Auf lange Sicht

Donald Trumps Denkfehler

Der Präsident der USA ist überzeugt, dass Amerika von seinen Handelspartnern über den Tisch gezogen wird. Als Gegenschlag hat er einen Prozess gestartet, der in Peking bereits als «grösster Handelskrieg der Wirtschaftsgeschichte» bezeichnet wird.

Von Mark Dittli, 16.07.2018

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Es herrscht Handelskrieg. Oder zumindest: ein Handelskonflikt. Begonnen hat der Disput, wie so oft, vergleichsweise harmlos. Im Januar dieses Jahres kündigte die US-Regierung Zölle auf importierte Waschmaschinen und Solarpanels an. Im Frühjahr folgten Importzölle auf Stahl und Aluminium – was von Kanada über Europa bis nach China einen ersten Protestschrei und Vergeltungsmassnahmen provozierte.

Nun läuft Runde zwei. Seit einer guten Woche sind aufseiten der USA neue Importzölle auf Waren aus China mit einem Handelswert von 34 Milliarden Dollar in Kraft. Zölle auf Gütern im Wert von weiteren 16 Milliarden Dollar werden in Washington vorbereitet.

China hat sofort zurückgeschlagen und Zölle auf Importen von Gütern wie Schweinefleisch, Sojabohnen und Autos aus den USA beschlossen. In den Worten des chinesischen Handelsministeriums hat damit der «grösste Handelskrieg der Wirtschaftsgeschichte» begonnen.

Die Reaktion von Donald Trump? Der Präsident erhöht den Einsatz. Er hat seinen Handelsbeauftragten angewiesen, eine Liste zu erstellen von chinesischen Importgütern im Handelswert von 200 Milliarden Dollar, die mit Strafzöllen belegt werden können.

Auch für diesen Fall hat Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bereits mit Vergeltung gedroht.

Die Finanzmärkte werden allmählich unruhig. Die Furcht vor den Folgen des Handelskriegs auf die Wirtschaft – bis hin zu einer Rezession – steigt.

Was hat sich Trump dabei gedacht, als er diese Entwicklung lostrat, bei der am Ende alle nur verlieren können?

Die Antwort liegt in der folgenden Grafik:

Die Export-Import-Lücke der USA

Handelsbilanz (Waren) der USA, pro Jahr, in Milliarden Dollar

Welt
2002200720122017−1000−5000 Mrd. Dollar

Quelle: United Nations Comtrade Database

Die Balken zeigen das jährliche Defizit der Vereinigten Staaten im Handel mit Waren, in Milliarden Dollar, im Verlauf der letzten fünfzehn Jahre.

Im vergangenen Jahr importierten die USA Güter aus dem Ausland im Wert von rund 2400 Milliarden Dollar. Diesem Betrag standen Exporte im Wert von knapp 1600 Milliarden Dollar gegenüber – das ergibt ein Defizit von etwas mehr als 800 Milliarden Dollar.

Wie die Grafik zeigt, ist das kein neues Phänomen. Die USA erwirtschaften seit Jahren ein Handelsdefizit; bereits in den Jahren um 2007, vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise, lag das Defizit auf dem heutigen Niveau. Im Krisen- und Rezessionsjahr 2009 verringerte sich die Handelslücke, doch seither weitet sie sich wieder aus.

Diese Statistik ist Trump ein Dorn im Auge. Er sieht – entsprechende Äusserungen machte er schon vor drei Jahren, als er in New York seinen Wahlkampf startete – das Handelsbilanzdefizit der USA als Zeichen der Schwäche. Und als Beweis dafür, dass Amerika von seinen Handelspartnern über den Tisch gezogen wird.

Das Ziel seiner Importzollpolitik ist daher simpel: Sie soll ausländische Produkte in den USA verteuern und inländische Anbieter konkurrenzfähiger machen. Das Resultat wären weniger Importe und damit ein geringeres Handelsbilanzdefizit.

(Wir haben im oben bereits erwähnten Beitrag erläutert, weshalb das eine Fehleinschätzung ist und die Hauptleidtragenden der Zölle primär die amerikanischen Konsumenten sein werden. Zudem ist es ohnehin falsch, ein Handelsdefizit als «schlecht», respektive einen –Überschuss als «gut» zu betrachten. Mehr dazu in diesem Beitrag.)

Aber wieso entlädt sich Trumps Zorn eigentlich dermassen stark an China, und weshalb geht er auch auf vermeintlich befreundete Nationen wie Kanada, Mexiko oder Deutschland los?

Die Antwort liefert die nächste Grafik:

Fünf Staaten sind für drei Viertel des Defizits verantwortlich

Handelsbilanz (Waren) der USA, pro Jahr und Land, in Milliarden Dollar

China
Mexiko
Japan
Deutschland
Kanada
Rest der Welt
2002200720122017−1000−5000 Mrd. Dollar

Quelle: United Nations Comtrade Database

Die Balken zeigen – analog zur ersten Grafik – das jährliche Handelsbilanzdefizit der USA, in Milliarden Dollar. Hier sind die Daten aber zerlegt in sechs Handelspartner: China (gelb), Mexiko (orange), Japan (rot), Deutschland (blau), Kanada (grün) und Rest der Welt (grau).

China, Kanada, Mexiko, Japan und Deutschland sind, in dieser Reihenfolge, die wichtigsten Handelspartner der USA. Die Grafik zeigt zwei Dinge eindrücklich: Erstens sind diese fünf Staaten für rund drei Viertel des gesamten Handelsbilanzdefizits der USA verantwortlich.

Und zweitens entfällt gegenwärtig rund die Hälfte davon allein auf China. Im Jahr 2002 – ein Jahr nachdem China in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen wurde – belief sich das Handelsdefizit der USA mit China auf wenig mehr als 100 Milliarden Dollar. Heute ist es das Vierfache.

Also hat Trump doch recht, wenn er versucht, das Handelsdefizit einzudämmen?

Nein. Denn er vergisst dabei, dass Handel nicht bloss mit Waren stattfindet, sondern in zunehmendem Mass auch mit Dienstleistungen. Und da sieht das Bild für die Vereinigten Staaten plötzlich anders aus:

Wachsende Überschüsse mit Dienstleistungen

Handelsbilanz (Dienstleistungen) der USA, pro Jahr/Land, in Milliarden Dollar

China
Mexiko
Japan
Deutschland
Kanada
Rest der Welt
2002200720122016−1000100200300 Mrd. Dollar

Quelle: United Nations Comtrade Database

Die Grafik zeigt den Saldo der Dienstleistungshandelsbilanz der USA, wiederum pro Jahr in Milliarden Dollar, aufgeschlüsselt in China, Mexiko, Japan, Deutschland, Kanada und den Rest der Welt.

Wenn beispielsweise eine US-Investmentbank wie Goldman Sachs einen Kunden in England berät, wenn eine Anwaltskanzlei in Washington für eine Schweizer Bank arbeitet, wenn Google und Facebook weltweit Werbegelder einnehmen oder wenn Touristinnen aus China die USA besuchen, dann sind das buchhalterisch alles Dienstleistungsexporte aus den USA.

Was auffällt: Der Saldo dieser Bilanz ist positiv. Und er ist im Verlauf der Jahre markant gewachsen. Die USA exportieren deutlich mehr Dienstleistungen ins Ausland, als sie vom Ausland importieren. Im Jahr 2016 (die Daten für 2017 sind im Gegensatz zu denjenigen zum Warenhandel noch nicht verfügbar) betrug der Überschuss in Amerikas Handelsbilanz bezüglich Dienstleistungen mehr als 230 Milliarden Dollar. Das kompensiert zwar das Warenhandelsdefizit von gut 800 Milliarden Dollar nicht, relativiert aber immerhin die Summe.

Einige weitere Beobachtungen zur Grafik der Dienstleistungsbilanz:

  1. Im Gegensatz zur Warenhandelsbilanz verteilt sich das Dienstleistungsgeschäft der USA auf viel mehr Länder. Der «Rest der Welt» macht im Vergleich mit China, Kanada, Mexiko, Japan und Deutschland den grössten Teil aus.

  2. Kanada ist ein eifriger Importeur von Dienstleistungen aus der Hand seines Nachbarn. Mit rund 24 Milliarden Dollar gleichen sich die Salden der Dienstleistungs- und der Warenhandelsbilanz zwischen den beiden Ländern nahezu aus.

  3. China wird zu einem immer wichtigeren Kunden von amerikanischen Dienstleistungen. Vor fünfzehn Jahren war China als Dienstleistungsimporteur für die USA irrelevant, heute erwirtschaften die Amerikaner bereits einen Überschuss von rund 37 Milliarden Dollar im Jahr.

  4. Deutschland ist der einzige Staat unter den grossen Handelspartnern, mit dem die USA auch im Dienstleistungshandel ein (allerdings kleines) Defizit aufweisen.

Diese Position des Dienstleistungsexporteurs ist in Gefahr, sollten andere Staaten als Vergeltungsmassnahme ihre Märkte für amerikanische Anbieter verschliessen.

Es ist also nicht nur so, dass Präsident Trump seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern in Form der erhobenen Importzölle eine Art Steuer aufbürdet. Er gefährdet mit seiner Politik auch die international erfolgreiche Stellung der amerikanischen Dienstleistungsanbieter.

Ob er sich dessen wohl bewusst ist?

Zu den Daten

Daten zum Handel zwischen Staaten stehen über verschiedene Quellen – beispielsweise die OECD, den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank oder über nationale Statistikämter – zur Verfügung. Besonders in der Erhebung des Handels mit Dienstleistungen können die Daten allerdings recht deutlich voneinander abweichen. Für die vorliegende Betrachtung wurde daher ausschliesslich die Comtrade-Datenbank der Vereinten Nationen verwendet. Es handelt sich dabei um eine Sammeldatenbank, die Handelsdaten der nationalen Statistikämter von nahezu 200 Staaten aggregiert.

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