Luganos obskure Bitcoin-Connections
Um wirtschaftlich auf die Beine zu kommen, kooperiert die Tessiner Stadt mit zweifelhaften Kryptokonzernen und ultraliberalen Bitcoin-Jüngern. Kann das gut gehen?
Von Thomas Schwendener (Text) und Le.BLUE (Illustration), 16.01.2024
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«Die Schweiz ist ein grossartiges Land», schreibt Paolo Ardoino am 27. September 2023 auf X, dem früheren Twitter. Die Schweiz werde das «gelobte Land der Freiheit» sein, prophezeit er, umgeben von einem Europa der Massenüberwachung und Falschinformation. Und Lugano werde zur Bitcoin-Hauptstadt Europas, «sie kann nirgendwo anders sein».
Wer ist dieser Mann? Was hat er vor? Muss man ihn ernst nehmen?
Klar ist: Paolo Ardoino ist im Kryptouniversum ein mächtiger Mann. Er ist einerseits Technologiechef der Kryptobörse Bitfinex, andererseits CEO des Stablecoin-Herausgebers Tether, der zuweilen als «Zentralbank» der Kryptowährungen bezeichnet wird.
Um seine Mission zu verstehen, kann man sich zum Beispiel einen Werbefilm von Bitfinex aus dem Oktober ansehen. Er zeigt Paolo Ardoino neben dem selbst ernannten Hohepriester des Bitcoins Max Keiser. Sie sitzen im Büro des ehemaligen Finanzministers des zentralamerikanischen Kleinstaates El Salvador.
Keiser lehnt sich in seinem Stuhl zurück, das Hemd weit aufgeknöpft, und sagt in grösster Selbstverständlichkeit: «El Salvador und Bitfinex haben eine gemeinsame Vision. Und diese Vision basiert auf der primären Funktion und Eigenschaft von Bitcoin: der Trennung von Geld vom Staat.» Der frühere Finanzminister nickt zustimmend. Er nickt auch dann noch, als Keiser sagt, der Präsident von El Salvador, Nayib Bukele, habe verstanden, dass der Staat entmachtet werden müsse.
Keiser und Ardoino streben mit den beiden eng verbandelten Unternehmen Bitfinex und Tether nach Grossem. Aus El Salvador wollen sie die erste Bitcoin-Nation der Welt machen. Und aus Lugano die Bitcoin-Hauptstadt Europas. Im März 2022 hat die Stadt, in der Ardoino seinen Wohnsitz hat, eine Partnerschaft mit Tether abgeschlossen.
Aus Sicht von Lugano gleicht das Vorhaben auf den ersten Blick einer Verzweiflungstat. Der Tessiner Finanzplatz litt stark unter der Aufhebung des Bankgeheimnisses, Lugano wurde dann auch besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen. Stadtpräsident Michele Foletti sagt, für ihn sei es «ein Glücksfall» gewesen, als er Tether-CEO Ardoino 2021 im Backstagebereich einer Konferenz getroffen habe.
So erzählt es der Politiker der rechtspopulistischen Lega dei Ticinesi, als die Republik ihn zum Gespräch trifft. Gemeinsam mit Ardoino will Foletti Lugano zur Kryptohochburg machen. Vor gut eineinhalb Jahren hat die Stadt angekündigt, dass der Bitcoin und der Coin, den Tether selbst herausgibt, künftig als «de facto»-gesetzliche Zahlungsmittel anerkannt würden. Rund 400 lokale Händler sollen die Kryptowährungen bereits akzeptieren, weitere Zahlterminals werden laufend installiert.
Regelmässig findet sich nun eine illustre Gästeschar aus dem Kryptoschattenreich in der Stadt ein. Mittelsleute der umstrittenen Kryptokonzerne haben Firmen und Infrastruktur aufgebaut, mit der Luganos Bitcoin-Projekt «Plan B» umgesetzt werden soll.
Was läuft da gerade ab?
«Ich habe ‹fuck you money›!»
Ein Freitag Mitte Oktober in Lugano, es regnet in Strömen. Eine haushohe, orange Plastikpille mit Bitcoin-Logo empfängt die Besucherinnen des «Plan B Forum» im Palazzo dei Congressi. Lugano und Tether haben den Event als «die erste Bitcoin-Konferenz» beworben, an der weltweit führende Persönlichkeiten über die Adaption des Bitcoins, über «finanzielle Freiheit» und «Redefreiheit» reden sollen. Rund 2000 Besucher aus aller Welt sind laut den Organisatorinnen für den Kongress ins Tessin geströmt.
Im grossen Zelt hinter dem Kongresszentrum steht am Abend ein Mann mit Filzhut auf der Bühne und singt auf Englisch: «Ich brauche nicht zu wählen, ich habe ‹fuck you money›!» Er meint damit den Bitcoin – vielen hier ein Versprechen, sich vom Staat zu befreien. Hinten hat sich einer in die gelbe Gadsden-Flagge gehüllt, das Symbol der libertären Rechten der USA: Sie wollen die Macht vom Staat in die Hand von dezentralen «Gerichtsbarkeiten», Sicherheitsfirmen oder privat verwalteten Städten legen, Kryptowährungen sollen Zentralbankgeld ablösen.
Die Referentinnenliste des Forums ist bunt: Neben Libertären und Cypherpunks stehen auch offizielle Repräsentanten aus Lugano oder Thomas Moser aus dem Erweiterten Direktorium der Schweizer Nationalbank darauf. Moser wird am zweiten Tag die Frage erörtern, ob private Kryptowährungen neben digitalem Zentralbankgeld koexistieren können. Seine erstaunlich offenherzige Antwort: «Ja, können sie.»
Erst mal haben aber Max Keiser und seine Frau Stacy Herbert ihren grossen Auftritt. Im zur Hälfte gefüllten Amphitheater laufen die beiden unter stürmischem Applaus ein. Bis zum russischen Einmarsch in die Ukraine bestritt das US-amerikanische Paar auf dem Staatssender Russia Today eine apokalyptische Finanzsendung. Heute hat Keiser ein offizielles Mandat für die Beratung des Präsidenten von El Salvador, Nayib Bukele, in Kryptofragen. Herbert ist Chefin des Bitcoin-Office El Salvadors, das vom Präsidenten per Dekret geschaffen wurde. Und sie ist eine überzeugte Bitcoin-Maximalistin. Sie lehnt andere Kryptowährungen als den Bitcoin und den von Tether herausgegebenen Stablecoin kategorisch ab: Auf der Bühne in Lugano droht sie, sie werde alle «Shitcoiners» – Anhänger von Währungen, die in Konkurrenz zum Bitcoin stehen – in El Salvador finden und zerstören. Im Saal wird gelacht und applaudiert.
Es gibt gute Gründe, die Drohung der Krypto-Aktivistin in Diensten des Staates ernst zu nehmen. Mit Präsident Bukele verscherzt man es sich besser nicht. Im Frühling 2022 liess er im von Bandenkriegen zerrütteten Land den Ausnahmezustand ausrufen. In Jahresfrist wurden in El Salvador, das rund 6,5 Millionen Einwohnerinnen zählt, 60’000 Personen verhaftet. Amnesty International prangert massive Menschenrechtsverletzungen und Folter an.
Mit der Kryptowährung hegt der Präsident des zentralamerikanischen Kleinstaates globale Ambitionen. Er schickt deshalb «Bitcoin-Botschafter» los, um der Welt die orange Pille schmackhaft zu machen. Der erste von ihnen stattete letzten Herbst Lugano seinen Besuch ab. Er reiste zum ersten «Plan B Forum» an, an dem gleich eine Absichtserklärung in Bezug auf eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Lugano und El Salvador unterzeichnet wurde. Für die Verhandlungen war auch Stacy Herbert angereist, wie Recherchen der Republik zeigen.
Herbert verfolgt mit ihrem Engagement nicht zuletzt handfeste ökonomische Interessen: Laut der offenen Kryptodatenbank Cypherhunter haben sie und ihr Mann Max Keiser schon früh in Bitfinex investiert. Auch ihr neues Investmentvehikel namens El Zonte Capital führt die Kryptobörse im Portfolio. Die eng mit Bitfinex verbundene Tether wiederum ist im Gegenzug in Keisers Volcano Energy investiert. Es sind nur die sichtbarsten Verzweigungen im gigantischen Finanzgebilde, das hinter Luganos «Plan B» steckt.
Die skandalumwitterte Geldmaschine
Schauen wir uns die Geldmaschine Tether etwas näher an. Das Geschäftsmodell klingt einfach. Grosskundinnen deponieren mindestens 100’000 Dollar und erhalten (abzüglich einer Gebühr) den Gegenwert in Stablecoins. Mit diesen können sie wiederum volatile Kryptowährungen handeln. Das Angebot ist beliebt. Fast 90 Milliarden US-Tether sind derzeit ausgegeben, pro Tag wechseln gemäss dem Analyseportal Coin Market Cap Coins im Wert von bis zu 70 Milliarden Dollar die Hand. Tether ist der mit Abstand grösste Stablecoin-Herausgeber.
Natürlich hat die «Zentralbank der Kryptowährungen» weder ein offizielles Mandat noch steht sie unter externer Aufsicht.
International ist der Regulierungsbedarf erkannt. Das Financial Stability Board, das die Stabilität des internationalen Finanzsystems überwacht, hat im Sommer 2023 dringliche Empfehlungen für die «Regulierung, Beaufsichtigung und Überwachung» von Stablecoins publiziert. In der EU soll ab Ende 2024 eine Regulierung für Krypto-Anlagen in Kraft treten, die auch Stablecoins betrifft. In der Schweiz dagegen zeigt man sich wenig alarmiert. Die Stablecoin-Wegleitung der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma stammt von 2019, seither hat sich kaum etwas getan.
Wie dringend eine genauere Überwachung von Tether wäre, zeigt ein jüngst vom «Wall Street Journal» publizierter Bericht: So sollen sich nicht nur die Terrorgruppe Hamas und die chinesische Mafia über Tethers Stablecoin finanzieren, sondern auch das nordkoreanische Atomwaffenprogramm. Zudem sei die Kryptowährung zur Umgehung von Sanktionen gegen Russland genutzt worden.
Es war beileibe nicht das erste Mal, dass Tether und Bitfinex auf den Radar investigativer Berichterstattung sowie der Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden gerieten.
Das wurde Bitfinex und Tether konkret vorgeworfen
2016 hat die US-Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission gegen die Kryptobörse Bitfinex eine Geldstrafe von 75’000 Franken wegen «illegaler ausserbörslich finanzierter Transaktionen» verhängt. Die Börse und die Schwesterfirma Tether werden seither von Vorwürfen und Prozessen begleitet. Die wichtigsten:
Marktmanipulation
Ab 2017 werden innert kürzester Zeit Unmengen von neuen US-Tether geschöpft. Finanzökonomen finden Indizien, dass diese nicht durch Dollar gedeckt sind. «Bloomberg» vermutet, dass Tether Stablecoins ausgab, mit denen Bitfinex Bitcoins kaufte, wenn die Preise fielen – um sie danach mit Gewinn wieder abzustossen. Der Verdacht wird nicht erhärtet.
Vertuschung von Verlusten
Im Frühling 2019 klagt US-Generalstaatsanwältin Letitia James die Muttergesellschaft von Bitfinex und Tether an. Die Firmen sollen einen Verlust der Kryptobörse von 850 Millionen Dollar vertuscht haben, indem dreistellige Millionenbeträge vom Stablecoin-Herausgeber Tether an Bitfinex flossen. Behörden und Investoren wurden über die Notfallmassnahmen nicht informiert. Im Februar 2021 bezahlen die Konzerne 18,5 Millionen Dollar, um den Fall in einem Vergleich beizulegen.
Falschangaben zur Dollardeckung
Im Oktober 2021 muss Tether auf Anordnung der US-Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission 41 Millionen Dollar wegen falscher Angaben zur Deckung des Stablecoins bezahlen. Der Konzern behauptete, für jeden Coin einen Dollar auf einem Konto zu parken. Erst im Frühjahr 2019 wird dies auf der Website geändert, wo es seither heisst, die Coins seien zu 100 Prozent mit Reserven gedeckt. Nach der Anordnung ziehen sie ihr Geschäft sukzessive aus den USA zurück.
Geldwäsche und Terrorfinanzierung
Das «Wall Street Journal» berichtet im Frühling 2023, mit Tether und Bitfinex verbundene Firmen hätten Urkunden gefälscht und Briefkastenfirmen genutzt, um ihrer Muttergesellschaft zu Bankkonten zu verhelfen. Im Herbst zeigt die Zeitung auf: Es geht um die Hamas, die chinesische Mafia sowie die Umgehung von Sanktionen gegen Russland und Nordkorea.
Nach den jüngsten Vorwürfen des «Wall Street Journal» dementierte Tether eine Mitschuld heftig und bezeichnete die Berichterstattung als «schamlose Desinformation». Nachdem die Strafverfolgung aktiv geworden war, fror der Konzern dann doch mehrere Wallets ein. Tether weigert sich allerdings bis heute, über seine Grosskunden hinaus Identifikations- und Geldwäschemassnahmen zu ergreifen. Sind die Coins erst mal geschöpft, können sie frei fliessen und bieten eine wertstabilere, aber genauso anonyme Alternative zu volatilen Kryptowährungen.
Überhaupt macht sich Tether nicht eben um Transparenz verdient. Der Konzern ist auf dem Offshoreparadies der Britischen Jungferninseln domiziliert und in einer komplexen Struktur mit der Kryptobörse Bitfinex verbunden. Was lange bestritten wurde, flog 2017 dank den «Paradise Papers» auf: An der Spitze der beiden Firmen standen grossteils dieselben Männer.
Einer dieser mächtigen Männer, die nur ungern öffentlich in Erscheinung treten, ist Giancarlo Devasini, Finanzchef und graue Eminenz von Tether und Bitfinex. Er war einst Schönheitschirurg. Dann legte er das Operationsbesteck beiseite, um Computerhandelsfirmen zu gründen. Er war, wie auch Jean-Louis van der Velde, der langjährige CEO der beiden Firmen, in Technologiegeschäfte verwickelt, die zu Prozessen führten. Die zahlreichen Skandale stellen für Tether (wie auch für Bitfinex) durchaus eine Gefahr dar. Denn die wichtigste Währung des Konzerns ist das Vertrauen seiner Kundinnen. Tether hat deshalb jüngst eine eigentliche Transparenzoffensive gestartet.
Auf der Website wird stetig die Marktkapitalisierung aufgeführt. Zudem soll ein externer Prüfer zeigen, wie die Reserven von Tether zusammengesetzt sind. Dieser wurde allerdings schon mehrfach gewechselt, und BDO Italy, der aktuelle Auditor, prüft lediglich Zahlen, die ihm das Management vorlegt.
Glaubt man Paolo Ardoino, seit kurzem CEO von Tether, läuft das Geschäft formidabel. «Tether ist auf bestem Weg, pro Jahr 4 Milliarden Dollar Profit zu generieren», sagt er im Gespräch mit der Republik während des «Plan B Forums» in Lugano. «Forbes» hat im Sommer berechnet, dass Devasini, van der Velde und Ardoino allesamt Milliardäre sind. Ihr Erfolg hat unter Bitcoin-Anhängerinnen, von denen viele geradezu Fanatiker der Dezentralität sind, nicht nur für Freude gesorgt. Angesprochen auf die Kritik aus der Szene sagt Ardoino: «Wir könnten auch einfach Villen, Jachten und Autos kaufen. Aber wir investieren einen grossen Teil wieder in die Industrie.»
Und ein guter Teil dieses Investments soll nun also im beschaulichen Lugano stattfinden. Ardoino scheint entschlossen zu sein, den Beweis anzutreten, dass seine Firma tatsächlich bereit ist, im grossen Stil zu investieren.
In love mit Lugano
Tether hat Lugano einen Fonds für Start-ups in Höhe von 80 Millionen Franken versprochen. Die Kryptoinfrastruktur in der Stadt hat das Unternehmen vorerst mit 3 Millionen Franken alimentiert, weiteres Geld fliesst über ein Firmengeflecht ins Tessin. Mittlerweile tragen die Fussballer des FC Lugano in internationalen Partien das «Plan B»-Logo auf der Brust, im Stadion soll man sein Bier bald mit Bitcoins und Tether-Coins bezahlen können.
Mitten in der Stadt soll im März 2024 ein grosser «Hub» für Firmen und Forscher seine Türen öffnen. Und an der privaten Franklin University Switzerland in einem Villenviertel oberhalb von Lugano fanden bereits im vergangenen Juli Schulungswochen zu «finanzieller Freiheit und Meinungsfreiheit» statt, unterstützt von Tether. Die Firma will zudem 500 Blockchain-Stipendien sprechen. Im Herbst wurde die Partnerschaft mit Lugano vertieft, seither betreibt der Konzern auch einen Knoten der stadteigenen Blockchain.
