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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Um von den Spiegelfechtereien der Putin-Versteher zurück zum Wesentlichen zu kommen: «Wandel durch Handel». Was bedeutet das überhaupt?

Die Formel geht zurück auf «Wandel durch Annäherung» von Egon Bahr, der damit 1963 die neue Ostpolitik der SPD einleitete (welche von den Christdemokraten bekämpft wurde): Durch den Anreiz wirtschaftlicher Öffnung sollen autoritäre Regime (damals UdSSR, später Russland, aber auch China, Iran und andere) auch politisch und gesellschaftlich aufgeschlossen werden.

Die Alternative war die Weiterführung und Verfestigung der damaligen Blockbildung: Die geschlossenen Welten der «Ersten» und «Zweiten Welt» zur Zeit des Kalten Krieges («Dritte Welt» bedeutete ursprünglich «blockfreie» Staaten). Dies liefe beinah unausweichlich auf eine Konfrontation hinaus, was aufgrund des Damoklesschwertes der gegenseitigen atomaren Auslöschung, ständige «Stellvertreterkriege» zur Folge hatte.

«Wandel durch Handel» bzw. «Wandel durch Annäherung» war in dieser Hinsicht schlichtweg die «not»-wendige Entspannungspolitik. Woran scheiterte diese Strategie?

In der Helsinki-Schlussakte der KSZE von 1975 rang man dem «Ostblock» ein klares Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten ab. Die Bedingung für Anerkennung und Handel mit «dem Westblock» war die Anerkennung der Menschenrechte «des Ostblocks». Auf diese Selbstverpflichtung konnten sich dann die «Dissidenten» berufen, um von Innen mehr politische und gesellschaftliche Freiheiten zu erkämpfen. So die Hoffnung.

«Wandel durch Handel» war ursprünglich also eine Kombination aus Anreiz und Druck, Wirtschaft und Moral, Werten und Interessen.

Was passierte? Kurz, der Neoliberalismus, der marktradikale Wirtschaftsliberalismus. In diesem Finanzregime lautete die Schwundform von «Wandel durch Handel» nurmehr: Ökonomische Zusammenarbeit führt automatisch, «von unsichtbarer Hand» zur Öffnung. Das heisst: Anreiz ohne Druck, Wirtschaft ohne Moral, Interessen ohne Werte.

Passiert ist dadurch auch die Perversion von «Wandel durch Handel»: Auf wirtschaftliche Öffnungen folgten nicht, wie westliche Demokratien hofften, politische und gesellschaftliche Öffnungen, sondern östlichen Autokratien liessen wirtschaftliche Öffnungen nur zu, wenn politische und soziale Schliessungen hingenommen werden.

Wer aus Russland Öl und Gas kaufen wollte, musste die Interventionen oder gar Annexionen in Tschetschenien, Georgien oder Ukraine akzeptieren. Wer in China Autos verkaufen will, muss über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Tibeter:innen, Uigur:innen oder Hongkong-Chines:innen schweigen.

Öl, Gas und Erze sowie billige Arbeitskräfte und neue Absatzmärkte: Die neoliberalen kapitalistischen Systeme unter ihrem Funktionsprinzip und Imperativ der Profitmaximierung und Marktexpandierung gerieten so in Geiselhaft der russischen Energie­versorgung und des chinesischen Marktzugangs.

«Die Wertegemeinschaft des Westens» wurde schliesslich Opfer des Erfolgs der neoliberalen Globalisierung: Sie hatte weltweit – und spätestens seit 2007 mit der Weltfinanzkrise und der «Grossen Rezession» – auch «im Westen» hohe Ungleichheit, sowie gefühlte und tatsächliche Deklassierung unterschiedlichster Bevölkerungsteile zur Folge. Dies beförderte den (Rechts-)Populismus und Autoritarismus auch «im Westen», so dass bis dato selbstverständlich scheinende Freiheitsrechte wie Minderheitenrechte, Pressefreiheit oder das Recht auf den eigenen Körper wieder eingeschränkt werden.

Der «Epochenbruch», wenn man denn von einem sprechen will, fand wohl am 11. September 2001 statt. Im globalen War on Terror, in der Weltfinanzkrise und Flüchtlingskrise legte «der Westen» selbst die Maske der Menschenrechte ab. Auf den Amoralismus der Märkte folgte der Zynismus der Macht. «Starke Männer» – ob Clowns, Militärs, Saubermacher oder Fundamentalisten – sind ihr Antlitz.

Und auch die Autokraten liessen soziale Öffnungen nur so weit zu, wie sie ihre Macht und Herrschaft nicht gefährdeten. Ja, letztlich konnten sie den sozialen Liberalismus als Heuchelei, Schwäche und «Dekadenz des Westens» gleich ganz verwerfen. Berücksichtigen doch selbst jene «im Westen», insbesondere Nationalkonservativ-Autoritäre, diese Rechte und Freiheiten nicht mehr bedingungslos.

Und doch wissen die Autoritären wie die Autokraten, dass diese politischen und gesellschaftlichen Freiheiten, würden sie gestärkt und sich in in der Gesellschaft durchsetzen, die grösste Gefahr für ihre Macht und Herrschaft darstellen. Deshalb auch das Feindbild des «dekadenten Westens» dort oder der «moralistischen Gutmenschen» hier und der Kampf gegen Minderheitenrechte, Asylrechte, Antirassismus, Feminismus, Gender-Diskurs usw. – dies ist ihre grösste Schwäche und könnte unsere grösste Stärke sein. Könnte.

Wir müssten sie nur integer vorleben und vertreten.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Michel, vielen Dank für diese glänzende Analyse! Die Verschiebung von "Annäherung" zu "Handel" ist tatsächlich sehr aussagekräftig. Vielleicht würde ich einen Akzent etwas anders setzen: Es stimmt, es gibt die grosse Konvergenz zwischen dem putinschen Autoritarismus und dem das Autoritäre heute erstaunlich komplexfrei verehrendem Rechtspopulismus im Westen, und sie konzentriert sich vornehmlich auf die so genannte "Dekadenz", also Feminismus, LTBG-Rechte usw. Gerade im Fall von Russland ist ja erstaunlich, wie zentral die ideologische Position einer reaktionären Politisierung der sexuellen Identität ist. Ich glaube aber, die Komplizenschaft zwischen Putinismus und westlichem Rechtspopulismus geht über diese ideologischen Affinitäten hinaus. Daniel Ziblatt hat es vor einiger Zeit in einem Republik-Interview auf eine einfach Formel gebracht: Die Republikaner heute sind in ihrem Kern keine demokratische Partie mehr. Sie wollen die Macht, und das heisst die Mehrheit, machen aber keinen Versuch mehr, ein Programm zu verfolgen, das im Interesse der Mehrheit der Bürger liegen könnte. Wir haben heute in den westlichen Demokratien sehr starke antidemokratische Kräfte. Das ist die gemeinsame Basis mit dem russischen Autoritarismus. Da müssen wir ansetzen. Herzlich, DB

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Danke, Daniel, für deine wie immer präzisen Gedanken.

Die Republikaner heute sind in ihrem Kern keine demokratische Partie mehr. Sie wollen die Macht, und das heisst die Mehrheit, machen aber keinen Versuch mehr, ein Programm zu verfolgen, das im Interesse der Mehrheit der Bürger liegen könnte. Wir haben heute in den westlichen Demokratien sehr starke antidemokratische Kräfte. Das ist die gemeinsame Basis mit dem russischen Autoritarismus. Da müssen wir ansetzen.

Genau das meinte ich mit «Auf den Amoralismus der Märkte folgte der Zynismus der Macht»: Man versucht nicht einmal mehr eine Wirtschaft mit Moral, Interessen mit Werten zu verbinden, sondern es geht ihnen schlicht und einfach um die Eroberung und Bewahrung der Macht zur Durchsetzung ihrer Wirtschaftsinteressen (und jene ihrer Geldgeber). Und dafür sind ihnen alle Mittel recht.

Wie Du in meinem «nachträglichen» Beitrag gelesen hast, konvergieren wir auch in dieser Hinsicht:

die «demokratischen Verfassungs­staaten» selbst [sind] in sich in Verfassungsfreunde und -feinde, in Liberale und Illiberale, in Freiheitsliebende und Autoritäre, in Demokraten und Anti-Demokraten gespalten.

Der Kampf gegen die «Anti-Demokraten» und der Kampf für Minderheitenrechte, Asylrechte, Antirassismus, Feminismus, Gender-Diskurs usw. konvergiert letztendlich, ja sind IMHO ein und dasselbe, denn es sind die Werte einer demokratischen, gerechten und offenen Gesellschaft. Autokraten und Autoritäre fürchten sich genau davor: vor der offenen Gesellschaft. Vor Gleichheit, Freiheit und Solidarität.

Das Rätsel oder vielmehr das Problem ist: Wenn die Autoritären Anti-Demokraten kein Programm verfolgen, «das im Interesse der Mehrheit der Bürger liegen könnte», weshalb gewinnen sie dann immer wieder Mehrheiten? Warum stimmen sie also immer wieder gegen ihre eigenen Interessen? Auch hier müssen wir ansetzen.

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Molekularbiologe PhD, Unternehmer
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· editiert

Vielen Dank für diese wertvollen Ausführungen. Nicht ganz einverstanden bin ich mit Ihrer Aussage, dass der Aufwind des Rechtspopulismus und Autoritarismus im Westen verursacht sei durch die "hohe Ungleichheit", welche durch die "neoliberale Globalisierung" herbeigeführt worden sei.

Das greift meiner Meinung nach zu kurz, weil diese Ungleichheit vor allem die von den meisten Menschen als eher abstrakt wahrgenommenen globalen Besitzverhältnisse widerspiegelt, während es sich bei den für das tägliche Leben notwendigen Ressourcen und den Lebensbedingungen anders verhält: Absolute Armut hat global seit Mitte des letzten Jahrhunderts in der überwiegenden Zahl der Länder abgenommen.

Auch in den USA mit ihren "Rust-Belt" Wirtschaftseinbrüchen fluktuieren die Armutszahlen ohne wirklich dramatischen, anhaltenden Anstieg, der das Phänomen des Rechtspopulismus alleine erklären könnte. In den USA vermute ich eher (aber auch das greift als alleinige Ursache zu kurz), dass die weisse Mehrheit ob der Erosion ihrer Privilegien eine Zukunftsangst entwickelte, welche dem sinn- und identitätsstiftenden "American Dream" den Wind aus den Segeln nahm, und zur Preisung einer auf vergangenen Privilegien beruhenden "grossartige" Vergangenheit als neue Identitätsquelle führte, und damit zu "Make America Great Again". Nun trägt jedoch die nostalgische Verklärung und das wieder herbeiführen wollen einer nicht uneingeschränkt grossartigen Vergangenheit den Faschismus bereits in sich, denn als nächstes müssen diejenigen identifiziert, gebrandmarkt und dehumanisiert werden, die für den Betrug am Volk und den Verlust der Grossartigkeit verantwortlich sind (daran arbeitet der populäre Nachrichtensender FOX-News rund um die Uhr), und in der nächsten Phase nimmt die totalitäre Ausgrenzung und Diskriminierung dieser Zielgruppe dann Ihren Lauf.

Die extreme Konsolidierung der globalen Besitz- und damit wirtschaftlichen Kontrollverhältnisse ist letzten Endes schon nur deshalb abzulehnen, weil sie zu weniger ökonomischer Resilienz und damit zu weniger Stabilität führt. Dass aber eine breitere Abstützung dieser Besitzverhältnisse die Demontage unserer Demokratien aufhalten könnte, ist doch eher unwahrscheinlich. Was uns zurück zur Gretchenfrage bringt, die niemand beantworten zu können scheint: Wie retten wir unsere Demokratien?

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Zu ihrer Frage «Wie retten wir unsere Demokratien?» (die weniger eine gesinnungsmässige Gretchenfrage («Wie hast du's mit…»), als vielmehr eine politisch-praktische Frage à la «Was tun?» ist) würde ich spontan antworten: In dem wir alle lernen und üben, uns ans «Gemeinwohl» zu orientieren und entsprechend diesem zu handeln.

Interessant finde ich in dieser Hinsicht die antiken Auffassungen zum sog. Verfassungskreislauf (altgr. anakyklosis), die für sich natürlich mit Vorsicht betrachtet werden müssen (da sie u. a. die Idee der «Dekadenz» mit sich bringen), doch bringt sie einem auch auf weiterführende Gedanken.

