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Was ich an dieser Diskussion nie verstanden haben: Unser Lohnschutz ist alles andere als perfekt. Wieso stellen die Gewerkschaften ihn deshalb als unentwickelbar dar und fordern nun sogar dass dieser unterentwickelte Lohnschutz in einen Staatsvertrag gegossen werden soll? Wieso sind diese 8 Tage Vorlauf so heilig, trotz dem Fortschreiten von unterstützenden Technologien der Digitalisierung? Man hatte immer den Eindruck, der Lohnschutz bestünde daraus, EU Firmen möglichst stark zu schikanieren und so draussen zu halten. So darf der Lohnschutz aber nicht funktionieren bei einer Teilnahme im Binnenmarkt. Ich bin enttäuscht, dass die Gewerkschaften sich nicht offen für Erneuerungen und Verbesserungen im Lohnschutz zeigen und damit die ganze Schweiz in Geiselhaft nehmen. Profitieren tut von diesem schleichenden Swissexit ausser die SVP, die ihre politischen Ziele nun ganz undemokratisch erreicht, niemand, vor allem nicht die Arbeitnehmenden.

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noch nicht ganz von der rolle
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gehe einig, dass der lohnschutz verbesserungsfähig ist, aber wenn man die trümpfe aus der hand gegeben hat, wird der jass zunehmend schwieriger. beispiel: ahv- alter für frauen wurde mit dem versprechen der verbesserung im bvg erhöht, das mitte-rechts soeben erfolgreich gebrochen hat. wenn sie leuten wie hansueli bigler und ign(or)a(n)zio cassis gegenüberstehen müssen sie grausam skeptisch sein und machen sie sich keine illusionen: die freunde des kapitals - und da gehört auch die glp dazu - führen grad einen sehr hässlichen kampf gegen aktuelle und künftige habenichtse. haben sie über die fälle im bauwesen gelesen, in denen arbeiter aus dem ausland mit billigstlöhnen abgespiesen wurden, was trotz der von ihnen angemahnten schikane möglich war/ist?

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Also konnten diese Fälle trotz der heiligen 8 Tage und aufwändigen manuellen Kontrollen nicht verhindert werden. Das heisst wir sollten darüber diskutieren wie wir dieses System verbessern können: Digitalisierung und Effizienzsteigerung in den Meldeverfahren und Kontrollen, GAVs, Mindeslöhne, schmerzhafte Bussen... Ich habe keine Kenntnisse auf dem Gebiet, nur kann ich mir nur schwer vorstellen, dass wir bereits ein Optimum erreicht haben. Und dies auch innerhalb der Schweiz. Es sind nicht nur ausländische Firmen die Lohn- und Sozialdumping betreiben.

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Sie haben das Interview nicht richtig gelesen. Die Gewerkschaften sind liebend gern bereit, gemeinsam mit der EU den Lohnschutz zu verbessern. Aber wenn dies auf eine Schlechterstellung der inländischen Arbeitnehmenden hinausläuft, dann ist das keine Reform, sondern Sozialabbau. Und das ist ein Rahmenabkommen mit der EU nicht wert!

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Danke für dieses ausgezeichnete Interview, Priscilla Imboden, in dem Sie die richtigen Fragen stellen! SP-Altregierungsrat Markus Notter ist geistig jung geblieben und hat die konstruktive Perspektive für die Lösung des zwischenstaatlichen Lohnschutzproblems gecheckt, von dem ja längst auch die wohlhabenderen EU-Länder massiv betroffen sind.

Adrian Wüthrich und damit TravailSuisse erweisen sich dagegen als Ewiggestrige: Mit der Aussage „Wir halten am autonomen Lohnschutz fest“ vertreten sie eine rückwärtsgewandte Haltung, mit der sie gewollt oder ungewollt in eine unheilige Allianz mit der SVP geraten. Deren Verweigerungshaltung gegenüber dem EuGH (im populistischen Jargon: „fremde Richter“) ist ordnungspolitisch unsinnig und realpolitisch in den Verhandlungen mit der EU hoffnungslos, denn der EuGH ist die sachlich notwendige Wächterin über die einheitliche Regelanwendung im europäischen Binnenmarkt, wenn er denn ein solcher sein soll.

