Das grosse Geschäft mit Zwischennutzungen
Vor dem Abriss holen Firmen und Vermieter noch das Letzte aus ihren Mietobjekten raus. «Die Schweiz auf Abriss», Folge 6.
Von Hanna Fröhlich («Correctiv») und Saskja Rosset (Bilder), 19.03.2024
«Ja, wir haben eine Wohnung für dich», schreibt die Mitarbeiterin der Firma Sharedlock, die sich nur mit Vornamen vorstellt. Ein Satz, den man als Wohnungssuchende in Zürich nur selten hört.
Wie lange ich denn gerne bleiben würde, möchte sie wissen. «Im Moment können wir diese Wohnung sicher bis Mai anbieten.» Wie hoch die Miete denn sei, frage ich. Die Antwort lässt mich zusammenzucken. Für die Einzimmerwohnung verlangt Sharedlock 3000 Franken im Monat. Das ist selbst für Zürcher Verhältnisse enorm.
Nicht immer sind die Zimmer, die sogenannte Zwischennutzungsfirmen vermieten, so teuer. Das Prinzip, wie die Firmen arbeiten, ist aber immer das gleiche.
Zwischennutzungsfirmen kommen zum Zug, wenn zwischen Kündigung der bisherigen Mieter und Abriss ein Haus länger leer steht. Sie heissen Projekt Interim, Intermezzo, Novac Solutions. Auf ihrer Website steht: «Ein profitables Zwischenspiel für Ihre Liegenschaft». Oder: «Intermezzo übernimmt für Sie die Zwischennutzung Ihrer leerstehenden Immobilie für eine kurz- oder langfristige Übergangszeit. Wir sorgen dafür, dass Ihre Liegenschaft in geordneten Verhältnissen und für Sie rentabel zwischengenutzt wird.»
Sie versprechen ausserdem, dass die Zwischenmieter rechtzeitig, also zum Baubeginn, wieder ausziehen.
In der Schweiz werden jedes Jahr Tausende Häuser abgerissen. Das hat gravierende ökologische, ökonomische und wohnpolitische Folgen. Eine gemeinsame Rechercheserie der Republik und von «Correctiv». Zur Übersicht.
Folge 3
Wenn Heimatschützer plötzlich für den Abriss sind
Folge 4
Grauzone
Folge 5
Grosse Wohnungen für grosse Löhne
Sie lesen: Folge 6
Das grosse Geschäft mit Zwischennutzungen
Folge 7
Plädoyer für ein herrliches Durcheinander
Seraina Rohner hat es aus nächster Nähe erlebt. Sie steht an der Werkbank ihrer Schreinerei am Sihlquai 280 und bearbeitet das Holz für ein Küchenmöbel. Ihre Schreinerei ist wunderschön, hohe Decken, direkt am Fluss, lichtdurchflutet, gross und geräumig. Doch wenn sie die Kreissäge ausstellt, hört man den Lärm der Baustelle. Seraina ist die letzte Mieterin, die noch nicht ausgezogen ist. Nur die Schilder mit dem Aufdruck «Sihlquai bleibt» erinnern an die Zeit, als sie mit den einstigen Bewohnerinnen gegen die Umnutzung der Wohnungen und der Schreinerei zu Büroräumen und Labors protestierte. Vergeblich.
Heute ist das ganze Gebäude eingerüstet. In den Stockwerken über Rohner wohnten vor einem Jahr in hübschen kleinen Wohnungen noch Menschen, jetzt sind es Büroflächen. «Jeder Stock sieht jetzt gleich aus, weiss und leer», sagt Seraina Rohner.
2017 hat sie nach eigenen Angaben einen neuen Mietvertrag für den Gewerberaum unterschrieben mit einer Laufdauer von 5 Jahren und einer Option zur Verlängerung um weitere 5 Jahre.
2020 kündigte die Eigentümerin Coop allen Mietern sowie der Schreinerei den Vertrag. Die Mieterinnen setzten sich zur Wehr, versuchten, noch einige Monate mehr herauszuschlagen. Einige zogen jedoch aus Angst vor dem ungewissen Ausgang vor der Schlichtungsbehörde schon vorzeitig aus. Seraina Rohner hingegen bekam aufgrund ihres Gewerbevertrags, der nicht kündbar ist, als Einzige sofort recht. Sie darf noch bis 2027 bleiben.
Zwischen Coop und den anderen verbleibenden Mietparteien folgte ein Rechtsstreit. Anstatt sich mit den Bedürfnissen der Mieterinnen auseinanderzusetzen, engagiert Coop die Firma Intermezzo, vermutlich um noch so viel Miete wie möglich aus den bereits leer stehenden Wohnungen zu holen.