Polybios etwa unterscheidet einerseits zwischen der Anzahl Herrschenden: Einer, Wenige, Viele. Und andererseits, ob das Gemeinwohl oder der Eigennutz verfolgt wird: Erstere Formen sind «gut», Letztere «schlecht». Wenn bei den Herrschenden der Eigennutz vorherrscht «verfällt» die Staatsform in die «schlechte», welche dann durch eine sich neu formierende Gruppe gestürzt wird.

  • Einer: Monarchie –> Tyrannis

  • Wenige: Aristokratie –> Oligarchie

  • Viele: Demokratie –> Ochlokratie

So löst die Tyrannis zwingend die Monarchie ab, um dann gestürzt zu werden. Die sich nun bildende Aristokratie erleidet ebenfalls das Schicksal, dass die Herrschenden ihre Macht missbrauchen und sich das System so zur Oligarchie wandelt, die nicht mehr das Gemeinwohl, sondern ihr eigenes Wohl im Sinne hat. Diese wiederum wird von der Demokratie, der Herrschaft des Volkes abgelöst, die sich als letzte Stufe zwingend zur Ochlokratie, der Herrschaft des Pöbels, entwickelt. Hier schließt sich der Kreislauf, wenn sich eine starke Einzelperson aufschwingt und wieder eine Monarchie installiert.

«Ochlokratie» bedeutet, dass die herrschende Mehrheit nur ihre eigenen Interessen verfolgt und jene der Minderheiten per Mehrheitsbeschluss oder gar mit Gewalt ständig missachtet und verletzt.

Der springende Punkt ist nun die zwischen der Orientierung am Gemeinwohl oder am Eigennutz – analog der späteren Unterscheidung bei Rousseau zwischen volonté générale und volonté de tous. Die von Aristoteles präferierte Mischform der Aristokratie («die Elite») und Demokratie («das Volk») «verfällt» durch die Orientierung am Eigennutz und dem populistischen volonté de tous zur «schlechten» Mischform der Oligarchie («die 1%») und Ochlokratie («der Pöbel»).

Was überwunden bzw. vermieden werden sollte, ist also sowohl die Oligarchie als auch die Ochlokratie. Denn beides lässt den Ruf nach einem «starken Mann» lauter werden, der entweder gegen die «korrupte Elite» und die «das Volk korrumpierende Minderheiten» bzw. den «Krieg aller gegen alle» vorgeht.

Doch die Überwindung gelingt nur durch die Orientierung am Gemeinwohl. Doch dieses ist nicht nur eine moralische Geistes- oder Herzenshaltung, sondern bedarf einer strukturellen Grundlage. Policy-wise würde dies bedeuten: Gerechtere Besteuerung, Umverteilung, Anerkennung und Teilhabe.

Denn wer an einem Gemeinsamen teilhaben kann, orientiert sich auch eher am Wohl des Gemeinsamen.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Vielen Dank für ihre Ergänzungen, Herr M. Es ist natürlich schlicht unmöglich auf so engem Raum die letzten 50 Jahre hinreichend detailgetreu nachzuzeichnen. Was bleibt, ist eine Skizze in groben Zügen.

Doch beim ersten Punkt liegt ein Missverständnis vor: Ich schrieb nicht «verursacht», sondern «befördert», denn ich gehe bei diesem wie bei anderen Phänomenen von einem überdeterminierten Geschehen mit multiplen Ursachen aus, das heisst, es gibt nicht die alles determinierende Ursache. So gibt es immer auch komplexe Strukturen und diverse Akteure sowie sich gegenseitig verstärkende («fördernde») und abschwächende («dämpfende») Faktoren und Feedbacks.

«Ungleichheit» ist dabei erstmal eine Beschreibung der Struktur, determiniert aber noch nicht in Gänze die Praxis der Akteure. Was Sie als «Erosion ihrer Privilegien eine Zukunftsangst» ist genau das, was ich unter anderem mit «gefühlte und tatsächliche Deklassierung» meinte.

«Ungleichheit» bezieht sich zudem nicht auf «Absolutes» wie in der «absoluten Armut», sondern auf «Relatives», also die global, aber regional/national/lokal «relative Ungleichheit». Und hier wie dort sind – so zeigen etwa Pikettys Arbeiten – die Einkommen- und Vermögensverhältnisse noch ungleicher geworden. Global und national fand statt dem sagenumwobenen trickle down eine Verteilung von unten nach oben statt. Die Konzentration verstärkte sich. Die Schere weitete sich aus. Gerade in und nach den Krisen (und nicht nur, wie Sie mich rekapitulieren, durch die «neoliberale Globalisierung»).

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Nachtrag:

Daniel Binswanger fragt:

Kennen wir überhaupt ein höheres globales Ordnungs­prinzip?

Diese über den vorherrschenden neoliberalen Rahmen (hoffentlich) ironisch hinausweisende Frage knüpft an seine an Kant gemahnende Forderung:

Eine vernünftig geordnete, befriedete Welt ist angewiesen auf globale governance.

Worin besteht die global governance? Im Unterschied zum global government, also zur Weltregierung, besteht sie in internationalen Verträgen und Treffen sowie den daraus resultierenden Gerichtsbarkeiten und Institutionen wie die UNO, aber auch WTO, IWF und Weltbank.

Da es dafür jedoch keine wirklich handlungs­fähigen Institutionen gibt, wird eine verstärkte Block­bildung unausweichlich werden. Die demokratischen Verfassungs­staaten müssen kompromisslos zusammen­stehen.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang «wirklich handlungsfähig»? Vielleicht eine UNO, welche Recht und Frieden auch mittels Sanktionen, Gerichtsbarkeit und Militär auf der Grundlage ihrer Charta effektiv durchsetzt?

Bleibt als Alternative zum Multilateralismus angesichts des Nicht-Kontrollierbaren tatsächlich nur die abermalige (oder seit jeher fortbestehende) «Blockbildung»? Statt «Kontraktualismus» (siehe auch «Das Ethos der Gnadenlosigkeit») und «(kosmopolitischem) Liberalismus» nun also verstärkt «Wertegemeinschaft» und «(partikularistischer) Kommunitarismus»? Aber was, wenn die «demokratischen Verfassungs­staaten» selbst in sich in Verfassungsfreunde und -feinde, in Liberale und Illiberale, in Freiheitsliebende und Autoritäre, in Demokraten und Anti-Demokraten gespalten sind?

Oder müsste nicht gerade umgekehrt in die andere Alternative investiert werden, nämlich in die Reform und in den Ausbau zu «wirklich handlungs­fähigen Institutionen»? In die Einlösung der universalistischen Versprechen der Demokratie und Menschenrechte? Oder muss erst wieder ein Weltkrieg alles bis zu den Grundfesten zerstören, bevor solche aus ihren Ruinen aufgebaut werden können?

Angesichts der multiplen Krisen müssen wir auch der Gefahr ins Auge schauen, dass die «globale Hilflosigkeit» auch in eine «erlernte Hilflosigkeit» und diese in eine Depression münden könnte, also in eine:

Erlernte (auch gelernte) Hilflosigkeit beschreibt die Erwartung eines Individuums, bestimmte Situationen oder Sachverhalte nicht kontrollieren und beeinflussen zu können. Es wird davon ausgegangen, dass Individuen ihr Verhaltensrepertoire einengen und als unangenehm erlebte Zustände nicht mehr abstellen, obwohl sie es (von außen betrachtet) könnten. Diese Selbstbeschränkung bzw. Passivität ist auf frühere Erfahrungen der Hilf- und Machtlosigkeit zurückzuführen.

Und hier kämen auch wir, die Schweiz und jede:r Einzelne, ins Spiel. Sei es für (I)CH, EU, NATO oder UNO.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Michel, natürlich hasst Du recht: Was heisst das schon globale Governance? Und ja, diese Institutionen müssten geschaffen werden, weil die "Blockbildung" ja nie mehr sein kann, als eine prekäre Strategie des Konfliktmanagements und weil natürlich eine "Weltordnung" auf der Akzeptanz minimaler, universell gültiger Standards beruhen müsste. Die Sache ist nur, dass es diese Institutionen nicht gibt, und dass es letztlich nur die "Kraft der Demokratie", also die Vorbildfunktion, Kohärenz und Produktivität demokratischer Staaten sein kann, die solche Standards etabliert. Das heisst in der Tat: Wir müssen eine überzeugende, sozialethisch stringente CH, ein ebensolches Europa schaffen, um unseren Werten auch globale Verbindlichkeit verschaffen zu können. Herzlich, DB

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Abgesehen vom ersten Satz wertvoller Beitrag. Sie schreiben: "Wer aus Russland Öl und Gas kaufen wollte, musste die Interventionen oder gar Annexionen in Tschetschenien, Georgien oder Ukraine akzeptieren."

Meines Wissens kaufen nicht Staaten Gas und Öl etc. und lagern es dann in Bunkern oder der Gotthardfestung - auch wenn das der Einfachheit halber immer so formuliert wird -, sondern Unternehmen kaufen. Und die Unternehmen kaufen dort, wo es das gibt, was sie brauchen. Solange es kein Sanktionen-Regime gibt, ist die Welt offen. Strategisch gibt es da gar nichts. Darum habe ich trotz Trump, trotz des Iraks und der Gantanamoer:innen etc. Apple- und Google Produkte und ein paar US-Aktien und hoffe, wieder einmal in den sonst verehrten USA Ferien machen zu können.

Könnte es sein, dass man bei den politischen Entwicklungen und dem Verhalten des vielgescholtenen Deutschland noch die Entwicklung zur deutschen Wiedervereinigung berücksichtigen müsste und ob es diese ohne die deutsche Frontenaufweichung gegeben hätte?

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr O., das ist natürlich völlig richtig: Die deutsche Ostpolitik hatte sehr viel damit zu tun, dass Deutschland zweigeteilt und der absolute Frontstaat des kalten Krieges war. Aber das war damals. Heute könnte die Bundesrepublik ganz anders agieren. Frontstaat ist sie auch nicht mehr. Diese prekäre Rolle haben heute vor allem Polen und die baltischen Staaten. Deshalb ist die heutige deutsche Politik, so scheint mir, nur schwer zu verteidigen. Herzlich, DB

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Realist
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Meines Wissens kaufen nicht Staaten Gas und Öl etc. und lagern es dann in Bunkern oder der Gotthardfestung - auch wenn das der Einfachheit halber immer so formuliert wird -, sondern Unternehmen kaufen.

Das schon. Aber die Errichtung der Infrastruktur, zumal bei Gas via Pipeline ist natürlich trotzdem eine hochgradig politische Angelegenheit. Siehe Nordstream resp. Nordstream 2.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Lieber Herr O., M. J. und Daniel Binswanger sind bereits hinreichend auf ihre Punkte eingegangen. Deshalb nur ein Nachgedanke: Ich habe bewusst offen gelassen, wer das «wer» ist, der kaufen will und dazu schwerwiegende Konzessionen machen muss. Denn oft sind es beide, private und politische Akteure.

Wie das Verhältnis CH–EU zur Genüge aufzeigt, ist gerade der Marktzugang, die Frage der Öffnung oder Schliessung, oder der Import/Export systemrelevanter Güter nicht nur eine private Angelegenheit, sondern immer auch eine politische. Doch selbst auf der privaten Seite gibt es die Corporate Social Responsibility (CSR): Das Private ist politisch sozusagen. Siehe hierzu Philipp Albrechts instruktiven Beitrag «Aufgrund der angespannten Situation …» (wo auch die gegenteilige Auffassung vertreten wird).

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Leserin
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Schweizer Beitrag zur Sicherheitsarchitektur: Anwälte dem Geldwäschereigesetz unterstellen. All die heuchlerischen Politiker:innen, die an ihren Geschäften mit schmutzigem Geld, sei's im Kanton oder privat und jetzt neue Gewinne durch die Rüstungsindustrie wittern, schleunigst politisch kaltstellen. V.a. die Wählenden der Mitte sollen Farbe bekennen: wollen sie weiter von Blutgeld profitieren und wenn's grad passt ein bisschen nett sein zu Flüchtlingen - oder wollen sie mitarbeiten an einer neuen Weltordnung, die nicht mehr auf Profit und Wohlstand durch Ausbeutung beruht?

