Die Republik führt die Demokratie ein

22. Mai 2017 07 Uhr

Ladies and Gentlemen,

wir versprachen Ihnen, dass Sie bei der Republik nicht nur Leser werden, sondern auch ein wenig Verlegerin. Das war kein risikofreies Versprechen. Nicht für uns. Und nicht für Sie. Denn es heisst, dass Sie bei der Republik ein wenig Mitverantwortung tragen.

Wir dachten, wir fangen gleich einmal an, Sie in den Schlamassel zu ziehen. Und führen – 26 Tage nach der Gründung der Republik – die Demokratie ein. Auch, um Erfahrungen zu sammeln, wie eine Verlegerversammlung mit über 12 000 Köpfen funktionieren könnte. Immerhin ist die Republik weltweit das erste Medium mit diesem Modell.

Damit, Frau Verlegerin, Herr Verleger, zu Ihrem Dilemma. Sie müssen sich zwischen drei Möglichkeiten entscheiden. Sind Sie a) für gefährliches Vergnügen, b) für zeitgemässe Recherche oder c) für eine strategische Expansion?

Sie haben die Aufgabe, das letzte Ziel des Crowdfundings zu bestimmen. Und sind damit für den Erfolg des Schlussspurts mitverantwortlich. Zur Wahl stehen:

  1. ein Budget für die kompromisslosesten Satirikerinnen und Satiriker, die sich kaufen lassen,
  2. die Anstellung eines Datenjournalisten (oder einer Datenjournalistin),
  3. die Anstellung einer Deutschland-Korrespondentin (oder eines Deutschland-Korrespondenten).

Ihr Entscheid wird dadurch ein wenig komplexer, weil Sie bei ihm zwei Dinge berücksichtigen müssen. Was wäre die ideale Verstärkung für die Republik-Redaktion? Und: Welches dieser Ziele würde dem Schluss des Crowdfundings am meisten Schwung geben?

Denn Ihre Entscheidung ist durchaus auch eine Marketingfrage. Ein Crowdfunding funktioniert wie ein Film: Der Schluss ist so wichtig wie der Anfang. Zwar war der erste Tag des Republik-Crowdfundings derart atemberaubend, dass wir ihn nie mehr erreichen werden: Damals verfolgten Hunderte von Leuten den steigenden Ticker wie eine Fernsehshow. Aber zum Schluss wollen wir noch einmal Gas geben. Und dazu brauchen wir ein möglichst begeisterndes Ziel.

Nur, welches? Die Entscheidung können Sie über unsere Abstimmungsseite treffen. Und zwar ab sofort die ganze Woche lang. Bis Sonntag, 28. Mai, 12 Uhr. Jedes bisherige und neue Mitglied hat eine Stimme.

Damit Sie, als Verleger und Verlegerin, Ihre Stimme nicht unüberlegt verschwenden, können Sie debattieren. Und auf unserer Verlegerinnenseite ein Plädoyer für den Vorschlag Ihrer Wahl abgeben. Damit es nicht unübersichtlich wird, täglich höchstens eines.

Ausserdem können Sie die Vorschläge Ihrer Verlegerinnen-Kollegen bewerten: die überzeugenden nach oben, die schwächeren nach unten.

Die Crew der Republik wird sich nicht heraushalten. Sie wird in den Wahlkampf ziehen. Da alle drei Ziele entschiedene Anhänger haben, erwarten wir im Büro keine friedliche Woche. Aber Demokratie ist nichts für Kuscheltiere.

Hier geht es direkt zur Abstimmung.

Last, not least ein paar Argumente, warum Sie sich für das eine, das andere oder das Dritte entscheiden sollten:

Satire-Budget

Sich über Politik zu informieren, ist die Sache jedes Staatsbürgers, jeder Staatsbürgerin. Aber das Herz sinkt manchmal dabei. So ein schöner Morgen, und schon wieder der finstere Quark.

Satire ist das Zaubermittel, politischen Quark zum Frühstücksquark zu machen. Sie ist die böse Fee, die Dummheit in Brillanz, Anrüchiges in ein Soufflé und die aufrechte Verantwortung des Staatsbürgers in ein erfreulich kindisches Vergnügen verwandelt.

Und sie ist die modernste Form des Journalismus: In den USA berichteten die Komiker John Oliver von «Last Week Tonight» oder Jon Stewart und Trevor Noah von der «Daily Show» oft weit präziser über den Aufstieg Trumps und komplexe politisch-wirtschaftliche Zusammenhänge als ihre Konkurrenten des Kabelfernsehens, die Komplexität für publikumsabstossend hielten.

Und in der Schweiz ist die Tradition der Humorfreiheit längst Geschichte. Komische Könnerinnen wie Hazel Brugger, Gabriel Vetter, Lara Stoll, Giacobbo und Müller, Knackeboul, Bendrit Bajra, Manuel Stahlberger, Uta Köbernick, Dominic Deville, Renato Kaiser oder Güzin Kar erzählen oft Interessanteres über das Leben und das Land als ein kompaktes Bündel Zeitungspapier.

Zwar ist unsere Aufgabe als leserfinanziertes Medium klar. Bei uns müssen die Autoren leiden, nicht die Leserinnen. Denn wenn Sie uns nicht mit Vergnügen lesen, sind wir tot. Wir wissen: Ein gutes Magazin ist halb Waffe, halb Waffel. Aber Verstärkung könnte nicht schaden.

