Was diese Woche wichtig war

Selenski und Xi Jinping telefonieren, verhärtete Fronten im Sudan – und heikle Spenden des Flughafens Zürich

Woche 17/2023 – das Nachrichten­briefing aus der Republik-Redaktion.

Von Philipp Albrecht, Ronja Beck, Angela Gross, Timo Kollbrunner und Anna Traussnig, 28.04.2023

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Vorgelesen von Danny Exnar
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Ukraine: Selenski drängt auf Nato-Beitritt und fordert härtere Sanktionen

Das Kriegsgeschehen: Der Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut dauert an. Das russische Verteidigungs­ministerium meldete Boden­gewinne, die Ukraine kämpft darum, die wichtigste Versorgungs­route zu halten.

Ukrainische Truppen sollen zudem erfolgreich Stellungen auf der Ostseite des Flusses Dnipro errichtet haben. Als Zeichen, dass die erwartete ukrainische Offensive bald starten könnte, ist der Vorstoss aber eher nicht zu werten. Noch mangelt es den ukrainischen Streit­kräften dafür offenbar an genügend schweren Waffen und Munition.

Gemäss Informationen aus Kiew diskutieren die Ukraine und Russland über einen Austausch sämtlicher Kriegs­gefangener. Auch diese Woche wurde eine gewisse Anzahl Gefangene ausgetauscht. Jewgeni Prigoschin, der Chef der Söldner­gruppe Wagner, drohte allerdings in einer Audio­nachricht damit, keine Gefangenen mehr zu machen, sondern alle ukrainischen Soldaten, die seinen Truppen in die Hände fallen, zu töten. Das Uno-Hoch­kommissariat für Menschen­rechte verlangt, dass diese Aufnahme untersucht wird – ebenso wie eine andere, auf der mutmasslich ein ukrainischer Soldat die Hinrichtung eines Wagner-Milizionärs befehligt. Falls diese Aufnahmen echt seien, handle es sich um Aufrufe zu Kriegs­verbrechen, meint das Uno-Hochkommissariat.

Fataler Fehlschlag: Eine Frau steht vor den Ruinen ihres Hauses in Donezk, das von einer ukrainischen Granate zerstört wurde. Menschen seien dabei nicht ums Leben gekommen. Nikolai Trishin/Keystone/TASS

Die internationalen Entwicklungen: Ukraines Präsident Wolodimir Selenski hat nach einem Treffen mit Nato-General­sekretär Jens Stoltenberg letzte Woche in Kiew angekündigt, im Juli am Nato-Gipfel in Litauen teilzunehmen. Er forderte das Bündnis auf, dort den Weg für einen ukrainischen Beitritt freizumachen. Allerdings herrscht unter den 31 Nato-Staaten Einigkeit, dass die Ukraine der Nato nicht beitreten kann, solange der Krieg andauert. Nicht einig sind sie sich darüber, ob und wie die Ukraine schon vor einem allfälligen Beitritt näher an die Nato angebunden werden sollte.

Selenski hat zudem erneut verlangt, dass härtere Sanktionen gegen Russland beschlossen und Umgehungs­möglichkeiten verhindert werden. Am Dienstag stellte die Ukraine einen Aktionsplan vor, der einen tieferen Höchstpreis für den Kauf einer bestimmten Erdöl­sorte, Import­steuern für russisches Erdöl und Erdgas und ein Import-Embargo für Metalle und Diamanten vorsieht. Die G-7-Staaten diskutieren offenbar ein grundsätzliches Verbot, Güter nach Russland zu exportieren. Ausserdem forderte die G-7 die Verlängerung und Ausweitung des Abkommens zum Export von ukrainischem Getreide, das am 18. Mai ausläuft. Der russische Aussen­minister Sergei Lawrow drohte diese Woche erneut, das Getreide­abkommen nicht zu verlängern.

An einer Sitzung des Uno-Sicherheitsrats, dem Russland aktuell vorsitzt, verteidigte Lawrow den Einmarsch in die Ukraine. Die «Ukraine-Frage» könne nicht losgelöst davon betrachtet werden, dass die Nato die Sicherheit Russlands seit Jahren bedroht habe und Washington seine Agenda «aggressiv und sprunghaft» vorantreibe. Uno-General­sekretär António Guterres prangerte die von Russland verursachten Zerstörungen in der Ukraine an. Die russische Invasion verletze die Uno-Charta sowie das Völkerrecht.

Für internationale Empörung sorgte Chinas Botschafter in Paris, Lu Shaye. In einem Interview mit dem französischen Fernsehen stellte er die Souveränität von Staaten infrage, die einst Teil der Sowjetunion waren. Am Montag bekräftigte die Sprecherin des chinesischen Aussen­ministeriums Mao Ning jedoch, China akzeptiere die Souveränität ehemaliger Sowjet­republiken inklusive der Ukraine. Am Mittwoch dann telefonierten Selenski und der chinesische Präsident Xi Jinping erstmals seit Kriegs­beginn miteinander. Dabei betonte Xi, China wolle sich für Verhandlungen und Frieden einsetzen, verurteilte den russischen Angriff jedoch nicht explizit. China sei «keine Partei» in der «Ukraine-Krise».

