Auf lange Sicht

Wachsende Begehrlichkeiten

Die Schuldenbremse hielt den Bundes­haushalt jahrelang im Gleich­gewicht. Doch die Ausgaben der nahen Zukunft strapazieren das Staats­budget.

Von Thomas Preusse, 15.08.2022

Synthetische Stimme
0:00 / 11:45
Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Unterstützen auch Sie die Republik mit einem Abo: Einstiegsangebot nur bis 31. März 2024.

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr

Nur mit einem «Trick» sei es möglich, das Budget 2023 auszugleichen, erklärte Finanz­minister Ueli Maurer am 29. Juni vor den Medien. Der «Trick» besteht darin, dass die Kosten für die Geflüchteten aus der Ukraine separat verbucht werden. Für die Zukunft sieht der Säckelmeister des Bundes allerdings rot: Wenn man jetzt weiter schaue für die nächsten Jahre, dann sehe das nicht gut aus – gar nicht gut, müsste man sagen.

Wir haben jetzt einfach zehn Jahre in der Staatsrechnung, da war alles möglich – haben gesagt, Tischlein deck dich, die Einnahmen stiegen, man konnte sich alles leisten, und das hat jetzt definitiv geändert.

Ueli Maurer an der Medienkonferenz vom 29. Juni 2022.

Stimmt das? Ist die Staats­rechnung jahrelang gewachsen? Und: Sind die fetten Jahre nun vorbei? Diesen Fragen gehen wir heute in einer Analyse des Bundeshaus­halts der letzten 32 Jahre nach.

Finanzierungsrechnung des Bundes seit 1990

Nominale Zahlen pro Jahr

Ordentliche Einnahmen
Ausserordentliche Einnahmen
Ordentliche Ausgaben
Ausserordentliche Ausgaben
Einnahmen19902000201020210255075 Mrd. FrankenAusgaben19902000201020210255075 Mrd. Franken

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Absolut betrachtet wuchsen sowohl Ausgaben als auch Einnahmen massiv an – nominal von je um die 32 Milliarden 1990 auf etwa 75 Milliarden 2021. Doch die Einnahmen legen bei steigender Lohn­summe und Firmen­gewinnen automatisch zu. Die Ausgaben tun dies mit wachsender Bevölkerung ebenfalls.

Im selben Zeitraum machte auch die Schweizer Wirtschaft vorwärts, das Brutto­inlandprodukt (BIP) stieg von 370 auf 742 Milliarden. Setzt man nun den Bundes­haushalt ins Verhältnis zur Wirtschafts­leistung, sieht das Ganze vergleichs­weise unspektakulär aus.

Der Bundeshaushalt entspricht etwa 10 Prozent der Wirtschafts­leistung

Einnahmen und Ausgaben im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Ordentliche Einnahmen
Ausserordentliche Einnahmen
Ordentliche Ausgaben
Ausserordentliche Ausgaben
Einnahmen19902000201020210246810 % des BIPAusgaben19902000201020210246810 % des BIP

Finanzierungsergebnis pro Jahr

Überschuss
Defizit
1990200020102021−2−101 % des BIP

Berechnung basierend auf Zahlen aus dem Datencenter der Eidgenössischen Finanzverwaltung.

Während in den kriselnden 1990er-Jahren die Ausgaben schneller wuchsen als die Einnahmen, pendelten sich nach der Jahrtausend­wende Ausgaben und Einnahmen ein – auch dank der Schulden­bremse. In den 2010er-Jahren kam es nie zu einem Defizit, und es wurden Überschüsse von bis zu einem halben BIP-Prozent generiert.

Dann brach die Covid-19-Pandemie aus, und die rosigen Jahre für die Bundes­finanzen nahmen ein jähes Ende. Ausser­ordentliche Ausgaben führten 2020 und 2021 zu hohen Defiziten von 15,8 und 12,2 Milliarden Franken respektive von 2,2 und 1,6 Prozent des BIP.

