«Wenn wir uns nicht gegen die Verfolgung von Julian Assange stellen, werden wir zu Barbaren»

Der Vater des Wikileaks-Gründers reist seit Jahren um die Welt und kämpft für dessen Freilassung. John Shipton über abgebrochene Zähne im Gefängnis, das englische Rechts­system und darüber, wieso er nicht über die Kindheit seines Sohnes sprechen will.

Ein Interview von Bettina Hamilton-Irvine, 06.10.2023

Vorgelesen von Jonas Rüegg Caputo
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«Man tut einfach das, wozu man bestimmt ist»: John Shipton am 7. September 2020 während einer Protestaktion gegen die Auslieferung seines Sohnes an die USA. Gustavo Valiente/Polaris/laif

Aus der Brusttasche seines Jacketts schaut der Kopf eines winzigen Plüsch­tiers hervor, vielleicht ist es ein Faultier. Er wisse nicht genau, was es sei, sagt John Shipton, aber seine Enkel hätten es ihm gegeben, die Kinder von Julian, deshalb gebühre ihm ein Ehrenplatz. John Shipton sitzt in einem gepolsterten Sessel in der Lobby des Hotels Schweizerhof in Basel, es ist Samstag­morgen früh und er hat nur eine Stunde Zeit, bis er weiter­muss, nach Genf.

Seit Jahren schon ist der Australier unterwegs, und überall, wo er Station macht, muss er schnell wieder weiter, denn seine Mission lässt keine Verzögerungen zu. Er kämpft für die Freiheit seines Sohnes, des berühmtesten Gefangenen der Welt: Julian Assange. Dieser sitzt seit viereinhalb Jahren im Hochsicherheits­gefängnis Belmarsh in London. Es droht ihm die Auslieferung in die USA, wo man ihn wegen Spionage zu bis zu 175 Jahren Haft verurteilen könnte.

Wie ernst die ganze Sache ist, sieht man John Shipton nicht an: Der grosse, hagere Mann hat ein freundliches Gesicht, er lächelt oft und spricht mit sanfter Stimme. Als ein Hotel­angestellter Gläser mit Wasser auf den Tisch stellt, sagt er: «Oh, wie wunderbar, vielen Dank, was für eine reizende Idee.»

John Shipton, seit Jahrzehnten Friedens­aktivist, lernte Julian Assanges Mutter 1970 bei einer Demonstration gegen den Vietnam­krieg kennen. Doch das Paar trennte sich, bevor der Sohn geboren wurde, Julian wuchs ohne Kontakt zu seinem Vater auf. Erst als er bereits erwachsen war, entstand eine Beziehung zwischen den beiden.

John Shipton, wie war es in den letzten Jahren, der Vater von Julian Assange zu sein?
Das ist eine schwierige Frage, denn ich habe keinen Vergleich. Aber ich weiss, dass man, wenn man sich das Vater­sein zu eigen macht, es voll und ganz annimmt, niemals kein Vater mehr sein kann. Man tut einfach das, wozu man bestimmt ist.

Sie sind 79 Jahre alt und reisen seit vielen Jahren durch die Welt, haben mehr als 50 Länder besucht, um sich für die Freilassung Ihres Sohnes einzusetzen – ohne zu wissen, ob Sie ihn jemals wiedersehen werden. Woher nehmen Sie die Energie, um jeden Tag aufzustehen und weiterzumachen?
Ich habe keine Wahl. Man denkt nicht, dass man sich heute lieber einen Donald-Duck-Film ansehen möchte. Das ist einfach keine Option. Es ist wie mit der Sonne, die aufgeht – sie hat auch keine Wahl. Sie scheint jeden Tag. Aber manchmal hat man das Gefühl, eine Last zu tragen, ein schweres Gewicht. An gewissen Tagen ist es schwerer als an anderen.