In Europa gibt es derweil Differenzen bezüglich der gemeinsamen Munitions­beschaffung für die Ukraine. Frankreich stellt sich auf den Standpunkt, dass nur Munition beschafft werden soll, die komplett aus europäischer Produktion stammt. EU-Chefdiplomat Josep Borrell zeigte sich Anfang Woche zuversichtlich, dass eine Einigung erzielt werden wird. Der ukrainische Vize­aussenminister Andrij Melnyk hatte am Wochen­ende eine Verzehnfachung der westlichen Militärhilfe gefordert.

Sudan kommt nicht zur Ruhe

Darum geht es: Die Kriegsparteien im Sudan verweigern Verhandlungen. Am Donnerstag­abend endete eine von den USA vermittelte 72-stündige Waffen­ruhe. Sie hielt nach Angaben der Uno nur «in einigen Teilen» des Landes, wird aber voraussichtlich verlängert.

Auf der Flucht: Menschen aus dem Sudan stehen an der Grenze zum Tschad für Nahrungsmittel an, die vom Welternährungs­programm der Uno verteilt werden. Mahamet Ramdane/Reuters

Warum das wichtig ist: In der Hauptstadt Khartum wird weiter um den Palast der Republik und den internationalen Flughafen gekämpft. Ausserdem wurde ein SOS-Kinderdorf von Bewaffneten angegriffen. Die betreuten Kinder und Jugendlichen sowie die Mitarbeiter mussten evakuiert werden. Aus den Städten Omdurman und Bahri nahe Khartum werden weiter Luftangriffe und schwerer Beschuss gemeldet. Dabei sind Kranken­häuser, Schulen und Wasser­reservoirs zerstört worden. Zudem gibt es zahlreiche Berichte über Wohnungs­einbrüche und Plünderungen von Häusern und Geschäften. Mehrere Länder, darunter auch die Schweiz, konnten während der partiellen Waffenruhe diplomatisches Personal ausfliegen. Unter der Gewalt im Sudan leidet vor allem die Zivil­bevölkerung. Laut WHO kamen bereits 460 Menschen ums Leben und 4100 wurden verletzt. Bricht ein voll­umfänglicher Krieg aus, könnte dies auch Folgen für die sieben Nachbar­länder des Sudan haben. An einer Dringlichkeits­sitzung des Uno-Sicherheitsrats warnte Uno-General­sekretär António Guterres vor einem solchen Szenario.

Was als Nächstes geschieht: Die Uno ist nach eigenen Angaben weiterhin in regel­mässigem Kontakt mit den rivalisierenden Generälen. Im Juni entscheidet sie über die Zukunft des Mandats Unitams, das den Demokratisierungs­prozess im Sudan während 12 Monaten begleiten sollte. Es wurde 2020 beschlossen und bereits zweimal verlängert.

Wegen Russland und China: Weltweite Militär­ausgaben auf Allzeithoch

Darum geht es: 2022 waren die weltweiten Militär­ausgaben so hoch wie noch nie. Sie beliefen sich gemäss einem Bericht des Stockholmer Friedens­forschungs­instituts Sipri auf 2,24 Billionen US-Dollar. Mit 13 Prozent am stärksten stiegen die Militär­ausgaben letztes Jahr in Europa.

Warum das wichtig ist: Der kontinuierliche Anstieg der Militär­ausgaben sei ein Zeichen dafür, «dass wir in einer zunehmend unsicheren Zeit leben», schreibt einer der Studien­autoren. Ein grosser Teil des Anstiegs in Europa geht auf Russland und die Ukraine zurück: Die Ukraine erhöhte ihr Militär­budget um 640 Prozent auf 44 Milliarden, Russland steigerte seine Militär­ausgaben um rund 9 Prozent auf 86 Milliarden. Der russische Angriffs­krieg beeinflusste auch die Rüstungs­ausgaben in Westeuropa: In Finnland, Schweden oder Polen etwa stiegen sie deutlich an. Insgesamt gaben die west- und zentral­europäischen Länder letztes Jahr 345 Milliarden US-Dollar aus; kaufkraft­bereinigt lagen die Militär­ausgaben damit zum ersten Mal höher als 1989, als der Kalte Krieg endete. Den weltweit mit Abstand höchsten Militär­etat haben die USA (877 Milliarden), gefolgt von China (292 Milliarden). Das Macht­streben Chinas, das seine Militär­ausgaben im letzten Jahr um über 4 Prozent gesteigert und insbesondere in die Marine investiert hat, ist der zweite Haupt­grund für die globale Aufrüstung: Es sorgt auch in umliegenden Ländern wie Japan, Südkorea oder Taiwan für Mehrausgaben.