Im Oktober wurde im Handelsregister eine Stiftung eingetragen, die mit 1,5 Millionen US-Tether und 50’000 Franken ausgestattet ist. Sie soll künftig die Aktivitäten von «Plan B» verantworten. Vizepräsident der Stiftung ist der Bitcoin-Maximalist Giacomo Zucco, der in Italien die libertäre «Tea Party» mitaufgebaut hat. Weitere Personen aus der Bitcoin-Szene sind als Mitglieder eingetragen. Präsidiert aber wird die Stiftung von Stadtpräsident Michele Foletti. Ardoino sagt: «Nun wollen wir ‹Plan B› auf einem globalen Level etablieren.»
Klingt das nicht alles etwas gross für eine kleine Stadt im Tessin? Er sei zu Beginn der Partnerschaft vorsichtig gewesen, sagt Michele Foletti zur Republik. Und auch der Finanzplatz sei kritisch gewesen. Zumindest die Vermögensverwalter hätten sich mittlerweile aber mit dem Projekt angefreundet. «Wir wollen die alte Finanzwelt mit der neuen zusammenbringen», sagt der Stadtpräsident. Aber man stehe noch am Anfang. Und schon jetzt gibt es auch Widerstand: Im bürgerlich dominierten Stadtparlament hat sich eine linke Opposition gegen das Vorhaben formiert, die bereits mehrere Vorstösse eingereicht hat.
Die schwierige Lage des Finanzplatzes und des lokalen Handels war der Grund, dass Foletti seine politische Karriere an die Kryptowelt gebunden hat. Als Lugano 2020 hart von der Pandemie getroffen wurde, lancierte die Regierung den Stablecoin Luga, um das lokale Gewerbe zu unterstützen. Eigentlich handelt es sich beim Luga um ein Bonusprogramm, bei dem die Käuferin 10 Prozent Rabatt erhält. Es läuft auf einer sogenannt verteilten Datenbank namens 3Achain. Mit der Bitcoin-Blockchain hat sie wenig zu tun.
Foletti ist im Gespräch sichtlich darum bemüht, die Verlässlichkeit seines Innovationsprojekts zu betonen. Die städtische Infrastruktur sei von Tether getrennt, sagt er. Zudem hat sich die Gemeinde einer Selbstregulierungsorganisation angeschlossen, die ihre Sorgfaltspflichten überwacht. Bitcoins und Stablecoins können beim Bezahlen in Läden direkt in Franken transformiert werden, sodass die überwältigende Mehrheit der Händler keine Kryptowährungen besitzt. Auch die Steuern, die man in Lugano in Bitcoin bezahlen kann, werden von einem Dienstleister in harte Franken umgewandelt, bevor sie in der Stadtkasse landen.
Und diese könnte auch von «Plan B» profitieren. Im September 2022 konnte Lugano zumindest schon mal einen Coup vermelden. Der norwegische Ölmilliardär Kjell Inge Røkke schluckte die orange Pille und zog in die Stadt, nachdem die Regierung in seinem Heimatland die Steuern erhöht hatte. In einem Brief an Investorinnen für sein neues Krypto-Investmentvehikel Seetee schrieb Røkke: Die libertären Ideale der Cypherpunks seien wertvolle Versprechen für die heutige Welt. Er werde vorerst 500 Millionen Kronen – damals rund 40 Millionen Franken – ins Bitcoin-System investieren.
Der Server in der Schweizer Provinz
«Plan B» ist nicht der erste Anlauf der Männer hinter Tether und Bitfinex, in der Schweiz Fuss zu fassen. Die Kryptobörse Bitfinex wollte bereits vor einigen Jahren in die Schweiz ziehen. Der damalige CEO van der Velde traf sich bis im Frühling 2018 zweimal mit dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen, wie dieses auf Anfrage bestätigt. Man habe die hiesigen Rahmenbedingungen erläutert, schreibt die Behörde. Man hätte die Verlegung von Bitfinex in die Schweiz begrüsst, wenn die Börse die Voraussetzungen der Finanzmarktaufsicht Finma erfüllt hätte.
Warum der Umzug von den Britischen Jungferninseln schliesslich nie stattfand, ist nicht bekannt. Weder Bitfinex noch die Finma haben der Republik Fragen dazu beantwortet.
Die Kryptobörse verkündete jedoch am 11. Juli 2018, man habe die Zuger Firma Market Synergy ausgewählt, eine «robuste, leistungsstarke» Infrastruktur aufzubauen. Das Unternehmen wurde gleichentags neu gegründet, die Geschäftsführung übernahm ein Brite, wie der Eintrag im Handelsregister zeigt.
Schon im Jahr darauf meldete Bitfinex, man sei nun aus der Cloud von Amazon in ein eigenes Rechenzentrum im «Herzen des Crypto Valley» umgezogen. Das ist geografisch weit gefasst: Als «Schweizer Crypto Valley» wird Zug bezeichnet, Market Synergy bietet seine Services von Servern in einem Rechenzentrum der Firma Green im aargauischen Lupfig aus an. Aber ob Aargau oder Innerschweiz – die Hauptsache war wohl sowieso: weit weg von einem Zugriff durch die USA.
Als am 15. Oktober 2021 die amerikanischen Behörden eine Anordnung gegen Tether und Bitfinex veröffentlichten, schrieb Bitfinex am selben Tag in einer Mitteilung, die Serverkapazität in der Schweiz sei verdoppelt worden.
Danach hört man nichts mehr über die Partnerschaft. Das Telefon von Market Synergy ist heute wegen Zahlungsrückstands gesperrt, Kunden sind nicht zu eruieren. Ein Zürcher Treuhänder, der als Vorsitzender der Geschäftsleitung im Handelsregister eingetragen ist, versichert aber auf Nachfrage knapp, man arbeite nach wie vor mit Bitfinex zusammen und freue sich auf weitere erfolgreiche Jahre.
Auch Tether hat schon vor der Partnerschaft mit Lugano ein Geschäft in der Schweiz aufgebaut. Finanzchef und Ex-Schönheitschirurg Devasini gründete bereits im Mai 2017 zusammen mit einem Tessiner Treuhänder die Firma Smart Property Solutions. Gemäss Firmenzweck soll sie Kryptowährungen ausgeben und Räume für die physische Aufbewahrung von Banknoten, Edelmetall, Kunstwerken und wertvollen Dokumenten bereitstellen.
Wie die einstigen Nutzungsbedingungen zeigen, schöpfte Smart Property Solutions die an den Euro gebundenen Stablecoins von Tether, einer Alternative zu den Coins, die an den Dollar gebunden sind. Die Euro-Coins waren im April 2018 auf der damals registrierten Domain Tether.ch mit einem Marktvolumen von 86 Millionen Euro angegeben. (Es ist der letzte Zeitpunkt, an dem die Firmenwebsite vom Internetarchiv gespeichert wurde.)
In den Nutzungsbedingungen wird darauf verwiesen, dass Smart Property Solutions keiner Schweizer Aufsicht unterstehe. Die Firma habe damals aber eine Lizenz der Schweizer Finanzmarktaufsicht beantragen wollen, sagt eine einst involvierte Person, die anonym bleiben will. Das gelang nicht, wie ein Blick auf die Finma-Liste zeigt. Die Website von Smart Property Solutions wurde gelöscht, Devasini 2021 aus dem Handelsregister ausgetragen. Heute wird der Euro-Stablecoin von einer Tether-Gesellschaft auf den Britischen Jungferninseln herausgegeben.
Seither sind keine Topmanager der beiden Kryptofirmen mehr im Schweizer Handelsregister vertreten. Nach Vereinbarung der Partnerschaft mit Lugano haben aber der Verantwortliche für nicht näher definierte «Special Projects Services» von Tether und Bitfinex sowie der «Head of Plan B», so nennen sie sich auf Linkedin, mehrere Firmen gegründet. Was sie genau mit ihnen vorhaben, wird sich zeigen.
7,6 Tonnen Gold
Und: Tether hat von der Schweiz aus ein goldbasiertes Geschäft aufgebaut. Ein Werbeflyer zeigt drei ernst dreinschauende Männer im Geschäftsanzug auf einem Berg aus Goldmünzen. Giacomo Zucco, Vizepräsident der Plan-B-Stiftung, sitzt neben Tether-CEO Paolo Ardoino. Sie werben für das 2020 lancierte Nebenprojekt Tether Gold, einen an das Edelmetall gebundenen Stablecoin.
Das Gold, das den Inkas noch als «Tränen der Sonne» gegolten habe, sei von den Zentralbanken seiner universellen Funktion beraubt worden, klagen die Herausgeber in einem Whitepaper. Dort wird auch ein libertärer Traum der Bitcoin-Anhängerinnen heraufbeschworen: Währungshütern und Grossbanken soll die Macht entrissen werden. An deren Stelle tritt privates Geld.
Tether bunkert für seinen Goldcoin nach eigenen Angaben über 7,6 Tonnen Gold in einem Schweizer Tresor. Gegenwert: rund 500 Millionen Dollar. Dieser Betrag ist laut Firmenangaben von Kunden, die sich Goldcoins sichern wollten, eingezahlt worden. Kundinnen könnten sich das Edelmetall an eine Schweizer Adresse liefern oder es direkt verkaufen lassen, wenn sie die Coins loswerden wollen, verspricht Tether auf der Website. «Wir wurden schon getestet und haben Gold ausgeliefert», sagt Ardoino im Gespräch. Und er ergänzt: «Wir bewahren es in einem eigenen Tresor in der Schweiz auf. Vertraue nie einer Bank.»
Die Website gibt es in Englisch und Spanisch, aber auch in Russisch, Chinesisch und Türkisch. Zählt Tether Gold besonders viele Kunden aus diesen Ländern? Diese wie alle weiteren Fragen der Republik beantworteten die beiden Firmen nicht.
Im Umgang mit Gold ist besondere Vorsicht geboten. Das Edelmetall sei wegen Wert und Stabilität sowie hoher Mobilität über nationale Grenzen hinweg besonders geeignet für Geldwäsche, schreibt das Swiss Precious Metals Institute in einem Leitfaden.
Auf Anfrage der Republik äussert sich weder die Institution der Schweizer Edelmetallbranche noch die auf Finanztechfirmen spezialisierte Selbstregulierungsorganisation VQF konkret zu Tethers Goldgeschäft. Die Schweizer Edelmetallkontrolle verwies an die Finma, die wiederum keine «Einzelfälle» kommentieren will.
Die Schwierigkeiten bei einer Einschätzung von Tethers und Bitfinex’ Geschäftsmodell sind auch in der Materie selbst begründet. Der Kryptomarkt ist jung, komplex und turbulent, die Regulation hinkt den findigen Ideen oft hinterher. Man müsse tief in die Materie sehen, um ein qualifiziertes Urteil zu den Geschäftsmodellen abzugeben, sagt ein auf Technologie spezialisierter Jurist, der nicht namentlich genannt werden möchte. Und wer tieferen Einblick habe, sei meist selbst involviert oder wolle nicht in den Medien vorkommen, um es sich nicht mit potenziellen Mandanten zu verscherzen.
Satoshi in El Salvador
Am «Plan B Forum» in Lugano hat auch der behördlich beauftragte Wirtschaftsförderer Switzerland Global Enterprise einen Stand aufgestellt. Die Vertreterin vor Ort möchte sich nicht damit zitieren lassen, was sie von der Bitcoinszene denkt. Besonders wohl scheint ihr hier nicht zu sein. Das erstaunt nicht wirklich: Ein Stockwerk höher hängen an einer temporären Kunstausstellung Bitcoin-Heiligenbilder neben der Zeichnung einer brennenden Zentralbank und dem Solidaritätsplakat für Ross Ulbricht, den verurteilten Gründer des einst grössten Online-Schwarzmarkts.
Eine Künstlerin von Satoshigallery, benannt nach dem mysteriösen Erfinder des Bitcoins, hat Handgranaten und Molotowcocktails mit dem Bitcoin-Logo verziert. Später sieht man die junge Frau im Arm des medienscheuen Tether-Finanzchefs Devasini. Die beiden haben in Lugano geheiratet, wie einem Eintrag ins französische Handelsregister zu entnehmen ist. Dort hat der Manager auch eine Wohnadresse in der Tessiner Stadt angegeben.
Die Künstlerin war in den letzten Jahren mehrfach in El Salvador. Sie hat kürzlich auf ein Hochhaus im Grossraum der Hauptstadt das Porträt von Präsident Bukele malen lassen, das während des «Plan B Forums» in mehrfacher Ausführung auch im Palazzo dei Congressi hängt.
Anfang November, kurz nach dem Kongress, postet Tether-CEO Ardoino eine Art Familienfoto aus dem Präsidentenbüro in San Salvador. Er schreibt: «Reizendes Gespräch und Abendessen mit dem Präsidenten.» Links auf dem Foto sieht man Devasini und die Künstlerin, in der Mitte steht Ardoino, den linken Arm um die operative Chefin von Tether und Bitfinex gelegt und den rechten um den lässig gekleideten Bukele, der sein präsidiales Lächeln lächelt.
Die Bitcoin-Obsession des «Philosophenkönigs», wie sich Bukele auf der Plattform X nennt, hat längst grössenwahnsinnige Züge: Er will eine riesige Stadt um einen Bitcoin-Platz errichten lassen, den man noch vom Mond sehen soll. Die geothermische Energie des nahen Vulkans Conchagua soll in der geplanten Sonderwirtschaftszone für das Mining, die energieaufwendige Verifikation von Bitcoin-Transaktionen, genutzt werden.
Eine neue Gesellschaft von Bitfinex hätte eine staatliche Bitcoin-«Vulkananleihe» handelbar machen sollen, um das Projekt mit einer Milliarde Dollar anzustossen. Das wurde abgeblasen. Nun soll das Geld für das megalomanische Vorhaben ohne Staatsschulden gesammelt werden. Tether gehört zu den ersten Investoren.
Vorsitzender der zuständigen Organisation Volcano Energy ist Bitcoin-Guru Max Keiser. «Wir werden alle fucking reich hier», jubilierte Keiser im Juni 2021 in einem Videoclip zum Vulkanprojekt. Ihm steht als CEO Josue Lopez zur Seite: der Mann, der letztes Jahr zum Bitcoin-Botschafter in Lugano ernannt wurde. In einem Video, in dem er von Keiser als «der erste Bitcoin-Diplomat überhaupt» vorgestellt wurde, kündete der ehemalige Investmentmanager an, er wolle die Geldflüsse zwischen El Salvador und der Schweiz verbessern und wahre Souveränität jenseits von Weltbank und Internationalem Währungsfonds lernen. Auf X behauptete Lopez im März 2023, Schweizer Banker würden ihn anbetteln, in El Salvador investieren zu dürfen.
Nicht ganz geheuer?
Im letzten Herbst publizierte Bitfinex ein «Freedom Manifesto»: Man stehe auf den Schultern von Giganten wie Friedrich August von Hayek, dem Vordenker der Ultraliberalen, und den Cypherpunks, heisst es dort drin. Und: Man schreibe Software, um die Freiheit zu verteidigen, der Bitcoin soll dafür Garant sein. Wie auch in Tethers Gold-Paper ist zwischen den Zeilen die Vision der libertären Bitcoin-Maximalisten herauszulesen: Das alte Finanzsystem wird zusammenbrechen und durch privates digitales Geld ersetzt. Zentralbanken und Staaten werden ihre Macht verlieren – und einige Leute werden aberwitzig reich und mächtig.
Ist das nicht eine etwas gar eigentümliche Gesellschaft, in die sich Lugano begeben hat? Michele Foletti wiegelt im Gespräch ab. Der Bitcoin-Botschafter sei keine offizielle Vertretung, sagt er. Man kläre derzeit erst ab, ob es ein offizielles Konsulat von El Salvador in Lugano geben wird. Von einer Beteiligung der Bitcoin-Maximalistin Stacy Herbert an den Verhandlungen zwischen dem zentralamerikanischen Staat und Lugano will die Stadt auf Anfrage keine Kenntnisse haben.
Nur: Diese ist sogar auf dem Pressefoto der beiden Delegationen drauf, Herbert steht stolz in der Mitte. In der Mitteilung wird sie allerdings als Einzige nicht genannt. Auch Lugano selbst scheint die Gesellschaft der Bitcoin-Maximalistin nicht ganz geheuer zu sein.
«Da es sich um eine innovative Initiative handelt, ist es verständlich, dass sie von einigen mit Begeisterung aufgenommen wird, während andere Kritik äussern», heisst es aus dem Rathaus auf Anfrage. Der Stadtpräsident habe innovativen Initiativen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, eine davon sei «Plan B».
Das klingt deutlich verhaltener als damals auf den Plakaten für das erste «Plan B Forum» von Lugano und Tether. Dort hiess es: «All deine Euros werden nichts mehr wert sein.» Und: «Bitcoin ist Freiheit.» Die Frage ist bloss: wessen Freiheit?
In einer früheren Version hatten wir El Salvador in Südamerika verortet, richtig ist Zentralamerika. Wir haben die Stelle mittlerweile angepasst und bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.
Zum Autor und zu dieser Recherche
Thomas Schwendener ist Redaktor des Fachmagazins «Inside IT». Er schreibt zudem als freier Journalist über Technologie und Wirtschaft. 2022 berichtete er für die Republik über das digitale Fiasko an den Schulen der Stadt Bern.
Diese Recherche wurde finanziell durch den Recherchefonds von Investigativ.ch unterstützt.