Zum Fall Assange

Seit Julian Assange 2010 auf seiner Plattform Wikileaks gemeinsam mit der Whistle­blowerin Chelsea Manning Menschenrechts­verletzungen und Kriegs­verbrechen des US-Militärs öffentlich machte, wollen die USA ihm den Prozess machen. Assange lebt zu diesem Zeitpunkt in Schweden. Wegen eines Verdachts auf Sexualvergehen erliess die schwedische Staats­anwaltschaft 2010 einen Haft­befehl gegen Assange, der aber kurz darauf wieder fallen gelassen wurde. Bald darauf wird Assange, der mittlerweile nach Grossbritannien gezogen ist, wegen eines neuen Haftbefehls aus Schweden in London festgenommen. Er geht in Berufung, verliert und soll 2012 nach Schweden ausgeliefert werden. Er flieht in die Botschaft von Ecuador in London, beantragt politisches Asyl und bleibt dort jahrelang. 2019 verliert Assange seinen Asyl­status in Ecuador, weil er gegen die Asyl­bedingungen verstossen habe. Kurz darauf wird er in der Botschaft festgenommen. Die US-Justiz erhebt Anklage, während er in London zu einer Gefängnis­strafe von 50 Wochen verurteilt wird für seine Flucht in die ecuadorianische Botschaft. Auch die schwedische Staats­anwaltschaft nimmt die Ermittlungen wieder auf, stellt sie aber ein paar Monate später wieder ein, weil die Beweis­lage zu dünn sei für eine Anklage. Assange befindet sich seit 2019 im Hochsicherheits­gefängnis Belmarsh in London und versucht seine Auslieferung in die USA zu verhindern – ein offizielles Auslieferungs­gesuch liegt seit Juni 2019 vor. 2022 durfte er im Gefängnis die britische Anwältin Stella Moris heiraten, die schon seit vielen Jahren in seinem Anwalts­team ist. Das Paar hat zwei Kinder.

Ihr Sohn befindet sich seit 13 Jahren in der einen oder anderen Form von Gefangenschaft. Nils Melzer, der Uno-Sonder­berichterstatter für Folter, der ihn 2019 im Gefängnis besuchte, kam zum Schluss, dass seine Behandlung psychologische Folter darstellt – eine Form der Folter, die darauf abzielt, die Persönlichkeit einer Person zu zerstören. Wie schaffen Sie es, das zu ertragen?
Julian ist derjenige, der leidet. Und ich benutze Leiden nicht als Mass­stab, denn alle Lebewesen leiden. Aber wenn wir die Verfolgung von Julian als Symbol, als Verleger und Journalist zulassen, geben wir viele der grossen Schätze der menschlichen Zivilisation auf, die wir teilweise in Zehntausenden von Jahren erschaffen haben.

Wie meinen Sie das?
In Bezug auf menschliche Errungenschaften gilt: Man muss viel Erz zermahlen, um Gold­stücke zu finden. Wir sind von Erkenntnissen umgeben, auf die wir teilweise zehntausend Jahre hingearbeitet haben. Viele der Dinge, die wir gelernt und in die Praxis umgesetzt haben, sind Schätze. Auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist ein grossartiger Schatz, der auf den letzten zehntausend Jahren unserer Erfahrung aufbaut. Und die Vereinten Nationen sind ein weiterer grosser Schatz, dessen Entstehung zwei Kriege brauchte, die viele Länder zerstörten und hundert Millionen Menschen­leben kosteten. Wenn wir uns nun nicht gegen die Verfolgung von Julian Assange und von vielen anderen Menschen stellen, werden wir zu Barbaren.

Sie haben einmal gesagt, wenn Julian untergeht, geht auch der Journalismus unter. Kämpfen Sie für Ihren Sohn oder kämpfen Sie für etwas Grösseres wie Menschen­rechte, Pressefreiheit und Gerechtigkeit?
Ich kämpfe für meinen Sohn, aber ich kämpfe auch für die Dinge, die die meisten Menschen betreffen, damit wir eine Vielzahl von Menschen auf unserer Seite haben. Das mag nun etwas berechnend klingen. Ganz zentral ist aber das gesellschafts­politische Verständnis dafür, dass die Verfolgung von Julian Assange ein politischer Akt ist und eine Folge eines politischen Phänomens, das es zu beenden gilt.

Es scheint, dass diese Nachricht angekommen ist, denn seine Geschichte bewegt enorm viele Menschen auf der ganzen Welt.
Tatsächlich. Und ich kann noch immer nicht ganz verstehen, was es wirklich ist, das die Menschen so bewegt. Obwohl ich mittendrin bin.