Um die Entwicklung besser zu verstehen, schauen wir uns Einnahmen und Ausgaben genauer an.

Woher das Geld kommt

Die Einnahmen lassen sich auf drei Bereiche respektive drei Grafiken herunter­brechen: Verbrauchs­steuern, direkte Bundes­steuer und Verrechnungs­steuer – sowie die übrigen Abgaben und Einnahmen.

1. Die Verbrauchssteuern wachsen mit der Wirtschaft etwa im Gleichtakt

Abgaben im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Mehrwertsteuer
Übrige Verbrauchssteuern
1990200020102021012345 % des BIP

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Zu den Verbrauchs­steuern zählt die Mehrwert­steuer. Über die letzten 32 Jahre gesehen bringt sie dem Bund am meisten Geld ein. Die Mehrwert­steuer löste 1995 die Warenumsatz­steuer ab und besteuert seitdem auch Dienst­leistungen. Beim Satz gab es insgesamt vier Erhöhungen, am bedeutendsten war diejenige 1999 von 6,5 Prozent auf 7,5 Prozent – das sogenannte Demografie­prozent zugunsten der AHV. Änderungen des Mehrwertsteuer­satzes müssen jeweils vom Volk abgesegnet werden. Die nächste Erhöhung zugunsten der AHV kommt am 25. September zur Abstimmung.

2021 entsprachen die Einnahmen aus der Mehrwert­steuer 3,2 Prozent des BIP. Weitere 1,1 BIP-Prozente nimmt der Bund mit anderen Verbrauchs­steuern ein: der Mineralöl­steuer, der Tabak­steuer, der Alkohol­steuer und dem Netz­zuschlag auf Strom.

Die direkte Bundes­steuer wird von Privat­personen auf Löhne sowie von Unternehmen auf Gewinne entrichtet. Sie war über die letzten Jahrzehnte hinweg die zweitgrösste Geld­quelle des Bundes. 2019 überholte sie sogar die Mehrwert­steuer und steht seither an der Spitze.

2. Die direkte Bundessteuer wächst schneller als die Wirtschaft

Abgaben im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Direkte Bundessteuer
Verrechnungssteuer
1990200020102021012345 % des BIP

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

2021 entsprach die direkte Bundessteuer 3,4 Prozent des BIP. Die Einkünfte durch sie sind vor allem wegen der explodierenden Unternehmens­gewinne so stark angewachsen. Vergleicht man die Einnahmen aus dem Jahr 2021 mit Zahlen von 1990, so beträgt heute die Steuer­summe aus Gewinnen das 5,5-Fache, jene aus Einkommen hingegen das 2,8-Fache. Sowohl Einkünfte aus Unternehmens­gewinnen als auch Einkommen haben stärker zugelegt als das Brutto­inlandprodukt.

Die Verrechnungs­steuer trägt im Schnitt weitere 0,8 BIP-Prozente zu den Bundes­einnahmen bei. Als Sicherungs­steuer sorgt sie dafür, dass Anleger ihre Einkünfte aus ihrem Kapital korrekt versteuern. Ist dies der Fall, können sie die Verrechnungs­steuer zurück­fordern. Tun sie dies nicht, so bleibt das Geld beim Bund. Ausländische Investorinnen können nur unter gewissen Umständen die Verrechnungs­steuer vollumfänglich zurückfordern. Deshalb haben Bundesrat und Parlament die Abschaffung der Verrechnungs­steuer für gewisse Anleger­gruppen beschlossen, worüber im September ebenfalls abgestimmt wird.

3. Stagnierende weitere Einnahmen

Im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Stempelabgaben
Übrige Einnahmen
Ausserordentliche Einnahmen
19902000201020210123 % des BIP

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Die Stempel­abgaben brachten 2021 Einnahmen in der Höhe von 0,4 Prozent des BIP. Verkehrs­abgaben, Konzessionen, Investitionen und Beteiligungen sind in der Grafik als übrige Einnahmen zusammen­gefasst.

