So macht Überwachung Spass
Sie finden Cookie-Banner, Abwesenheitsnotizen oder das Nachrichtendienstgesetz nervig und langweilig? Dann legen wir Ihnen unsere musikalisch vertonten Versionen ans Herz, die zeigen: Auch Mikroaggressionen können lustig sein.
Von Adrienne Fichter (Text), Patrick «Karpi» Karpiczenko (Text und Musik) und Lisa Rock (Illustration), 10.04.2024
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Seit einigen Monaten begrüssen sie uns von allen möglichen Websites: die Cookie-Banner. Mit dem Inkrafttreten des neuen Schweizer Datenschutzgesetzes im September 2023 wurden sie zwar nicht obligatorisch. Dennoch sind Webseitenbetreiber damit auf der sicheren Seite. Seither informieren uns die kleinen, aufdringlichen Infoboxen darüber, wie unsere persönlichen Daten ausgewertet werden, damit man uns dann die passende Werbung ausspielen kann. Einige dieser Banner machen uns dabei glaubhaft, das sei alles zu unserem Besten – mit Titeln wie «Ihre Privatsphäre ist uns wichtig».
Besonders wichtig scheint unsere Privatsphäre den Schweizer Medienverlagen zu sein. Sie sind so begeistert von den Daten ihrer Leserinnen, dass sie diese gleich noch mit 800 «Partnern» teilen. (Wer nun an eine polyamouröse Beziehung denkt, liegt nur so halb richtig: Gemeint sind Werbefirmen.)
Diese und weitere interessante Details stecken in den trockenen Texten von Cookie-Bannern, die normalerweise kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Doch es geht auch anders: Damit die Datenvermarktungsprosa die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhält, haben das Theater Neumarkt und wir den Satiriker Karpi damit beauftragt, das Cookie-Banner des «Tages-Anzeigers» mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz musikalisch zu vertonen. Der Prompt – also der Eingabebefehl – für die KI lautete dabei: im Deutschpop-Stil und hymnisch. Das Resultat wurde von Karpi im März an der Veranstaltung «Wir haben nichts zu verbergen?!» im Theater Neumarkt uraufgeführt.
Während das Publikum begeistert war, schien der Verlag Tamedia, zu dem der «Tages-Anzeiger» gehört, daran weniger Freude zu haben. Er änderte noch am selben Tag den Titel des Cookie-Banners von «Ihre Privatsphäre ist uns wichtig» zu «Hinweise zum Datenschutz» – was nun eher an einen Herbert-Grönemeyer-Song erinnert. Derweil halten «Watson», «Blick» oder der «Beobachter» weiterhin unbeirrt daran fest, dass ihnen unsere «Privatsphäre wichtig» sei.
Mit diesem Tool hat Karpi die Musik kreiert
Im Gegensatz zur Text- und Bildgeneration war die KI-gestützte Produktion von Liedern lange Zukunftsmusik – wortwörtlich. Im März 2024 erschien dann aber die Version 3 des Musikmodells Suno AI. Damit lassen sich auf Knopfdruck menschlich klingende Lieder generieren, mit einer breiten Auswahl von Stilrichtungen und Sprachen. Die KI instrumentiert, arrangiert und verfasst auf Wunsch auch die Liedtexte.
Obschon sich mit Suno nicht direkt Lieder im Stil spezifischer Künstlerinnen erstellen lassen (die Software blockiert alle Namen bekannter Musiker), kommt man mit ein paar kreativen Eingabebefehlen schnell zum eigenen Beatles- oder Helene-Fischer-Song. Die Firma dahinter schweigt zur Frage, mit welchen Daten sie ihre Modelle trainiert. Es ist deshalb anzunehmen, dass sich unter den Trainingsdaten auch Werke befinden, die gegen den Willen ihrer Urheberinnen verwendet werden.
Die Mikroaggression: Abwesenheitsnotizen
Satire kann also ganz offensichtlich auch etwas verändern. Erfreut darüber, komponierte Karpi gemeinsam mit der künstlichen Intelligenz noch weitere Lieder, basierend auf Standardtexten aus dem Internet.
Einer davon ist wohl uns allen bekannt. Man erhält sie manchmal – als Journalistin meistens freitags, wenn man der Bundesverwaltung schreibt – postwendend nach Versand einer E-Mail: die Abwesenheitsnotiz. Egal, ob sie für die Ferien eingerichtet wurde oder nur für eine verlängerte Mittagspause – die Abwesenheitsnotiz ist die nervigste Textform der modernen Geschäftswelt. Sie ist automatisierte Mikroaggression.
Aber Abwesenheitsnotizen haben auch versteckte Qualitäten. So können sie durchaus Ohrwurmpotenzial haben, wie folgendes Beispiel zeigt:
Ein Marsch zum Nachrichtendienstgesetz
Was genau macht eigentlich unser Geheimdienst den ganzen Tag lang für «unsere innere und äussere Sicherheit»? Antworten darauf gibt es im Nachrichtendienstgesetz. Die eine oder der andere von Ihnen hat vielleicht spätestens nach der Republik-Serie «Surveillance fédérale» in dieses Regelwerk reingeschaut und sich gefragt, auf welcher Grundlage wir eigentlich alle massenüberwacht werden. Wer sich die trockene Lektüre immer noch nicht antun möchte, dem empfehlen wir unseren Nachrichtendienstgesetz-Marsch.
Hier hat die KI in einem kongenialen Akt aus den ersten Paragrafen des Nachrichtendienstgesetzes (NDG) einen Song im Stile der Neuen Deutschen Welle (NDW) generiert. Das Resultat ist erstaunlich tanzbar, auch ohne Refrain.
So macht Überwachung Spass.
Trennungsmusik bei der Newsletter-Abmeldung
Wer schon einmal einen Newsletter abbestellen wollte, kennt den Frust: Man findet den Knopf zur Abmeldung nicht. Sogenannte Dark Patterns – also irreführende visuelle Nutzerführung, die uns dazu verleitet, gegen unsere Präferenzen zu klicken – sorgen dafür, dass man auf der Suche nach dem Abmeldeknopf die Lust verliert und entnervt aufgibt.
Und falls man den Knopf dann schliesslich doch ganz unten in der Mail findet, ist man manchmal immer noch nicht am Ziel. Denn nun verlangt der so unverhofft abservierte Newsletter auch noch eine Begründung, weshalb man ihn abbestellt. Auf passiv-aggressive Art wird man so also nach den Gründen fürs Schlussmachen gefragt.
Und weil Trennungen seit jeher Stoff für populäre Musik liefern, haben wir auch dieser Textform ein Lied gewidmet.
Sie sehen: KI-generierte Musik hat viel Potenzial, um dröge Texte lebendig werden zu lassen. Vielleicht werden im Zeitalter des Internet of Things unsere Kaffeemaschinen uns bald im A-cappella-Kanon mitteilen, dass sie wieder einmal entkalkt werden sollten.
Sollten die Maschinen also wirklich dereinst die Weltherrschaft an sich reissen, so ist es zumindest tröstend, dass wir bis zum bitteren Ende unterhalten und besungen werden.