«Wir sahen das Schmelzen der Gletscher als Weckruf»: Blick auf die Moräne des Unteren Grindelwaldgletschers, aufgenommen auf einer Gletscherinitiative-Wanderung. Niklas Eschenmoser

Die Klima­krise bedroht uns in der Existenz. Was hilft da eine Volks­initiative?

Marcel Hänggi war der Vater der Gletscher­initiative. Diese führte zum Klimaschutz­gesetz, das das Volk am 18. Juni angenommen hat. Für die Republik zieht er eine persönliche Bilanz über sein Engagement der letzten sieben­einhalb Jahre.

Von Marcel Hänggi, 13.07.2023

Vorgelesen von Jonas Rüegg Caputo
0:00 / 22:36

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

In gewissem Sinne beginnt die Geschichte des Klimaschutz­gesetzes mit der Schnoddrigkeit einer Bundes­rätin. Ich war Ende 2015 als Journalist an der Klima­konferenz COP21 in Paris, als Doris Leuthard verkündete, die Schweiz trete der Verhandlungs­gruppe der «Hoch­ambitionierten» bei. Diese Gruppe setzte sich dafür ein, dass das auszuhandelnde Abkommen die Begrenzung der Klima­erwärmung auf 1,5 Grad anstrebte.

Die schweizerische Klima­politik war damals lediglich auf 2 Grad ausgerichtet, und ich fragte die Bundes­rätin: Ist die Schweiz bereit, auch zu Hause die «hoch ambitionierte» Politik zu verfolgen, für die sie sich international einsetzt? «Ach», antwortete Leuthard: «Wir wären schon froh, wir wären für 2 Grad auf Kurs. Sie kennen ja unser Parlament. Und glauben Sie, die anderen Staaten meinten es ernst?»

«‹Paris›», schrieb ich darauf in einem Kommentar in der WOZ, «ist ein immenses Versprechen. Jetzt gilt es, das Versprochene einzufordern. Jetzt beginnt die grosse Arbeit.»

Etwas von der Regierung einfordern: Dafür kennt die Schweiz ein politisches Instrument. Ein halbes Jahr nach der COP21 schlug ich deshalb vor: Lancieren wir eine Volks­initiative! Aus dem Vorschlag wurde die Gletscher­initiative und aus dieser das Klimaschutz­gesetz. Die «grosse Arbeit» hat mich sieben­einhalb Jahre lang beschäftigt, zunächst ehrenamtlich, zuletzt haupt­beruflich.

Hat sie sich gelohnt?

Ja.

Hat sich das Instrument der Volks­initiative als tauglich dafür erwiesen, in einer existenziellen Krise Antworten zu finden?

Da muss ich ausholen.

Die Initiative

Vorweg: Ich schreibe in diesem Text ungebührlich oft «ich». «Wir» wäre richtiger, denn meine Idee begann erst Wirkung zu zeigen, als sie nicht mehr nur meine war. Ich will hier aber persönlich Bilanz ziehen und spreche nicht für den Verein Klimaschutz Schweiz, der die Gletscher­initiative lanciert und die Abstimmungs­kampagne für das Klimaschutz­gesetz geführt hat. Und bei dem ich noch angestellt bin.

Eine Volks­initiative ist immer Ausdruck eines Misstrauens gegenüber Regierung und Parlament. Als Umwelt­journalist und Buchautor war mir in der Klima­politik aufgefallen, dass vor allem debattiert wird, was es mehr braucht – Erneuerbare, Innovationen, CO2-«Kompensationen» … Dabei müsste es doch um das Weniger gehen. Klima­politik ist im Grunde entwaffnend einfach: Wir müssen aufhören, Treibhausgase zu emittieren. Und das heisst vor allem: aufhören, Erdöl, Erdgas und Kohle zu verbrennen. Mehr Erneuerbare? Gewiss, aber als Mittel, nicht als Zweck. Und im Bewusstsein, dass das Mittel nicht automatisch zum Ziel führt. Wenn man die erneuerbaren Energien zusätzlich zu den fossilen verbraucht (wie es gegenwärtig geschieht), bringen sie dem Klima nichts.

