Gion und Anja vom Rechercheteam in ihrer Unterengadiner Schreibstube. Yves Bachmann

Wochenend-Newsletter

Die Lawine – Neues vom Baukartell

28.04.2018

Teilen

Ladies and Gentlemen

Ein Kiesel rollt, dann noch einer – und plötzlich rutscht der Hang.

Neun Jahre ist es her, dass Adam Quadroni mit den Beweisen für ein gigantisches Bündner Baukartell erst im Tiefbauamt Chur vorbeiging. Und dann beim Gemeindepräsidenten von Scuol, Jon Domenic Parolini.

Damals passierte zuerst sehr lange nichts. Und als die Behörden endlich handelten, verhafteten sie den Zeugen Quadroni und lieferten ihn wegen angeblicher Selbstmordgefahr in die psychiatrische Klinik ein.

Heute, nach vier Artikeln in der Republik, passiert plötzlich alles gleichzeitig:

Der schon begraben geglaubte Fall nahm wild an Fahrt auf: zuerst in den Medien, nicht zuletzt mit den Auftaktberichten in «Schweiz aktuell» und der «Tagesschau».

Dann auch politisch. Der Bündner Wahlkampf, von allen Beteiligten zuvor als so langweilig wie ein Stück Beton betrachtet, donnert nun als Lawine zu Tal:

• Der Regierungsratskandidat der BDP und Geschäftsführer des Baumeisterverbands Andreas Felix ist seit gestern Abend Geschichte: Am Dienstag, in «Schweiz aktuell», sagte er noch: Die Unterstellungen der Republik seien unwichtig, er warte auf den Entscheid der Wettbewerbskommission. Am nächsten Morgen gab die Weko bekannt, der Bündner Baumeisterverband trage als Mitbeteiligter die Verfahrenskosten. Darauf gab der Bündner Baumeisterverband eine trumpsche Pressekonferenz, in der die Republik-Artikel als Fake News bezeichnet wurden – und Felix deutete das klare Urteil der Weko zur Verblüffung aller als persönlichen Freispruch. Niemand sonst sah das so: Der «Tages-Anzeiger» («Schlimmer als jedes Klischee») und die «Südostschweiz» forderten seinen Rückzug – in einer Umfrage sprachen sich achtzig Prozent der Leser gegen seine Kandidatur aus.

• Gestern Abend um 18 Uhr zog Andreas Felix die Konsequenzen: Er trat von seiner Kandidatur und als BDP-Parteipräsident zurück.

• Dadurch verlagert sich der Druck nun auf seinen Parteikollegen: den Ex-Gemeindepräsidenten von Scuol und heutigen Regierungsrat Jon Domenic Parolini: Dieser bezeichnete es als Fehler, damals den Fall auf sich beruhen gelassen zu haben, und verwickelte sich in Widersprüche.

• Ebenfalls in Bedrängnis ist der heutige Ständerat und 2009 für das Tiefbauamt zuständige Regierungsrat Stefan Engler (CVP). Der Republik gegenüber hatte er noch alle Verantwortung für das Nichthandeln auf seine Chefbeamten abgewälzt: Er habe da mal von der Sitzung mit Whistleblower Adam Quadroni gehört, aber nicht, dass sie relevant gewesen wäre. Gegenüber dem «Blick» sagte er nun, erst 2012 etwas vom Besuch Quadronis gehört zu haben. Und muss sich dort die Fragen stellen lassen, warum er als Verwaltungsrat der Rhätischen Bahn – eines der mutmasslich grössten Betrugsopfer – sich auch später nie für das Kartell interessiert habe. Und ob das mit einem anderen Nebenjob zusammenhänge: Engler ist auch Verwaltungsratspräsident der Lazzarini AG, einer der grössten von der Weko wegen Teilnahme am Kartell gebüssten Baufirmen.