Die gewerkschaftliche Blockadehaltung ist nur insofern verständlich, als „unser“ Parlament mit seiner kürzlichen Entscheidung gegen statt für kantonale Mindestlöhne die von Markus Notter eröffnete Perspektive verkannt und abgeschmettert hat. Das Gegenteil wäre richtig: hinzuarbeiten auf flächendeckende Mindestlöhne und Gesamtarbeitsverträge in der Schweiz — also den Lohnschutz im Prinzip weitestgehend innenpolitisch zu sichern. Das aber wollen die rechtsbürgerlichen Parteien im Land offenkundig nicht.

Unter diesen realpolitischen Umständen wäre es doch folgerichtig, gemeinsam mit den sozialpolitisch fortschrittlichen Kreisen der EU den Kampf gegen die innenpolitischen Verhinderer zu führen, statt quasi seitenverkehrt in dieser fragwürdigen innenpolitischen Koalition aussenpolitische Gefechte gegen den zukunftsfähigeren EU-Ansatz des Arbeitnehmerschutzes zu führen und damit in wenig sinnvoller Weise erst noch die SVP zu stärken (etwa bei den kommenden Wahlen), oder etwa nicht?

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Man kann den Widerstand der Gewerkschaften aber auch so lesen, dass sie an der Partnerschaftlichkeit "der Wirtschaft" bzw. der Arbeitgeberverbände bei der Umsetzung zweifeln. Ein Misstrauen, das angesichts der ewigen rechtsbürgerlichen und wirtschaftsfreundlichen Mehrheit in diesem Lande und arbeitnehmerfeindlichen Urteile des EU-Gerichts, leider auch als Realismus ausgelegt werden kann.

So heisst es auch im NZZ-Artikel zu Notter:

«Vorschläge zum besseren Schutz von Arbeitnehmenden begrüsst der SGB grundsätzlich», sagt Präsident Maillard. Und der Chef von Travailsuisse Adrian Wüthrich hält die Vorschläge für «interessant und löblich».

Jedoch:

Erstens seien Mindestlöhne und eine höhere GAV-Abdeckung nicht mehrheitsfähig. «Da gibt es grossen Widerstand aus der Wirtschaft», sagt Maillard.

Kritik an Notters Vorschlägen kommt auch von den Arbeitgebern. Sie wehren sich generell gegen Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit – wozu Mindestlöhne zählen.

Man spricht heute zwar von "Sozialpartnerschaft", aber im Grunde bleibt es ein "Klassenkampf".

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Erstens ist Notter nicht geistig jung geblieben, sondern kommt mit den ewiggestrigen Argumenten, die er schon bei der EWR-Abstimmung vorbrachte. Was er nicht realisiert hat: Die EU hat sich von einem grossartigen Friedensprojekt in eine neoliberale Deregulierungsmaschine verwandelt. Zwar hat der Brexit die EU sozialpolitisch etwas zur Räson gebracht. Aber wie lange das anhält, steht in den Sternen.

Zweitens kann es den Gewerkschaften egal sein, was die Positionen der SVP sind. Ihre Aufgabe ist es einzig und allein, für gute Löhne und anständige Arbeitsbedingungen zu kämpfen - und dies in einem Land, das traditionell gewerkschaftsfeindlich und rechtslastig ist. Genau das tun sie, indem sie lieber den Spatz in der Hand hält statt die Taube auf dem Dach fangen zu wollen.

Dazu brauchen die Gewerkschaften keine Ratschläge von ex-Politikern. Besser wäre, wenn diese Politiker lautstark anprangern würden, wie Bürgerliche versuchen, kantonale Mindestlöhne auszuhebeln, die von der Stimmbevölkerung beschlossen wurde. Das stünde linken Politikern viel besser an als Gewerkschafts-Bashing zu betreiben.

