Sünneli-Aufgang in der rechts­extremen Szene

Die SVP zeigt offene Sympathien für organisierte Rechts­extreme, nachdem sie sich zuvor jahrelang zumindest offiziell distanziert hat. Sogar Partei­präsident Marco Chiesa posiert für ein Foto. Normal ist daran nichts.

Von Basil Schöni (Text) und Lisa Rock (Illustration), 30.09.2023

Vorgelesen von Danny Exnar
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Der Präsident der grössten Partei der Schweiz posiert im Bundeshaus mit Rechts­extremistinnen.

Diesen Satz sollte man zweimal lesen.

Der Präsident der grössten Partei der Schweiz posiert im Bundeshaus mit Rechts­extremistinnen.

Am Freitag tauchte das Bild auf X (ehemals Twitter) auf. Es zeigt den Partei­präsidenten der SVP, Marco Chiesa, den SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor und drei Mitglieder der Gruppierung Némésis, die im Parlaments­gebäude in die Kamera lächeln. Veröffentlicht hat das Bild Fabian Eberhard, Extremismus­experte und stellvertretender Chefredaktor des «SonntagsBlicks».

Némésis entspringt der Westschweizer Neonazi-Szene und nutzt sexualisierte Übergriffe auf Frauen, um rassistische Propaganda zu verbreiten. Eine der Gründerinnen publizierte auf ihrem Social-Media-Profil ein Bild, das sie mit drei Freunden zeigt. Einer davon trägt einen SS-Totenkopf auf dem Pullover. Ein anderes Bild zeigt ein weiteres Némésis-Mitglied mit Boxhandschuhen des neonazistischen Kampfsport-Labels Pride France.

Wie die Némésis-Mitglieder ins Bundeshaus gekommen sind, scheint zunächst unklar. Die SVP Schweiz sagt auf Anfrage, die Frauen seien weder von der SVP noch vom Partei­präsidenten eingeladen worden. Die Antwort findet sich schliesslich auf dem Instagram-Account von Nationalrat Jean-Luc Addor, der das Bild dort ursprünglich veröffentlicht hatte. Ein Némésis-Mitglied kommentierte: «Merci beaucoup pour l’invitation 🙌».

Am Sonntag enthüllte Eberhard dann eine weitere Verbindung der SVP in rechtsextreme Kreise: Maria Wegelin, Präsidentin und Nationalrats­kandidatin der SVP Winterthur, lässt ihre Wahlvideos von Manuel Corchia produzieren, einem Mitglied der rechtsextremen Jungen Tat. Ein anderes Mitglied, Tobias Lingg, betreut Wegelins Account auf X.

Die Junge Tat ist befreundet mit Némésis, also den West­schweizerinnen, die im Bundeshaus mit SVP-Chef Chiesa für ein Gruppenfoto posierten. Mitglieder der beiden Gruppen führten schon mehrfach gemeinsame Aktionen durch. Darum erstaunt es nicht, dass die Winterthurer SVP-Präsidentin Wegelin in einem Video Werbung für Némésis machte.

Was ist hier los? Zwar gibt es Verbindungen von einzelnen SVP-Mitgliedern in die rechtsextreme Szene schon seit längerem. Vor drei Jahren sammelte und publizierte die Republik eine (ziemlich lange) Liste solcher «Einzelfälle».

Doch bis vor kurzem distanzierte sich die Partei jeweils vehement, wenn solche Verbindungen bekannt wurden. Etwa 2017, als eine Zeitung aufdeckte, dass der Präsident der Jungen SVP Neuenburg ein Tattoo mit dem Leitspruch der SS «Meine Ehre heisst Treue» auf dem Unterarm trägt. «Rechtsextremes Gedankengut hat absolut keinen Platz in unserer Partei, das ist nicht tolerierbar», sagte der damalige Partei­präsident Albert Rösti dazu. Die SVP Schweiz drohte sogar, die gesamte Neuenburger Sektion der Jungpartei auszuschliessen, wenn der SS-Fan nicht zurücktrete – was dieser schliesslich tat.

Verglichen mit damals passiert heute auffällig wenig.