Sie verstehen es nicht?
Ich weiss nicht genau, was es ist. Warum diese Bewegung so viele Menschen und Institutionen auf der ganzen Welt erfasst. Und sie wächst, wie Pilze nach dem Regen im Sommer.

Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?
Vorgestern. Ich bin nach London gefahren, um Julian und seine Kinder zu sehen.

Wie geht es ihm?
Es schien ihm nicht schlecht zu gehen. Aber wissen Sie, diese drei Kinder, die ich habe, offenbaren mir nie ihre Beschwerden oder ihr Leid. Andere Personen besuchen Julian und erzählen mir danach, wie schlecht es ihm gehe. Aber wenn ich ihn besuche, beklagt er sich nie. Er wies mich zwar darauf hin, dass er sich einen Zahn abgebrochen hatte, aber er beklagte sich nicht, wie man es von jemandem erwarten würde, der im Gefängnis sitzt, Schmerzen hat und nicht zum Zahnarzt gehen kann. Er lächelte nur und sagte: «Schau, da ist ein Stück weg.»

Es ist klar, dass er nicht bei guter Gesundheit ist.
Nein, das ist er nicht. Das sagte bereits der Bericht von Nils Melzer sehr deutlich.

Nils Melzer warnte 2019, Julian Assanges Gesundheit verschlechtere sich zunehmend und sein Leben sei in Gefahr.
In der Tat.

Im Mai dieses Jahres sagten Sie, die Bemühungen um die Freilassung Ihres Sohnes stünden «kurz vor dem Erfolg». Doch nur ein paar Wochen später wies ein britischer Richter alle acht Gründe für den Einspruch gegen den Auslieferungs­beschluss ab.
Ich habe nie geglaubt, dass das englische Gerichts­system Julian fair behandeln würde. Denn das Vereinigte Königreich fungiert oft stellvertretend für die Vereinigten Staaten. Doch das Verbrechen der böswilligen Verfolgung Julians liegt auf den Schultern der schwedischen Staats­anwaltschaft und der englischen Staats­anwaltschaft. Sie sind dafür verantwortlich. Hätten sich die beiden Staats­anwaltschaften an ihre eigenen Gesetze gehalten, hätte Julian nicht eine Stunde im Gefängnis verbracht.

Haben Sie noch Vertrauen in das Justizsystem?
Wissen Sie, sobald man sich in der dünnen Luft der Macht­verteilung in einer Gesellschaft bewegt, stellt man fest, dass die Macht­ströme Schwankungen unterworfen sind, weil sie davon abhängen, wie gesund und vital die Institutionen sind, die diese Macht ausüben. Die meisten Institutionen, die sich mit Julians Fall befassen, scheinen eine Phase der Unzulänglichkeit zu durchlaufen. Die Engländer sind sehr stolz auf ihr Rechts­system, obwohl es offensichtlich ist, dass es verrottet ist. Es ist wohl zutreffend, dass sich menschliche Institutionen nicht mehr erneuern können, wenn sie einmal korrupt geworden sind. Denn dann hat der Organismus alles aus sich selbst ausgestossen, was nicht seiner Ideologie entspricht.

Jeden Tag nun könnte das Vereinigte Königreich die endgültige Entscheidung treffen, Julian Assange an die USA auszuliefern. Und danach bliebe als letzte Station nur noch der Europäische Gerichtshof für Menschen­rechte – wenn dann noch Zeit dafür ist. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Nicht gut. Die Vereinigten Staaten scheinen Julian unerbittlich zu verfolgen.

Wenn Julian Assange an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird, drohen ihm unter dem «Espionage Act» 175 Jahre Gefängnis, weil er von der US-Regierung begangene Kriegsverbrechen aufgedeckt hat. Er kann sich auch nicht darauf berufen, dass er im öffentlichen Interesse gehandelt hat, denn diese Verteidigung existiert im Rahmen des Spionage­gesetzes nicht. Was löst das bei Ihnen aus?
Die ganze Sache ist auch so ungeheuerlich absurd. Marquis de Sade hat im Irrenhaus ein Theaterstück aufgeführt, als er eingesperrt war. Die Leute im Irren­haus sagen ihren Text auf, aber sie sind verrückt. Also tun sie seltsame Dinge, und so ähnlich ist es jetzt auch. So sehe ich die Schauspieler der amerikanischen Regierung.

