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Umweltwissenschaftler, Dokumentarfilmer
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Schade, der Artikel lässt die wirklich relevante Frage ausser acht: Sind Staatsschulden überhaupt ein Problem?

Eine wachsende Zahl von Ökonom:innen kommt zum empirisch und theoretisch gut begründeten Schluss, dass Staatsschulden in der eigenen Währung keine wirklichen Schulden sind, zumindest seit Aufhebung des Goldstandards nicht mehr. Im Gegenteil: Der Staat als Herausgeber der Währung gibt etwas mehr Geld ins System, das ihm schlussendlich wieder geschuldet ist. Solange seine Währung auf Vertrauen basiert (was der Franken als sogenannte Fiatwährung tut) und gut nachgefragt wird (was für den Franken ebenfalls der Fall ist), kann ein Staat problemlos mehr Geld herausgeben, als er im Moment einzieht. Die einzige reale Limite dafür ist ein Anstieg der Inflation, der sich aber mittels gezielten Steuern und Abgaben verhindern lässt. Dieses Verständnis von Währungspolitik nennt sich Modern Monetary Theory, erklärt die finanzpolitischen Geschehnisse seit Aufhebung des Goldstandards um Längen besser als andere Theorien und wird in Stephanie Keltons Buch "The Deficit Myth" (deutsch etwas ungelenk "Mythos Geldknappheit") brillant erklärt. Die Modern Monetary Theory stellt die geläufigen Annahmen nur teilweise auf den Kopf. Schulden von Gemeinden und Kantonen sind zum Beispiel genauso real wie Staatsschulden in einer Fremdwährung oder Schulden von Staaten, die keine breit akzeptierte Währung drucken. Aber ihr zentraler Punkt ist trotzdem revolutionär: Der finanzpolitische Spielraum des Staats, insbesondere was die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit angeht, ist weit grösser als angenommen. Korsette wie eine Schuldenbremse auf Bundesebene sind nicht nur finanzpolitisch unnötig, sie schaden auch dem Wohlergehen der Bevölkerung.

Der beste Lösungsansatz für Ueli Maurers Problem findet sich versteckt in einem Wegwerfsatz am Ende des Artikels: Die Schuldenbremse auf Bundesebene abschaffen und die Einnahmen und Ausgaben des Staats durch die Linse der Modern Monetary Theory betrachten. Höhere Staatsausgaben nicht mehr als Schulden auffassen, sondern als Investitionen. Steuern und Abgaben nicht mehr als Finanzierung des Staats, sondern als Massnahmen zur Inflationsbekämpfung und zum Abbau sozialer Unterschiede. Als finanzpolitisches Hauptziel nicht mehr eine künstliche schwarze Null sehen, sondern soziale Sicherheit für alle. Natürlich ist das alles so meilenweit entfernt von Maurers fixen Einstellungen, dass man fast sagen muss: Ueli Maurers Hauptproblem ist Ueli Maurer.

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Vielen Dank für die klugen Gedanken dazu.

Dass es nicht im Beitrag war ist vor allem der Ressourcen- und Längen-Bremse der langen Sicht geschuldet – hätte den Umfang gesprengt. 2018 hatten wir die Schulden auch schon mal ausführlich behandelt:

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Sooo viel ändert die Sicht durch die Linse der Modern Monetary Theory (MMT) für die Schweiz nun auch nicht, hat sie doch ihre vollumfänglich eigene Währung. Steigende Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wären auch durch dieses Glas nicht unproblematisch, sorgten sie doch für einen Wertverlust des Frankens und damit letztlich Kaufkraftverlust der Schweizer Bevölkerung. Oder sehe ich das falsch?

Ich denke, der Artikel macht im Wesentlichen alles richtig, insb. dass alles in Relation zum BIP angeschaut wird – das ist letztlich der entscheidende Punkt. Auch die MMT ändert nichts am Umstand, dass alles, was ausgegeben wird, auch irgendwo wieder eingenommen werden muss – oder aber die Schuldner:innen machen Abschreiber. Insofern denke ich nicht, dass es angebracht ist, den Ueli für seine Rolle des Säckelmeisters zu bashen. Ich sehe vielmehr, wie er hier einfach seiner Exekutiv-Rolle nachkommt, so wie es demokratiepolitisch vorgesehen ist. Es ist weder Aufgabe des Finanzministers, das System zu ändern, noch es zu "umgehen". Das steht alleine Parlament bzw. Stimmvolk zu.