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Die EU hat intern dasselbe Problem wie die Schweiz mit der EU: Es gibt Hochlohnländer und Tieflohnländer. Würde man die Dienstleistungsfreiheit gemäss Art. 56ff. AEUV ohne Beschränkung umsetzen, könnte sich dadurch ein race to the bottom der Arbeitsbedingungen ergeben. Daher hat die EU eine Entsendereichtlinie erlassen die mit der RL 2018/957 EU so erheblich verschärft worden ist, dass Polen und Ungarn das nicht hinnehmen wollten. Ihre Klage wurde vom EuGH aber abgewiesen (EuGH C-620/18, Ungarn).
Das EU-Entsenderecht entspricht seither mehr oder weniger dem schweizerischen Entsendegesetz. Das bestätigen Fachleute wie Astrid Epiney und Kurt Pärli mit überzeugenden Argumenten. Es gibt allerdings zwei Themen, bei denen Handlungsbedarf besteht: Die 8-Tage-Regel ist bei weitem zu lang. Warum es gerade 8 Tage sein müssen, wird nirgends begründet und so ist nicht einzusehen, warum bei konsequenter Digitalisierung nicht auch 4 Tage reichen würden.
Das zweite Thema sind die Kautionen: Ein ausländischer Anbieter mit einem Vertragswert von Fr. 30'000 muss je nach Branche eine Kaution von Fr. 10'000 leisten, was seine Kosten erheblich vergrössert. Der Schweizer Anbieter zahlt ebenfalls eine Kaution von Fr. 10'000 hat aber ein Auftragsvolumen von über einer Million, kann die Kaution also aus der Portokasse zahlen. Das ist eine offensichtliche Ungleichbehandlung, die die EU mit Recht beanstandet.
Bleibt noch die Streitschlichtung. Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass eine politische Einheit die Hoheit über die Anwendung ihres eigenen Rechts beanspruchen kann. Dieser Grundsatz wird auch in der Schweiz praktiziert, indem man die Verletzung von kantonalem Gesetzesrecht beim Bundesgericht nicht rügen kann, eben weil man den Kantonen die Hoheit über die Anwendung ihres eigenen Rechts belassen will. Es ist unerfindlich, wieso man der EU dieses selbstverständliche Recht bestreitet. Es genügt ja, sich das Chaos vorzustellen, das sich ergäbe, wenn jedes-EU-Land EU-Recht nach eigenem Gusto auslegen könnte.
Den Gewerkschaften ist zu empfehlen, sich besser mit dem geltenden EU-Recht vertraut zu machen.

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Schön auf den Punkt gebracht. Die beiden Regeln bezüglich Voranmeldung und Kaution schützen nicht die Löhne, sondern die Preise. Leider haben die Gewerkschaften immer noch nicht begriffen, das nicht die Löhne relevant sind, sondern die Kaufkraft. Würden die beiden Reglen wegfallen würden eventuell zwar die Löhne etwa sinken, viel stärker aber würden die Preise sinken und damit würde die Kaufkraft der Arbeitnehmenden steigen. Mit ihrer Haltung kämpfen die Gewerkschaften amüsanterweise den Kampf des Gewerbes, aber nicht den der Arbeitnehmer.

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Die Kaufkraft der Arbeitnehmenden würde steigen, wirklich? Mein täglicher Einkaufskorb, oh Wunder wäre mehr wert, ich glaub's nicht.

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"viel stärker aber würden die Preise sinken" – oh, wie das?

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Rolf Kurath
rolfkurath.ch
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Beton, nur Beton, seit vielen Jahren, null Bewegung. Dies in einem Umfeld, wo sich die Zeitfenster schliessen und wir zunehmend isoliert werden. Als Mitglied von SPS und Unia bin ich schwer enttäuscht von Herrn Wüthrich. Von ihm hätte ich mir mehr Mut erwartet. Schade. In 10 Jahren werden wir zu hören bekommen: "Wer zu spät kommt bestraft die Geschichte."

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noch nicht ganz von der rolle
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welche bewegung erwarten sie denn konkret von den gewerkschaften? und sehen sie auch nur einen millimeter bewegung aufseiten der isolationisten, arbeitgeber und marktwirtschaftsradikalliberalen (generisches maskulinum dreimal beabsichtigt)? bundesrat und parlament sind absolut ratlos und jetzt hat man in den gewerkschaften endlich die sau gefunden, die man durchs dorf treiben kann - es ist nicht so, dass ich der meinung bin, die gewerkschaften miechen alles richtig, aber in dieser sache sehe ich andere kreise in der hauptverantwortung. und bevor sie fragen: ich wünsche mir lieber heute als morgen eine gütliche einigung mit unseren nachbarn, freunden und wichtigsten handelspartnern - wir brauchen sie, sie brauchen uns nicht, umso erstaunlicher, wie ihnen der bundesrat die tür vor der nase zugeschlagen hat. und dass die eu der schweiz gegenüber im grossen und ganzen immer noch sehr freundlich und nachsichtig ist.

ps: spannende rolle, die sie haben und sehr kreativ, sich selber eine replik zu schreiben :-).