Die zwei grössten ausser­ordentlichen Einnahmen des Bundes waren 2005 der Goldverkauf der Schweizer Nationalbank und 2009 ein Gewinn beim Abbau des UBS-Engagements, nachdem der Bund die Bank im Jahr zuvor gerettet hatte.

Fazit auf der Einnahmen­seite: Die ordentlichen Einnahmen steigen etwa im Gleichtakt mit dem BIP. Die direkte Bundes­steuer hingegen wuchs wesentlich schneller und ermöglichte Mehrausgaben.

Wofür das Geld verwendet wird

Wofür der Bund das Geld ausgibt, wird auf der Website der Finanz­verwaltung in 12 Aufgabengebiete und 48 verschiedene Aufgaben aufgeschlüsselt. Wir schauen uns an, wie sich die 7 grössten Aufgaben­gebiete in den letzten 32 Jahren entwickelt haben.

Top 7 der Aufgaben­gebiete

Ausgaben im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Soziale Wohlfahrt
Finanzen und Steuern
Verkehr
Sicherheit
Bildung und Forschung
Landwirtschaft und Ernährung
Beziehungen zum Ausland – Internationale Zusammenarbeit
Übrige Ausgaben
19902000201020210246810 % des BIP

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Auch auf der Ausgaben­seite sind ausser­ordentliche Ereignisse sichtbar: 2007 floss das Geld aus dem Goldverkauf der National­bank zur AHV. Im folgenden Jahr ist die UBS-Rettung in den übrigen Ausgaben verbucht. Zuletzt sorgten die ausser­ordentlichen Ausgaben zur Bewältigung der Covid-Pandemie für einen sichtbaren Anstieg. Die meisten Ausgaben hat die Pandemie im Bereich der sozialen Wohlfahrt ausgelöst. Bundes­geld für Tests, Impfungen und Härte­fälle vergrössern besonders 2021 die übrigen Ausgaben.

Wo wurde in den letzten Jahrzehnten mehr ausgegeben und wo weniger? Um zwei entgegen­gesetzte Trends klar zu sehen, nehmen wir uns die Aufgaben­gebiete soziale Wohlfahrt und Sicherheit heraus.

Die AHV ist der grösste Ausgabenposten

Soziale-Wohlfahrt-Ausgaben im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Altersversicherung
Arbeitslosenversicherung/Arbeitsvermittlung
Invalidenversicherung
Übrige Sozialausgaben
1990200020102021012345 % des BIP

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Am meisten Geld gibt der Bund für die soziale Wohlfahrt aus. Diese Ausgaben sind im Gesetz vorgesehen und können deshalb nicht jährlich vom Parlament angepasst werden wie andere, sogenannt ungebundene Aufgaben.

In normalen Zeiten machen die Ausgaben für die soziale Wohlfahrt ungefähr 3 Prozent des BIP aus. Rund die Hälfte davon fliesst in die AHV. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen kommt es jeweils zu hohen Zusatz­ausgaben für die Arbeitslosen­versicherung, um Kurzarbeit zu entschädigen. Die Invaliden­versicherung hat sich in den letzten Jahren bei 0,5 Prozent des BIP stabilisiert. Die übrigen Sozial­ausgaben entfallen auf Kranken­versicherung, Ergänzungs­leistungen, Kosten im Zusammen­hang mit Migration, Militär­versicherung, Wohnbau­förderung und im Zusammen­hang mit Familien­politik.

Die Militär­ausgaben hingegen gehören zu jenen Ausgaben, die jährlich angepasst werden können. Sie sanken bis 2006 relativ kontinuierlich bis auf 4,2 Milliarden Franken. Seither sind die Ausgaben für die militärische Sicherheit in absoluten Zahlen wieder etwas gestiegen und haben sich bei rund 0,7 Prozent des BIP eingependelt.