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· editiert

… aber auch andere stehen HEUTE bereit, um schlimmste Leiden und weltweit vielleicht noch mehr potenzielle Opfer als im Krieg für ihre politischen Zwecke und ihren Profit auszunutzen:

  • Spekulationsgewinne an der Börse mit Weizen/Getreide bringen immer mehr Profite,
    je weniger davon auf den Markt kommt…

  • Syngenta will die Gelegenheit nutzen mit den Biobauern aufzuräumen… (1)

  • Der Bauernverband, allen voran Herr Ritter, will die Gelegenheit nutzen mit den
    Biodiversitätsflächen aufzuräumen… (gestern in den Medien) (2)

Dabei wird völlig ausser acht gelassen, dass wir auch in der Schweiz mehr als 40% der Ackerbaufläche für Tierfuttergetreide verwenden, dass wir mehr als 30% Food Waste haben und jedes 4. Brot weggeworfen wird. Zahlen varieren je nach Quelle, sind jedoch überall erschreckend (3, 4)

Ja «man» hat vieles falsch gemacht und «viele» haben schon lange gewarnt. Es ist jedoch nicht möglich im Rückblick etwas zu verändern. Es ist bequem im Nachhinein gescheiter zu sein.

Schauen wir doch auf das HIER und JETZT, werden wir uns so schnell wie möglich über unsere Werte klar und handeln JETZT.

Nicht dass wir im Rückblick wieder sagen müssen: wir hätten es doch besser wissen müssen, es haben doch viele davor gewarnt, es stand ja schon damals in verschiedenen Büchern oder wurde immer wieder in den Medien thematisiert…

  1. https://www.swissinfo.ch/ger/syngen…o/47575944

  2. https://www.srf.ch/news/schweiz/teu…wahrnehmen
    (am 13.05.22 Herr Ritter erneut in den Medien)

  3. https://www.tagblatt.ch/schweiz/ver…duced=true

  4. https://www.wwf.de/themen-projekte/…glich-brot

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Danke, Frau D. - Sie sprechen mir aus dem Herzen. Die von Ihnen gewünschte neue Weltordnung ist auch mit Blick auf den globalen Süden, wo unsere Glaubwürdigkeit durch die von Ihnen umschriebenen Missstände zusehends Schaden nimmt, ein Erfordernis der Zeit - wir bleiben dran!

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wütend
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hallo C. D., ein artikel von jo lang welcher ihre worte unterstützt. https://www.denknetz.ch/die-doppelte-aufruestung/

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Leserin
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Vielen Dank für diesen Artikel von Jo Lang. Er ist zwar lang, aber das schweizer, bzw. das Zuger Sündenregister in bezug auf die schon viele Jahre dauernde Verbindung mit Putins Machtzirkel ist eben lang. Vielleicht erklärt das, warum ansonsten durchaus wache Intellektuelle und Journalisten nichts mitbekommen haben und jetzt überrascht und erschüttert sind. Sie erlagen dem gebildeten Charme von Herrn Pfister und einem Normalitätseffekt. Unbedingt lesen, wer etwas zum besseren andern will!

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe Frau D., da haben Sie aus meiner Sicht vollkommen recht. Der wichtigste Beitrag der Schweiz läge in der strikteren Regulierung des Finanzplatzes, insbesondere der Unterstellung von Anwälten unter das Geldwäscherei-Gesetz. Das wäre vermutlich sinnvoller als höhere Militärausgaben. Herzlich, DB

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"Aber welche Werte teilen wir überhaupt noch? Welche Werte sind wir zu verteidigen bereit? "
Bevor Sie, Herr Binswanger die Schweiz in die NATO führen oder besser gesagt schreiben, müssten zuallererst und nicht nachher die realen Werte der NATO analysiert und bewertet werden.
Welche Werte verteidigte die NATO am Hindukusch?
Unter der Führung von Peter Struck bekam die Bundeswehr im Mai 2003 neue Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR). Die Kernaussage dieser Richtlinien hatte Struck bereits am 4. Dezember 2002 am Beispiel des Afghanistan-Einsatzes erläutert: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. “

An diesem westlichen, geopolitischen Grössenwahn soll sich nun die Schweiz aktiv beteiligen? Herr Binswanger, wie muss man dies einordnen?

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Nein ! die Schweiz muss ihren eigenen, aber gemeinsamen Weg mit der NATO und der EU definieren. Einfach nichts tun oder alles ablehnen aus historischen Gründen ist falsch! Europa braucht uns und wir brauchen Europa !

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr K., dieser Einwand ist natürlich sehr gewichtig. Wie ist die Nato zu bewerten? Und insbesondere: Wie soll man für die Nato plädieren angesichts des gescheiterten, in so vielerlei Hinsicht verfehlten Krieges in Afghanistan? Einen Nato-Beitritt der Schweiz halte ich ohnehin für ausgeschlossen. Über Kooperationsformen sollte sie wohl aber nachdenken. Sonst sind die ganzen heutigen Militär-Zusatzausgaben einfach sinnlos. Und die Leitfrage kann auch nicht sein, ob die Nato alles richtig macht. Das tut sie nicht. Die Leitfrage muss sein, ob die heutige Welt auf die Nato verzichten kann. Aus meiner Sicht sehen wir grade sehr deutlich, dass nicht. Herzlich, DB

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Guten Tag Herr Binswanger, grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Ganz allgemein finde ich Kooperationen absolut zeitgemäss und zwingend. Bezüglich der Leitfrage zur Nato, schreiben Sie für meinen Geschmack zu "verblümt" zu idealistisch. An erster Stelle stehen für mich die Werte. Für welche Werte und Normen engagieren wir uns. Und werden diese Werte gelebt oder stehen sie nur auf dem Papier. Nur wenn wir dies stetig kritisch hinterfragen und gegebenenfalls korrigieren haben wir ein glaubwürdige und zeitgemässe Armee, die breit in der Bevölkerung abgestützt ist. Hinzu würde der Missbrauch der Armeen erschwert.

Des Weiteren befürworte ich grundsätzlich ein westliches Militärbündnis, sehe jedoch einen enormen Reformbedarf, insbesondere in Europa. Und was für eine Rolle die Schweiz dabei spielen könnte, diese Debatte wird leider in die ferne Zukunft verschoben, was niemandem hilft.

Wäre das nicht eine interessante Debatte an den Schweizer Universitäten, wenn sich die Politikerinnen dazu verweigern oder das Momentum verschlafen? Man sollte einen Ideen-Wettbewerb ausschreiben! Was für eine Armee macht für die Schweiz, in Zeiten des Umbruchs und darüber hinaus, Sinn.

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Wir sollten uns nicht zu sehr selber "zerfleischen" wegen des viel zu lange Gewähren Lassens. Oft sind einfach die Weltgeschehnisse auch zufällig und die Aufmerksamkeit andernorts. Wir waren von 2015-20 alle von den Ereignissen in den USA fast vollständig in den Bann gezogen, beispielsweise. Es laufen immer einige später grosse Ereignisse in ihrer Entwicklung "unter dem Radar." Leider ist dies zu Zeiten von 24/7-Medien und Internetkanälen eher noch mehr der Fall als weniger, obschon man sämtliche Informationen hätte wie nie vorher.
Ich war beispielsweise 2014 sehr irritiert über die Folgenlosigkeit der Krim-Annektion. Doch auch meine Aufmerksamkeit galt stärker der Trump-Episode. Wohl auch einfach, weil sie dominanter ins Bewusstsein geschoben wurde. Es ist also auch Zufälligkeiten geschuldet.
Es ist vieles mehr Zufall, als wir denken. Hätte der eher schwache Jelzin mehr Kompetenz als Alkohol in der Birne gehabt, wäre wohl nicht Putin seine Wahl gewesen.
Dann gibt es auch noch grosse Tendenzen, die in einer Bevölkerung schwelen: Wie Deutschland in den 20/30ern, war/ist ein Grossteil der Menschen noch sehr unvertraut mit der Komplexität von Demokratieanforderungen und wählt/entscheidet sehr ambivalent. Oft noch zugunsten von Hierarchie und Autorität, wo es sehr verhängnisvoll werden kann. Erlebten wir ja nicht nur in Russland. Durch diese Erfahrungen muss wohl jedes Land durch...
Und es gäbe noch mehr Faktoren im Geschehen, das sich dann zu "Geschichte" verfestigt.
(Auch das: Ein Hitler wurde mehrmals nur durch allerbanalste Zufälle bei Attentaten nicht getötet.)
Die Schweiz soll vor allem draus lernen, das ist mein Anspruch. Nicht zerfleischen und den Fokus darauf richten, was sie "wieder alles falsch gemacht hat".
Ein Aufbruch ist ja schon spürbar - die bequeme alte Form der "Neutralität" ist bereits überall in Frage gestellt. Und dass "Wandel durch Handel" kein unbeschautes Allheilmittel ist, lernen wir nach den neoliberalen 40 Jahren gerade wieder. Er ist aber ein wirksames Puzzleteil.
Gesellschaften werden vielen Entwicklungen als politisch handelnde Gemeinschaft immer hinterherrennen. Welchen, ist eher zufällig.
Und wenn wir nun sehen, dass sogar die USA bezüglich Abtreibungen gesetzlich für Frauen wieder an den Nullpunkt zustrebt, weil die föderale Struktur es bisher nicht schafft, ein hieb-und stichfestes nationales Gesetz durchzubringen... so kann man sich auch dort wieder fragen, wie "das geschehen konnte"... dort ist "Handel" ja seit jeher praktisch das oberste Prinzip. Nur ist in den gleichen Köpfen halt auch eine zutiefst religiös-reaktionäre mentale Struktur, die sie von den ursprünglichen religiös verfolgten Eiferern, welche einen Grossteil der Gründergenerationen bildeten, immer wieder mythologisch auffrischen.
Genauso funktioniert das russische "Imperiumsgehabe"- auch wenn im echten Imperium 95% wirtschaftlich und politisch vor allem gelitten haben.
Eines der wichtigsten "Schutzmittel" vor mentalem Feststecken in der Vergangenheit ist wohl eine gute breite allgemeine schulische Bildung. Die ist weder in den USA noch in Russland nämlich vorhanden, in den USA nicht einmal in öffentlichen Schulen in den Städten.
Bildungsnähe ist ev auch ein wichtiger Grund für das (unerwartet) starke Selbstbewusstsein der UkrainerInnen. Sie versumpften nicht im "Medientrash" wie zB Italien und die USA oder Brasilien.
Die Schweiz mit ihrer soliden allgemeinen Schulbildung und länger trainierten Demokratie (Corona hat gezeigt, dass es aber auch da Fallstricke gibt) kann nun einen Schritt in "moderner Neutralität" machen, indem sie pragmatisch handelt: Über der "Parteineutralität" steht die Maxime, jedem Land zuerst zu ermöglichen, diese überhaupt zu haben - es muss also frei sein und eigene Souveränität ausüben können. Ergo verhelfen wir der Ukraine dazu. Mit Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten und ev der Setzung neuer.
Und wir sollten keine Illusionen haben: Das ist noch nicht das letzte Land, das letzte Mal, wo wir das tun müssen!

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Die Probleme liegen leider tiefer. Die Welt funktioniert nach dem Prinzip "konkorrenz" und nicht "Kooperation". Solche Ereignisse wie 🇷🇺 🇺🇦 Konflikt sind keine Zufälle, sie sind vorprogrammiert. Die einzige Frage, die offen ist: "wann sie auftreten werden "

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Sozialdarwinismus ist ein viel zu simples Konzept. Konkurrenz und Kooperation muss sich auf lange Sicht die Waage halten. Sonst macht man sich nämlich gegenseitig kaputt. Nur Win-Win-Konstellationen haben Aussicht auf genug "Ruhe", um Zivilisationen weiterzuentwickeln. In der biologischen Evolution sind das oft Symbiosen. Der Pilz liefert die Wurzelnährstoffe, der Baum den Futternachschub durch Blätter und Totholz. Diese Systeme sind kaum zu schlagen.

