt, die nicht öffentlich seien. Und eben, über eine allfällige Verfahrens­beendigung wurde auch im Nachhinein nicht informiert. Gegen beide Entscheide, den Rauswurf aus dem Prozess und die Geheim­haltung der Beendigung, hat die Republik Beschwerde vor dem Obergericht des Kantons Zürich erhoben. Ohne Erfolg. Die I. Zivilkammer weist die Beschwerde ab, soweit sie darauf eintritt. Immerhin hält sie das Arbeits­gericht an, «zeitnah darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form der Beschwerde­führerin vom Endentscheid Kenntnis zu geben ist».

Wir warten geduldig.

Gar kein Verständnis zeigt das Obergericht hingegen für die Auffassung, die Gerichts­reporterin der Republik hätte während des Prozesses nicht weggewiesen werden dürfen. Die Beschwerde­instanz bestätigt zwar die grundsätzliche Öffentlichkeit auch der zivilen Verhandlungen (gestützt auf die Bundes­verfassung und die Zivil­prozess­ordnung), findet aber, gerichtliche Vergleichs­verhandlungen seien «eine im Gesetz nicht ausdrücklich so benannte Unterform der Instruktions­verhandlung» – und damit generell nicht öffentlich. Es müsse deshalb auch keine Interessen­abwägung stattfinden; also nicht abgewogen werden, ob das öffentliche Interesse an einer Bericht­erstattung über die Lohn­diskriminierungs­klage das private Interesse der Parteien überwiegt.

Wir sind anderer Meinung.

Die Republik hat das Urteil des Ober­gerichts inzwischen vor Bundes­gericht gezogen. Die Frage, ob ein Zivil­prozess in einen öffentlichen und einen geheimen Teil aufgeteilt werden darf, obwohl dies gesetzlich so nicht vorgesehen ist, ist über den Einzelfall hinaus von grosser Bedeutung. Und wurde noch nie höchstgerichtlich entschieden. Es geht um die Absage an jegliche Form von Kabinetts­justiz und darum, dass Gerichts­bericht­erstatter ihre Wächter­rolle und ihre Brücken­funktion wahrnehmen können. Es liegt an uns Journalistinnen und Journalisten, die Öffentlichkeit über die Arbeit der Gerichte und über die Rechts­wirklichkeit zu informieren. Dazu brauchen wir allerdings offene Türen und Zugang zu den Urteilen.

Wir warten gespannt, wie das Bundes­gericht entscheiden wird.

Urteil des Obergerichts vom 6. März 2019, RA190002.

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