Der Lobbying-Report – Listicle

Lobbying ausser Kontrolle: Das Listicle

In Bundesbern wird zuweilen masslos lobbyiert. Nicht immer sind die National- und Ständeräte dabei Herren ihrer Sinne. Ein Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre.

Von Philipp Albrecht, Andrea Arežina und Dennis Bühler, 09.10.2019

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Synthetische Stimme
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Ein Telefonanbieter verschenkt Nationalräten teure Trottinette. Und die Politiker stimmen tags darauf wie gewünscht.

Die Involvierten: 50 Nationalräte im Restaurant eines Nobelhotels. Und Gastgeberin Swisscom mit 50 Trottinetten im Wert von je 270 Franken.

Der Fall: Im September 2000 lädt der Telefon­anbieter Swisscom 50 Parlamentarierinnen ins Berner Nobel­restaurant Bellevue ein. Die Tisch­gespräche drehen sich um das der Swisscom gehörende Monopol auf Hausanschlüsse, die sogenannte letzte Meile. Konkret: um eine für den Folgetag traktandierte parlamentarische Initiative eines FDP-Nationalrates, der dieses Monopol aufbrechen möchte, damit die Swisscom-Konkurrenten Sunrise und Diax ebenfalls Hausanschlüsse anbieten können. Ein Anwesender sagt einige Tage nach dem Essen zur «SonntagsZeitung»: «An jedem Tisch sass mindestens ein Unternehmens­vertreter, der dann die Sicht der Swisscom zum Vorstoss erläutert hat.» Als Abschiedsgeschenk verteilt der staatliche Telefonanbieter jedem Anwesenden ein Trottinett im Wert von 270 Franken. In der Nacht entschliesst sich einer der Beschenkten, einen Ordnungs­antrag zu stellen: Meinrado Robbiani verlangt, dass die parlamentarische Initiative kurzfristig von der Traktanden­liste gestrichen wird. Der Tessiner CVP-Nationalrat hat Erfolg. Und gibt vor, selbst erstaunt zu sein: Er habe nicht einmal gewusst, dass ein Ordnungs­antrag sofort zur Abstimmung komme, behauptet er. Die Idee für den Antrag habe er schon einige Tage mit sich herumgetragen.

Die Konsequenzen: Wenige Tage nachdem die Trottinett-Verteilung publik wird, macht der Nationalrat eine Kehrtwende: Er beschliesst, nun doch bereits in der darauffolgenden Session über einen Vorstoss zu befinden, der die Hausanschlüsse der Swisscom für die neuen Telecom­anbieter öffnen will.

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Wie viel ist zu viel? Die Nebenjobs der Schweizer Parlamentarier und die fehlende Transparenz über ihre Einkünfte aus Verwaltungsratsmandaten, Beiräten oder Verbandsfunktionen geben in diesem Wahlkampf zu reden wie noch nie. Die Republik beleuchtet dieses umstrittene Thema in einem vierteiligen Schwerpunkt.

Ein Nationalratspräsident verheimlicht ein heikles Verwaltungsrats­mandat. Und mehrere Briefkasten­firmen.

Die Involvierten: Peter Hess, Zuger CVP-Politiker und Nationalrats­präsident. Und seine 48 Verwaltungsrats­mandate.

Der Fall: Am 11. Februar 2001 macht der «SonntagsBlick» publik, dass der amtierende Nationalratspräsident Peter Hess sein Verwaltungsrats­mandat bei der in Zug domizilierten British American Tobacco (BAT) verheimlicht hat – einer Firma, der Verbindungen zu Zigaretten­schmugglern nachgesagt werden. Ohnehin hat der Zuger CVP-Politiker im parlamentarischen Register der Interessenbindungen bloss 10 seiner insgesamt 48 Verwaltungsrats­mandate deklariert. Das Boulevard­blatt kommentiert giftig: «Die Gier nach mehr treibt Einzelne ins Sammelfieber. Bis sie in der Falle sitzen. Wie Peter Hess.» Während Monaten wird weiter recherchiert und skandalisiert: So zeigt sich, dass der Wirtschafts­anwalt über Briefkasten­firmen in den Steuer­paradiesen Panama und British Virgin Islands geschäftet und im Verwaltungsrat einer liechtensteinischen Firma sitzt, die in die CDU-Spendenaffäre verwickelt sein soll.