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Das stimmt nicht. Die Welt funktioniert fast ausschliesslich nach dem Prinzip Kooperation. Wir arbeiten mit den USA, China, Japan, Australien, Südamerika oder Afrika zusammen. Wir besorgen uns Rohstoffe, welche wir nicht haben und beliefern diese Länder mit Hochtechnologie, welche diese nicht haben. Die Zusammenarbeit ist oft nicht fair, aber es ist trotzdem Zusammenarbeit, keine Konkurrenz. Konkurrenz herrscht zwischen Firmen, welche die gleichen Produkte herstellen, und das ist nicht an sich schlecht.
Zwischen der Ukraine und Russland gibt und gab es kaum Konkurrenz.
Der russischen Führung war es einfach ein Dorn im Auge, dass das demokratische Nachbarland atemberaubende Fortschritte bezüglich Lebensqualität erziehlte, während Russland mit seinem authoritären System stagnierte oder gar abbaute.
Der Krieg ist der verzweifelte Versuch, die Ukraine auf das bescheidene Niveau von Russland herunterzudrücken, damit es der eigenen Bevölkerung nicht auffällt, dass es denen besser geht.

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Ist ein sehr langer und differenzierter persönlicher Bericht heute im Magi zu "Mentalitäten" und wie sie angetrieben werden (können):
https://www.derbund.ch/opa-kann-es-…nt=2453396_

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe Frau P., ich finde diesen Text auch sehr lehrreich und beeindruckend. Möchte in diesem Zusammenhang aber auch noch einmal auf den Essay von Olga Chyzh hinweisen, der ein sehr ähnliches Thema hat und wo ich auch sehr viel gelernt habe.
https://www.republik.ch/2022/05/02/…in-monster

Herzlich, DB

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Dies ist wohl der beste Kommentar, den ich bisher zum ganzen Krieg lesen konnte. Herzlichen Dank dafür

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Oh, dankeschön! War ein harter Lebensweg, um dahin zu gelangen. Versuche nun, das wenigstens fruchtbar zu machen - für mich und andere.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
·

Liebe Frau P., vielen Dank für Ihren Kommentar. Wir sollten uns sicherlich nicht selber zerfleischen, aber vielleicht doch - bei aller Anerkennung historischer Kontingenten - aus den Versäumnissen die Lehren ziehen? Und sind diese Lehren nicht auch dadurch bedingt, dass man in Betracht zieht, was man falsch gemacht hat? Wenn Sie mit Verweis auf das Deutschland der 30er Jahre darauf hinweisen, dass Demokratie immer eine komplexe Sache ist und dass jedes Land durch diese Erfahrungen hindurch muss, benennen sie genau, was mich beunruhigt. Erlebt Russland nun also seinen Hitler? Ich glaube nicht, dass es das ist was Sie sagen möchten. Und ich glaube nicht, dass wir eine solchen Befund akzeptieren sollten.
Wo ich Ihnen völlig recht gebe: Auch die USA zeigen jetzt ja gerade, wie virulent regressive Tendenzen in der amerikanischen Demokratie sind. Das sollte uns in der Tat beunruhigen, auch im Hinblick auf Russland. Schon im November könnten die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern erobern. Was werden sie dann für eine Russland-Politik machen? Was hat Trump mit der NATO vor, sollte er in gut zwei Jahren wieder Präsident werden? Das sind extrem beunruhigende Fragen. Die uns nicht zu Selbstzerfleischung anstacheln sollten. Zu sehr engagierter Reflexion jedoch schon. Herzlich, DB

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Engagierte Reflexion ist das Stichwort. Das ist auch mein grösstes Anliegen. Es ist vielleicht eher die Reflexionsebene, die ich etwas erweitert habe. Ein wenig mehr philosophisches, allenfalls psychologisches Einordnen, etwas weniger Tagesaktualität.
Keinesfalls will ich reinen Fatalismus verbreiten.
Es gibt keinen 2. Hitler, jeder Diktator war auf sein Weise ein "Original", aber einige Prämissen stimmen natürlich überein, so Diejenige, dass ein bereits demokratisch "befreites"Volk von rückwärtsgewandten Anführern mitgerissen wird. Aber es ist 2021, Geschichte wiederholt sich nicht, die übrigen Prämissen sind weit von 1930 entfernt. Zum Glück! Die Hitlerzeit darf man nicht einebnen in "eine von vielen Episoden"!
Falsch gemacht hat die Politik auch in der Schweiz vieles. Sie war ja genauso im neoliberalen "Rausch" wie praktisch der Rest der westlichen Welt. Und medial war der Putin halt nie so "sexy" zu vermarkten wie Trump. Ausser gerade seine "Macho-Selbstinszenierungen.
Viele Entwicklungen sehen nur einige wenige ExpertInnen kommen und auf die hört die Politik oft nicht, wie wir bei Coronamassnahmen in der Schweiz auch wieder erfahren mussten. Ich bin sehr dafür, hier institutionell mehr qualitative Exzellenz in Form von "Krisenstäben" "Tasks Forces", etc. dazwischenzuschalten, sie könnten das politische Niveau sehr bereichern.
Davon ist leider auch die USA gerade weiter entfernt als auch schon, seit die Politik praktisch nur noch im "Rot-gegen Blau-Modus" läuft. Auch dies ist für mich übrigens vor allem eine bedenkliche Entwicklung, die massgeblich durch den medialen Trash-Overkill mit angeführt wird. Ein Nebenprodukt von "Wandel durch ungebremsten und unkontrollierten "Handel" sozusagen. Heute kämpfen wir zusätzlich auf der noch unkontrollierteren Ebene des Internets mit Fakes.
Zusammen mit religiös-puritanischem Eifer und dem sehr begrenzten Allgemein-und Weltwissen des Durchschnitt-AmerikanerInnen, gibt es tatsächlich einen beunruhigenden Aspekt für die kurzfristige Entwicklung, die sich ja demnächst bei den Wahlen zeigen wird. Aber eher für die USA selber, weniger für das Verhältnis zu Russland. Können wir daran etwas ändern? Ich glaube nicht. Glauben Sie, ein Wechsel zu den Reps in beiden Kammern hat eine wesentlich andere Russlandpolitik zur Folge? Eine aggressivere? eine schwächere? Mehr Putin-Bewunderer, wie Trump?
Das ist meiner Meinung nach schlicht nicht voraussehbar, weil zu komplex.
Und zuviele Zufälle, die noch hineinspielen werden. Aber ich denke, es wird sich nicht viel verändern, zuvieles hebelt sich gegenseitig jeweils aus. Die meisten sind insgeheim froh, haben sie einen Biden an der Spitze, den man zwar ständig kritisiert, aber der für Stabilität steht und ein altes erfahrenes Politikerpferd ist. Ähnlich wars bei Merkel. Die hat zwar die Gaspipelines aktiv unterstützt und das war im Nachhinein nicht wirklich hilfreich für eine Disziplinierung Putins. Doch sie war auch stets auf kritischer Distanz zu ihm, da sie die Mentalität nur zu gut kannte. Konnte sie daran etwas ändern? Auch hier: Ich glaube nicht.
Sie sind noch jünger, Sie haben noch Enerige übrig, sich ausgiebig und lange über unsinnige Geschehnisse zu ärgern;-). Ich nicht. Nach einer gut reflektierten Analyse blicke ich rasch nach vorne: Wie am besten weiter? Ich krieg ja auch kein Honorar für meine Analysen;-))

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Vielen Dank für den Beitrag. Ja wir haben letzte 8 Jahre darüber geschrien (davor waren es Georgier) aber keiner hat zugehört. Jetzt kommt die Rechnung.
Aber ja die ganze Welt muss sich Gedanken darüber machen wie die Sicherheitsarchitektur sein wird. Sich von NATO Länder umzugeben, eigenes Körper in der Wärme halten. Trittbrettfahrer sein und nichts dazu beitragen geht nicht.

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Interkultureller Coach
·

Die Ukraine Beiträge der Republik entsprechen immer mehr einem gestrickten Narrativ, so dass NZZ und Spiegel Journalistinnen vor Neid erblassen müssten. Wieso giessen sie immer mehr Oel ins Feuer? Wollen sie eine Eskalation? Wie wäre es, wenn die Republik sich als einziges Medium mit dem Weg zum Frieden auseinandersetzen und so ihrem journalistischen Anspruch entsprechen würde?

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Urs Fankhauser
Citoyen
·
· editiert

Klar, alle möchten lieber Frieden. Zuvorderst die Ukraine, wo jeden Tag ZivilistInnen und Kämpfende ihr Leben verlieren - und deren Infrastruktur mit jedem Kriegstag weiter massiv zerstört wird. Aber leider habe ich noch nirgends von einer Friedenslösung gehört oder gelesen, die etwas Anderes explizit verlangt oder implizit zur Folge hätte, als dass sich die Ukraine unterwirft. Weshalb sollte die Ukraine das tun, so lange sie die Möglichkeit hat, sich der Kapitulation zu widersetzen? Weshalb sollte die Ukraine zulassen, dass sie durch Russland zum wirtschaftlich strangulierten Binnenland degradiert wird? Was gewinnt der Rest der Welt, wenn zugelassen wird, dass Russland seinen verblassenden Joker bei den fossilen Energien durch einen neuen Joker beim Weizenexport ersetzen kann?
Wo bleiben Friedensvorschläge, die Russland für seinen Angriffskrieg nicht belohnen und beispielsweise einen Rückzug auf die Demarkationslinien von Ende 2014 sowie Reparationszahlungen für die angerichteten Schäden verlangen?
Die Friedens- bzw. Kapitulationsaufforderungen an die Ukraine aus dem Westen sind von tiefer Ignoranz geprägt. In keinem anderen Land Europas hat sich das Volk in den letzten zwei Jahrzehnten so oft gegen autokratische und imperialistische Zumutungen erhoben, wie in der Ukraine: 2004, 2014 und 2022. Trotzdem betrachten immer noch Viele hier die Ukraine als eine Art gesichts- und geschichtslose Verhandlungsmasse, über welche andernorts entschieden werden kann.
Dass Menschen aus dem linken politischen Spektrum Werte wie das Selbstbestimmungsrecht, die Verteidigung der Demokratie oder die Menschenrechte hochhalten, ist nichts Ungewohntes. Dass dies in der aktuellen Auseinandersetzung im Verbund mit der NATO (oder meinetwegen mit der NZZ) geschieht, gilt es auszuhalten.

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Sie unterstellen, dass viele von der Ukraine eine Kapitulation verlangen. Hat das hier schon jemand verlangt? Sie verlangen auch recht viel, aber warum verlangen Sie das von den Lesern der Republik? Haben Sie irgendeine Idee, wie die Leser hier irgendetwas bewerkstelligen könnten?

Und zur von Ihnen geschätzten NZZ: lesen Sie doch die Beiträge von Andreas Rüesch.

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Ja, wir könnten den Kopf wieder in den Sand stecken und warten bis der Sturm vorbei ist. Wir Schweizer haben ja viel Erfahrung darin, wegzuschauen und uns hinter gesetzlichen Vorgaben zu verstecken und den Mächtigen dieser Welt helfen, ihre irdischen Güter zu beschützen. Jetzt gilt es als Schweizer eine konstruktive Meinung zu äussern und die europäischen Bemühungen aktiv zu unterstützen!

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Was meinen sie, ist der Weg zum Frieden?

Wenn man in die Vergangenheit zurückschaut, dann sind die Parallelen von Putinrussland und Hitlerdeutschland erschreckend klar zu erkennen.
Und der Weg zum Frieden mit Deutschland führte über die vollständige militärische Entmachtung. Wie Putin heute, war auch Hitler damals nicht bereit, seine Niederlage adäquat einzuordnen und vernünftigerweise zu kapitulieren. Lieber leiss er 16 jährige sinnlos abschlachten, als seine Fehler einzugestehen.
Genau gleich agiert heute Putin. Seit 20 Jahren eskaliert er laufend, mit immer zunehmender Gewalt.

Sehen sie echt eine Chance, mit diesem Mann und seinem Umfeld Frieden zu schliessen?

Die Ukraine hat sich bereiterklärt, die sowjetischen Atomwaffen abzugeben.
Ein deutlicheres Signal, Russland nicht zu bedrohen kann es nicht geben!

Und was hat es gebracht? Eben.

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Realist
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· editiert

Die Ukraine hat sich bereiterklärt, die sowjetischen Atomwaffen abzugeben.
Ein deutlicheres Signal, Russland nicht zu bedrohen kann es nicht geben!