Mein erster Vorschlag für einen Initiativtext im Mai 2016 war kurz: «Die Produktion und die Einfuhr fossilen Kohlenstoffs sind ab 2051 verboten. Wie viel bis dahin importiert werden darf, bestimmt das Gesetz.»

Ende 2016 erklärte sich Greenpeace bereit, die Vorarbeiten für eine Volks­initiative zu unterstützen. 2018 gründeten 80 Personen am Steingletscher beim Sustenpass den Verein Klimaschutz Schweiz als Trägerverein. Ende April 2019 lancierten wir die Gletscher­initiative, und im November reichten wir sie mit 113’000 Unterschriften ein.

Mit dem Umwelt­rechtler Heribert Rausch hatte ich den Initiativtext erarbeitet, der dann doch etwas umfassender sein musste als zwei Sätze. Für die 159 Wörter Text wendete ich mehr als 200 Stunden auf, denn der Text musste als Gegenstand einer politischen Kampagne genauso taugen wie als Verfassungs­text. Kern blieb, neben dem Netto-null-Emissions­ziel, das Verbot fossiler Energien ab 2050. Ein wissenschaftlicher Beirat beriet uns.

Gleichzeitig bauten wir unsere Basis und unser Netzwerk auf: Tausende, die sich über mehrere Jahre für das Anliegen engagierten. Diese Basis war ein wesentlicher Grund, warum das Klimaschutz­gesetz, anders als das CO2-Gesetz zwei Jahre zuvor, angenommen wurde. Das CO2-Gesetz wurde von einer ebenso breiten Allianz unterstützt, aber es war eine Vorlage des Parlaments, die nicht von einer zivil­gesellschaftlichen Bewegung mit Begeisterung befürwortet und getragen wurde. Mit der Basis­arbeit hatte ich wenig zu tun, weshalb ich sie hier nur kurz anspreche.

Wir rangen um einen Namen für unsere Initiative. «Gletscher­initiative» kam bald ins Spiel; mir gefiel der Name zunächst nicht, ging es doch um viel mehr als um Gletscher. Doch der Name setzte sich durch – und bewährte sich. Wir sahen das Schmelzen der Gletscher als Weckruf (dass man die Gletscher mit der Gletscher­initiative retten könnte, haben wir – anders als uns vorgeworfen wurde – nie behauptet). Gletscher evozieren Heimat­gefühle, das Schwinden des «ewigen Eises» zieht einem «den Boden weg», wie es Sänger Dodo nannte. Gletscher kann man – anders als «Klima» – abbilden, weshalb fast jeder Medien­beitrag zur Initiative mit Gletscher­bildern illustriert wurde. Wir hatten eine Marke geschaffen: Politik, so lernte ich, ist auch Marketing.

Als wir im März 2018 erstmals an die Medien gelangten, war der mediale Tenor: eine radikale Initiative! «Brandgefährlich» nannte sie Economie­suisse (einer unserer späteren Partner).

Dass sich die Wahrnehmung seither stark gewandelt hat, liegt natürlich auch an den Klima­streiks des Jahres 2019. Aber nicht nur: Als ich Ende 2018 erstmals im Bundeshaus war, staunte ich, wie viele National­rätinnen namentlich aus CVP, BDP und EVP geradezu begeistert reagierten. Wenig zuvor hatten die SVP- und die FDP-Fraktion den Entwurf für ein revidiertes CO2-Gesetz so sehr abgeschwächt, dass er in der Schluss­abstimmung durchfiel. Viele Bürgerliche waren wütend.