So mussten die noch verbliebenen Mieter mitansehen, wie kurz nach dem Auszug einzelner Hausbewohnerinnen bereits neue Leute einzogen: Zwischenmieter, die fast dreimal so viel Miete zahlten wie die Bisherigen. Diese Ungerechtigkeit schweisste alte und neue Mieter zusammen. Gemeinsam schmiedeten sie einen Plan – nämlich den aus ihrer Sicht exorbitant hohen Mietzins anzufechten, den die Agentur für die ursprünglich günstigen Wohnungen verlangte.
«Mieterinnen von Zwischennutzungsfirmen sind oft Studentinnen, Leute, die aus dem Ausland herkommen, um zu arbeiten, eben Menschen, die sich nicht wehren», sagt Seraina Rohner. Die Agentur mache sich das zunutze. «Als dem Geschäftsführer der Zwischennutzungsfirma zu Ohren kam, dass seine Mieter die Anfechtung des Mietzinses bei der Schlichtungsbehörde eingereicht hatten, fing er an, sie per Whatsapp zu kontaktieren», erzählt Seraina Rohner. Auch vor der Tür sei er aufgetaucht, habe versprochen: Man finde eine Lösung, wenn nötig, könne er den Mietzins reduzieren.
Mit seiner Intervention hatte der Geschäftsführer Erfolg. Eine Partei zog sich daraufhin aus der Klage zurück, sie wollten keinen Stress, sagten sie. Andere seien gar nicht erst bereit gewesen, gegen die Firma mit dem netten Auftreten vorzugehen. Schliesslich hat Intermezzo dann doch noch Konzessionen gemacht.
Geschäft im Graubereich
Peter Nideröst ist der Anwalt, der die Mieterinnen vom Sihlquai vor fast einem Jahr vertreten hat. Seither werden immer wieder Fälle im Zusammenhang mit Zwischennutzungsfirmen an ihn herangetragen. Seiner Meinung nach dürften es aber auch mehr sein: «Die Leute wissen nicht, dass sie sich gegen die Praxis der Firmen wehren können», sagt er.
Oft würden die Mieterinnen gerne noch länger in den Liegenschaften bleiben. Nur schon, um eine Anschlusslösung zu finden. Die Zwischennutzungsfirmen versprechen der Eigentümerschaft jedoch, dass die Mieter zu Baubeginn ausgezogen sind. «Deswegen steht in den Verträgen, dass eine Erstreckung des Mietverhältnisses ausgeschlossen ist.» Die Leute würden das glauben und nichts tun, sagt Nideröst. Dabei stehe sehr wohl auch Untermieterinnen der Rechtsweg offen.
Aber darf man überhaupt kommerziell untervermieten? «Das Gesetz sagt, dass der Hauptvermieter eine Untervermietung verweigern kann, wenn die Bedingungen der Untermietverhältnisse missbräuchlich sind, insbesondere wenn Ertrag aus der Untermiete erzielt wird.» Im Beispiel vom Sihlquai hat Coop als Hauptvermieterin der Untervermietung jedoch trotz der missbräuchlichen Untermietzinse zugestimmt.
Gute Chancen bestünden, wenn man sich gegen den Anfangsmietzins zur Wehr setzt. «Wenn Untermieterinnen eine zu hohe Miete gleich zu Beginn anfechten, kann geltend gemacht werden, dass die Firma einen ungerechtfertigten Ertrag erzielt», sagt Peter Nideröst. Denn in den meisten Fällen mietet die Firma eine Wohnung für wenig Geld vom Eigentümer und vermietet sie für mehr Geld an die Untermietenden. Mieterinnen können zumindest die Differenz anfechten. «Denn sie bezahlen viel Miete für eine stetig unsichere Wohnsituation», sagt Nideröst.
«Intermezzo weiss mittlerweile auch, dass das Geschäft auf wackligen Beinen steht. Wenn die Anfangsmietzinse systematisch angefochten werden, dann wird das System implodieren», ist sich Nideröst sicher. «Es heizt unnötig den eh schon ausgetrockneten Markt an und ist eine reine Ausbeutung von Leuten, die wenig Geld haben.»
Am Sihlquai kam es damals zu Einigungen. Die Zwischennutzungsfirma verhinderte einen Tag vor dem Gerichtstermin mit Vergleichen die Erstellung eines Urteils. «Es liegt also kein Präzedenzurteil vor.» Das stört den Anwalt, denn mit einem solchen Urteil hätten andere betroffene Untermieter motiviert werden können, gegen Zwischennutzungsfirmen rechtlich vorzugehen.