Wen meinen Sie?
Schauen Sie sich doch mal Präsident Biden an, wie er versucht, anzugeben, indem er mit einem Fahrrad herumfährt, und herunterfällt, als er in die Kamera schaut. Oder wie er eine Rede hält und danach die Hand ausstreckt und nach jemandem sucht, dem er die Hand schütteln kann. Aber da ist niemand.

Sie halten Biden für verrückt?
Es sieht auf jeden Fall so aus. Aber hier in der Schweiz, so scheint mir, ist es anders. Der Schatz dieses Landes ist seine Fähigkeit, die Kräfte auszugleichen, die es umgeben. Es hält die verschiedenen Teile mit vier Sprachen und Dutzenden von verschiedenen Institutionen zusammen.

Die Schweiz will sich allerdings in Bezug auf Julian Assange nicht exponieren. Bereits 2017 stellte sich die Regierung auf den Stand­punkt, er sei kein Verteidiger von Menschen­rechten, als die Frage nach Asyl für ihn erstmals auf Bundes­ebene in Bern diskutiert wurde. Im Juli forderten mehr als dreissig Genfer Politikerinnen Aussen­minister Ignazio Cassis zum Handeln auf. Mir liegt der Brief mit der Antwort vor. Es heisst darin: «Die Schweiz respektiert das laufende nationale Gerichts­verfahren in Grossbritannien und die Unabhängigkeit der Justiz. Deshalb ist eine Intervention der Schweiz zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen.»
Dieser Satz ist das Mantra, das die australische Regierung, die schwedische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs, die französische Regierung und die deutsche Regierung gemeinsam im Chor mit den Vereinigten Staaten als Chor­leiter vorgetragen haben.

Wir wollen uns nicht einmischen.
Sie stellen sich auf den Standpunkt, das Ganze sei ein juristischer Prozess. Sie versuchen, die Illusion einer gerechten Rechts­pflege aufrecht­zuerhalten. Dass das alles auf Gesetzen beruht, nicht auf politischer Einmischung. Dass die Verfolgung von Julian kein politischer Akt ist, sondern ein juristischer Akt.

Erst gerade waren sechs australische Abgeordnete aus dem gesamten politischen Spektrum in Washington, um sich für die sofortige Freilassung von Julian Assange einzusetzen. Ausserdem haben sechzig Parlamentarierinnen eine Aufforderung an die USA unterzeichnet, das Verfahren einzustellen. Das ist zumindest bemerkenswert, denn die Allianz zwischen den USA und Australien wurde lange Zeit nicht infrage gestellt.
Es geht darum, den Druck auf die Regierung zu verstärken. Und wenn die australische Regierung sich weigert, substanzielle Schritte in Richtung Julians Freiheit zu unternehmen, dann werden wir den Druck weiter verstärken. Diesmal sind es sechs Abgeordnete, das nächste Mal werden es dreissig sein.

Ist das also ein Schritt in die richtige Richtung?
O ja. In den drei Tagen, an denen die Delegation dort war, gab es in den Vereinigten Staaten über dreihundert Presse­berichte und unzählige Berichte in Radio und Fernsehen. Das ist ausser­gewöhnlich. Das ist ein Erfolg.

Anthony Albanese, der seit letztem Jahr im Amt ist, ist der erste australische Premier­minister, der seine Unterstützung für die Sache bekundet. Er hat die US-Regierung persönlich aufgefordert, die Verfolgung von Julian Assange zu beenden, und sagte im Juli, es reiche nun. Tut die australische Regierung genug?
Wenn sie genug getan hat, ist Julian nicht mehr im Gefängnis.

Was erwarten Sie von ihr?
Ich erwarte, dass sie sich auf diplomatische Verhandlungen einlässt. Aber bis jetzt ist davon nichts zu sehen. Als die australische Delegation in Washington war, gab es ein Treffen in der australischen Botschaft. Dabei sagte der stellvertretende Leiter der Botschaft, Paul Myler, man behandle das nicht wie eine Geiselnahme. Das heisst: Wir werden nichts anbieten.