So sagt der Präsident der SVP Kanton Zürich, Domenik Ledergerber, zur Zusammenarbeit der Winterthurer SVP-Chefin mit den vorbestraften Rechts­extremen der Jungen Tat: «Die Auswahl von Geschäfts­beziehungen von Partei­mitgliedern ist Privatsache.»

Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Kantonal­präsident Ledergerber kandidiert selber auf der Nationalrats­liste der Zürcher SVP und hat realistische Chancen, gewählt zu werden. Ist es wirklich Privatsache, wenn Rechts­extreme im Auftrag einer Sektions­präsidentin Nationalrats­wahlkampf betreiben?

Auch die SVP Schweiz redet die Ereignisse klein. Partei­präsident Chiesa mache jeden Tag Fotos mit verschiedensten Personen, lässt dessen Assistent auf Anfrage ausrichten. Eine Überprüfung der Personen sei nicht möglich.

Präsident Chiesa hat also offenbar nicht geprüft, wer die drei Personen sind, mit denen er für das Foto posiert. Dabei hätte er einfach seinen Partei­kollegen Jean-Luc Addor fragen können. Als dieser das Foto auf seinem Instagram-Account veröffentlichte, schrieb er dazu: «Des représentantes du Collectif @nemesis_suisse en visite au Palais fédéral …»

Ein Némésis-Mitglied antwortete Addor: «Merci à toi, c’était une magnifique journée 😁». Likes gibt es für das Bild mit dem expliziten Verweis auf Némésis von Maria Wegelin (Präsidentin SVP Winterthur), Benjamin Fischer (Nationalrat SVP Zürich und ehemaliger Präsident Junge SVP), Valentin Reynard (Präsident Junge SVP Unterwallis) und der SVP Stadt Genf.

Auf die Frage, wie die SVP Schweiz inhaltlich zu Némésis und der Jungen Tat stehe, reagiert Chiesas Assistent ausweichend. Die Partei habe keinen Kontakt zu den Gruppierungen. Die eigentliche Frage zu inhaltlichen Differenzen oder Überschneidungen bleibt unbeantwortet.

Die Winterthurer SVP-Präsidentin Maria Wegelin reagierte bis Redaktions­schluss nicht auf eine Anfrage der Republik.

Nicht nur im Präsidium der SVP Schweiz und jenem der SVP Winterthur scheint es Sympathien für den Rechts­extremismus zu geben. Auch die Junge SVP Schweiz hat keine Berührungs­ängste gegenüber diesen Kreisen. JSVP-Präsident David Trachsel verkehrt seit einer Weile mit dem Basler Rechts­extremen Martin Farkas, der nach eigenen Angaben selber SVP-Mitglied ist und in einem offiziellen Video der JSVP Schweiz auftaucht (wo er ein rotes T-Shirt des rechts­extremen Modelabels Peripetie trägt).

Und auf X verteilt der offizielle Account der Jungen SVP Likes an zweifelhafte Adressaten. Als die Verbindung der Winterthurer SVP-Präsidentin mit der Jungen Tat bekannt wurde, schrieb Manuel Corchia, der Mann, der Wegelins Wahlvideos produziert hatte, von «Medienhetze» und «Lügenmärchen». Die Junge SVP setzte ein «Gefällt mir».

Drei Tage zuvor hatte Nicolas Rimoldi ein Video gepostet. Es ging um eine Aktion zur «Grenz­sicherung», die er gemeinsam mit der Jungen Tat durchgeführt hatte. Rimoldi wurde als Corona-Aktivist bekannt. In den letzten Monaten suchte er zunehmend die Nähe zum organisierten Rechts­extremismus. Er nahm an einer Demo der Identitären Bewegung in Wien teil, postete auf dem Heimweg ein Foto aus Adolf Hitlers Geburtsort Braunau und trat mehrmals öffentlich mit dem bekannten Rechts­extremisten Martin Sellner auf. Zuletzt sagte er auf einem Podium am sogenannten «Freedom Festival», dass seine Partei zu den Wahlen antrete, «um aufzuräumen und den Feind im Inneren auszumerzen».