Bis heute reagierte Intermezzo nicht auf unsere Fragen.
Die Fälle
Im von Countdown 2030 entwickelten Abriss-Atlas, mit dessen Hilfe «Correctiv» und die Republik seit Januar zur «Schweiz auf Abriss» recherchieren, berichten Mieter von Zwischennutzungsfirmen. Und auch dem Mieterinnen- und Mieterverband sind solche Firmen schon länger ein Dorn im Auge. «Es gibt nur so viele Zwischennutzungsfirmen, weil so viel abgerissen wird», weiss Walter Angst, Sprecher der Zürcher Sektion.
Im Abriss-Atlas rufen wir Sie dazu auf, Gebäude zu nennen, die abgerissen wurden oder noch werden – wir recherchieren auf dieser Basis zu den Hintergründen. Unter dem Titel «Die Schweiz auf Abriss» veröffentlicht die Republik gemeinsam mit «Correctiv» Beiträge und Recherchen zu den ökologischen, ökonomischen und wohnpolitischen Folgen der aktuellen Abrisspraxis.
Der «Correctiv»-Crowd-Newsroom ist ein gemeinnütziges Projekt, das Bürgerinnen bei journalistischen Recherchen miteinbezieht. Der Abriss-Atlas wird von der Toni Piëch Foundation und der Stiftung Mercator Schweiz unterstützt.
Früher seien Zwischennutzungen in der Regel als Gebrauchsleihverträge abgegeben worden. Gezahlt hätten die Mieterinnen einfach Wasser und Strom, die Unkosten übernahm der Eigentümer, den Rest regelten die Mieter. Die Kündigung einer solchen Gebrauchsleihe kann vier Wochen vor dem Baustart in die Wege geleitet werden. «Das Ende dieser Praxis wurde durch die enorme Steigerung der Mietpreise in der Stadt Zürich eingeläutet», sagt Angst. Denn mit der Gebrauchsleihe lässt sich eines nicht machen: Profit.
So kamen die Zwischennutzungsfirmen ins Spiel. Mittlerweile liegen Angst immer wieder Fälle von Beschwerden gegen neue Firmen auf dem Tisch. Seit dem Vergleich vom Sihlquai vor knapp einem Jahr hofft der Mieterinnen- und Mieterverband, dass sich mehr Mieter gegen die Verträge wehren und den Anfangsmietzins anfechten.
Selbst dann, wenn die Miete verhältnismässig günstig ist, lohnt es sich für die Firmen finanziell. Ein Beispiel ist das «Dolder Waldhaus» am Zürichberg. Das ehemalige Hotel wurde 2016 geschlossen und sollte eigentlich seit Jahren abgerissen werden. Die Pläne dafür gibt es: Es sollte eine neue luxuriöse Hotelanlage entstehen. Aber der Bau hat sich immer weiter verzögert. Medienberichten zufolge soll es nun doch nicht zum Abriss kommen, sondern gehen die Pläne mittlerweile in Richtung Luxussanierung. Das Haus gehört dem Milliardär und «Dolder Grand»-Besitzer Urs Schwarzenbach.
In der Zwischenzeit, das heisst in diesem Fall bis 2025, vermietet Projekt Interim die Wohnungen zu einem günstigen Preis: vom Gartenzimmer zu 400 Franken im Monat bis zu 1000 Franken für eine Zweizimmerwohnung in den oberen Stockwerken. Seit letztem Jahr sind es 100 Franken mehr, der Teuerung geschuldet, wie eine Mietpartei erzählt. Zwar lag diese im vergangenen Jahr schweizweit nur bei 2,1 Prozent, doch selbst mit dem Aufschlag von über 10 Prozent ist die Miete für Zürich noch günstig.
Aber die tiefen Preise bringen auch Nachteile mit sich. Wenn Reparaturarbeiten im Waldhaus anfallen, so berichten es verschiedene Parteien, unterstützt die Vermieterin sie dabei nicht. Das Argument: Sie bezahlen ja schon so wenig Miete. Eigentlich ist die Vermieterin gemäss Artikel 256 OR verpflichtet, für Reparaturen aufzukommen, für die der Mieter nichts kann. Eine Mieterin erzählt, es habe wegen einer Reparatur ein langes Hin und Her gegeben, bis gehandelt worden sei. Auf Anfrage sagt Projekt Interim, dass die Mieter sich nicht selbst um Reparaturen kümmern müssten, nur um den kleineren Unterhalt nach Artikel 259 OR.