Weniger Budget für das Militär

Sicherheitsausgaben im Verhältnis zum BIP pro Jahr

Militärische Landesverteidigung
Übrige Sicherheitsausgaben
1990200020102021012 % des BIP

Quelle: Eidgenössische Finanzverwaltung.

Die übrigen Sicherheits­ausgaben (0,1 Prozent des BIP) werden für den Bevölkerungs­schutz, den Zivildienst, die Polizei, den Strafvollzug, den Nachrichten­dienst und die Grenz­kontrollen aufgewendet.

Unter dem Eindruck des Russland-Ukraine-Krieges gab es im Parlament eine Trend­wende: In der Sommer­session wurde entschieden, das Militär­budget schrittweise bis 2030 auf 1 Prozent des BIP zu erhöhen.

Schwieriger Balanceakt

Sind die fetten Jahre also vorbei? Darauf deuten die aktuellen Prognosen hin. Das Budget 2022 sieht aufgrund der Covid-19-Krise nochmals ein Defizit vor. Aufgrund der bereits beschlossenen Mehr­ausgaben für die Armee, der zukünftigen ordentlichen Ausgaben für die Geflüchteten aus der Ukraine und des Gegenvorschlags zur Gletscher­initiative rechnet die Finanzverwaltung im Basis­szenario ab dem Jahr 2026 mit einem nach Schulden­bremse nicht erlaubten Fehlbetrag von 1,3 Milliarden Franken jährlich. Im Worst-Case-Szenario wären es dann sogar 7 Milliarden jährlich.

Die Finanzpläne 2024 bis 2026 müssen also von Parlament und Bundesrat bereinigt werden, um der Schulden­bremse gerecht zu werden. Mit anderen Worten: Irgendwo muss gespart werden.

Insgesamt sind im Jahr 2025 voraussichtlich 65 Prozent der Bundes­ausgaben gebunden und lassen sich nur mit mehrjährigen Gesetzes- oder sogar Verfassungs­änderungen anpassen. Übrig bleiben die Bereiche Bildung, Landwirtschaft, Umwelt­schutz, Entwicklungs­hilfe und Polizei, Strafvollzug, Nachrichten­dienst. Oder eben das Militär. Der Finanzplan 2026 sieht Ausgaben nach Aufgaben­gebiet in der Höhe von 87,7 Milliarden Franken vor. Würde man ein Gedanken­spiel machen und die Kosten nur bei den ungebunden Ausgaben reduzieren, wären es im Basis­szenario 4 Prozent, die gespart werden müssten. Im Worst Case sogar 23 Prozent. Das wäre dramatisch.

Deshalb fordert Ueli Maurer das Parlament auf, diesen Worst Case abzuwenden: «Das Wichtigste ist wohl, dass das Parlament keine neuen Ausgaben mehr beschliesst und [bei] Ausgaben, die beschlossen sind, akzeptiert, dass die nach hinten verschoben werden.» Die Alternativen wären, im Eiltempo unpopuläre Reformen mit Leistungs­abbau durchzubringen oder eine Verfassungs­änderung für mehr Schulden vorzunehmen oder die Steuern zu erhöhen. Zu Letzterem meint der Finanz­minister: «Da haben wir ja wohl keine Chance, dass Leute freiwillig mehr Steuern bezahlen, also müssen wir das im Budget unterbringen. Das ist unsere Aufgabe.»

Die Militär­ausgaben sind die grössten bereits beschlossenen Mehrbelastungen. Die kleine Erhöhung dieser Ausgaben auf 1 BIP-Prozent ohne Gegen­finanzierung könnte sich als erstaunlich heimtückisch erweisen.

Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Artikel wie diesen gibt es nur, wenn genügend Menschen die Republik mit einem Abo unterstützen. Kommen Sie bis zum 31. März an Bord!

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr