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Das falsche Huhn am Bundesgericht

18.03.2024

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Synthetische Stimme
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Liebe alle

Was ist schädlicher fürs Klima: importierte Avocados aus Chile oder das Rindsfilet vom Biohof von nebenan?

Mit dieser Frage lassen sich zuverlässig Aha-Momente erzeugen. Auch viele Menschen, die umwelt­bewusst leben, liegen mit ihrem Gefühl daneben.

Das lokale Fleisch erzeugt mehr Treibhausgas­emissionen als die weit gereisten Avocados – und zwar um ein Vielfaches.

Wir überschätzen die Emissionen, die beim Transport der Lebens­mittel entstehen (die aller­meisten Früchte und Gemüse aus Übersee kommen mit dem Schiff zu uns).

Und wir unterschätzen, wie sehr Fleisch­konsum das Klima belastet, egal woher es kommt. Die Tiere brauchen viel Land und viel Futter (das wiederum viel Land braucht). Und sie erzeugen bei der Verdauung das klima­schädliche Gas Methan – insgesamt verursacht die Fleisch­produktion weltweit mehr Treibhaus­gase als alle Flugzeuge zusammen.

Die Lösung – wie oft – ist denkbar simpel in der Theorie und komplexer in der Praxis: eine pflanzen­basierte Ernährung. Die Mehrheit der Menschen tut sich nach wie vor schwer damit. Der Verzehr von Fleisch ist tief in unserer Kultur verankert. So sehr, dass bereits die Anregung, man könne doch auf Fleisch verzichten, zur Provokation werden kann.

Die Hersteller von Fleischersatz­produkten glauben diesen Konflikt auflösen zu können. Ihr Versprechen: eine pflanzen­basierte Ernährung, die nicht nach Verzicht schmeckt. Burger, Steak und Poulet­geschnetzeltes, einfach ohne das Tier. Die Hersteller machen sich dabei die kulturelle Verankerung von Fleisch zum Freund: Sie nutzen Sprache, die wir mit Fleisch verbinden – «planted.chicken» spricht die Fleisch essende Mehrheit eher an als «Geschnetzeltes aus gepressten, fermentierten Erbsen».

Wem das freilich nicht gefällt: den Fleisch­herstellern. Sie hoffen auf die Unter­stützung der Justiz – die Schweiz könnte bald verbieten, dass sich Ersatz­produkte so vermarkten.

Sabrina Weiss hat recherchiert und erzählt die Geschichte vom Streit um Wörter, bei dem es natürlich um deutlich mehr geht: um Markt­anteile und die Frage, was erlaubt sein soll auf dem Weg zu einer klima­freundlicheren Ernährung.

Lesen Sie jetzt: Der grosse Beef ums Fleisch

Schon etwas älter, aber noch immer sehr lesenswert: Sie lieben Fleisch und Käse? Würden sich aber gerne klima­freundlicher ernähren? Elia Blülle und Marie-José Kolly nehmen Sie mit auf eine kulinarische Reise der anderen Art: Wie wir lernten, Essen zu mögen, das wir früher verschmäht hatten.


Drei Fragen an …

Julia Steinberger ist Umwelt­ökonomin und die prominenteste Vertreterin der Degrowth-Bewegung in der Schweiz.

1. Was bereitet Ihnen zurzeit am meisten Sorge?
Leider beunruhigen mich mehrere Dinge «am meisten». Erstens das weit verbreitete Unverständnis der Öffentlichkeit, der Medien und der Politiker darüber, wie gefährlich unsere Gegenwart und die nahe Zukunft sind. Das ist die direkte Folge von jahrzehnte­langer Desinformation durch die Fossil­industrie und verbündete Industrien – leider auch ein grosser Teil der Medien in der Schweiz.

Zweitens die zunehmende Ungleichheit infolge neoliberaler Wirtschafts­politik, die Menschen finanziell verunsichert und zum Aufstieg der Rechts­extremen in Europa und der ganzen Welt führt.

Drittens: Vor allem in der Schweiz gilt das Dogma, dass unsere Wirtschaft und unsere Demokratie perfekt seien. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wir brauchen Mut, Fantasie und Experimentier­freude, um unsere gegenwärtigen existenziellen Heraus­forderungen zu bewältigen.

2. Was stimmt Sie zurzeit optimistisch?
Technisch gesehen waren wir noch nie in einer besseren Lage, ein komfortables, sicheres Leben zu führen, und das ohne Abhängigkeit von fossilen Brenn­stoffen oder schädlicher tiergestützter Land­wirtschaft. Die dafür notwendigen Technologien sind günstig und erprobt.

3. Wer inspiriert Sie?
Junge (und weniger junge) Aktivistinnen, die kreative Wege gegen die unheilige Allianz aus Politik, Finanzwelt und Industrie finden, die uns in die Katastrophe treibt. Und die sich gleichzeitig dafür einsetzen, eine weltweite Bewegung zu vereinen, um die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Palästina zu stoppen.

Julia Steinberger empfiehlt

«Der Fluch der Muskatnuss», Amitav Ghosh (2023).

Ghosh stellt die lange Geschichte der Verflechtung von Mensch und Ökologie seit den Tagen des frühen Kolonialismus dar durch das Prisma der Muskat­nuss. Das Buch zeigt uns deutlicher als jedes andere, das ich gelesen habe, dass wir immer noch in Kämpfen kolonialer Gewalt gegen menschliche Gesellschaften und unsere Umwelt gefangen sind und was es braucht, um diese Kämpfe ein für alle Mal zu überwinden.


Liebe Grüsse
David Bauer, Sabrina Weiss

PS: Im Mai findet unsere nächste Live-Veranstaltung statt, diesmal in Bern. Wir sind gerade daran, noch die letzten Details zu fixieren, alle Infos gibts dann im nächsten Newsletter. (Wir gehen davon aus, dass auch diese Veranstaltung schnell ausgebucht sein wird, darum die kleine Vorankündigung.)

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