Ich sprach auch mit FDP-Ständerat Ruedi Noser, der mir schon in meiner journalistischen Arbeit aufgefallen war als ein Politiker, der auch mal die Parteilinie kritisierte, wenn er es für richtig hielt. Ich konnte Noser für das Initiativ­komitee gewinnen: ein erster Mediencoup. Mit einem prominenten Freisinnigen als Unter­stützer einer Initiative, die etwas verbieten will, hatten die Medien nicht gerechnet. Für Noser, der sich als eines der aktivsten Mitglieder des Initiativ­komitees erweisen sollte, war das keine Frage von links oder rechts, sondern der Physik. Er wurde dafür in seiner Partei heftig angefeindet, aber am Ende unterstützten die Fraktion und die Delegierten­versammlung der Freisinnigen das Klimaschutz­gesetz mit grosser Mehrheit.

Die parlamentarische Phase

Laut der «NZZ am Sonntag» beantragte Simonetta Sommaruga dem Bundesrat im März 2020, die Gletscher­initiative zu unterstützen – etwas, was fast nie vorkommt. Sie unterlag aber knapp. Der Bundesrat machte schliesslich einen direkten Gegen­vorschlag (auf Verfassungs­stufe), der den Text der Gletscher­initiative übernahm, aber sein Herz amputierte: das Verbot fossiler Energien.

Der Bundesrat liess sich dafür viel Zeit und überwies das Geschäft im August 2021 ans Parlament. Die Botschaft ist ein interessantes Dokument: Man merkt dem Text an, dass seine Autoren – die Fachleute der Bundes­verwaltung – die Gletscher­initiative überzeugend fanden. Manche Passagen sind wörtlich aus meinen Erläuterungen zur Initiative übernommen. In einem Abschnitt wird argumentiert, wie sinnvoll Verbote in der Umwelt­politik seien – ein Verbot fossiler Energie wird dann aber doch ausgeschlossen, weil Ersatz womöglich «nicht in genügend grossen Mengen oder nicht zu vertretbaren Kosten verfügbar» sein würde.

Im Oktober nahm die Umwelt­kommission des Nationalrats ihre Beratungen auf. Zusammen mit Tobias Schmidt, Professor für Energie- und Technologie­politik an der ETH Zürich, konnte ich die Gletscher­initiative in einer Anhörung vorstellen. Die Kommission erarbeitete darauf einen eigenen, indirekten Gegen­vorschlag: das Klimaschutz­gesetz, das im September 2022 von beiden Räten verabschiedet wurde und über das wir nun abgestimmt haben. Für ein völlig neuartiges Gesetz war das ein beachtliches Tempo.

Initianten einer Volks­initiative haben von Gesetzes wegen nur drei Aufgaben: Sie verfassen den Text, sie sammeln die Unterschriften und sie entscheiden über einen allfälligen Rückzug. In Wirklichkeit ist die schweizerische Demokratie eine ausgeprägte Verhandlungs­demokratie. So wirkten wir denn im Hinter­grund an der Entstehung des Gegen­vorschlags stark mit. Ich erlebte diese Phase als konstruktiv; wir arbeiteten gut mit Politikerinnen aller Parteien ausser der SVP zusammen. Einzig das Fossil­energie­verbot war nicht vermittelbar. Wenn wir mit wissenschaftlicher Evidenz argumentierten, dass kaum etwas so sehr die Innovation anrege wie ein angekündigtes Verbot (das Verbot herkömmlicher Glüh­birnen hat die Entwicklung der LED-Leuchten enorm beschleunigt!), merkte ich, dass gewisse Leute nicht in der Lage waren, «Verbot» und «Innovation» zusammen­zudenken.

Ich betrieb eine Art Pendel­diplomatie zwischen Politik und Wissenschaft. Es begann damit, dass ich Ruedi Noser und Anthony Patt, den ETH-Professor für Klima­politik, zu einem gemeinsamen Essen einlud. Ich vermutete, dass sie sich gut verstehen würden – was sich als richtig heraus­stellte. Persönliches Vertrauen ist in der politischen Arbeit zentral.

