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Ich teile in weiten Zügen die Interpretation der global sinkenden Umgleichheit, und der Defensive der zu National-Konservativismus neigenden europäisch- und US-amerikanischen unteren Mittelschicht. Schön, dass diese Auseinandersetzung in der Republik statt findet.

Was ich hingegen nicht so sehe:
„Hier in der Schweiz zum Beispiel schaffen wir uns selbst ein Problem, indem wir an den Universitäten zu wenige Leute ausbilden für die Bedürfnisse des Arbeits­marktes. Das führt dazu, dass die Schweiz Hochschul­abgänger importiert und in den Positionen der Topkader immer mehr Ausländer sitzen. Das schafft Frustration in der Bevölkerung, aber gleichzeitig ist der Wille nicht da, mehr Kinder ans Gymnasium zu schicken...“

Natürlich importieren wir Ausländer-Kader, die sich abrackern, um die ach so erfolgreichen „Schweizer“ Konzerne durch die Weltwirtschaft zu lotsen. Hey, aber vielleicht ist unsere wir Bildung auch dazu gut, um ein aufgeklärt kritischer Mensch zu werden, statt ein Zahnrädchen im System. Dass Schweizer/innen auch gerne mal 80% und weniger arbeiten, statt sich für Geld abzurackern, das man kaum mehr genussvoll auszugeben weiss, scheint mir nicht blöd.

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Vielen Dank für das interessante Interview mit Prof. Stefanie Walter! Das dem Genre entsprechend weder systematisch noch umfassend sein kann. Doch werden wichtige Dinge angesprochen. Etwa, dass wir gerne glauben möchten, ohne trade-offs/Opportunitätskosten (politisch) entscheiden zu können.

Man müsste einfach ehrlich diskutieren, dass mit diesen Entscheiden Trade-offs verbunden und Kosten zu tragen sind. Die Populisten treten derweil auf und bieten die Alternativen. Sie suggerieren dabei, dass diese Alternativen ohne Kosten zu haben seien. Das ist zwar nicht realistisch, aber weil die etablierten Parteien die Dinge als alternativlos darstellen, haben die Populisten ein offenes Feld.

Was mir jedoch fehlte, war einerseits ein Literaturverweis oder Link zu Charles P. Kindleberger. Und andererseits eine wirtschafts- und sozialhistorische Perspektive auf die soziale Ungleichheit.

So zeigen etwa die historischen Statistiken in Thomas Pikettys Das Kapital, dass eine relative Gleichheit sich nur während der unmittelbaren Nachkriegszeit (50er/60er) einstellte, also dem Golden Age des keynesianischen Wohlfahrtsstaats und Hoch-Industrialismus in der sog. "Ersten Welt".

Diese historische Situation konnte der Wirtschaftshistoriker Walter Scheidel in seinem Buch The Great Leveler zur These verallgemeinern, dass Gesellschaften in stabilen Friedenszeiten zu Ungleichheit tendieren. Bis natürliche oder soziale Katastrophen (Epidemien, Kriege, Revolutionen, Kollapse) die Reichtümer der "Elite" vernichten und die soziale Ungleichheit "einebnen". Und der Zyklus wieder von vorne beginnt.

Ideologisch begleitet, vorweggenommen, ja gar provoziert werden diese historischen Situationen durch einen Kulturpessimismus, der - wie Fritz Stern zeigen konnte - die Gegenwart radikal ablehnt, rückwärtsgewandt, völkisch/nationalistisch und antiliberal/-demokratisch ist. Und daher eine "politische Gefahr". Eine apokalyptische Lust, die leider auch heute wieder virulent ist.