Nicht alle Firmen vermieten wie Projekt Interim Zwischennutzungen längerfristig. Die Firma Novac Solutions fungiert als Zwischenvermieterin einer Überbauung mit 6 Liegenschaften im Zürcher Kreis 8. Die Häuser gehören der Swiss Re. Ihr Geschäftsmodell richtet sich unter anderem an Touristinnen.
Im Oktober 2022 wurden die Liegenschaften leergekündigt. Die 1983 gebauten Häuser sollen umfassend saniert und teilweise abgerissen werden. Während ein Teil der Mieterschaft sich noch wehrte, hatte die Eigentümerin bereits ab 2020 Novac Solutions engagiert, die aus den bereits leer stehenden Einheiten Ferienwohnungen machte.
Eine ehemalige Mieterin, die unter einer der Ferienwohnungen wohnte, berichtet: «Die 5½-Zimmer-Wohnung wurde an jeweils bis zu 9 Personen vermietet, die sehr viel Lärm gemacht haben. Zum Teil sind Leute mitten in der Nacht angereist, es gab unzählige Partys und einmal drehten sie sogar einen Porno.» Immer mehr Appartements in der ganzen Siedlung wurden so zu Ferienwohnungen umgenutzt.
Die Swiss Re als Eigentümerin möchte die Überbauung sanieren, sobald alle Mieterinnen ausgezogen sind. Obwohl manche Mieter noch ein hängiges Schlichtungsverfahren haben, sind sie ausgezogen – weil ihnen die Vermietungen von Novac Solutions die Lust am Wohnen in der Überbauung verdorben haben. «Es ist ein Geschäft, in dem es darum geht, die Mieterinnen mittels permanenter Lärmimmissionen und voranschreitender Anonymisierung weit vor Ablauf der Kündigungsfrist aus der Überbauung zu vertreiben», sagt die ehemalige Mieterin. Sie stört sich daran, dass mit touristischen Vermietungen in einer Wohnsiedlung ohne zusätzliche Bewilligung eine weitaus höhere Rendite erzielt werden kann.
Die Firma Novac Solutions sagt dazu: «Wir fühlen uns von dieser Aussage nicht angesprochen, da wir uns lediglich darauf spezialisiert haben, Liegenschaften vor dem temporären Leerstand zu bewahren und mit unserem Handeln, zumindest temporär, für mehr freie Flächen zu sorgen.» Das Unternehmen werde immer erst dann hinzugezogen, wenn der anstehende Leerstand beziehungsweise eine Strategie im Umgang mit einer Immobilie bereits beschlossen worden sei oder die Liegenschaft oder Teile von ihr bereits leer stünden. Auf die vorherigen Abläufe habe Novac Solutions keinen Einfluss und sei auch nicht involviert.
Die ehemalige Mieterin hat sich damals in der Not an die Schlichtungsbehörde gewandt und sich schliesslich mit der Gegenpartei darauf geeinigt, dass die Wohnung über ihr nicht mehr als Ferienwohnung vermietet werden durfte, solange sie noch dort wohnte.
Zwischennutzung für die Gesellschaft
Trotz solcher Beispiele: Zwischennutzungen müssen nicht an sich etwas Schlechtes sein, sagt Sonja Flury von der Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau (ZAS*), einem Zusammenschluss aus unabhängigen Architektinnen. Ob die Zwischennutzung nun als Schreinerei genutzt werden, also als günstiger Gewerberaum, oder als Wohnfläche – Zwischennutzungen trügen zur Durchmischung einer Stadt bei: «Sie ermöglichen jungen und kreativen Menschen, im Stadtzentrum zu wohnen, aber auch mitzuwirken, Kulturräume zu bespielen und Wohnviertel so attraktiver zu machen.»
Solche Räume gäbe es ohne Zwischennutzungen nicht: «Profitieren tun jedoch wiederum die Immobilienbesitzer, da sie ihre sanierten oder neu gebauten Liegenschaften durch die kulturelle Aufwertung der Gegend teurer verkaufen können.»
So gibt es Zwischenvermieter, die nicht gewinnorientiert sind, etwa das Jugendwohnnetz Juwo, den Verein Zitrone oder die Stadt Zürich, die unter anderem mit der Raumbörse im Markt unterwegs ist. Letztere vermietet Objekte der Stadt und betreibt eine Plattform für die Vermittlung von Objekten.
Doch solche gemeinnützigen Modelle sind bedroht, seit sich mit Zwischennutzungen teils enorme Profite machen lassen. Die Folge: steigende Mieten, selbst in Objekten, die bald abgerissen werden sollen.