Noser und Patt blieben im Gespräch, bald kam der grüne Nationalrat Bastien Girod an Bord (und später weitere Politiker anderer Parteien) sowie Energy-Policy-Professor Schmidt. Unsere Politik­verantwortliche Michèle Andermatt und ich, wir trugen Ideen der Politiker zu den Wissenschaft­lerinnen und deren Kritik zurück zu den Politikern. So entstand das Konzept der Netto-null-Fahrpläne und der Innovations­förderung. Es reflektiert (wie auch neue Klima­gesetze der USA, der EU oder Indiens) einen Paradigmen­wechsel der empirischen Klima­sozialwissenschaften: Diese haben in den letzten Jahren gezeigt, dass eine aktive Innovations­politik bessere Resultate bringt als eine Lenkungs­abgabe, die laut neoklassischen Ökonomie­lehrbüchern das ideale Instrument sein müsste.

Nicht leicht fiel mir, das Fossil­energie­verbot aufzugeben. Wenn man etwas loswerden will, ist ein Verbot meines Erachtens gerade auch aus freiheitlicher Sicht der beste Weg. Aber immerhin schreibt das Klimaschutz­gesetz, das wir am 18. Juni angenommen haben, vor, dass seine Ziele und Zwischen­ziele so weit als «möglich» und «wirtschaftlich tragbar» durch Emissions­minderungen im Inland erreicht werden müssen. Weil wir wissen, dass der Ersatz fossiler Energien möglich und (gesamt)wirtschaftlich tragbar, ja vorteilhaft ist, muss diese Bestimmung in ihrer Wirkung einem Fossil­energie­verbot gleichkommen – wenn man sie ernst nimmt. Allerdings: Das Ernst­nehmen ist keine Frage des Gesetzes­texts, sondern eine des politischen Willens.

Und so ernüchternd die Erkenntnis auch ist: Selbst ein explizites Verbot würde nichts garantieren. Der Alpenschutz­artikel der Bundes­verfassung etwa ist glasklar: «Der alpen­querende Güter­transitverkehr von Grenze zu Grenze erfolgt auf der Schiene.» Trotzdem erlaubt das Gesetz Fahrten auf der Strasse. Unser Jurist Heribert Rausch hat 2022 in einem wissenschaftlichen Aufsatz gezeigt, dass im Schweizer Umwelt­recht die Gesetze den Verfassungs­auftrag unzureichend umsetzen, ebenso die Verordnungen die Gesetze. Zudem werden die Verordnungen in der Praxis nur lückenhaft vollzogen.

Doch bei aller Unschärfe: Im Kern ist das Klimaschutz­gesetz ein Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Energien. Meiner Kernidee – dass es um das Weniger gehen muss – wird das Gesetz gerecht.

Der Abstimmungs­kampf

Aber nichts davon blieb in der öffentlichen Debatte im Abstimmungs­kampf. Gestritten wurde, wieder einmal, um das Mehr: darum, wo denn nun der Strom herkomme, den man mit der Dekarbonisierung des Energie­systems zusätzlich braucht, und was das kostet.

Diese Auseinander­setzung brachte manche Ernüchterung:

Erstens: Unsere Gegnerin, die SVP, fuhr eine massive Desinformations­kampagne. Wir konnten die falschen Behauptungen nur aufdecken und hoffen, gehört zu werden. Immerhin: Am Ende habe die SVP übertrieben und ihre Glaubwürdigkeit verspielt, meint Politologe Claude Longchamp.

Zweitens: Komplexe Botschaften lassen sich im Abstimmungs­kampf kaum vermitteln, und eine Botschaft ist schnell zu komplex. Schon dass mit der Energie­wende der Strombedarf zu-, der Gesamt­energiebedarf aber abnehmen wird (weil elektrische Anwendungen viel energie­effizienter sind), war schwierig verständlich zu machen. Nach der Abstimmung etwa hielt die SRF-«Tagesschau» so selbstsicher wie falsch fest: «Die Annahme des Klimaschutz­gesetzes führt es glasklar vor Augen: Die Schweiz braucht mehr Energie.»