Für Sie als Geschäftsleute könnte interessant sein, dass das Publikum, das sich mit politischer Satire erobern lässt, das junge ist. Das müssen Sie abwägen mit dem Ärger, den diese Form macht. Bei Mitverlegerinnen, die die eigene Meinung wie einen Schweif tragen: Wenn jemand draufsteht, schreien sie.

Datenjournalismus-Stelle

Der Job der Republik ist das Komplexe, Verwickelte, Dunkle, kurz: die Zusammenhänge. Denn hier macht Journalismus Sinn. Weil man diese Zusammenhänge oft nicht am Cafétisch findet. Sondern nur durch Recherche.

Lange Zeit war der einzige Ort, Verwickeltes zu entwirren, der einzelne Kopf. Der füllte sich, wurde krank und gebar dann meist unter Schmerzen ein Buch, einen Film, einen Artikel. Aber das ist nicht mehr der einzige Weg. Bei Korruption etwa, bei globalen Entwicklungen wie dem Klimawandel, bei Datenkonvoluten wie den Panama Papers reicht der Kopf längst nicht mehr aus. Man braucht Suchmaschinen, Gewichtungen, Modelle.

So komplex die Programme sind, so handfest sind dann die Ergebnisse: In den USA etwa programmierte Pro Publica eine Suchmaschine für Doktoren. Man gibt den Namen seines Arztes ein und sieht, wie viele Gelder er von Pharmafirmen bekommt. Und wie viele Medikamente er verschreibt. Oder: Unser Frontend-Programmierer Thomas Preusse, damals noch bei der NZZ, machte einen Datendump aus der kasachischen Regierung durchsuchbar. Worauf man die Beweise fand, dass die damalige Nationalratspräsidentin Christa Markwalder einen Vorstoss der kasachischen Regierung wortwörtlich eingereicht hatte. Wofür die Lobbyistin, die ihn ihr geschrieben hatte, exakt 7188 Franken 48 Rappen erhielt.

Faszinierend ist, dass Datenjournalismus Fehler des Kopfes korrigiert. Etwa den, dass alles schlechter wird. Wer sich etwa auf der Seite «Our World in Data» des Ökonomen Max Roser tummelt, sieht, wie atemberaubend gut sich die Menschheit in den letzten 200 Jahren gemacht hat: etwa in Sachen Kindersterblichkeit, Einkommen, Wissen, Gleichheit, Demokratie.

Kurz: Daten lesen, darstellen, interpretieren gehört zum Handwerk des Kopfs, der nicht auf die eigene Unfehlbarkeit vertraut. Als Verleger sollten Sie sicherstellen, dass Ihre Journalisten auf dem neuesten Stand dabei sind. Und als Geschäftsfrau daran denken, dass die Republik damit ein wachsendes Publikum erobern kann: die Nerds.

Deutschland-Stelle

Der Deutschschweizer Markt ist vergleichsweise klein: 5,5 Millionen Leute. Deutschland dagegen ist ein Gigant: 82 Millionen. Schafft die Republik auch nur minimal den Sprung über die Grenze, ist ihr Überleben komfortabel gesichert.

Doch dieser Sprung ist noch keiner Schweizer Zeitung ernsthaft gelungen. Der Grund ist, dass Journalismus die Kunst des Heiklen ist. Bewegt sich ein Artikel nur im grünen Bereich allgemeiner Übereinkunft, langweilt er. Spannung erzeugen nur Artikel, die ein Wagnis eingehen. Und irgendwo den roten Bereich berühren – ein politisches, persönliches, gesellschaftliches oder formales Tabu streifen. Zwar sollte man am Ende wieder im Grünen landen, sonst setzt es Ärger. Aber ohne Wagnis keine Aufmerksamkeit.

Um diese Bereiche zu kennen, muss man ein feines Ohr für die Zwischentöne haben. Also die ungeschriebenen Regeln gut kennen, die man dann bricht. Eine Zeit lang importierte der Ringier-Verlag etwa deutsche Chefredaktoren. Alles hartgesottene Profis. Aber alle versagten. Deshalb, weil sie die Zwischentöne nicht lesen konnten. Und nicht wussten, was ein Skandal, was eine eingerannte offene Tür und was schlicht eine Absurdität war.

Aus dem Grund mangelnder Kenntnis packten nur wenige Schweizer Journalisten in Deutschland ihre Chance. Für Sie als Republik-Verleger wäre ein Korrespondent sozusagen der Kundschafter für eine mögliche Expansion – und für Sie als Leserin die Chance, die Verhältnisse im mächtigsten Land der EU näher kennenzulernen.

So weit die ersten Informationen.

Die Abstimmungs- und Debattenseite finden Sie hier.

Willkommen im Unternehmertum!

Ihre Crew von der Republik und von Project R

PS: Sie müssen keine Angst haben, dass wir in Zukunft dauernd abstimmen werden. Sie werden uns viele Entscheidungen, geschäftlicher Natur wie im Journalismus, nicht abnehmen können. Immerhin bezahlen Sie uns dafür, dass wir diesen Job erledigen. Aber von Zeit zu Zeit, wenn wir eine vernünftige Frage zu stellen haben, werden wir das tun.

PPS: Falls Sie diese Abstimmung unbedingt gewinnen wollen, überzeugen Sie gleich gelagerte Freunde, ebenfalls Verlegerinnen zu werden.

Alle Meldungen