• Bereits reagiert hat der Baumeisterverband: Er liess notfallmässig den Druck zum Jahresbericht stoppen – und entfernte zwei Dinge: ein Bild von Andreas Felix. Und die Erwähnung der Rhätischen Bahn im Vorwort, die nicht länger mit dem Baumeisterverband in Verbindung gebracht werden wollte.

• Nicht zuletzt kommt ein weiterer Kandidat für den Regierungsrat mehr und mehr ins Schussfeld: Walter Schlegel, SVP, der Bündner Polizeikommandant, der für die Verhaftung des Zeugen Quadroni letztverantwortlich war – die in einer Art ablief, wie man sie sonst nur bei der Festnahme von Terroristen kennt. Von RTR zur folgenschweren Verhaftung befragt, reagiert er mit einem verlegenen Lachen. Und widerspricht der Diagnose der Psychiatrischen Dienste Chur, die bei Adam Quadroni keinerlei Suizid- oder Fremdgefährdung feststellen konnten.

• Am Tag zuvor hatte der Bündner Bauvorsteher, CVP-Regierungsrat Mario Cavigelli, plötzlich Sätze gesagt, die in dieser Klarheit noch nie zuvor gefallen waren: Der Kanton werde systematisch dem Baukartell-Betrug nachgehen – und gegebenenfalls von den beteiligten Firmen überhöhte Preisaufschläge zurückfordern.

• Sowohl die CVP Chur wie die SP Graubünden forderten rückhaltlose Aufklärung bei Tiefbauamt und Polizei (die SP sogar in Form einer PUK).

• Dazu schrieb der pensionierte Bundesrichter Giusep Nay auf der Kommentarspalte der Republik, er überlege, seine Pensionierung für diesen Fall kurzzeitig an den Nagel zu hängen, um Adam Quadroni zu unterstützen.

So weit die Lawine, mitten auf dem Weg ins Tal.

Und, bei allen Anschuldigungen, hier noch eine Entschuldigung: Wir haben in der ersten Version der Serie die Vornamen von Adam Quadronis Kindern genannt. Das gehörte nicht dazu. Das war ein Fehler. Er ist behoben. Es tut uns leid.

Zu weiterem halten wir Sie auf dem Laufenden.

Falls Sie die Kartellserie noch nicht gelesen haben, tun Sie es dieses Wochenende: Es ist ein finsterer Western aus dem Osten der Schweiz.

Teil 1: Das Bündner Baukartell. Und ein Mann, der aussteigt.

Teil 2: Was mit dem Mann passiert.

Teil 3: Was die zuständigen Politiker sagen und taten. Und was sie nicht sagten und taten.

Teil 4: Wie glaubwürdig ist der Mann, der ausstieg?

Falls Sie dies alles bereits in dieser Woche gelesen haben – hier zum Aktuellen:

Daniel Binswanger glaubt, dass die fast unbeschränkte Überwachung von Sozialhilfeempfängern keine gute Idee ist. Schon gar nicht, wenn man wie rechte Sozialdemokraten die Sozialversicherungen durch harte Überwachung schützen will. Denn am Ende bleibt der Generalverdacht hängen, nicht das Gefühl von Rechtssicherheit.

Dominic Nahr hingegen ist für einmal ganz unweitreisend in der langweiligsten Stadt des Universums, in Zürich.

So. Und damit ins Wochenende! Wir empfehlen die Bündner Berge.

Mit bestem Gruss

Ihre Crew der Republik

www.republik.ch

PS: Im Newsletter vom Freitag haben wir den ZSC-Anhängerinnen gewünscht, dass sie noch einen Satz Fingernägel zum Knabbern für das Entscheidungsspiel am Samstag haben. Wir haben den Fehler in diesem Wunsch mittlerweile auch bemerkt. Immerhin hat das Nägelknabbern gestern genützt, und wir gratulieren dem ZSC nach dem 2:0 im finalen Finalspiel zum Meistertitel.

Rund 27’000 Menschen machen die Republik heute schon möglich. Lernen Sie uns jetzt auch kennen – 21 Tage lang, kostenlos und unverbindlich: