Grosse Räder vor dem Brandenburger Tor: Bauern­protest am 8. Januar in Berlin. Christoph Voy

Warum die deutschen Landwirte wirklich streiken

Auslöser für die Bauern­proteste in Deutschland waren Subventions­kürzungen. Doch die tiefer liegenden Gründe sind ein agrar­politischer Schlingerkurs und fehlende Zukunfts­perspektiven. Sind solche Proteste auch in der Schweiz zu erwarten?

Von Katharina Wecker, 11.01.2024

Vorgelesen von Egon Fässler
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Schwere Traktoren rollen seit Montag durch ganz Deutschland. In Berlin, München, Hamburg und fast jeder kleineren Stadt demonstrieren insgesamt Zehn­tausende Bäuerinnen gegen die Bundes­regierung. Sie kippen Mist­haufen auf Autobahn­auffahrten, stellen Traktoren auf Kreuzungen quer. Vielerorts steht der Verkehr still.

An den Traktoren hängen Plakate mit Sätzen wie «Der Wahnsinn muss ein Ende haben», «Bauerntod = Hungersnot» oder «Jungbauer sucht Zukunft». Auch der eine oder andere Stinke­finger ist auf den Schildern zu sehen. An einzelnen Orten tauchten Darstellungen von Ampeln an Galgen auf. Weil diese mit Bezug auf die Ampel­regierung als öffentliche Aufforderung zu einer Straftat verstanden werden könnte, ermittelt nun teilweise die Polizei.

Zu der Protest­woche aufgerufen hat der Deutsche Bauern­verband, nachdem die Bundes­regierung im vergangenen Dezember Subventions­kürzungen angekündigt hatte. So soll beispiels­weise die Steuer­befreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge und Maschinen gestrichen werden oder die Subventionen für Agrar­diesel. Die Kürzungen hat die Ampel­koalition, bestehend aus SPD, FDP und den Grünen, zwar teilweise schon wieder zurück­genommen. Trotzdem soll noch bis zum 15. Januar demonstriert werden.

Anders als befürchtet blieb der Protest bisher an den meisten Orten friedlich. Im Vorfeld hatten Rechts­extreme und Verschwörungs­ideologen massiv für die Bäuerinnen­proteste mobilisiert. In den letzten Wochen war die Stimmung teilweise aggressiv gewesen. So hatten Mitte Dezember rund 30 Traktoren vor dem Privathaus von Nieder­sachsens Landwirtschafts­ministerin Miriam Staudte ein Hupkonzert veranstaltet. Und vergangene Woche war der grüne Wirtschafts­minister Robert Habeck von bis zu 300 aufgebrachten Menschen mit Traktoren, Lastwagen und übrig gebliebenen Silvester­raketen davon abgehalten worden, nach seinen Ferien von einer Fähre an Land zu gehen. Auf Telegram wurde der Überfall danach von rechts­extremen Kreisen bejubelt.

In Bonn verteilten die demonstrierenden Landwirte am Montag Äpfel an die Menschen in der Innen­stadt, Kaffee und Gebäck an die Polizistinnen. Insgesamt gab es viel Zuspruch und Verständnis. Zuschauer applaudierten den vorbei­fahrenden Land­wirtinnen immer wieder. Trotz allem war die Wut der Bauern aber deutlich zu spüren.

Woher kommt sie?

Hauruck-Aktionen ohne Plan

Tatsache ist, dass die inzwischen wieder in Teilen zurück­genommenen Subventions­kürzungen für die meisten Betriebe wohl nicht existenz­gefährdend wären. Das zeigt der Blick auf die Zahlen: Wäre die Agrardiesel­vergütung wie ursprünglich angekündigt gestrichen worden, hätten durch­schnittliche Betriebe pro Jahr 700 bis 4000 Euro weniger in der Tasche, wie die Fach­zeitschrift «Agrarheute» ausgerechnet hat. Dazu wäre die Kraftfahrzeug­steuer gekommen, die für landwirtschaftliche Fahrzeuge bislang nicht gezahlt werden muss. Diesen Plan hat die Bundes­regierung nach ersten Protesten allerdings schon wieder zurück­genommen. Die Agrardiesel­subvention wird nun schritt­weise abgeschafft.

Doch darum allein geht es nicht. Die eigentliche Ursache für die Proteste liegt tiefer. Es geht um enttäuschte Hoffnungen in der Vergangenheit, fehlende Zukunfts­perspektiven und politische Hauruck­massnahmen.

Spontane Agrar­politik habe es in der Vergangenheit mehrfach gegeben, sagt Knut Ehlers, Leiter des Fachgebiets Landwirtschaft beim Umwelt­bundesamt. «Ich erkenne ein Muster: Wenn die Bundes­regierung – wie auch jetzt wieder – von akuten Zwängen und Nöten getrieben ist, trifft sie Ad-hoc-Einzel­entscheidungen, während die grossen Fragen weiter unbeantwortet bleiben.» Solche politischen Ad-hoc-Entscheidungen treffen auf eine Landwirtschaft, die mit Alltags­problemen und Zukunfts­sorgen zu kämpfen hat. «Da sind die Kürzungen dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt», sagt Ehlers.

Die letzten grossen Landwirtschafts­proteste fanden 2019/2020 statt. Damals hatte die EU Deutschland wegen zu hoher Nitrat­werte im Grund­wasser verklagt. Als Reaktion darauf verschärfte die damalige Bundes­regierung unter Angela Merkel (CDU) die Dünge­verordnung. Die neue Regelung kam quasi über Nacht. Obwohl das Problem mit den hohen Nitrat­werten seit Jahrzehnten bekannt war, wurde das Gesetz erst angepasst, als Deutschland verklagt wurde. Die Landwirtinnen liefen gegen die neuen Regelungen Sturm. Sie fühlten sich in ihrer Existenz bedroht, weil sie einen geringeren Ertrag befürchteten, wenn sie weniger düngen könnten.

Nach den Dünge­protesten forderte Angela Merkel die Landwirte auf, konstruktiv nach Lösungen zu suchen. Sie initiierte «Agrargipfel»-Gespräche mit Vertreterinnen aus der Landwirtschaft, der Industrie, von Natur- und Umweltschutz­organisationen. Die Zukunfts­kommission Landwirtschaft wurde einberufen und die sogenannte Borchert-Kommission, die sich mit Tierwohl beschäftigte.

Ehlers vom Umwelt­bundesamt empfand die beiden Kommissionen als sehr wertvoll. Denn alle Stakeholder hätten sich an einen Tisch gesetzt und überlegt: Wie kriegen wir das mit dem Wandel hin? Wie schaffen wir einen Interessen­ausgleich? «Dass jede Gruppe, also Natur­schützer, Tier­schützer, Klima­schützer und Landwirte, unterschiedliche Interessen verfolgt, ist nachvollziehbar. Aber letztendlich muss man auf einen gemeinsamen Nenner kommen, denn der eine kann ohne den anderen nicht funktionieren», sagt Ehlers.

Die Expertinnen­gremien legten viel­versprechende Vorschläge und eine agrar­politische Strategie vor, die auf Konsens beruhten. Doch die wurden von der Politik ignoriert, die Hoffnungen der Beteiligten enttäuscht. Weder die Regierung unter Angela Merkel noch die jetzige Ampel­koalition hätten die politischen Voraus­setzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Empfehlungen geschaffen, schrieben die Mitglieder der Borchert-Kommission im August 2023 und legten ihre Arbeit nieder. Auch die Mitglieder der Zukunfts­kommission beklagten sich über den fehlenden Ehrgeiz der Ampel­koalition, die einstimmig gefassten Beschlüsse umzusetzen. Trotzdem macht die Kommission weiter.

Fehlende Zukunfts­vision

Die Landwirte stehen vor diversen Heraus­forderungen – nicht nur in Deutschland. Der Konkurrenz- und Preis­druck ist hoch, die Gesellschaft fordert mehr Umwelt- und Klimaschutz, mehr Tierwohl. Das führe zu einer generellen Unzufriedenheit und Unsicherheit, sagt Thomas Herzfeld, Leiter Agrar­politik am Leibniz-Institut für Agrar­entwicklung in Transformations­ökonomien. «Die Landwirtschaft hat den Eindruck, es wird immer mehr verlangt, aber die Politik gibt keine klaren Rahmen­bedingungen vor oder sagt, wo es genau hingehen soll», sagt er.

Doch eine langfristig ausgelegte Agrar­politik gibt es seit den Nachkriegs­jahren nicht mehr. Damals lag das Haupt­augenmerk darauf, Nahrungs­mittel in ausreichender Menge und Qualität zu produzieren. Das hat die Politik bewusst mit Subventionen gefördert – sehr erfolgreich. So erfolgreich, dass sich die Landwirtschaft modernisierte, produktiver und effizienter wurde. Es kam sogar zu einer Milch­überproduktion, sogenannte Milch­seen und Butter­berge entstanden. Die EU musste enorme Lager­bestände aufkaufen und einlagern, um den Marktpreis zu stabilisieren.