Sehr richtige und wichtige Feststellung von der aber viel zu wenig gesprochen wird. Dabei wurde dieser Vorgang sogar in einer Vereinbarung niedergeschrieben und von allen relevanten Parteien unterschrieben, nämlich dem sogenannten, von den Russen auf krasse Art und Weise verletzten Budapester Memorandum: https://de.wikipedia.org/wiki/Budap…Memorandum, hier ein Auszug aus dem entsprechenden Wikipedia Artikel:

Russlands Nichteinhaltung des Budapester Memorandums und insbesondere die Annexion der Krim kann die künftige Nichtverbreitung und Abrüstung von Kernwaffen gefährden, weil sie Zweifel daran aufwirft, wie verlässlich die Sicherheitsgarantien von Großmächten gegenüber Staaten mit Atomwaffen sind. Zweifel an der Verlässlichkeit solcher Zusagen könnten Anreize schaffen, Kernwaffen zu behalten, neue Kernwaffenprogramme zu schaffen oder bereits bestehende Programme zu beschleunigen. Da in dem Memorandum die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wiederholt wird, wirft Russlands Nichtbefolgung des Memorandums grundsätzliche Fragen über die Zukunft der internationalen Ordnung auf.22 [4][23]. Mit dem Überfall auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 verstößt Russland erneut und eklatant gegen die Vereinbarung.

Stattdessen wird bis zur Erschöpfung über das angebliche Verschulden der NATO im europäischen Osten gesprochen. An was liegt das? False balance? Zeigt dieses Beispiel nicht einfach dass unsere Gesellschaft der Putler Propaganda in den letzten 22 Jahren deutlich massiver auf den Leim gekrochen ist als wir es uns selber in den schlimmsten Albträumen ausdenken können?

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Fachperson
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Unser ohnmächtiges Gefühl, die Welt nicht mehr zu verstehen:

Das ist Ziel der russischen Propaganda.

Die Website der East Stratcom Task Force der EU zeigt seit 2015 die tägliche russische Propagandaarbeit.

Solche Aufklärung wirkt aber kaum gegen Propaganda. Denn Propaganda findet heute gute Rahmenbedingungen vor:
Facebook, Youtube, Telegram & Co. verbreiten anonyme, reisserische, gelogene, manipulierte Inhalte viel weiter als wahrheitsgetreue, tatsachenbasierte Inhalte von unter eigenem Namen auftretenden Autoren. Damit begünstigen sie Propaganda.

Quellen dazu nenne ich in diesem Republik-Kommentar.

Auch der Bundesrat hat 2017 darauf hingewiesen: "Durch Social Media wird die Manipulation der öffentlichen Meinung schneller, billiger, gezielter und anonymer möglich als in der Vergangenheit.".

Russlands Weg in die imperialistische Diktatur war seit der Besetzung der Krim und dem hybriden Angriff auf die Ostukraine 2014 erkennbar. Der Historiker Timothy Snyder hat ihn in "Der Weg in die Unfreiheit" 2018 detailliert nachgezeichnet.

Aber im öffentlichen Diskurs setzt sich die seriöse Analyse von Tatsachen nicht durch. Propaganda läuft viel besser.

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Aufmerksamer Leser
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Ich bin froh, dass es auch andere Kommentator:innen gibt, die Timothy Snyder erwähnen und sich damit der Globalität des Geschehens zuwenden - einfacher wird die Situation leider nicht… was geschieht mit unseren Kindern, unseren Enkel:innen?!

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Das mit den Werten ist so eine Sache: War vor dem Krieg eine weitsichtige, global tragfähige, der Solidarität verpflichtende Politik der EU, der USA und auch der Schweiz, an Taten gemessen, erkennbar? War nicht viel mehr eine stetige Profitmaximierung der multinationalen Konzerne, unter der Flagge von Nationalstaaten, die oberste Maxime? Die EU war nie eine politische Union, sondern das Gegengewicht an Wirtschaftsmacht gegenüber der USA und China. Ungarn und Polen haben wiederholt rechtsstaatliche Prinzipien verletzt, bevor sie nun mit der Aufnahme von Flüchtlingen die europäische "Wertgemeinschaft" stärken. Es wird sich noch weisen müssen, wie lange die "westlichen Werte" Bestand haben werden, in Anbetracht der Tatsache, dass immer mehr Menschen Mühe haben, ihren Bedarf an Grundnahrungsmitteln und Energie, infolge drastisch gestiegener Kosten, decken zu können. Die Verteilungsfrage ist nicht erst seit dem Krieg virulent. Es gäbe genug Kapital und Nahrungsmittel - deren globale Verteilung ist ein Desaster. Dieses System, in dem Superreichen immer mehr gegeben wird und Millionen von Menschen sich abstrampeln und trotzdem nie auf einen grünen Zweig kommen, ist der Ursprung dafür, dass auch im sogenannt reichen Westen faschistoides Gedankengut wieder salonfähig geworden ist. Viele Menschen glauben nicht mehr - auch in demokratisch und rechtsstaatlich organisierten Ländern - an die Veränderbarkeit eines Systems, das stets - wie gottgegeben - Superreiche und deren Günstlinge immer noch mehr bereichert, währenddessen Bürger lediglich dazu angehalten werden, diese Zustände demokratisch abzusegnen. Putin hat nicht zuletzt damit gerechnet, dass der westliche Zusammenhalt - aufgrund divergierender Wirtschaftsinteressen der EU - Staaten - zerbröseln würde. Die globalen Herausforderungen, wie Klimawandel, Flüchtlingsströme, demokratische, rechtsstaatliche Strukturen, sind nicht lösbar, wenn Kapital, Rohstoffe, Energie, Nahrung nicht gerechter verteilt werden.

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Fachperson
·

Die EU war nie eine politische Union

Die EU war immer ein politisches Projekt. Schon die EGKS diente gemäss dem Schuman-Plan von 1950 als Grundstein für die wirtschaftliche und politische Einigung westeuropäischer Staaten.

Bis zum 2. Weltkrieg haben Europas Nationen versucht, ihre Nachbarn zu beherrschen und zu Imperien heranzuwachsen.

Durch die EU haben die europäischen Staaten eine Friedensordnung geschaffen, in der Länder die Grenzen ihrer Nachbarn akzeptieren.

Diese Friedensordnung will Russland durch die Angriffe auf seine Nachbarstaaten zerstören. Russland will ein Imperium sein.

Wir haben seit 1990 vergessen, wie wertvoll und schützenswert Frieden ist. Jetzt lernen wir es wieder.

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Die EU war in manchen Krisen politisch unfähig, zu handeln. Natürlich ist sie auch ein Friedensprojekt. In erster Linie ist sie ein neoliberales Wirtschaftsprojekt geworden, das mit dem freien Personen- Dienstleistungs- und Kapitalverkehr den Konzernen exorbitante Gewinne verschafft. Gerade die Flüchtlingspolitik der EU - ukrainische Flüchtlinge ausgenommen - ist der Beweis für eine gnadenlose, menschenunwürdige Politik - ganz nach dem Motto, rette sich wer kann. Hierfür macht die EU Deals mit Erdogan, libyschen Clans etc. Die EU hat auch in Sachen Arbeitnehmerrechte Nachholbedarf.

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Ihrer Forderung nach gerechterer Verteilung kann ich zustimmen, mit der einseitig zynischen Darstellung des Westens kann ich wenig anfangen. Stimmt schon, da ist vieles im Argen und ich kann allen ihrer Punkten etwas abgewinnen. Aber man muss sich doch auch zugestehen: Wir führen wenigstens eine Debatte darüber. Im historischen und geografischen Vergleich der Gesellschaften schneiden wir extrem gut ab. Zynismus trägt doch nur dazu bei, dass - wie Sie schreiben - faschistoides Gedankengut wieder salonfähig wird. Ich finde Kritik berechtigt, aber pauschal all das Erreichte als wertefreie Profitgier abzutun, erscheint mir wenig hilfreich um eine positive Veränderung zu bewirken.

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Meine Ausführungen sind nicht zynischer Natur. Sie sind vielmehr ungeschminkt und weisen daraufhin, dass die Lobeshymnen auf die westliche Wertgemeinschaft, die nun allenthalben zelebriert wird, zu einem gewissen Teil verlogen sind. Ich gebe ihnen jedoch völlig recht, wenn sie schreiben, dass sie lieber in einer westlichen Demokratie leben möchten, als in einer russischen oder chinesischen Diktatur. Da haben wir einen Konsens.

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Und nicht zu vergessen: zeitgleich oder wenigstens rasch hinter der russischen Vorkriegsführung haben in den westlichen Ländern westliche Oligarchen/Superreiche mit beträchtlichen Mitteln rechtsextreme Parteien aufgebaut, mit unerträglicher Heftigkeit u.a. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geschürt und mit Pseudoproblemen grosse Anteile der Bevölkerung hinter sich geschart. Sie haben einen beängstigenden Kampf gegen die Demokratie und den Rechtsstaat geführt. Und sind immer reicher geworden. Alles durchaus Im Gleichschritt mit dem russischen Imperialismus. Viele ihrer mittelständischen und bürgerlichen AnhängerInnen teilen unbegreiflicherweise das Gedankengut.
Wie erfolgreich diese Superreichen weiter sein werden, wird man erst noch sehen.

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Ich möchte noch ergänzen, mit Mittelstand ist wohl in der Regel ökonomischer Mittelstand gemeint. Leider heisst dies noch lange nicht, dass diese Kreise zu solchen Analysen wie Herrn Binswanger und Herr Rebosura und gewisse KommentatorInnen in der Lage sind.
„Brot und Spiele“ und das eigene Portemonnaie sind leider zu vielen Menschen in den westlichen Demokratien doch am Nächsten (gewesen).
Wer versucht (hat) den politischen Extremen/Gedanken und deren einseitigen Entwicklungen entgegen zu wirken wurde/wird nur milde belächelt.
Dass meiner Ansicht nach immer extreme Initiativen teilweise in Salamiform in der Schweiz zur Abstimmung gelangen erachte ich als Ausdruck davon.
Unter extrem, verstehe ich reinen Partialinteressen dienend und die grösseren Zusammenhänge bewusst ausblendend oder nicht fähig diese zu durchdringen.
Ich erachte es als äusserst ungewiss, ob die westlichen Demokratien die Kurve kriegen oder auch ohne Aussengefahr sich selbst demontieren werden.

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Daniel Binswanger gelingt es auch heute, meine (und sicher nicht nur meine) Befindlichkeiten in Worte zu fassen und mit den beiden folgenden Aussagen zentrale Punkte anzusprechen:
„Erstens verträgt sich Kosten­optimierung um jeden Preis nicht mit strategischer Planung.“
„Zweitens ist es gewisser­massen das ideologische Fundament, auf dem die heutige Weltordnung ruht, dass Handels­beziehungen per se eine zivilisatorische Wirkung haben.“
Das röhrenförmige und kurzfristige Gewinn- und damit auch Machtstreben hat weite Kreise unseres gesellschaftlichen und politischen Denkens infiltriert. Die Krisen der Gegenwart wie aggressive Diktaturen, Umweltzerstörung, soziale und viele andere Probleme sind logische Folgen davon.
Handelsbeziehungen könnten meiner Meinung nach durchaus eine zivilisatorische Wirkung haben, wenn sie denn nicht durch dieses ausbeuterische Gewinndenken geprägt wären. In dem Sinne sind diese beiden Punkte eng miteinander verknüpft.
Welche Werte wollen wir verteidigen? Diese Frage ist sehr berechtigt. Und sehr dringlich.
Geschäfte machen um jeden Preis? Oder doch eher Menschenrechte und Solidarität?
Vermutlich werden wir wieder einmal abwarten und beobachten.

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Das Problem ist einfach. Leider niemand will es wahr haben. Gewinnmaximierung lässt kein Raum für strategisch denken. Wer Wachstum now und jetzt um jeden Preis sucht blendet strategische Gedanken aus, sie werden als Hindernisse für Wachstum und profit interpretiert.
Der Umgan mit Klimaproblematik ist auch ein klares Beispiel... Und bald wird man hilflos stehen wie jetzt bei 🇷🇺 🇺🇦 Konflikt. Ein Schritt zurück kann oft helfen stabiler zu stehen.

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Es ist halt zutiefst menschlich, unangenehme Wahrheiten lieber nicht zur Kenntnis zu nehmen. Der Meldeläufer der Spartaner, der die Nachricht der Niederlage seiner Leute nach Hause brachte, bezahlte das mit seinem Leben.
Mit der schleichenden Zerstörung der Natur gehen wir ja auch seit Jahrzehnten nicht viel anders um. Erst wenn die Folgen allzu offensichtlich werden, sind wir bereit, in homöopathischen Dosen darauf einzugehen.