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Umweltwissenschaftler, Dokumentarfilmer
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Es tut mir leid, aber da haben Sie die MMT grundsätzlich missverstanden - gerade wenn ein Staat seine vollumfänglich eigene Währung hat, ändert die MMT eben alles. Sie schreiben:

Auch die MMT ändert nichts am Umstand, dass alles, was ausgegeben wird, auch irgendwo wieder eingenommen werden muss

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die MMT besagt eben genau, dass diese Regel für einen Staat als Herausgeber der Währung nicht stimmt. Wie die Staatsschulden im Vergleich zur Wirtschaftsleistung stehen, ist nicht direkt relevant. Was zählt, ist, wie oft und wie schnell der Franken verwendet wird. Je nachdem ist eine grössere oder kleinere Geldmenge erforderlich - und je nachdem, wie das Geld ins System eingespiesen wird (Geld kann in der MMT vor allem über Staatsausgaben, in zweiter Linie auch über Zinsen auf Staatsanleihen ausgegeben werden), beschleunigt oder verlangsamt es auch den Geldfluss.
Ein Beispiel: Der Staat investiert Geld in eine wirksame und nachhaltige Form der Armutsbekämpfung. Praktisch alles Geld, das bei armen Menschen auskommt, wird schnell ausgegeben - und mehrheitlich in Branchen, die ebenfalls hauptsächlich Menschen mit kleinem Konto beschäftigen: Detailhandel, Landwirtschaft, öV, Bekleidung, Gesundheitswesen... Das dort ausgegebene Geld wird also wieder schnell ausgegeben, und das zusätzliche Geld, das durch die Staatsausgabe im Umlauf ist, wird durch die steigende Kaufkraft aufgefangen. Es kann langfristig im System bleiben, ohne die Inflation anzuheizen. Das heisst im Endeffekt, dass der Staat zur Armutsbekämpfung jährlich gut ein paar Milliarden mehr ausgeben als einnehmen kann, ohne jeden negativen Effekt aufs Finanzsystem.
Wenn der Staat aber an einem Ort im Wirtschaftssystem Geld einschiesst, wo dieses kaum einen Effekt auf den Geldfluss hat (zum Beispiel, weil es einfach parkiert wird), muss er es sich an einem ähnlichen Ort wieder zurückholen. Sonst ist zuviel Geld im System, und die Inflation steigt an. Der Staat könnte zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Was mit dem Geld bei der ärmeren Bevölkerung passiert, habe ich oben ja schon dargelegt. Aber die reicheren Schichten werden den Grossteil ihres Grundeinkommens sparen, langfristig anlegen oder für Güter mit hohen Margen ausgeben (was bedeutet, dass der Verkäufer dieser Güter seine Einnahmen ähnlich langsam verwendet). Bleibt dieses Geld im System, bläht es einen Kapitalmarkt weiter auf, der durch die riesigen Anlagefonds der Pensionskassen und Banken ohnehin schon überhitzt ist. Das führt zu Inflation. Darum muss der Staat gezielt dort wieder Geld herausziehen, zum Beispiel über Steuern oder Gebühren.

Kurz: Je nachdem, wie das Geld ins System eingespiesen wird, muss es wieder herausgezogen werden, oder es kann bleiben. In vielen Situationen ist ein gewisses Staats-"Defizit" laut MMT sogar erwünscht. Lesen Sie Stephanie Keltons Buch; es ist wirklich lehrreich und dazu auch noch süffig geschrieben.

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Da haben wir ja wohl keine Chance, dass Leute freiwillig mehr Steuern bezahlen, also müssen wir das im Budget unterbringen. Das ist unsere Aufgabe.»

Gleichzeitig soll die Mwst erhöht werden für die AHV? Man merkt schon welche "Leute" er meint...

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Fairerweise muss man sagen: Die Aussagen war im Kontext des 2023 Budget und 2024 bis 2026 Finanzplan. Da die Mehrwertsteuererhöhung beim Parlament und Bundesrat schon durch ist, ist sie wohl schon in den Finanzplänen eingerechnet. Dazu ist diese Einnahme für die AHV gebunden – löst das Defizit nicht.

Interessant wäre ja ob das Volk für die Militärausgaben die Bundessteuer erhöhen würde. Wie die NZZ schreibt war es ja mal eine Wehrsteuer. Die Höchstsätze sind nämlich in der Verfassung – müssen auch vors Volk.

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Zur Erinnerung, Zitat von Thomas Aeschi Anfang Mai, bevor das Armeebudget erhöht wurde:

Es muss in keinem Bereich gespart werden.

Quelle: https://www.srf.ch/news/schweiz/meh…ungsaktion

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Gewinne und hohe Einkommen steigen aber der einzige, der zum Thema höhere Steuern etwas sagen darf ist Ueli Maurer, der dagegen ist. Das wäre aber meines Wissens der einzige vernünftige Weg. Das macht mir jetzt etwas Sorgen und ich verstehe die Republik da auch nicht ganz.

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Bürger
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Man muss die Steuern als wirtschaftsfördernd betiteln, dann passen diese auch Ueli M.
Bei jeder Reduzierung der Versteuerung auf Kapital war er an vorderster Front, siehe die letzten USR-Stellvertreterabstimmungen und die nächste am 25.9.

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Man muss die Steuern als wirtschaftsfördernd betiteln, dann passen diese auch Ueli M.

Im Gegensatz zu seinen Befürwortern ist Herr Maurer nicht dumm, er weiss sehr wohl wo die Interessen der Klienten seiner Partei liegen.

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Das Zitat am Ende ist wohl etwas unnötig. Hätte ich weglassen können. Interessant fande ich vor allem dass der Finanzminister das Parlament auffordert Ausgaben möglichst zu verzögern und anzweifelt ob das Militär das viele Geld (sinnvoll) ausgeben kann.