Nun postete dieser Rimoldi ein Video, das er gemeinsam mit der Jungen Tat erstellt hatte. Und die Junge SVP setzte ein «Gefällt mir».

Rimoldis Hinwendung zum Rechts­extremismus stört auch die Spitzen einiger Kantonal­sektionen offensichtlich nicht. In Luzern und Solothurn ging die SVP eine Listen­verbindung mit Rimoldis Partei Mass-voll ein.

Symbiose, Synergien, Sympathien

Wenn wichtige Exponenten der SVP nun Sympathien für Rechtsextreme zeigen, geht für die Junge Tat eine Strategie auf. Seit einer Weile sucht die Gruppe aktiv die Nähe zur SVP. So malte die Junge Tat ein SVP-Schäfchen auf eines ihrer Transparente, sie besuchte einen «Burezmorge» der Stadtberner SVP – und sie bezeichnet Andreas Glarner als ihren «Asyl- und Remigrationschef». «Remigration» ist für die neue Generation der rechts­extremen Szene ungefähr das, was «Ausländer raus» für klassische Neonazis war.

Mittlerweile hat sich eine Art Symbiose zwischen der Jungen Tat und der SVP eingestellt. Etwa als die Rechts­extremisten eine Drag-Vorlesestunde im Zürcher Tanzhaus störten und die städtische SVP daraufhin im Stadt­parlament ein Postulat einreichte, um das Veranstaltungs­format abzusetzen.

Diese Symbiose sieht auch Tobias Lingg, der Mann, der für die Winterthurer SVP-Präsidentin den Social-Media-Kanal verwaltete. In einem Gespräch mit Ignaz Bearth – einst Mitglied der letztes Jahr aufgelösten rechtsextremen Pnos, heute Influencer für die rechtsextreme Szene – sagt Lingg zur Störaktion beim Tanzhaus und zum darauf­folgenden SVP-Vorstoss: «Erfreulicher­weise konnten wir da auch einen unserer ersten Erfolge mit der SVP zusammen verbuchen.» Bearth schwärmt daraufhin von solchen «Synergien» und davon, dass sie so «den Ball schön weitergeben» könnten. Lingg nickt zustimmend.

An einer anderen Stelle im gleichen Gespräch spricht Lingg über Hausdurchsuchungen, die kürzlich bei verschiedenen Mitgliedern der Jungen Tat stattfanden. Dabei erwähnt er, dass sie «bezüglich der SVP Solidarität empfangen» hätten. «Die SVP war sonst immer ein bisschen verhalten. Natürlich würde sie auch aktuell nicht öffentlich zur Solidarität mit uns aufrufen. Aber wir haben Spenden von Exponenten gekriegt.»

Und noch mal an anderer Stelle: «Der professionelle Widerstand geht mittlerweile von uns aus, von der Jungen SVP, die immer besser wird, ‹Pro Schweiz› ist auch ein guter Anlaufpunkt. Der Widerstand in der Schweiz wird immer professioneller und auch mehrheits­fähiger.»

Doch nicht nur sucht die Junge Tat die Nähe zur SVP. Mehr und mehr gilt auch das Umgekehrte: Die grösste Partei der Schweiz bekundet ganz öffentlich Sympathien für die neue Generation des Schweizer Rechts­extremismus – bis hinauf in die Chefetagen der SVP. Das hat eine neue Qualität.

Bei einer solchen Meldung mag der eine oder die andere müde den Kopf schütteln und finden, das sei ja jetzt auch nicht mehr erstaunlich.

Doch daran ist nichts normal.

Es ist nicht normal, dass die Junge SVP Propaganda von Rechts­extremen likt.

Es ist nicht normal, dass der Präsident der Jungen SVP mit Rechts­extremen verkehrt.

Es ist nicht normal, dass die Präsidentin der SVP Winterthur Rechts­extreme ihren Wahlkampf führen lässt.

Es ist nicht normal, dass ein Nationalrat der SVP Rechts­extreme in das Bundeshaus einlädt.

Und es ist schon gar nicht normal, dass der Präsident der grössten Partei der Schweiz im Bundeshaus mit Rechts­extremen für ein Foto posiert.

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