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· editiert

Nehmen wir mal an, man hätte alles vorhergesehen und seit 2015 den Einkauf von Energie in Russland zurückgefahren. Was wäre passiert?
Putin hätte seinen Energieexport nach Osten also China, Indien usw. ausgerichtet. Damit wäre seine Kasse genauso gefüllt gewesen wie heute und der wirtschaftliche Preis für den Ukraine-Krieg wäre für Putin noch viel tiefer gewesen. Den Krieg hätten wir also noch mit viel höherer Wahrscheinlichkeit bekommen.

Das kontinuierliche Lamentieren vieler Journalisten über diese angeblich gemachten Fehler durch den Versuch mit Handel auch Wandel in Russland zu erreichen, ist schlicht nicht zu Ende gedacht. Sie sollten sich mal mit der Frage beschäftigen wie Demokratien entstehen. Die entscheidende Kraft ist immer das entstehen einer wirtschaftlich potenten breiten Bevölkerungsschicht, die schlussendlich politisch mitreden will und deswegen ihren Autokraten nicht mehr akzeptiert. Wandel durch Handel fördert genau die Entstehung dieser Schicht. Deswegen aber zu verlangen, das Handel durch Wandel garantiert sofort und alleine wirkt, ist schlicht zuviel verlangt. Eine weitere wichtige, begleitende Massnahme zum Handel durch Wandel ist zum Beispiel den Bewegungsfreiraum der durch die Autokratie entstehenden Sonnenkönige (Oligarchen) und ihres Geldes einzuschränken, in dem man es konsequent vom Wirtschaftskreislauf in Demokratien ausschliesst. Gerade die Schweiz, aber nicht nur diese, hat hier viel Handlungspotential.
Übertragen wir dies mal auf Russland, dann hätte man nach der Krim-Annexion, eben nicht mit Wirtschaftssanktionen die russische Mittelschicht und damit deren Kraft zur Erneuerung des Landes von Innen schwächen sollen, sonder nur konsequent die Oligarchen vom Wirtschaftskreislauf in den demokratischen Ländern ausschließen. Wahrscheinlich würde dann heute kein Putin mehr in Russland regieren und es gebe auch keinen Ukrainekrieg, welchen übrigens auch der heutige Präsident der Ukraine nicht hat kommen sehen.
Übertragen wir diesen Ansatz auf andere Länder wie z. B. Saudi-Arabien und Katar, sollten wir uns mal zügig mit deren Sonnenkönigen beschäftigen. Heute rollen wir diesen genauso wie früher den russischen Oligarchen den roten Teppich aus, obwohl sie genauso morden (Kashoggie um nur ein Beispiel zu nenen), ihre Bürger unterdrücken und Kriege führen, nur halt nicht bei uns.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe(r) Anonymus, in manchem würde ich Ihnen zustimmen. Die Schweiz hätte da tatsächlich viel Handlungspotenzial gehabt, das leider nicht genutzt wurde. Auch ist es richtig, dass Russland seine Rohstoffe auch an andere Länder hätte verkaufen können. Allerdings wohl nicht so viel und nicht zu denselben Preisen. Vor allem aber: Wenn sich Europa nicht so abhängig gemacht hätte von russischen Rohstoffen, hätte es auch schneller und entschiedener reagieren können. Das wäre schon ein sehr beträchtlicher Unterschied zu heutigen Situation. Dass wir jetzt ausweichen müssen, auf Öl und Gas aus dem Golf ist sicher nicht unproblematisch, aber im Vergleich immer noch sehr viel annehmbarer. Herzlich, DB

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Lieber Herr Binswanger, danke für ihr Feedback. Ich kann Ihnen auch in vielem zustimmen. Der Schlüssel wäre eine schnellere Energiewende gewesen. Damit hätten man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Mehr Klimaschutz und weniger Abhängigkeit von autokratischen Ländern. Hoffen wir die Energiewende kommt nun schnell, dann hat dieser Krieg, wenigstens einen positiven Nebeneffekt.

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Handel durch Wandel fördert genau die Entstehung dieser Schicht. Deswegen aber zu verlangen, das Handel durch Wandel garantiert sofort und alleine wirkt, ist schlicht zuviel verlangt. Eine weitere wichtige, begleitende Massnahme zum Handel durch Wandel ist zum Beispiel den Bewegungsfreiraum der durch die Autokratie entstehenden Sonnenkönige (Oligarchen) und ihres Geldes einzuschränken, in dem man es konsequent vom Wirtschaftskreislauf in Demokratien ausschliesst.

Sie meinen Wandel durch Handel?
In Friedenszeiten das Geld einer gut bestückten Käufergruppe konsequent vom Wirtschaftskreislauf in Demokratien ausschliessen: wie stellen Sie sich das in der Praxis vor? Was meint der grossspurige Satz: wir sollten uns mal zügig mit deren Sonnenkönigen beschäftigen?
Eine gut lesbare Zusammenfassung mit Praxisbezug zu Wandel durch Handel, wenn auch mit etwas viel patriotischem Selbstlob (das können nicht nur wir Schweizer), liefert die WirtschaftsWoche vom April 22.

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Danke für den Hinweis auf den Verschreiber. Ja, genau diese Gruppe nd ihre Entcourtage ausschließen. Das machen wir mit den Sanktionen gegen einige Oligarchen ja jetzt auch. Warum soll es nicht vorher gehen? Keine Visa, keine Investitionen in Unternehmen, keine Firmengründungen, keine Bankkonten usw. Das geht sehr gut.

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Ich kann der hervorragenden Analyse von Anonymus7 nur beipflichten. Wenn die CDU in Deutschland (noch) nicht darauf gekommen ist, die Sache aus dieser Perspektive zu sehen, dann wohl nur deshalb, weil den Mittelschichtsparteien ihr Kompass abhanden gekommen ist.
Trotz allem bleibt ein Rest an Zweifel an obiger Analyse: Würde eine westliche Politik, die auf die Sonnenkönige ausgerichtet ist, z. B. auch in China oder Iran wirken? Wohl kaum.

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Wissen Sie denn auch, ob Putin gleich viel Energie in den Osten hätte liefern können? Wenn das so wäre, wieso hat das Putin nicht schon vorher gemacht? Schliesslich war es ja auch nicht in Putins Interesse, vom Westen abhängig zu sein.

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Einfache Rechnung, der Energieverbrauch wäre ja gleich, der Westen hätte irgendwo anders gekauft, also hätte der Osten irgendwo anders kaufen müssen. Putin hätte die notwendigen Strukturen, die er jetzt auch schaffen muss, einfach früher geschaffen.

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Eine dermassen einseitige Schuldzuweisung ohne Sicht auf die Strategie und die Rolle von USA und NATO ist bei der Bewältigung des schrecklichen Krieges kaum hilfreich.

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Ja, die Machtblöcke spielen alle ihr eigenes Spiel .... nur sind wir Schweizer mit all diesen Blöcken zu tiefst verstrickt, leben mitten in Europa und sollten nun endlich Farbe zu Europa bekennen, bevor wir nicht als unbedeutender weisser Fleck enden .... Unsere (Handels-) Beziehungen sind europäisch ausgerichtet.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr Sigrist. Ihren Andeutungen ist nicht einfach zu entnehmen, in welche Richtung die Kritik zielt. Sie sind also der Ansicht, dass die USA und die Nato den Krieg mitverschuldet haben? Weshalb? Die Osterweiterung? Die Militärhilfe an die Ukraine? Sie gehen also davon aus, dass Russland sich zurecht bedroht fühlte? Herzlich, DB

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Danke für Ihre stets fundierten Beiträge. Re: Wandel durch Handel könnte man auf Sismondi vs. Marx zurückgehen. Eine Analyse der Blindheit gegenüber russischer Agressionen bringt auch Binswangers Artikel nicht wirklich. Verhalten und Haltung
von Medien und Politikern hat m. E. viel mit der Zerstörung der Agora, der vernünftig debattierenden) Öffentlichkeit, durch unheilvolle Polarismen, Moralismen, und mit
der Abschaffung aufklärerischer Positionen bei Diskussionen zu tun. Wir stritten uns
um unsere Torten und wollten uns nicht um die Suppen fremder Opfer kümmern.
Opfer kümmern.

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Wir haben die Monster gezüchtet. Ganz nach dem Muster von Max Frisch: Herr Biedermann und die Brandstifter.
Und der Monster gibt es nun viele.
EDIT: TRIGGER-WARNUNG: Mein initialer Beitrag hat durch die Umdeutung in Richtung "Stigmatisierung" eine dermassen gehässige und von der ursprünglichen Aussage weit entferntes Dimension angenommen, dass ich mir überlegt habe, diesen Beitrag zurückzuziehen.
Stattdessen bitte ich die Kontrahent*innen, ihr Hickhack, das dem Beitrag die in diesem Fall zweifelhafte Ehre der "meisten Antworten" gebracht und einige Eingriffe der Moderation notwendig gemacht hat, einfach mal abzustellen.

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Leserin
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Ich muss beim täglichen Stigmastudium mehr an den Juden von Andorra denken.

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Frau Horlacher hat ihren Standpunkt und ihre Perspektive in früheren Diskussionen klar gemacht: Es ist eine deutlich russische Sicht, welche zwar Diskussionsbereitschaft und Differenzierung vorgaukelt, schliesslich aber nur russische Argumente gelten lässt und für die realen Begebenheiten im Grundsatz nichts übrig hat.

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Hm? Wer wird stigmatisiert?

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Ich hätte nicht gedacht, dass meine initiale Bemerkung zu Max Frisch: Herr Biedermann und die Brandstifter eine derartige Monsterdebatte (meiste Antworten) auslösen würde, die nur lose mit meinem Beitrag verknüft ist. Nach Worten wie Blockwart und Denunziation war ich versucht, meinen Beitrag zu verbergen, dann wäre die "Tschau-Sepp"-artige Verschiebung vom Biedermann-Stück auf die "Andorra"-Thematik am Anfang gestanden.
Wie ich leider früher schon feststellen musste: Diskussionen können mit einer Kaskade von Fragen und Behauptungen regelrecht entführt werden, die ursprüngliche Aussage bleibt dann auf der Strecke.
Danke noch an Katharina Hemmer (Community+) für die Interventionen bei den fragwürdigsten Beiträgen.

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· editiert

Als an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldige Person: Ich teile Ihr Bedauern durchaus.

Aber genauso bin ich es leid, wenn gewisse Foristinnen (und Foristen) in immer gleichen Diskussionen immer wieder aufs Neue auf ihre immer unveränderten Glaubensätze entblättert werden müssen, damit Dinge wie „Andorra statt Biedermann“ verständlich werden.

Deshalb meine Intervention gleich zu Beginn. Sorry!

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Interkultureller Coach
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Lieber Herr Binswanger, es geht nicht um Demokratie, nicht um Wandel durch Handel, sondern um Menschenleben. Im Augenblick noch in der Ukraine, aber vielleicht schon bald in Europa und bei uns. Vielleicht werden wir wie im 2. WK abgeschottet im Überlebensgefängnis verschont. Für mich war das Tessin damals unsere Riviera – das höchste aller Gefühle.
Die isolierte Darstellung des Krieges in der Politik, den Medien und damit die Beeinflussung der öffentlichen Meinung wird zur Eskalation und Ausweitung des Krieges in Europa führen. Die Nato und damit auch Deutschland befinden sich durch die Lieferung von Waffen und Ausbildung der ukrainischen Soldaten schon im Krieg. Die Ausweitung erfolgt durch den Westen, nicht durch Russland.
Der Weg zum Waffenstillstand und Frieden ist die korrekte Darstellung der historischen Ereignisse, die zu diesem Krieg geführt haben. Dieses bedeutet eine Abkehr von der einseitigen Darstellung, mit Schuldzuweisungen, dem Vertiefen von Vorurteilen und Stereotypen, dem Etikettieren von Menschen und Ländern, die nur eine Minorität wirklich kennt – einschliesslich der Journalisten. Dies ist notwendig, damit wir wieder normal denken können und damit dialog- und verhandlungsfähig werden. Dies wäre eine menschliche und journalistische konstruktive Aufgabe für die Republik. Der Weg zum Waffenstillstand und Frieden. Wann fangen Sie damit an?

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Guten Tag Herr H., mich würde interessieren, ob sie auf Seiten der russischen Führung denn im Moment das Interesse an einem Waffenstillstand, den sich sicherlich die meisten wünschen, erkennen können oder, falls nicht, welche Voraussetzungen dafür notwendig wären?

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Interkultureller Coach
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Ich denke ja, wenn wir aufhören auf Putin und die Russen einzuprügeln und auch Selenskyi davon überzeugen können, in einen Waffenstillstand einzuwilligen. EU und NATO haben die Macht dazu.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
·

Lieber Herr H., ich entnehme Ihrem Kommentar eine Kernaussage: "Die Ausweitung erfolgt durch den Westen nicht durch Russland". Hat die Ukraine Russland überfallen? Haben die Ukrainer auf russischem Territorium horrende Kriegsverbrechen begangen? Haben die Ukrainer, bzw. der Westen an der Grenze zu Russland eine riesige Invasionsarmee zusammengezogen? Bedroht der Westen Russland mit Atomschlägen? Stellt die Ukraine eine Bedrohung für die Integrität des russischen Territoriums dar? Herzlich, DB

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(durch User zurückgezogen)
Realist
·

Wieso heute so zynisch Herr R.?

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Sie haben recht. Deplatziert. Ich ziehe den Beitrag zurück.

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Was die Weltlage für privilegierte Westeuropäer schwer zu ertragen macht, sind nicht nur die Schreckensnachrichten und Zerstörungsbilder aus der Ukraine (an absolut gleichwertigen war auch in den vergangenen Jahrzehnten keinerlei Mangel), sondern beispielsweise auch der auf Schiessscharten-Dimension verengte Blick eines Ukraine-Journalismus à la Daniel Binswanger. Mir ist bei der heutigen Morgenlektüre ein Satz aus der «Republik» vom 15.4.22 eingefallen: «Journalistinnen müssen speziell auf der Hut sein, um nicht in die Confirmation-bias-Falle zu tappen: Wer mit einer vorgefertigten These an ein Thema herangeht, läuft Gefahr, vor allem dort zu recherchieren, wo sich diese am ehesten bestätigen lässt.»
Glenn Greenwald lesen könnte helfen gegen eine Überdosis Anne Applebaum/Fiona Hill, aber auch fast jeder Wikipedia-Artikel zum Themenfeld Ukraine, Nato-Osterweiterung, etc. bringt mehr.

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Schwierig, von den herausragenden und gescheiten Artikeln und Analysen Anne Applebaums und T. Snyders eine Überdosis zu kriegen. Besser und kompetenter geht nicht. Da kann ich mir Glenn Greenwald gerne schenken.

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Naja, manchmal wird warnenden Stimmen auch zeitig Glauben geschenkt und es werden Konsequenzen gezogen: Die befürchtete Apokalypse ausgelöst durch den Y2K-Bug hat nie stattgefunden.

In einer Retrospektive schreibt die Washington Post dazu:

Die Gefahr konnte abgewendet werden dank einer Expertengruppe, die das Problem erkannten, es den federführenden Akteuren übermittelten und diese dann tatsächlich den Experten zuhörten. Zwanzig Jahre später können wir mit Spott auf Y2K zurückschauen, nicht, weil Y2K ein hoax war, sondern weil die Beteiligten die Gefahr ernst nahmen und etwas dagegen unternahmen - eine Lehrstunde, wie wir eine Fülle heutiger Probleme angehen könnten.

Natürlich sind rein technologische Probleme einfacher anzugehen als ganze Gesellschaftsstrukturen. Trotzdem sollten wir uns bewusst sein, dass über die meisten Krisen gar nie berichtet wird - weil sie frühzeitig und ohne grosses Aufheben angegangen wurden.

Mit Putin haben wir es echt verkackt. Aber das soll nicht heissen, dass wir nicht auch anders könnten.

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Demokratie-Fan
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Gedankenexperiment: Nehmen wir an, wir hätten in der Schweiz vor 20 Jahren entschieden, 4 Werte nicht nur innenpolitisch, sondern auch aussenpolitisch konsequent umzusetzen: Beachtung der Menschenrechte, Demokratieförderung, Pressefreiheit und Umweltschutz. Für jeden dieser Werte gibt es wohl einen Index, und wir hätten festgelegt, dass wir nur ab einem mittleren Wert, der plusminus ok ist bzw eine positive Entwicklung aufweist, mit einem anderen Land Handel treiben. Dadurch hätten wir zB auf bilaterale Handelsverträge mit einigen Ländern verzichtet, Zölle auf Waren erhoben aus diesen Staaten, Steuern auf umweltschädigende Dienstleistungen und griffige Gesetze gegen Geldwäsche erlassen, ein Konzernverantwortungsgesetz geschaffen, etc (ich bin nicht Ökonomin, weiss nicht, was rechtlich genau möglich ist).

Wie sähe die CH heute aus? Würde sowas überhaupt funktionieren, so als Insel in Europa? Wären wir nicht mehrheitlich ein Volk von durchschnittlich gut Situierten, die zusehen, wie sich der Rest Europas bzw der Welt mit billiger Elektronik amüsiert, billig reist, billig einkauft, das grosse Geschäft mit den Schönen und Reichen macht?

Ich finde die Diskussion hier sehr spannend, aber mir fehlt konkret, wie denn die Alternative aussähe bzw. ausgesehen hätte (Ginge das überhaupt, den Firmen das Handeln mit China verbieten, wenn es doch alle tun?) Und ob dieses werteorientierte Verhalten und Wirtschaften wirklich von einer Mehrheit der Schweizer:innen mitgetragen würde…bin mir da nicht so sicher. Das Primat der Ökonomie sitzt so tief in uns, Geiz ist so geil, wir sind doch nicht blöd….ich bin hier etwas pessimistisch. Vermutlich geht so etwas nur, wenn man das gemeinsam macht, alles gesamteuropäisch, und genau das will die CH ja nicht…

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe Frau B., vielen Dank für diesen Kommentar, der mir sehr berechtigt erscheint. Was könnte die Schweiz ausrichten? Gute Frage. Und gäbe es dafür überhaupt eine Mehrheit? Noch berechtigtere Frage. Aber es gibt, heute mit neuer Dringlichkeit, das Gegenargument: Offensichtlich ist die Vogelstrauss-Politik nicht nachhaltig. Sie hat einen Beitrag geleistet, uns heute massive Probleme zu bereiten. Und sie wird international sehr viel weniger Akzeptanz erfahren. Ein bisschen mehr Aussenhandels-Ethos könnte auch einfach eine Forderung des Pragmatismus sein. Und dann vielleicht auch mehrheitsfähig werden. Herzlich, DB

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Realist
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Besten Dank Daniel Binswanger für diesen guten Beitrag. Diese Aussage würde ich doppelt unterschreiben:

Man hätte es wissen können, wissen müssen – und hat dennoch nicht reagiert. Woher die verblüffende Passivität, mit der die freie Welt sich quasi in Geiselhaft hat nehmen lassen? Diese Frage dürfte einen wesentlichen Beitrag leisten zur heutigen Verstörung. Wie konnten wir unsere fundamentalsten Grundwerte so blind und leichtfertig preisgeben?

Der Mensch strebt stets nach Orientierung. Durch den Epochenbruch in der Ukraine ist diese nun aber fundamental abhanden gekommen, zumindest in weiten Teilen der "westlichen Demokratien". Lebenslang gehegte Gewissheiten haben sich fast über Nacht in Luft aufgelöst, wegschauen ist unmöglich geworden. Vor diesen Hintergrund ist es eigentlich verständlich dass es nicht allen Menschen gleich gut gelingt die neue Realität zu erkennen, sie anzunehmen und seinen eigenen Kompass und damit auch sein Handeln neu auszurichten. Dieses Phänomen ist nicht nur in der breiten Bevölkerung zu beobachten, sondern auch beim politischen Spitzenpersonal. Wie soll es auch anders sein?

Der gerade vom Westen besonders häufig geäusserte Wunsch nach einem raschen Kriegsende ist da nur allzu verständlich (so ganz aktuell der deutsche Kanzler Scholz nach seinem gestrigen Telefonat mit Putin https://twitter.com/Bundeskanzler/s…et%3DTweet). Wer würde da nicht zustimmen wollen?

Allerdings darf es kein Kriegsende um jeden Preis geben, nur damit wir uns wieder wohlig zurückziehen können. So darf es in meinen Augen unter keinen Umständen zu einem Diktatsfrieden nach der Feder Putins kommen. Leider stimmen mich allerneuste Signale die es diesbezüglich gibt aber nicht gerade positiv. So hat anscheinend Macron Zelensky vorgeschlagen, dass die Ukraine einige Gebiete an Russland abtreten solle, um Putin eine gesichtswahrende Option zu bewahren. Man muss sich dies mal vorstellen.

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Realist
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Ich habe null Probleme mit den Downvotes. Sollte es aber welche darunter haben die auf meine Bemerkung betr. dem Diktatfrieden zurückzuführen sind, würde mich dies allerdings schon sehr interessieren.

Wer wagt sich aus der Deckung?

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Enarchist & Anfänger
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Fundamentale Krisen verlangen fundamentale Antworten: Wir sollten wir endlich die Frauen regieren lassen.
Vorsorgen für den nächsten Winter und nicht für einen irren Atomkrieg. Schauen, dass alle genügend zu Essen haben und täglich Gemüse statt täglich Fleisch auf den Teller bekommen. Nachbarn aushelfen, wenn dort an etwas Mangel herrscht, statt endlos Vorräte bunkern. Vernetzen, vernetzen, vernetzen. Und Männer dort einsetzen, wo sie etwas taugen und nicht allzuviel Schaden anrichten: im Brückenbau, zur Energiegewinnung, als Kapitäne von hübschen gelben U-Booten oder als Guides auf Abenteuerspielplätzen.

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Bin mir hier nicht sicher, ob Sie das witzig oder ernst meinen. Einverstanden, dass mehr Mitgefühl und Vernetzung in die Politik gehört. Diese Eigenschaften aussschliesslich Frauen zuzuschreiben, während Männer «nur» als Lastenträger oder Führungspersonen gelten, sind doch aber genau die Klischees, von denen wir uns verabschieden möchten. Ihr Vorschlag spielt in meiner Wahrnehmung Frauen gegen Männer aus. Statt anzuerkennen, dass die körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern für die allermeisten gesellschaftlichen Funktionen keine Rolle spielen.

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Enarchist & Anfänger
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Ich denke, Männer in Führungspositionen und Männer mit grossem Budget sind verantwortlich für die aktuelle Lage, in der wir alle stecken. Das sind nicht alle Männer, aber sehr viele rennen mit, wenn einer herumkommandiert.
Was wäre so schlimm daran, wenn grundsätzlich Frauennetzwerke über Finanzen und Macht verfügen würden?

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Realist
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Gerüchte dass Putin ernsthaft erkrankt ist gibt es ja schon länger, jetzt bringt aber auch der Independent eine entsprechende Story https://www.independent.co.uk/news/…78931.html also ist vielleicht wirklich was dran.

Wer weiss, allenfalls ergeben sich dadurch bald neue, unerwartete Entwicklungen. Hoffentlich zum Wohle aller beteiligten Parteien.

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"Wandel durch Handel" hat immer gewirkt, Herr Binswanger. Seit mindestens einer halben Million Jahre. Man hat immer wieder versucht, dagegen Mauern zu bauen. Vergebens. Als der Handel sich auf Waren beschränkte, war es etwas einfacher. Heute ist der immaterielle Handel (Internet, social media) nicht aufzuhalten. Ulbrichts Mauer (Putins nostalgische Vergangenheit) hielt gerade 30 Jahre. Putins neue Mauer (wo immer sie auch stehen sollte) würde aus taktischen A-Bomben bestehen. So was illusorisches.

Unvorhersehbar ist die menschliche Faktor - und der Zufall.

Purer Zufall rettete Hitler beim Bierhalleputsch. Hitler liebte Karl May, und baute diese Ideen in seine Ideologie ein. Unter Hitler wurde der Nazionalsozialismus zur "extrem verselbstständigten Ideologie" (H A Winkler).

Wilson, House, und Lloyd George verpassten die Chance, im Dezember 1916 den "Frieden ohne Sieger" zu verwirklichen. Hier war es Hybris des Amateurismus, aber auch innenpolitische Ambitionen.