Drittens: Als Journalist und Buchautor habe ich immer versucht, allgemein geteilte feste Denkmuster (sogenannte Frames) zu durchbrechen. In einem Abstimmungs­kampf geht das nicht. Wenn die SVP Panik vor einer katastrophalen «Stromlücke» schürt, muss man die Ängste beschwichtigen und kann nicht gut fragen: Brauchen wir denn überhaupt so viel Energie? Oder wäre eine suffizientere Gesellschaft – eine, die mit weniger auskommt – vielleicht eine bessere Gesellschaft? (Dabei war die Idee der 2000-Watt-Gesellschaft, die eine Reduktion des Energie­verbrauchs anstrebt, vor gut 15 Jahren in zahlreichen Gemeinden und Kantonen mehrheitsfähig.)

Viertens: Themen, die im Zusammen­hang mit der Klimakrise wichtig wären, blieben in der Debatte aussen vor; auch wir pushten sie nicht. Alles, was wir sagten, musste für unsere breite Koalition von grün bis freisinnig akzeptabel sein. Klima­gerechtigkeit, Suffizienz oder gar die Notwendigkeit systemischer Veränderungen waren kein Thema. Wir betonten, dass das Klimaschutz­gesetz keine Verbote enthält. Ob Verbote aber nicht doch sinnvoll sein können, fragte ausser der Republik niemand.

Fünftens: Die Medien berichteten, wie eine Auswertung des Forschungs­zentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Uni Zürich zeigt, mehrheitlich wohlwollend über das Klimaschutz­gesetz. Dass die NZZ eine Kampagne dagegen führte, die mitunter in Realsatire kippte – geschenkt: Die Schweiz hat dafür mit dem «Blick» ein (oft) gut gemachtes Boulevard­medium. Nicht auszudenken, wie die Debatte gelaufen wäre, wäre der «Blick» wie die «Bild» in Deutschland! Allerdings berichteten die Medien, auch wenn sie es wohlwollend taten, in dem von der SVP gesetzten Rahmen: Man behandelte das Gesetz als Energie- statt als Klima­vorlage. Man sprach über die angeblich drohende «Stromlücke»: Elektrische Installationen lösten die Gletscher als typische Illustration der Medien­beiträge ab. Über die heutige Abhängigkeit von fossiler Energie sprach man kaum. Und vor allem sprach man über Kosten – die (angeblichen) Folge­kosten des Gesetzes, nicht aber die Kosten des Status quo: ein Muster, das seit den 1990er-Jahren von erdölindustrienahen Ökonomen gefördert wird. Noch nach der Abstimmung fragte RTS: «Was ändert sich durch das Klimagesetz für Sie? (...) Auf was muss man verzichten?», und nicht etwa: «Was gewinnen wir?»

Wie stark die Medien den Frame «Umwelt­schutz ist teuer» bedienten, war sehr ernüchternd. Das ging bis zum Selbst­widerspruch. Der «Tages-Anzeiger» schrieb: «Wie stark unsere Volks­wirtschaft durch die Energie­wende belastet wird, ist letztlich nur durch Modell­rechnungen abzuschätzen» – obwohl er Modell­rechnungen präsentierte, die keine Be-, sondern eine Entlastung der Wirtschaft zeigen. Die NZZ überschrieb einen Beitrag, der ebenfalls zeigte, dass die Energie­wende Kosten spart, mit dem Titel «(...) Exorbitant teuer wird die Energiewende vor allem, wenn (...)».

Fazit und Ausblick

Die Schweiz hat sich als erstes Land in einer Volks­abstimmung zum Netto-null-Emissions­ziel bekannt. 59 Prozent Ja sind ein schöner Erfolg und deblockieren die schweizerische Klima­politik. Und es ist, so viel Eitelkeit muss ich eingestehen, ein schönes Gefühl, als einfacher Bürger die Politik dieses Landes mitgeprägt zu haben. Die grosse Arbeit hat sich gelohnt.