Sie sind derzeit unterwegs, um den Dokumentar­film «Ithaka» zu bewerben, der von Ihrem Sohn Gabriel Shipton produziert wurde. Es ist ein Film über Ihren Kampf zur Rettung Julian Assanges. Wie viel kann ein Film bewirken?
Wissen Sie, um verschiedene Menschen zu erreichen, braucht es verschiedene Kanäle. In Deutschland sagte kürzlich eine Politikerin zu mir: «John, es ist erst wahr, wenn es in der Zeitung steht.» In Deutschland braucht es eine Menge geschriebener Worte, damit etwas wahr wird, während Frankreich und die USA eher visuell sind. Die Wirkung des Films besteht also darin, das Geschriebene und das Gesprochene real werden zu lassen. Für diejenigen Personen, für die gilt: Wenn es einen Dokumentar­film darüber gibt, existiert es wirklich.

Ihr Sohn Gabriel, der Produzent, sagt, er wolle mit diesem Film die «Dämonisierung und Entmenschlichung» von Julian Assange bekämpfen und die Herzen der Menschen öffnen. Gelingt das?
Ich weiss es nicht. Ich habe den Film nie gesehen.

Sie haben den Film nie gesehen?
Nein. Ich kann es nicht ertragen, mir eineinhalb Stunden lang selbst dabei zuzusehen, wie ich rede und rede. Ich halte das nicht aus.

Aber Sie haben sich bereit erklärt, die zentrale Rolle im Film einzunehmen.
Es war eine seltsame Erfahrung. Das Team tauchte einfach auf mit seinen Kameras und begann zu filmen. Immer wenn ich auf die Toilette musste, rannten sie auf mich zu und rissen mir das Aufnahme­gerät vom Revers. Sie folgten mir überallhin auf meiner Reise durch alle Kontinente.

Als die Crew versuchte, mit Ihnen über die Kindheit Ihres Sohnes zu sprechen, und Sie fragte, wieso Sie damals keinen Kontakt hatten, haben Sie abweisend reagiert. Sie wollten nicht darüber reden.
Ich kann durchaus darüber reden, aber ich sehe nicht ein, warum ich das tun sollte. Es gibt viele Gefühle, die sich im Sonnen­licht nicht wohlfühlen. Sie leben an schattigen Orten und sind zart und empfindlich. Warum sollte ich die zarten Gefühle von grosser Liebe, Scham, Schuld, Unzulänglichkeit und Glück einer Person offenbaren, die ich noch nie zuvor getroffen habe? Mir erscheinen viele der Menschen, die diese Fragen stellen, unverschämt. Ich bin keine öffentliche Person.

Nun, irgendwie sind Sie das mittlerweile schon.
Aber ich trage nicht die Verantwortung, die mit Macht einhergeht. Es ist also nicht nötig, meine Beweggründe zu hinterfragen und den Stil zu untersuchen, mit dem ich sie vortrage. Das scheint mir unhöflich.

Was planen Sie als Nächstes? Was ist Ihre Strategie?
Ich möchte eine Reihe von fortlaufenden Seminaren, Konferenzen und öffentlichen Foren veranstalten, um die denkende Klasse anzusprechen. Ich möchte ihr Denken neu ausrichten auf die grossen Schätze, die wir aufgegeben haben, und sie anregen, wieder kritischer zu sein. Ich werde so lange Foren veranstalten, bis wir die Menschen zur Einsicht gebracht haben, dass die Schätze, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengetragen haben, nur erhalten und gepflegt werden können, wenn wir alle mitmachen.

Sie wollen die Welt zu einem besseren Ort machen?
Nun, die Mittel dazu sind vorhanden. Das Erstaunliche an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist, dass sie ein Mittel und ein Mass­stab ist. Man kann daran messen, wie weit man schon gekommen ist. Und sie ist ein Mittel, um eine Beziehung zwischen dem Staat und seinen Bürgern herzustellen. Das ist doch wunderbar, nicht?

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