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Danke, lieber Michel Rebosura, für diese Hinweise. Tut uns leid, dass wir den Literaturhinweis zu Charles Kindleberger vergessen haben. Sehr empfehlenswert im Zusammenhang mit dem Interview ist sein Werk «The World in Depression»: https://www.ucpress.edu/book/978052…-1929-1939

Persönlich würde ich Ihnen ohnehin alles von Kindleberger wärmstens zur Lektüre empfehlen. Herzlich, MD

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Vielen Dank Mark Dittli für die Lektürehinweise, die ich mir sehr gerne zu Gemüte führen werde!

Allgemein finde ich ja, dass gerade Makro- wie Mikroökonom*innen (die ja z.T. Unternehmer*innen sind) die Wirtschaftsgeschichte viel mehr zu Herzen nehmen sollen.

So dass sie Staat und Markt nicht als Antagonismus wahrnehmen, sondern als sich wechselseitige Bedingungen, die nur zusammen zu Fortschritt und Systemstabilität beitragen können.

Und wie jüngst der Historiker Rutger Bregman am WEF sagte:

“taxes, taxes, taxes, and all the rest is bullshit in my opinion”

Denn entweder legen die Eliten selbst Hand an den Hebel und sorgen für einen stabilisierenden Ausgleich (durch Umverteilung via Steuern, höhere Löhne oder BGE) oder das System kollabiert und der Hebel liegt nicht mehr in ihren Händen, sondern an den Great Leveler (Analoges gilt für den Klimawandel).

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Man sollte vielleicht noch anfügen, dass der Elephant-Graph cum grano salis genommen werden sollte, und dass nicht nur die Industrialisierte Mittelklasse wenig Fortschritte gemacht hat. Denn in absoluten Zahlen sind vor allem die obersten Perzentilen gewachsen, der Elephant entsteht nur weil, wenn man mit einem Einkommen von Jährlich 100.- (fiktive Zahl) später 170.- verdient. Kurz gesagt ist der Wohlstand nur in der obersten Dezile gewachsen und ist ansonsten stagniert.
http://oxfamblogs.org/fp2p/wp-conte…-fig-3.png

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Danke für die Ergänzungen inklusive Grafik, J. O..

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Zum Thema Ungleichheit - "das gab es schon immer"
nur war den meisten das Ausmass der Ungleichheit nicht bewusst.
Erinnern Sie sich an die Lage um 1950 - Sie hatten wohl ein Radio, keinen Fernseher, einer in der Strasse hatte ein Telefon und (praktisch) niemand hatte ein Auto - es gab kein Fernsehen. Der einzige mediale Blick in die Welt war das Kino - das doppelte Lottchen liess fürwahr keinen Neid auf die dargestellten Lebensumstände aufkommen.
Dies hat sich in in den folgenden Jahren Schritt um Schritt verändert: Im Kino wird ein Barkeeper dargestellt, der nach getaner Arbeit mit einem Schlitten von Auto nach Hause in seine grosse elegante Wohnung fährt, sich in Sofa fletzt bei einem Glas Wein. Plötzlich sind es Menschen in vergleichbaren Berufen, die sich einen unvergleichbaren Lebensstil leisten können. Dazu kommen dann Soap Operas mit obzön dargestellem Reichtum von Nichtstuern, mit denem man sozusagen Tür an Tür wohnt.
Die Kulmination brachte dann das Internet, das uns jederzeit darüber informiert wer wie viel verdient und besitzt, dass einige sich pro Woche so viel auszahlen lassen wie ihre Mitarbeiter im ganzen Jahr verdienen. Die einen zahlen brav ihre Steuern (können ihnen nicht entkommen) während andere ihre Berater für Steuervermeidung gekonnt einsetzten: Sogar Trump konnte ungestraft damit prahlen keine Steuern bezahlt zu haben "I am clever".
Das alles zusammengenommen vermischt sich zu einem Brei dumpfer Wut, die sich mit überraschenden Erfolgen an Wahltagen für "Populisten" oder den Aktionen der Gillet Jaunes äussert. Der Erfolg der Abzocker-Initiative an der Wahlurne zeigt das Problem - der Misserfolg der Iniative in der Praxis zeigt, dass wir keine Lösung gefunden haben.
Wir müssen uns mit dem Faktum abfinden - der Geist der Information über alles ist aus der Flasche und man kriegt ihn auch nicht mehr dahin.

Eine Welt in der die Gier der Wenigen dem Neid der Vielen gegenübersteht ist brandgefährlich. 
Wir werden das Problem viel grundsätzlicher angehen müssen - die lapidare Aussage "Unterschiede gab es schon immer" hat ausgedient.
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An Anonymous:
Ja diese Schlagwörter haben mir auch gefehlt. Da wir heute im Kapitalozän angekommen sind und die Umkehr unweigerlich bevorsteht, würde ich sogar soweit gehen und es mit konkreten Massnahmen einläuten: kita für alle subventioniert vor allem von der Wirtschaft, alle Versicherungen, vorne weg die KK und alle Luxusgüter werden prozentual vom Lohn abgezogen (die Lebensmittel verschohnen wir NOCH). Politische Prioliste der Reihe nach: Ökologie, Humanismus, Bildung von; Handwerk, geistiges Wissen aller Art....
Ich wäre noch nicht ganz fertig, aber muss ich jetzt wieder an die Arbeit.
Schönen Tag an alle!

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Das ist mir zu pauschal. Ich müsste zuerst einmal wissen, was Neoliberlismus ist, und weiter begreifen, wieso die soziale Marktwirtschaft beendet ist. Herr Rebosura ist natürlich sehr pointiert in seiner Ironie, aber er weist doch auf eine gewisse Shallowness Ihrer Argumentation hin.

Die untersten Einkommensklassen, die Invaliden und Arbeitslosen sind heute wegen der viel besser ausgebauten Sozialversicheurngswerken und der grosszügigeren Sozialhilfe materiell wesentlich besser gestellt, als in den 50-er odder 60-er Jahren Es mag sein, dass gewisse Luxusgüter heute relativ zum Medianeinkommen teurer und damit für die untersten Einkommen unerschwinglich geworden sind, was wiederum auf die relativ höheren Einkommen der obersten 10 Prozent und damit die höhere Nachfrage nach solchen Gütern zurückzuführen ist. Das ist, soweit es sich um Mercedes McLaren und niedrige Autonummern und dergleichen Unsinn handelt, wurst, spielt aber beim Konsum von immer teurer werdenden Kulturleistungen eine Rolle.

Dass es mit all den komplexen und zum Teil völlig sinnlosen Finanzprodukten Casino-Kapitalismus gibt, ist klar. Lesen Sie aber französische Romane des 19. Jahrhunderts und dann sehen Sie, dass es dort eine Schicht von Reichen gab, die nichts produzierten (produzieren liessen) und nur spekulierten. Das hat sich also kaum verändert.

Summa summarum bezweifle ich, dass heute ein neoliberales oder casinokapitalistisches (was immer diese Begriffe bedeuten) Zeitalter angebrochen ist, in welchem es einem Grossteil der Bevölkerung schlechter geht als in den 60-er Jahren und ich bezweifle auch, dass die unteren und mittleren Einkommensklassen weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben als vor 50 Jahren, wo eine kleine Gruppe von weissen freisinnigen Männern, die meist auch noch Obristen der Armee waren, mit ihrer Hauspostille die öffentliche Meinung kontrollierten und zum Beispiel aufmüpfige Gymnasiasten durch Schulausschluss bestrafen, unzüchtige Mädchen im Heim versenken konnten etc. Aner natürlich, ich bin ein Mikrodenker und kann nicht in den grossen dialektischen Klassengegensätzenvon Karli und Fritzli aus Trier und London denken.

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Ja, weshalb benennt sie nicht noch extra das für alle Offensichtliche?

  • Hätte ja sein können, das wir im Weltinnenraum des Kapitals (Sloterdijk) mit "Wirtschaftssystem" und "Globalisierung" den Internationalismus des (ir-)real existierenden Sozialismus' (miss-)verstehen und nicht den Kapitalismus.