Die Konsequenzen: Der von SP, Grünen und SVP heftig unter Beschuss geratene Nationalrats­präsident spricht von einer «Vernichtungs­kampagne» und weigert sich, den Rücktritts­forderungen zu entsprechen, seine CVP spricht gar von einer «modernen Hexenjagd». Dennoch verkündet Hess am 16. Mai vor den Medien, bis Ende Monat alle seine Verwaltungsratsmandate nieder­zulegen – «aus Respekt und Würde, die mit diesem Amt verbunden sind». Drei Monate später bescheinigt ihm die Kontrollstelle für Geldwäscherei, nicht gegen geltendes Recht verstossen zu haben. Sobald Hess das Nationalrats­präsidium abgegeben hat, beginnt er sogleich wieder mit der Akquisition von Mandaten. Der «Fall Hess» bringt der Schweizer Politik etwas mehr Transparenz, ohne dass die Spielregeln grundlegend geändert werden: Immerhin entscheidet das Nationalrats­büro, dass Parlamentarier ihre Interessen­bindungen künftig lückenlos offenlegen müssen.


Wie sich eine Krankenkasse in Bern Gehör verschafft. Und dabei auf jegliche Transparenz verzichtet.

Die Involvierten: Die Krankenkasse Groupe Mutuel. Und Dutzende Parlamentarier.

Der Fall: Seit 2001 hält sich die Walliser Krankenkasse Groupe Mutuel eine Gruppe von Parlamentarierinnen, die im politischen Geschäft ihre Interessen vertreten soll. Das Gremium nennt sich Groupe de réflexion santé, trifft sich einmal pro Session mit der Unternehmens­spitze und nimmt Empfehlungen entgegen. Anfangs im Versteckten: Bis 2005, als das Magazin «Facts» die Treffen publik macht, weiss im Parlament – abgesehen von den Mitgliedern der Gruppe – niemand davon. Über die Jahre hinweg verändert sich die Anzahl Teilnehmer von fünf auf heute neun. Von den Beteiligten nach der Enthüllung als Diskussions­runde bezeichnet, handelt es sich in Wahrheit eher um eine Gruppe von Befehls­empfängern, wie mehrere Branchen­experten bestätigen. Pierre-Marcel Revaz, von 2000 bis 2014 Präsident von Groupe Mutuel, soll gar ab und zu Teilnehmer in den Senkel gestellt haben, die Diskussionen zu umstrittenen Gesundheits­themen lancieren wollten. Der langjährige Zürcher GLP-Nationalrat Thomas Weibel verzichtet nach einem Besuch der Groupe de réflexion santé auf weitere Teilnahmen, weil er sich an der blossen Briefträger­funktion und der Höhe der Entschädigung stört. Anfangs soll die Entschädigung pro Sitzung 10’000 Franken betragen haben.

Die Konsequenzen: Nach dem «Facts»-Bericht machen die Mitglieder der Gruppe ihr Nebenamt im Parlament öffentlich, weitere Presseberichte folgen. Im Jahr 2015 weist die Finanzmarkt­aufsicht (Finma) auf «langjährige Missstände betreffend der guten Geschäfts­führung, der internen Kontrollen und des Risikomanagements» hin und reicht Strafanzeige gegen ehemalige Mitglieder des Vorstandes ein. In der Folge macht das Unternehmen den «politischen Beirat» auf seiner Website transparent, führt ein Regelwerk ein und reduziert die Vergütung zunächst auf 5000 Franken pro Sitzung und später gar auf 2500 Franken.


Eine PR-Agentur schleust eine vermeintliche Studentin als Spitzel bei der GSoA ein. Und lügt zunächst wie gedruckt.

Die Involvierten: Die PR-Agentur Farner. Die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA). Und eine junge Politologin.

Der Fall: Drei Monate vor der Volks­abstimmung über die Initiative gegen Kriegsmaterial­exporte sorgt eine WOZ-Recherche am 20. August 2009 für Furore. Die Zeitung enthüllt, wie eine freie Mitarbeiterin der PR-Agentur Farner zwei Monate zuvor an einem Strategie­wochenende der GSoA teilgenommen hat, bei dem die Gruppierung ihren Abstimmungs­kampf konzipierte. Die Frau habe sich als Politologie­studentin ausgegeben, die eine Seminar­arbeit verfassen wolle, habe in Wahrheit aber im Auftrag von Farner die Konkurrenten bespitzelt. Farner weist den Verdacht der verdeckten Ermittlung «in aller Form» zurück. Dumm für die renommierteste PR-Agentur des Landes: Zuerst wird ein vier Jahre altes Farner-Papier den Medien zugespielt, in dem die Lobbyisten die «Observation von Aktivisten­gruppen», die «verdeckte Aufklärung in der Verwaltung» und die «öffentliche Desavouierung des Gegners» planen; und dann, am 8. Oktober 2009, präsentiert der «Blick» den von der angeblichen Studentin verfassten zweiseitigen Report – geschrieben auf Farner-Briefpapier.

Die Konsequenzen: Die desavouierte Farner-Spitze mag sich nicht entschuldigen. Sie stellt sich auf den Standpunkt, der in einem Pfadiheim am Waldrand abgehaltene GSoA-Anlass sei öffentlich gewesen, und spricht von einer «Verunglimpfungs­kampagne». Die junge Freelancerin habe «legal und legitim» gehandelt. Die mediale Empörung über die Methoden der «kompromisslosen Agentur des Kalten Kriegs» ist gross, an der Urne aber richtet sie kaum Schaden an. Am 29. November 2009 scheitert die GSoA-Initiative mit nur gerade 32 Prozent Ja-Stimmen.


Wie sich ein CVP-Nationalrat auf PR-Tour für eine deutsche Firma begibt. Und das erst noch für das falsche Produkt.

Die Involvierten: Pius Segmüller, Luzerner CVP-Nationalrat. Und Armatix, ein deutscher Hersteller von Waffensicherheitssystemen.

Der Fall: Weil 2009 in der Schweiz der Umgang mit Ordonanz­waffen gerade intensiv diskutiert wird, verspricht sich die Münchner Firma Armatix neue Absatz­möglichkeiten. Nach einem Treffen am Fifa-Hauptsitz in Zürich verpflichtet der Hersteller von Waffensicherungs­systemen den CVP-Politiker Pius Segmüller. Der Luzerner sitzt in der Sicherheits­politischen Kommission des Nationalrats, ist Sicherheitschef beim Welt­fussballverband und war Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde im Vatikan. Segmüller wird sogleich aktiv: Er erstellt drei Berichte und trifft sich mit der staatlichen Rüstungsfirma Ruag und dem Justiz­departement. Und er lässt über einen Ratskollegen einen Vorstoss einreichen, der den Bundesrat auffordert, elektronische Waffen­sicherungen in die Gesetzgebung aufzunehmen. Doch die Landes­regierung lehnt den Vorstoss ab. Die «Handelszeitung» deckt Segmüllers Lobbyingaktivitäten im Januar 2011 auf.

Die Konsequenzen: Weil der Bundesrat die elektronische Sicherung von Armeewaffen nicht im Gesetz verankern will, scheitert auch ein geplanter Deal zwischen der Ruag und Armatix, den Segmüller eingefädelt hat. «Wir haben nicht die politische Unterstützung gefunden, die wir haben müssten», lässt sich der enttäuschte Armatix-Chef Bernd Dietel zitieren.


Wie die eigene Naivität einer Nationalrätin im Weg steht. Und sie trotz Skandal zur höchsten Schweizerin wird.

Die Involvierten: Christa Markwalder, Berner FDP-Nationalrätin. Marie-Louise Baumann, Lobbyistin. Und die kasachische Partei Ak Schol.

Der Fall: 2013 reicht Christa Markwalder im Nationalrat eine Interpellation zum Verhältnis der Schweiz zu Kasachstan ein. Ihre sechs Fragen an den Bundesrat sind so formuliert, dass die regierungsnahe kasachische Partei Ak Schol in gutem Licht dargestellt wird. In einer Frage erkundigt sich Markwalder, ob das Verfahren gegen den politischen Flüchtling Wiktor Chrapunow, der seit 2007 in Genf lebt, die Beziehungen der beiden Länder belaste. Kasachstan und die Ak-Schol-Partei werfen Chrapunow vor, 250 Millionen Dollar veruntreut zu haben – sie wollen, dass ihn die Schweiz ausliefert. 2015 deckt die NZZ auf, dass Ak Schol Markwalders Interpellation gekauft hat. Der Schweizer Ableger des weltweit operierenden PR-Unternehmens Burson-Marsteller hat dafür rund 7000 Franken in Rechnung gestellt. Hergestellt hat die Verbindung die Lobbyistin und Burson-Angestellte Marie-Louise Baumann, die den Vorstoss dann auch zusammen mit den Kasachen formulierte. Dabei wurde der Text mindestens einmal überarbeitet, wobei der von Baumann verwendete Ausdruck «Menschenrechte» entfernt und Ak Schol noch positiver dargestellt wurde. Nach tagelanger Skandalisierung zeigt sich Markwalder schliesslich «geschockt, dass Baumann jeden Schritt mit Kasachstan absprach und dies mir gegenüber nicht transparent machte». Es könne nicht sein, dass jemand Geld dafür kassiere, wenn sie eine Interpellation einreiche, die darauf abziele, das Verhältnis zwischen der Schweiz und Kasachstan zu verbessern.

Die Konsequenzen: Die Affäre kommt für Markwalder im dümmsten Moment: 2015 ist ein Wahljahr – und sie ist für das darauffolgende Jahr als Nationalrats­präsidentin vorgesehen. Nachdem die Sache publik wird, verrät sie dem «Blick»: «Die letzten Tage waren für mich und mein privates Umfeld die Hölle.» Rücktritts­aufforderungen schlägt die Berner Freisinnige aus. Und tatsächlich kommt sie mit einem blauen Auge davon: Drei Monate vor den Wahlen wird sie von der Immunitätskommission des Parlaments entlastet. Wäre ihre Immunität aufgehoben worden, hätte die Bundes­anwaltschaft ein Strafverfahren wegen Amtsgeheimnis­verletzung und politischen Nachrichten­diensts für einen fremden Staat gestartet. So aber schafft Markwalder die Wiederwahl in den Nationalrat und wird Ende Jahr vom Parlament zur höchsten Schweizerin gekürt.


Ein massloser Krankenkassen-Lobbyist, der sich nicht rechtfertigen mag. Und dennoch Bundesrat wird.

Die Involvierten: Ignazio Cassis, Tessiner FDP-Nationalrat. Und der von ihm präsidierte Krankenkassen­verband Curafutura.

Der Fall: Im November 2015 wählt die FDP einen neuen Präsidenten für ihre Bundeshaus­fraktion. Zur Wahl stehen der Tessiner Nationalrat Ignazio Cassis und sein Berner Kollege Christian Wasserfallen. Cassis ist klarer Favorit (und wird schliesslich auch gewählt). Doch im Vorfeld berichtet das «St. Galler Tagblatt» erstmals über die Vergütung, die Cassis als Präsident des Krankenkassen­verbands Curafutura bezieht: Die 180’000 Franken pro Jahr bringen selbst Branchen­kenner zum Staunen. Beim Konkurrenz­verband Santésuisse, der mehr Versicherte repräsentiert als Curafutura, bezieht der Präsident nur rund 100’000 Franken. Cassis verteidigt sich widerwillig: «In einem Milizparlament sind die Berufseinkünfte privat.» Für den Posten wende er rund 30 Stunden pro Woche auf. 2016 macht der Verband die Gesamt­vergütung für den Vorstand erstmals freiwillig öffentlich. In einer separaten Stellungnahme räumt er ein, dass Cassis’ Lohn inklusive Spesen und Sozialleistungen gar 241’000 Franken betrage.

Die Konsequenzen: Die FDP erwartet von Cassis nach der Wahl zum Fraktionschef, dass er sich von einigen Nebenämtern verabschiedet. Das tut er schliesslich auch, bleibt dem lukrativen Job bei Curafutura aber treu. Als Cassis 2017 für den Bundesrat kandidiert, wird sein hoher Lohn erneut zum grossen Thema – dennoch setzt er sich gegen Pierre Maudet und Isabelle Moret klar durch. Cassis’ Nachfolger an der Spitze von Curafutura, der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli, verdient als Folge der öffentlichen Kritik nur noch 140’000 Franken pro Jahr.


Ein Regierungsrat reist nach Abu Dhabi. Und lässt sich auch eine ausschweifende Geburtstags­party finanzieren.

Die Involvierten: Pierre Maudet, Genfer FDP-Regierungsrat. Seine Freunde aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Und seine frères et cochons in der Romandie.

Der Fall: Im November 2015 reist der Genfer Regierungsrat Pierre Maudet nach Abu Dhabi, um sich ein Formel-1-Rennen anzuschauen. Begleitet wird er von seiner Familie, seinem wichtigsten Mitarbeiter und einem befreundeten Unternehmer. In der Lobby des Fünfsterne­hotels, in dem die Delegation absteigt, trifft der FDP-Politiker auf den Kronprinzen des Emirats, der auch als Verteidigungs- und Transport­minister amtet. Als Journalisten zu recherchieren beginnen, wer für die Reisekosten aufgekommen ist, verheddert sich Maudet in Widersprüchen. Schliesslich gibt er im Mai 2018 zu, dass ihn ein Genfer Geschäftsmann mit libanesischen Wurzeln eingeladen hat. Die Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen wegen Vorteilsnahme ein. Durch weitere Medien­recherchen kommen immer mehr Ungereimtheiten ans Licht: So hat sich Maudet zu seinem vierzigsten Geburtstag eine grosse Party finanzieren lassen und lässt sich alljährlich die Abgaben sponsern, die er als Mandats­träger an seine Partei zu entrichten hat.

Die Konsequenzen: Maudet ist – aller Kritik zum Trotz – nach wie vor im Amt. Zwar geht FDP-Präsidentin Petra Gössi öffentlichkeits­wirksam auf Distanz, entziehen ihm seine Regierungs­kollegen etliche Schlüssel­dossiers und fordert ihn der Genfer Grosse Rat zum Rücktritt auf, nachdem er auf Antrag der Staats­anwaltschaft seine Immunität aufhob. Doch gibt Maudet, der sich für unschuldig hält, nicht klein bei. Und die Mühlen der Justiz mahlen langsam: Das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren läuft inzwischen seit mehr als einem Jahr. Ungeachtet des Ausgangs: Untendurch ist er schon jetzt selbst bei ihm ehedem freundlich Gesinnten. «Selten hat ein Politiker die Aufmerksamkeit mit so viel Selbst­verliebtheit auf sich gezogen, um anschliessend im Licht der Kameras so himmeltraurig abzustürzen», schrieb die NZZ kürzlich.


Ein Ständerat mutiert vom «Briefträger der Tabaklobby» zum Wächter der Gesundheits­kosten. Gegen Geld.

Die Involvierten: Das Tabakprodukte­gesetz. Und der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli als Präsident des Krankenkassen­verbandes curafutura.

Der Fall: Im Jahr 2016 schickt Gesundheits­minister Alain Berset ein neues Tabakprodukte­gesetz ins Parlament. Damit will er ermöglichen, dass die Schweiz die Anti-Tabak-Konvention der Weltgesundheits­organisation ratifizieren kann – sie ist heute mit Ausnahme einzelner Zwergstaaten das letzte Land Europas, das dies noch nicht getan hat. Insbesondere gegen Artikel 18 des Gesetzes­entwurfs, der eine Einschränkung bei der Tabak­werbung vorsieht, sperren sich die Tabak-Lobbyisten. Ein FDP-Ständerat kämpft an vorderster Front gegen das Gesetz: der Urner Josef Dittli. Mit einem Rückweisungs­antrag erreicht er, dass das Gesetz an den Bundesrat retourniert wird. Dittli verteidigt sich: «Es gehört zu unserem Staat, dass wir den Liberalismus, die Markt- und die Werbe­freiheit hochhalten.» Gut zwei Jahre später, es ist Februar 2019, debattiert die Gesundheits­kommission des Ständerates den vom Bundesrat überarbeiteten Gesetzes­vorschlag. In der Zwischenzeit ist Dittli Präsident des Krankenkassen­verbandes curafutura geworden, womit er bei einem Arbeits­pensum von rund 40 Prozent jährlich 140’000 Franken verdient. Auf einmal möchte er jetzt, dass die ursprünglich vorgesehenen Werbe­einschränkungen doch in die Vorlage integriert werden. Ein paar Monate später, im August, spricht sich die Gesundheits­kommission des Ständerates endgültig für ein Verbot von Tabakwerbung in Zeitungen und im Internet aus. Dittli nimmt an dieser Sitzung nicht teil, hat sich schon Wochen zuvor entschuldigen lassen. Zu diesem Zeitpunkt sei das Sitzungs­programm noch gar nicht im Detail bekannt gewesen, nimmt ihn der Medien­verantwortliche der FDP im «Tages-Anzeiger» in Schutz.

Die Konsequenzen: Der Fall gilt als exemplarisches Beispiel für gekaufte Bundeshaus-Politiker. In der Sache änderte Dittlis Salto rückwärts wohl nichts: Im Herbst 2019 nimmt der Ständerat die überarbeitete Vorlage derart klar an, dass es auch ohne den Urner Freisinnigen gereicht hätte. Stimmt auch der Nationalrat zu, darf für Tabakprodukte künftig in Zeitungen und online nicht mehr geworben werden.


Parlamentarier zu Gast am Filmfestival in Locarno, Übernachtung inklusive. Bezahlt von Staats­betrieben.

Die Involvierten: Swisslos, Post und SBB sowie Dutzende National- und Ständeräte.

Der Fall: Im August 2017 folgen 23 National- und Ständeräte einer Einladung von Swisslos ans Filmfestival nach Locarno. Einige Wochen später beraten sie das Geldspiel­gesetz zu Ende – und entscheiden bei sämtlichen umstrittenen Paragrafen zugunsten der kantonalen Lotterie­gesellschaft. Im Tessin operieren bei diesem Sommer-Event auch Bundesbetriebe an der Grenze zur Korruption: So bitten die Post und die SBB wiederholt Gäste aus Wirtschaft und Politik samt Begleitperson zu Film­vorführungen auf die Piazza Grande und kommen, falls gewünscht, für die Übernachtungskosten auf. Jahr für Jahr akzeptieren je rund zwei Dutzend National- und Ständeräte die Einladungen der Bundesbetriebe. Ein Grund dafür, dass sich die Politiker mit Kritik zurückhalten, als die Post Filialen en masse schliesst und die SBB wegen Verspätungen und Misswirtschaft für Verärgerung sorgen?

Die Konsequenzen: Die Fälle bleiben folgenlos. Kein Wunder: Die letztmals Ende 2015 von den Büros von National- und Ständerat überarbeiteten Empfehlungen für den Umgang mit Gefälligkeiten sind ausgesprochen lasch. Im einleitenden Schreiben heisst es: «Es liegt in der Selbst­verantwortung der Ratsmitglieder, zu entscheiden, wann ihre Unabhängigkeit durch die Annahme von Geschenken oder anderen Vorteilen eingeschränkt wird.»

Zur Debatte: Ist Lobbying eine Gefahr für die Demokratie?

Wo liegt für Sie die Grenze zwischen Lobbyieren und Kassieren? Muss das Berufsgeheimnis für Anwältinnen im Parlament aufgeweicht werden? Oder braucht es einen Lohndeckel für Nebenämter? Hier gehts zur Debatte.

Der Lobbying-Report

Teil 3

«Es gibt heute einfach zu viele Exzesse»

Teil 4

Die Macht der Ge­sund­heits­in­du­strie

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