Der Ukraine-Konflikt zeigt die Grenzen der kurz- uns längerfristigen Profetik. Wer gesterns Propheten schleift, um sich an deren Stelle zu setzen, muss mit dem gleichen Schicksal rechnen.

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Realist
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Im Falle Russlands eben gerade nicht. Ich kopiere hier nochmals meinen diesbezüglichen Kommentar an Anonym 5 rein im Dialog zum vorletzten Beitrag von Daniel Binswanger https://www.republik.ch/2022/05/07/…schreckung

Zugespitzt: Wandel durch Handel hat bspw. den Grossteil der deutschen Politik davon abgehalten Putin und und seine Schergen früher als das wahrzunehmen was sie sind. Warnungen gab es schon lange mehr als genug, man wollte sie bloss nicht hören.
Trotzdem wurde dann 2015 Nordstream 2 mit viel Brimborium gestartet, notabene ein Jahr nach der Krim-Anektion. Welcher Wahnsinn. Rückblickend.

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Wandel durch Handel ist ein soziales Phänomen. Es gilt nicht obligat für jede Person, überall, oder zum gleichen Zeitpunkt. Der menschliche Faktor sowie der Zufall kommen in die Quere. Oft mit grässlichen Resultaten. Das habe ich genug belegt. Lesen's nach.

Auch gehen Sie vom Dogma aus: Kriminell heute, ergo war er immer schon kriminell. Menschen wandeln sich kontinuierlich. Woher nehmen Sie solche Annahmen?

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe(r) Anonym 2, ich glaube nicht, dass man sagen kann, Wandel durch Handel habe immer gewirkt. Was gewirkt hat, ist Handel. Ja, überall dort wo Zivilisationen und potentielle Handelspartner zusammentreffen, gibt es einen Anreiz für Austausch, und in der Regel wird er stattfinden. Was damit nicht inhergehen muss, ist die Erwartung dass dieser Austausch eine ideologische Harmonisierung nach sich ziehe. Diese Erwartung ist aber das Fundament einer "glücklichen" Globalisierung. Und da haben wir jetzt ein Problem. Herzlich, DB

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Lieber Herr Binswanger, danke herzlichst für die Antwort, aber wir sprechen von unterschiedlichen Dingen.

"Wandel durch Handel" ist, am einfachsten, ein physikalisches Gesetz. Will man zwei Konzentrationen (oder verschiedene Flüssigkeiten) auseinanderhalten, muss man sie durch eine Wand trennen - undurchlässig oder nur semi-permeabel (Osmosis).

Putin ist sich selber - und uns schuldig - wie und wo er eine solche "Trennwand" auf dem Kontinent aufrichten will, um das "separate but equal" zu erreichen. Kennan (containment) and auch Acheson (roll-back) wussten von der Instabilität. Stalin und Ulbricht erleichterten ihnen die Aufgabe, indem sie die Mauer bauten. Ein solches "Entgegenkommen" ist heute nicht die Absicht des Westens. Klar, Putin kann seine Tanks bis nach Brest fahren lassen - er bliebe im Verkehr stecken.

Was Sie ansprechen ist die neoliberale Mär, "Wandel durch Handel" genüge zur sofortigen Selbstorganisation der nun vermischten Flüssigkeiten. Aka as "trickle down theory." Oder die Regan es schön sagte: "Der Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem."

Die Biologie zeigt, dass selbstorganisierte Strukturen eigentlich möglich wären - wir nennen sie das Leben. Solche Strukturen (und Individuen) haben keinen Bestand. Und das Zustandekommen braucht unendlich viel Zeit, sehr viele kleine Schritte, und spezielle Umstände. Politisch kaum zu schaffen... aber nicht schlicht unmöglich (mir käme so ein Fall in den Sinn).

Wie die "robber cave experiments" der 50er Jahre gezeigt haben, ist diese Selbstorganisation möglich, aber die Situation müsste ein übergeordnetes "gemeinsames Interesse" offenbaren. Und es ist unsicher, ob dies jenseits der Dunbar Zahl gilt.

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Herr Binswanger meint, wir hätten es wissen müssen, luzide Expertinnen hätten es erläutert. "Man hätte es wissen können, wissen müssen – und hat dennoch nicht reagiert. Woher die verblüffende Passivität, mit der die freie Welt sich quasi in Geiselhaft hat nehmen lassen?" Geißeln wir uns ein wenig, ziehen wir das Cilicium straff, unterwerfen wir uns und werden wir gefügig, denn darum geht es doch.
Übrigens: nicht die ganze freie Welt ist in Geiselhaft, lieber Herr Binswanger. Z.B. die amerikanische Energiewirtschaft freut sich ob der hohen Preise und weigert sich, den Markt mit größeren Fördermengen kaputt zu machen, und auch Herr Putin freut sich über steigende Einnahmen trotz sinkender Förderleistung.

Trotz der "luziden Expertinnen" glaubte ich nicht an einen russischen Einmarsch, sondern dachte, Putin revanchiere sich für die großen NATO-Manöver an den russischen Grenzen. Statt auf Herrn Binswanger (wussten Sie es schon Mitte Februar 2022?) oder die US-Geheimdienste (Brutkasten-Babys, irakische Massenvernichtungswaffen etc. etc.) stützte ich mich auf Herrn Wolodimyr Selenskji ab, nicht gerade ein "Putinversteher". "Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich angesichts der US-amerikanischen Warnungen vor einer möglichen russischen Invasion verwundert gezeigt. Falls es Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch gebe, solle man diese liefern. Selenskyj kritisierte auch westliche Journalisten". Das sagte er in einer Medienkonferenz vom ca. 12. Februar. Zu Herrn Binswangers Experten äußerte er sich nicht.

Ich erinnere mich an diese Berichte und suche sie jetzt. Und finde sie nirgends mehr außer beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, das eine seriöse Quelle ist. Interessant, dabei lese ich eigentlich FAZ, Spiegel etc. https://www.rnd.de/politik/ukraine-…2D5MM.html

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr O., nein ich hätte den Einmarsch ganz bestimmt nicht prognostiziert. Aber ich verstehe nicht, was genau Sie sagen wollen. Die amerikanische Öl-Industrie freut sich? Unzweifelhaft. Die Waffenproduzenten auch. Dennoch ist der Ukraine-Krieg eine Katastrophe. Für die USA, für Europa, für Russland, für alle Beteiligten. Und inwiefern machen wir uns gefügig, wenn wir denunzieren, dass wir kurzsichtig gehandelt haben? Selenskyj hat das Risiko eines Einmarsches in der letzten Phase heruntergespielt, richtig. Er dürfte dafür seine taktischen Gründe gehabt haben. Mit der Frage eines generellen strategischen Versagens seit 2014 sollte man das aber nicht vermengen. Herzlich, DB

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Gab es die warnenden Stimmen? Die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja äusserte sich im März 2004 in Genf. Also, nochmals das Jahr, in dem sich Politkowskaja äusserte, in der Wiederholung: 2004. Der Filmemacher Eric Bergkraut hat in seinen Notizen nachgeschaut.

https://www.woz.ch/-c376

Empfehlenswert ist der Bergkraut-Film "Letter to Anna"

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr B., vielen Dank für diesen Hinweis. Ja, da haben Sie natürlich recht. Der erste Hinweis war der zweite Tschetschenien-Krieg, und in der Folge die kompromisslose Denunzierung von Putins Agieren und schliesslich ihre Ermordung. Und ja, kritische Dokumente wie der Film von Eric Bergkraut haben diese Stimmen in die westliche Öffentlichkeit getragen - und wurden ebenfalls nicht gehört. Herzlich, DB

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Immer die selbe Leier. Wir hätten es wissen müssen, wir hätten den richtigen Warnern zuhören sollen. Ob in der Pandemie oder jetzt im Kriegsgeschehen finden sich immer Journalisten welche es im Nachhinein besser gewusst haben.
R. P. bringt es auf den Punkt!
Wichtig ist, dass wir nun alle Kräfte für die kommenden Ereignisse freimachen.
Journalisten müssten sich endlich vermehrt den unsäglichen Agressorenverstehern und deren Parteien annehmen und hier offen gegen eine Stimmungsmache welche unsere Demokratie angreift Stellung beziehen.

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Aufmerksamer Leser
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Die vielleicht aufschlussreichste, leider auch schwergewichtigste Lektüre: Timothy Snyder - Der Weg in die Unfreiheit

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Realist
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Da habe Sie wohl Recht, vielen Dank für den Hinweis. Die Republik hat dieses Buch allerdings bereits diesen März behandelt, https://www.republik.ch/2022/03/12/…faschismus
Hier ein Auszug aus dem damaligen Beitrag von Daniel Biswanger:

Es ist die Gesamtheit dieser Konflikte, die in der Ukraine ausgetragen werden. «Russlands Invasion der Ukraine im Jahr 2014», so Snyder, «war ein Test für den Realitäts­sinn der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten.» Wir haben ihn nicht bestanden – und zahlen dafür den Preis.

Erwähnen möchte ich zudem diesen ebenfalls sehr lehrreichen Vortrag des erwähnten Timothy Snyder aus 2017 https://www.youtube.com/watch?v=OTJwCCAF2lA - aus der Beschreibung:

Timothy Snyder mit einem beeindruckend eindringlichen Appell an Deutschland, das sich seiner Rolle als ehemaliger Hegemonialmacht bewusst werden muss. Wer bereit ist, die Ukraine der russischen Einflusssphäre zuzuschlagen und ihr die Rechte eines souveränen Staats abspricht, fällt in imperiales Denken zurück und verrät die Prinzipien der europäischen Friedensordnung, die auf der gleichen Souveränität aller Staaten aufbaut. Timothy Snyder hielt diesen Vortrag am 20. Juni 2017 auf dem Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion zur historischen Verantwortung Deutschlands für die Ukraine.

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Hörenswert:

In „phoenix persönlich“ spricht Inga Kühn mit dem langjährigen Moskau-Korrespondenten der ARD, Udo Lielischkies über die Ziele Wladimir Putins, Fehler des Westens, Unterstützung für die Ukraine und über die Frage, wie groß der Rückhalt für Wladimir Putin in der russischen Bevölkerung ist.

https://www.phoenix.de/sendungen/ge…49194.html

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Dieser Beitrag ist zumindest deutlich besser als der letzte und besonders der Schluss ist gelungen: denn haben wir überhaupt noch Werte und haben wir überhaupt gemeinsame Werte?

Zu CH und NATO: der Beitritt wäre eine Makulatur, solange die CH das Geld von Kriegsverbrechern weltweit wäscht und versteckt, solange kann man nicht von moralischen Werten sprechen. Das moralische dilemma liegt bei der CH also ganz woanders und es muss zuerst an der Wurzel angegangen werden. Sonst bleibt nur viel Heuchelei.

Zu DEU und Öl/Gas: Ein Klumpenrisiko ist immer dumm, aber gekauft hätte es sonst jemand anders, also finde ich den immer wieder gemachten Vergleich dass DEU allein hier die kriegskasse für RUS gefüllt hat und den Krieg erst ermöglicht hat total überzogen und stark vereinfacht, auch intellektuell nicht ausgereift. Was stand denn sonst zur Wahl im Land mit den mit am höchsten Steuern und Abgaben? Fracking gas aus USA oder Öl von der arabischen Halbinsel, um Jemen noch mehr auszubluten? Man muss auch die Transportwege bedenken. Keiner möchte jetzt das gesparte Geld zurück geben - also ist es wohl auch nicht ernst gemeint sich darüber zu echauffieren. Immerhin kommt die Energiewende jetzt deutlich schneller durch den Krieg, nur leider Hals über Kopf. Deutschland muss sich hier nur vorwerfen das im 1. Semester BWL gekehrte Klumpenrisiko nicht beachtet zu haben und die erneuerbaren Energien nicht früher und durchdachter vorangetrieben zu haben.

Zu den Experten: nicht nur haben einige wenige Experten richtig gelegen (kann auch Zufall sein, die meisten sind eh biased), sondern Putin selbst hat den Krieg angekündigt- angefangen mit seiner Rede 2007 bei der MSC. Auch seine Worte wurden nicht beachtet. Hier muss sich der Westen Arroganz und Dekadenz vorwerfen lassen, berechtigterweise. Was natürlich putins Propaganda in die Hände spielt, da der Westen die Schuld abschiebt und nur sagt wir waren blind. Er sagt nicht: wir waren blind und arrogant.

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