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Rolf Kurath
rolfkurath.ch
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Was wir beide wollen: Lösungen. Was ich von den Gewerkschaften erwarte: Mitwirkung an der Konkretisierung des Konzepts Notter et al. https://p-s-e.ch/wp-content/uploads…_final.pdf , zudem bitte endlich den Preis für die Verkleinerung des Honigtopfs FLAM-Kontrollsystem benennen.

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Rolf Kurath
rolfkurath.ch
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Angesichts der vielen offenen EU-Dossiers von existenzieller Bedeutung für unser Land (Strom, Bildung, Forschung, Klima, Finanzmarkt, Bahnverkehr etc. etc.) ist es an der Zeit, die Gewerkschaften durch einen Volksentscheid zurückzubinden.

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Das sehe ich freilich ganz anders. Zurückzubinden sind jene Kräfte, die wie Sie keine Ahnung davon haben, wie wichtig der gewerkschaftliche Kampf für eine sozial gerechte und faire Gesellschaft ist. Von Ihnen erwarte ich daher mehr kritische Vernunft statt polemische Ideologie.

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Ich werde echt aus dem Interviwe nicht schlau. Ich bekomme den Eindruck: Da werden massive Verbesseung für die Arbeitnehmenden, die die EU endlich anpackt und offensichtlich auch für die CH wünschenswert wären, nicht als wünschenswert angesehen und bekämpft, weil das Vertrauen in die CH fehlt, resp. in die Wirtschaftswelt, dass diese Bestimmungen auch umgesetzt würden. Danke für Nachhilfeunterricht.......

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Ich glaube ja das heutige System macht es für EU Firmen unattraktiv Aufträge in der Schweiz anzunehmen, da es viele adminsitrative Hürden gibt. Das dürfen die Gewerkschaften aber natürlich nicht in dieser Deutlichkeit sagen. Eine andere Erklärung für ihre Haltung habe ich jedenfalls noch nicht gefunden.

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Genau darum geht's - es soll für EU-Firmen unattraktiv sein, in der Schweiz Aufträge zu übernehmen - es ist mehr eine "schützet das heimische Gewerbe"-Regel als Arbeitnehmerschutz. Denn Grossfirmen - vor allem im Baugewerbe - die auch Grossaufträge ausführen, werden durch die Vorschriften kaum behindert: Sie haben Büros mit Fachleuten, die solche Anmelderegeln kennen und problemlos erledigen (und notfalls gründen sie eine Schweizer Niederlassung und zahlen erst noch wneiger teuern als daheim). Behindert werden vor allem kleine Betriebe, die sonst mal schnell auf der Schweizer Seite der Grenze z.B. Handwerksarbeiten übernähmen. Die wären natürlich auch schlechter kontrollierbar, weil die Aufträge ausgeführt wären, bevor irgendeine tripartite Kommission sich in Bewegung gesetzt hätte. Tatsächlich sorgt die EU-Entsenderichtlinie 2018 dafür, dass entsandte ArbeitnehmerInnen zum gleichen Lohn beschäftigt werden müssen, wie einheimische. Das kann und soll auch kontrolliert werden (ob die Kontrollstelle dann anders heissen müsste, kann ja nicht das Hauptproblem sein). Dass Schweizer GAV weniger allgemeinverbindlich sind als Tarifverträge z.B. in Deutschland, sollte eigentlich die Gewerkschaften dazu bringen mehr Verbindlichkeit erreichen zu wollen - und nicht, das heutige System zu zementieren. Dass der EuGH weniger arbeitnehmerfreundlichs sein sollte, als Schweizer Gerichte ist höchstens ein Gerücht. (Wenn's übrigens um die Behinderung von Kleinunternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr geht, ist Frankreich - trotz EU-Mitgliedschaft - mindestens so "erfolgreich" wie die Schweizer Gewerkschaften - und das ohne 8-Tage-Regel)

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Die Gewerkschaften hatten früher klare Standpunkte, bspw. zum "Rentenklau". Im Moment verstehe ich echt auch nicht, was sie wollen.
"Wer seine Miete überwiesen und seine Krankenkassen­prämie bezahlt hat, verfügt über immer weniger Geld zum Leben – jedenfalls gilt dies für über 50 Prozent der Bevölkerung". Jedenfalls kein Satz zu den Problemen, die wir in der Schweiz trotz Lohnschutz haben...