Es bleibt aber das ungute Gefühl, mein Engagement könnte zum Glauben beigetragen haben, mit dem Klimaschutz­gesetz hätte die Schweiz ihre Schuldigkeit getan. Ich hatte in den letzten Monaten manchmal das Gefühl, in zwei Welten zu leben: hier die alarmierenden Berichte zur Klimakrise – etwa die Studie, die warnt, dass im Jahr 2100 ein Drittel bis die Hälfte der Menschheit in Zonen mit lebens­feindlichem Klima leben dürfte –, da das Klein-Klein des Abstimmungs­kampfs.

Ich halte nichts von der Aussage, es brauche jetzt Massnahmen, die «schmerzten», denn sie lässt ausser Acht, wie viele Menschen heute unter dem fossil­energie­basierten Status quo leiden. Aber tatsächlich stellt sich die grosse Frage, wie man Mehrheiten findet, wenn Klima­politik nicht mehr daherkommt «wie ein Schlagersong: gefällig und schmerzfrei». Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass es in ihrem Ausmass beispiel­lose System­veränderungen braucht, um die Klima­erhitzung zu begrenzen, und früher oder später wird nichts an der Erkenntnis vorbeiführen, dass wir im Globalen Norden mehr Ressourcen verbrauchen, als uns zustehen. Wie lässt sich eine solche Erkenntnis demokratisch verhandeln?

In einer Abstimmungs­demokratie, wie ich sie erlebt habe, vermutlich nicht. Aber kann es sein, dass Gesellschaften demokratisch die Selbst­zerstörung wählen? Ich weigere mich, das zu glauben.

Gemeinden und Kantone mit ambitionierteren Klimazielen weisen den Weg. Ein besonders interessantes Beispiel ist Glarus: Der Kanton hat sowohl das Klimaschutz- wie auch das CO2-Gesetz abgelehnt. Zwischen den beiden Abstimmungen folgte die Glarner Lands­gemeinde aber einem Antrag aus der Klima­bewegung und verabschiedete ein ambitioniertes Energiegesetz samt Öl- und Gasheizungs­verbot.

Wie war das möglich? Während man sich in der Urnen­demokratie jeder Diskussion verschliessen kann, um am Ende doch «Nein» auf den Zettel zu schreiben, weil man persönliche Nachteile befürchtet oder jede Veränderung ablehnt, verlangt die Lands­gemeinde ein minimales Engagement: Man muss sich persönlich auf den Landsgemeinde­platz begeben und den Voten zuhören. Das ermöglicht immer wieder Entscheide ausserhalb dessen, was im normalen Polit­geschäft drinliegt.

In einer Demokratie müssen alle mitbestimmen können, die das wollen. Wer von einer Sache, über die zu entscheiden ist, nichts versteht, hat ein Anrecht darauf, dass man es ihr oder ihm erklärt. Aber warum sollen auch Bürgerinnen mitentscheiden, die gar nicht verstehen wollen?

Ich weiss nicht, wie die Demokratie aussehen muss, die mit existenziellen Krisen umgehen kann. Vielleicht sind Bürgerinnen­räte eine Lösung, in denen für die Gesamt­bevölkerung repräsentativ ausgewählte Menschen sich intensiv mit einem Thema auseinander­setzen und Massnahmen vorschlagen. Mehrere Staaten und Schweizer Gemeinden wie etwa Uster ZH oder Prilly VD haben Klima-Bürger­versammlungen durchgeführt. Weil sie gut informiert sind, heissen die Versammlungen auch Vorschläge gut, die im normalen Polit­betrieb als zu radikal gälten und deshalb keine Chance hätten.

Wie viel solche Versammlungen taugen, ist umstritten. Aber die Umwelt­krise fordert die Gesellschaft jenseits dessen heraus, was bisher als normal gilt. Wir werden auch die Normalitäten unserer demokratischen Entscheid­findung überdenken müssen.

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!