Seit den Nachkriegs­jahren wurden die historisch gewachsenen Subventionen aber kaum angepasst. Allerdings haben die Bauern diese auch immer verteidigt. «Es fehlt eine konkrete Zukunfts­perspektive für die Art und Weise, wie, wofür und in welchem Umfang wir die Landwirtschaft fördern wollen», sagt Herzfeld.

Auch aus der Europäischen Union, die mit ihrer Gemeinsamen Agrar­politik – einem Steuerungs- und Finanzierungs­instrument – die Landwirtschaft in Deutschland massgeblich prägt, gibt es keine wirkliche Vision mit konkreten Massnahmen. Die Klimaziele und die Farm-to-fork-Strategie der EU, mit der die Agrar­produktion gesünder und umwelt­freundlicher werden soll, geben zwar die Stoss­richtung vor: weniger Tierhaltung, mehr Biodiversität, weniger Pestizide, mehr Ökoanbau. Doch die Subventionen fördern nach wie vor hauptsächlich grosse Betriebe, unabhängig von ihrer Bewirtschaftungsart – 80 Prozent der europäischen Förderungen gehen an nur 10 Prozent der Betriebe. Der Status quo bleibt also erhalten.

Schweizer Land­wirtschaft politisch gut vertreten

Bei den deutschen Landwirtinnen schwelt die Unzufriedenheit schon lange mit. Wie ist die Stimmung in der Schweiz? Ist mit solchen Protesten auch hierzulande zu rechnen?

Nein, meint der Schweizer Bauern­verband. «Wir sind dankbar und froh, dass die Situation in der Schweiz etwas besser ist», sagt Sandra Helfenstein, Sprecherin des Schweizer Bauern­verbands. Anders als ursprünglich geplant gibt es 2024 keine Reduktion der Direkt­zahlungen. Und auch die Mineralöl­steuer­rückerstattung bleibt, anders als in Deutschland, für die Bauern­betriebe erhalten.

Robert Finger, Professor für Agrar­politik an der ETH Zürich, sieht momentan ebenfalls keine Gefahr, dass es zu Protesten in dem Ausmass wie in Deutschland kommt. Ja, es gebe auch hier Unstimmigkeiten in der Agrar­politik und grosse politische Unsicherheiten, wenn über Volks­initiativen wie die Pestizid-, die Massen­tierhaltungs- oder Biodiversitäts­initiativen abgestimmt werde. Und ja, die Landwirtinnen mahnten vermehrt an, dass der Markt keine kosten­deckenden Preise zahlt. Ausserdem gebe es wie in vielen europäischen Ländern steigende Anforderungen von der Politik und vom Markt bezüglich mehr Tierwohl, mehr Nachhaltigkeit, mehr Klimaschutz.

Ein grosser Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz ist aber, dass die deutschen Landwirte das Gefühl haben, von der Politik ignoriert und übergangen zu werden. In der Schweiz ist das anders. «Hier haben wir nicht die Situation, dass die Landwirte nur durch Proteste ihrer Stimme Gehör verschaffen können», sagt Finger. «Die Anliegen der Landwirtschaft sind zum Beispiel gut im parlamentarischen Prozess vertreten.»

Die Schweizer Landwirtinnen haben sogar eine äusserst starke Lobby. Besonders mächtig sind Markus Ritter und sein Bauern­verband in Bern. Dank diesem wurde das Agrar­budget 2024 nicht gekürzt.

In Deutschland gehen die Bauern dagegen weiter auf die Strasse. Der Höhepunkt der Protest­woche soll am kommenden Montag in Berlin stattfinden: eine grosse Demo mit 10’000 Teilnehmerinnen und Hunderten von Traktoren, die die Hauptstadt lahmlegen sollen. Werde der Bundestag nicht einlenken, seien weitere Eskalationen geplant, sagte ein Bauer in Wutöschingen im Landkreis Waldshut: Dann werde man ganz Deutschland lahmlegen.

Zur Autorin

Katharina Wecker lebt in Bonn und berichtet als freiberufliche Journalistin über Umwelt, Klima­wandel, Land­wirtschaft und gesellschafts­politische Themen. Ihre Texte und Videos erscheinen unter anderem bei der «Deutschen Welle» und «Spiegel online». Für die Republik schrieb sie zuletzt über die Suche nach dem nachhaltigen Steak.

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