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Mensch
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Danke für den Beitrag. Bisher war mir nicht klar, dass es um die Umsetzung des EU Rechts geht. Aber es ist offenkundig, dass in letzter Instanz Gerichte entscheiden, was ein Gesetz bedeutet. Und der EUGH ist eine black Box in Bezug auf Arbeitnehmerrecht. U.U. wird man also auf die 24 hängigen Entscheide warten müssen, um zu sehen, mit wem man sich da ins Bett legt. Klingt vernünftig und desillusioniert bzgl. der hochheiligen Versprechungen der Arbeitgeber. Immerhin kennen die Gewerkschaften ihre Pappenheimer.

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Ich empfinde den Teaser "Die Schweizer Gewerkschaften haben dazu eine abwehrende Haltung. … Von ihnen kommt ein klares: Danke, aber nein danke." als leicht irreführend, wenn es später im Interview heisst: "Ich bin sofort bereit, darüber zu sprechen."

Auch im leider nicht-verlinkten NZZ-Artikel zu Notter liest man:

«Vorschläge zum besseren Schutz von Arbeitnehmenden begrüsst der SGB grundsätzlich», sagt Präsident Maillard. Und der Chef von Travailsuisse Adrian Wüthrich hält die Vorschläge für «interessant und löblich».

Die Position ist eigentlich ganz einfach. Der Grundsatz ist: Die Nivellierung der Löhne in der Schweiz gegen unten soll verhindert werden. Der nationale Lohnschutz geriete in Gefahr, wenn er im Konfliktfall, wo ein Arbeitgeber(verband) klagt, von einem Europäischen Gericht, der in der Vergangenheit mehrheitlich arbeitnehmerInnenfeindlich urteilte, aufgeweicht werden kann. Ergo: Rote Linie/Keine Kompromisse diesbezüglich.

Doch was, wenn die EU die CH links überholt? Jedoch: Es handelt sich dabei um Aktionspläne, Richtlinien, Förderungen, Empfehlungen, deren Umsetzung überwacht werden sollen. Entgegen käme:

Die vorgeschlagene Richtlinie ist darauf ausgelegt, diese Ziele unter Berücksichtigung und vollständiger Achtung der Besonderheiten der nationalen Systeme, der nationalen Zuständigkeiten, der Tarifautonomie und der Vertragsfreiheit der Sozialpartner zu erreichen.

Und in vollem Umfange geniessen würde man diese Vorteile wohl erst als Vollmitglied der EU.

Im NZZ-Artikel steht auch ein weiterer Grund für den Widerstand der Gewerkschaften:

Erstens seien Mindestlöhne und eine höhere GAV-Abdeckung nicht mehrheitsfähig. «Da gibt es grossen Widerstand aus der Wirtschaft», sagt Maillard.

Kritik an Notters Vorschlägen kommt auch von den Arbeitgebern. Sie wehren sich generell gegen Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit – wozu Mindestlöhne zählen.

Man spricht heute zwar von "Sozialpartnerschaft", aber im Grunde bleibt es ein "Klassenkampf".

Als Follow-up bräuchte es unbedingt ein Interview mit jemandem "der Wirtschaft" bzw. der Arbeitgeberverbände wie economie suisse.

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Priscilla Imboden
Bundeshausredaktorin
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Vielen Dank für die Überlegungen zum Thema. Ich finde die Reaktion auf die Vorschläge Notter schon eher sehr lauwarm bis ablehnend. Sie sagen, sie würden "Vorschläge zum Schutz der Arbeitnehmenden generell begrüssen" aber sie gehen nicht konkret darauf ein. Und: Seit wann verzichten Gewerkschaften auf Forderungen mit dem Argument, der Arbeitgeberverband/die Wirtschaft sei dagegen? Sie wollen diese Diskussion nicht führen. Weshalb das so ist erklärt Wüthrich ja mit dem Vorverhandlungsstadium, in dem sich die Schweiz mit der EU derzeit befindet. Aber ich hoffe doch, dass sie hinter den Kulissen Vorschläge entwickeln, um im richtigen Moment - falls er denn auch kommt - konstruktive Lösungen zu bringen im Interesse der Arbeitnehmenden, aber auch im Interesse der Zusammenarbeit mit der EU.

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Ja, das ist zu hoffen. Doch nein, es ist nicht so, dass die Gewerkschaften auf etwas verzichten, weil die Wirtschaft dagegen ist, sondern es geht um Strategie. Was vermieden werden soll, ist stark vereinfacht:

  1. Gewerkschaften machen – auch mit Blick auf die "europäische Säule sozialer Rechte" – Konzessionen beim Lohnschutz.

  2. Rahmenvertrag wird übernommen.

  3. Neoliberale Wirtschaft und rechtsbürgerliche Mehrheit setzt die Richtlinien und Empfehlungen der "europäischen Säule sozialer Rechte" nicht um bzw. schiebt sie auf die lange Bank.

  4. Die ArbeitnehmerInnen haben einen schwächeren Lohnschutz, die ArbeitgeberInnen haben alle Vorteile. EU und ManagerInnen/AkademikerInnen: Win-Win, ArbeiterInnen: Loose.

Was man verstehen muss, ist, dass die Gewerkschaften nicht aus dem Lehnstuhl heraus den Luxus des Idealismus haben können à la "Seid mal locker und gebt den Lohnschutz auf, das wird schon gut kommen, sogar die EU ist auch für bessere Löhne, also Win-Win-Win", sondern realpolitisch mit einem strategischen Zynismus mühsamen Klassenkampf betreiben müssen, während Wirtschaft und wirtschaftsfreundliche Kräfte am längeren Hebel sind.

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Ich empfehle Ihnen, die EU-Entsenderichtlinien sowie die dazu bisher publizierte Rechtsprechung zu konsultieren und sich dann zu fragen, wo noch die grossen Differenzen zum Schweizer Recht liegen. Man muss ja mit der EU irgendwie zu einer institutionellen Einigung kommen.

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Den Spiess kann man auch umdrehen: Wenn es keine grossen Differenzen mehr gibt, weshalb muss man das Entsendegesetz und den Lohnschutz überhaupt noch zur Disposition stellen? Angesichts der EU-Reformen kann man sogar behaupten, dass die Position der Schweizer Gewerkschaften richtig war, wenn selbst die EU mittlerweile auf dieselbe Position einschwenkt.

Ihre Position ist nicht konservativ oder europafeindlich, sondern sozial und progressiv. (WOZ)

Dieser Meinung sind auch der Europäische Gewerkschaftsbundes (EGB) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), für die die Schweizer flankierenden Massnahmen ein Vorbild sind.

Denn:

Es gilt der Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Niemand soll diskriminiert werden. Das Prinzip gilt mittlerweile auf dem Papier auch in den EU-Staaten, doch es wird weit weniger strikt durchgesetzt. Die EU-Kommission, sekundiert vom Europäischen Gerichtshof, hält das Primat der sogenannten Dienstleistungsfreiheit hoch.

Sie müssen sich bewusst sein:

Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft wurden im letzten Jahr [2018] 3954 Sanktionen verhängt, wie der «SonntagsBlick» publik machte. Das sind mehr als zehn pro Tag. Lohndumping ist also an der Tagesordnung, gleichzeitig greifen offenbar die Kontrollen. (WOZ)

Und:

Am Beispiel von Süddeutschland haben die Autoren Andreas Rieger und Michael Stötzel für eine Unia-Studie recherchiert, wie die Politik der EU-Kommission von wirtschaftlichen Interessen dominiert wird. Demnach entsendet Deutschland jährlich etwa 40 000 Arbeitnehmende in die Schweiz. Allein baden-württembergische Handwerksbetriebe setzen in der grenznahen Schweiz jährlich mehr als eine Milliarde Euro um und beherrschen dort mittlerweile sogar einzelne Branchen. Ihnen sind die Auflagen der flankierenden Massnahmen natürlich ein Dorn im Auge. Sie beklagen den administrativen Aufwand. Mehr schmerzen dürfte sie, dass Schweizer KontrolleurInnen sie immer wieder bei Regelverletzungen und Lohndumping erwischen. Das kostet die Firmen unter anderem hohe Geldbussen.

Der Baden-Württembergische Handwerkstag verabschiedete daher im Oktober 2015 eine Resolution, die sich «wie der Blueprint für die Verhandlungen der EU-Delegation mit der Schweiz in den Jahren 2017/18» lese, schreiben die beiden Autoren in einer Broschüre. Andreas Rieger sagt gegenüber der WOZ: «Lohndumping ist weniger ein Problem der Personenfreizügigkeit – diese ist als solche ein Fortschritt für die Beschäftigten. Grosse Probleme gibt es aber bei den Entsendungen, hier hat sich ein eigentliches Geschäftsmodell der Unterbietung entwickelt.»

Anders als die Schweiz haben viele EU-Staaten keine starken Kontrollen etabliert, nur wenige Länder wie Österreich und Luxemburg verfügen wenigstens über ein dichtes Kontrolldispositiv.

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Ja, aber nicht um jeden Preis. Unsere flankierenden Massnahmen sind der Hauptgrund dafür, dass es in der Schweiz bis jetzt nicht zu einer derartigen Prekarisierung von breiten Bevölkerungsschichten gekommen ist wie in vielen EU-Ländern. Die Wirtschaftspolitik in der EU ist nach wie vor neoliberal geprägt. Darum braucht es roten Linien.

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«Geht es auch weniger diplomatisch?» 😄

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spannende frage: wen lädt die republik zum interview ein? notter kriegt gar eine freie bühne – was hat er mit den heute aktiven gewerkschaften am hut? travail suisse ist weniger repräsentativ als der gewerkschaftsbund sgb. im sgb gibt es die sehr aktive unia. warum bringt die republik kein interview mit der präsidentin der unia? oder mit paul rechsteiner?

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Das scheint mir jetzt aber eine unlogische Forderung: travail suisse sei zu wenig repräsentativ, aber dann ein Interview mit Paul Rechsteiener zu fordern, der mittlerweile gar nicht mehr repräsentativ ist, weil er bei den Gewerkschaften keine Funktion mehr hat.

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ein blick in die jüngere geschichte der gewerkschaften CH (zum bsp pedrina/schäppi, die grosse wende etc, 2021) könnte bez logik hilfreich sein

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Priscilla Imboden
Bundeshausredaktorin
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Guten Tag Anonym1, das kann ich ihnen erklären: wir waren mit dem SGB im Gespräch für ein Interview oder einen Artikel aber er hat verzichtet. Wenigstens war Travail Suisse bereit, Stellung zu beziehen.

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mit verlaub: sie beantworten nur die halbe frage. die unia hat wesentlich mehr mitglieder als travail suisse. wo kein wille ist auch kein weg?

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Anderer 60
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Die Fotos in diesem Artikel sind doch nicht die typischen Branchen für die Entsendung.

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Ich finde die Bebilderung zu diesem Thema sehr gelungen - die grossen Rollen ins rollen bringen - also die grosse Gewerkschaft ins rollen bringen.

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Art Director
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Hallo F. S.

Die Lohnschutzmassnahmen sind ja auch im Interesse von Arbeitnehmenden in der Schweiz, das geht auch aus dem Interview hervor. Insofern sehe ich bei dieser Bebilderung kein Problem.

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Anderer 60
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Es geht doch vorallem in diesem Artikel um die Entsendung. ‚Wie viele Ausländer:innen kommen in die „Papier“- und „Näh“branchen in die Schweiz für ein paar Tage. Z.B.. ist die Baubranche für das sehr wichtig.

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Die EU stärkt die Rechte der Arbeitnehmenden so, dass der frühere Unia-Co-Präsident Andreas Rieger in der «Work»-Zeitung schrieb, das sei wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.

Wer kennt Menschen, die an Weihnachten Geburtstag haben? Kinder jedenfalls fühlen sich betrogen. Sie haben das Gefühl, nur die Hälfte der im Lauf des Jahres möglichen Zuwendung und Geschenke zu bekommen.

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Mein "Christkindli"-Cousin behauptete immer, die Geschenke fielen einfach grösser aus. Nur mit dem Kindergeburtstag mit Gschpänli war's schwierig: Keiner seiner Freunde durfte am Bescherungstag zu einer Geburtstagsfeier :-) Aber Rieger hätte wohl besser "Weihnachten und Ostern" zusammengelegt.

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