  • Und hätte ja sein können, dass wir mit "Verschiebung der Produktion in Entwicklungs­länder" und "Sozialstaat zurückbauen" den keynesianischen Liberalismus der Industrienationen in den 50er/60er-Jahre meinen und nicht den Neoliberalismus der 70er aufwärts.

Hätte ja sein können... Auf diese - zumindest für manche möglichen - Missverständnisse nicht hingewiesen zu haben, ist ein derart skandalöser Lapsus, dass es ihre Expertise vollends diskreditiert und man ihr ein verzerrtes, ja ideologisches "Weltbild" unterstellen muss.

Und wenn man erwähnte Wörter mit unerwähnten vergleicht und damit mit einer Hermeneutik des Verdachts auf ein dahinterstehendes Weltbild schliesst, dann fallen einem das zweimalige prominente Auftauchen von "entartet" aus den Niederungen der historischen Semantik auf.

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diese Null stimmt eine Woche später nicht mehr! England hat sich einen Vertrag gebaut mit Lichtenstein u der Schweiz für die Zeit nach Austritt aus eu.
ein Andres soll der Titel sein. Anstelle dieses 'und trotzdem' lässt sich kausal und brennend drängender schreiben: DESHALB - also: '«Es geht uns historisch/politökonomisch extrem gut – UND deshalb fühlen wir uns bedroht» '. Nekrophilo?
starke Bildsprache!

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CptAhab
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Raue Töne werden hier angeschlagen. Scheinbar ist die Zeit der Kuscheldiskussionen über Ökonomie vorbei? Ich verstehe die zum Teil überzogene Kritik am Interview nicht. Wir reden hier ja nicht über eine simple Thematik. Das Feld ist riesig. Man kann (zumindest ich) immer nur einen Teilaspekt betrachten und analysieren.
Ich finde Frau Walter hat ein paar Dinge angekratzt und mir ein paar Denkanstöße gegeben.

Besonders viel Freude hatte ich an dieser Aussage:

Woher stammt denn der Zulauf für die rechtspopulistischen Parteien?
Wir wissen heute immer noch viel zu wenig über die Leute, die rechtspopulistische Parteien wählen. Aber viel deutet darauf hin, dass es die Mittelklasse ist, die sich bedroht fühlt. Menschen, die noch nicht effektiv von Globalisierung und Automatisierung beeinträchtigt sind, die in ihrer subjektiven Wahrnehmung aber in einem Zustand der Bedrohung leben.

Meine persönliche Meinung dazu:
Die Mittelschicht, welcher es nicht schlecht geht, traut der Politik nicht mehr zu Probleme zu lösen. Erschüttert wurde dieses Vertrauen maßgeblich durch die Unfähigkeit das Finanzsystem nach dem Crash 2008 zu regulieren. Die etablierten Parteien sind aus dem Krisenmodus zurückgekehrt, nachdem sie uns die Schulden der Banken aufgeladen haben. Nun herrscht wieder business as usual und das ist den Bürgern zu wenig. Die spüren nämlich, dass etwas nicht mehr stimmt. ... und die Zinsen ewig auf 0 zu halten obwohl die Wirtschaft brummt kommt beim kleinen Bausparer auch nicht gut an. Die Einzigen, die laut schreiend durch die Gegend rennen sind die Rechtspopulisten. Die haben zwar auch keine Lösungen, aber man solidarisiert sich mit ihnen, weil sie nach Veränderung brüllen. Die Hetze von Pegida gegen Asylwerber ist hier nur ein Ventil für die Bevölkerung. In Deutschland lebt niemand schlechter als vor der Ankunft der Flüchtlinge.
Daher auch die Verwirrung bei den Sozialwissenschaftlern warum sich plötzlich ehemals Linke den Rechtspopulisten anschließen.

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