Bundessteuer-Erhöhungen wurden an der Pressekonferenz (ab Minute 24) im Kontext der OECD 15% Vorgabe diskutiert. Da kommen aber mutmasslich vor allem die Kantone zum Zug.

Eine mehrheitsfähige Steuererhöhung zu «designen» wäre durchaus mega spannend. Energie- statt Mehrwertsteuer hatte ja 2011 keine Chance. Bei der Bundessteuer hat man vor allem gesenkt und Danke Unternehmensgewinnen und hohen Löhnen trotzdem schneller zugelegt als das BIP. Würde Sie eine Vertiefung der Entwicklung der direkten Bundessteuer interessieren? Und dann allenfalls mit nem Szenario-Rechner welche Erhöhungen was für einen Impact hätten?

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Willkommen im Zeitalter der Austerität, liebe Schweiz. Auf diesen Moment haben SVP und FDP schon sehr lange gewartet.

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Ich frage mich nur, ob die Einwohner der Schweiz als Geiseln ihrer Politik den ersten Austeritätsschock überleben. Denn das heisst vor allem: die schon hohen Preise steigen und die Einnahmen sinken, beides rapid. Und die unproduktiven Geld-von-einer-Tasche-in-die-andere-Tasche-Geschäfte fallen abrupt weg. Hunderttausende KV-Jobs wie weggeblasen. SVP/FDP kümmert das wenig. Die wollen nur selber nichts hergeben.

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Das hat mich nun wirklich überrascht in der Republik: ohne Diskussion wird die heilige Null, aka Austerität, als gegebenes Ziel hingenommen (immer diese naturwissenschaftlichen Wirtschaftsgesetze). Es stehen ja auch keinerlei Jahrhundertaufgaben an und es hat ja schon immer gut funktioniert.

Mit den fehlenden Steuereinnahmen aus der fossilen Industrie will die Schweiz die Zukunft ohne diese finanzieren. Hier will man, auch der Autor, nicht das Kunststück "Foifer und Weggli" aufführen. Es heisst nun "Ohne Foifer zwei Weggli". Gut, hat die fossile Industrie ihre Foifer im Säckli.

Wie sagt doch mein Manager-Onkel: ein Buchhalter (nicht nur Ueli M.) wird immer schwarze Zahlen schreiben, auch wenn er am Ende nur noch alleine in der Firma sitzt.

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Die Schuldenbremse – die «heilige Null» – ist nunmal in der Verfassung. Eine Verfassungs­änderung für mehr Schulden wird am Ende explizit erwähnt. Ob es aber in der Schweiz mehrheitsfähig wäre mehr Schulden zu machen ist eine andere Diskussion.

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Ich habs nicht überlesen, aber es war mir zu wenig Diskussion der Schuldenbremse. Ob die Auswirkungen der Schuldenbremse von der rechnerischen Darstellung getrennt wird, ist im Rahmen "Auf lange Sicht" eine prinzipielle Frage, aber eine unwahrscheinliche Verfassungsänderung alleine ist als Ausweg zu wenig eindringlich dargestellt.

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Für die Zukunft muss man vielleicht noch berücksichtigen, dass die Prognosen die tatsächliche Entwicklung meist deutlich zu pessimistisch einschätzten.
Interessant wäre es auch einmal, die Milliarden der Nationalbank zu beleuchten und zu erklären, was diese der Schweiz bringen oder bringen könnten (wahrscheinlich viel).

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Bürger
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Ich verstehe jetzt, wieso Ueli M. mit Simonetta S. tauschen will. Bei den Finanzen ist nichts mehr zu holen, ausser blaue Flecken, beim Rückschritt zu Erdöl und Atom aber gutes Bakschisch zu verdienen…

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Super Artikel, so schön relevant, dicht und doch nüchtern – mir wurde gerade ein kleines bisschen schwindlig.

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Mich würde interessieren wie die Einnahmen/Ausgaben in anderen Ländern aussehen.

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Hilft das der Schweiz?

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Selbstständig
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Relativiert vielleicht das Gejammer auf hohem Niveau. Aber helfen tut es nicht.

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Es erweitert die Perspektive, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Wie andere hier auch schon bemerkt haben, wären andere Modelle auch denkbar. Was uns fehlt ist Spielraum zur Gestaltung, denn viele Ausgaben sind - wie im Artikel bemerkt - nicht antastbar. Wenn man die grundlegenden Spielregeln nicht auch hinterfragt und zum Beispiel schaut wie es andere machen, wird man nur die selbe Platte immer wieder auflegen...

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Zumindest dürfte es von Interesse sein, wie viel Geld auf welchem Level durch die öffentlichen Hände fliesst (Bund/Kanton/Gemeinde resp. Bund/Länder/Kommunen im grosssen Kanton im Norden).
Weil sparen, respektive kürzen (sparen hiesse ja, in guten Jahren was auf die Seite zu legen, ist also Wahrnehmung steuernde Rhetorik), also kürzen auf Bundesebene kann durchaus einfach heissen, Aufgaben auf andere Ebenen zu überwälzen.

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