Was als Nächstes geschieht: Die globalen Militär­ausgaben werden auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Die Ankündigungen verschiedener Regierungen, ihre Militär­budgets über mehrere Jahre erhöhen zu wollen, lassen eine weitere Aufrüstung erwarten. Zudem schlagen sich der Krieg in der Ukraine und Chinas Aufrüstung in den Zahlen für 2022 noch nicht vollständig nieder.

Flughafen Zürich zahlt Partei­spenden vor heikler Abstimmung

Darum geht es: Während der Zürcher Kantonsrat über Pisten­verlängerungen diskutiert, verteilt die Flughafen Zürich AG selektiv Parteispenden. Laut einer Recherche des «Tages-Anzeigers» hat die Kleinpartei EVP 20’000 Franken erhalten, die nach einer internen Diskussion wieder zurück­gezahlt wurden. Die FDP hat ebenfalls Geld erhalten, gibt aber nicht bekannt, wie viel. Keine Spende gab es für die linken und grünen Parteien, die SVP kommentiert ihre Partei­spenden nicht.

Wem gehört der Flughafen Zürich? Und wer bestimmt, wem er wann Geld spenden darf? Christian Beutler/Keystone

Warum das wichtig ist: Parteien werden in der Schweiz zu einem grossen Teil durch Spenden von Privaten und Unter­nehmen finanziert. Die Flughafen Zürich AG überweist kantonalen Parteien laut eigenen Angaben Geld, wenn sie sich zu einer «wettbewerbs­fähigen Schweizer Luftfahrt und Flughafen­infrastruktur» bekennen. Die Flughafen-Gelder sorgen nicht nur deshalb für Aufsehen, weil das Zürcher Kantons­parlament dieses Jahr über zwei Pisten­verlängerungen abstimmt, sondern auch aufgrund der Besitz­verhältnisse: Ein Drittel der Aktien der Flughafen Zürich AG sind im Besitz des Kantons Zürich, die Stadt Zürich ist mit 5 Prozent beteiligt. Die Luftfahrt liegt gemäss Verfassung im Kompetenz­bereich des Bundes und ist damit eine staatliche Aufgabe. Daher hätten gemäss geltendem Recht wenn, dann alle Parteien eine Spende erhalten müssen. In der Politik ist die Empörung über die Zahlungen gross: FDP-Kantonsrat Alex Gantner forderte von seiner eigenen Partei, dem Beispiel der EVP zu folgen und die Gelder zurück­zuzahlen. Die SP-Kantonsrätin Rosmarie Joss will strengere Regeln zur Offen­legung von Partei­spenden, so wie sie seit diesem Jahr auf nationaler Ebene gelten.

Was als Nächstes geschieht: Die Kantons­regierung und die Stadt Zürich haben sich bisher nicht geäussert. Der Kantonsrat wird entweder im Sommer oder im Herbst über die Pisten­verlängerungen debattieren. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die unterlegene Seite das Referendum ergreifen und das Stimmvolk das letzte Wort haben wird.

Zum Schluss: Das Interview, das nie geführt wurde

Seit einem schweren Skiunfall vor bald 10 Jahren lebt die Formel-1-Legende Michael Schumacher unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Seine Familie schirmt ihn ab, sein Gesundheits­zustand ist unklar. Nicht so für «Die Aktuelle»: Das deutsche Klatschheft will das erste Interview mit ihm seit seinem Unfall geführt haben. «Weltsensation!» steht da auf der Titelseite. Und kleiner darunter: «Es klingt täuschend echt.» Denn das Interview wurde nie geführt. Sprachlich gekonnt deklariert «Die Aktuelle» im Text: «Das Interview war im Internet. Auf einer Seite, die mit Künstlicher Intelligenz (…) zu tun hat.» Also alles erfunden. Trotzdem insinuiert das Heft an verschiedenen Stellen, es könnte vielleicht doch etwas Wahres an den künstlich erstellten Antworten dran sein. Die Familie von Schumacher kündigte rechtliche Schritte an. Für den Verlag Funke war das nach unzähligen Fehlleistungen des Heftes (auch zum Zustand von Michael Schumacher) eine zu viel: Anne Hoffmann, seit 2009 Chef­redaktorin des Heftes, wurde per sofort entlassen.

Was sonst noch wichtig war

  • Grossbritannien: Der britische Vizepremier und Justiz­minister Dominic Raab trat letzte Woche zurück. Er reagierte damit auf einen Unter­suchungs­bericht über sein Verhalten. Raab ist bereits das zweite Regierungs­mitglied, das wegen Mobbing­vorwürfen abtritt.

  • USA I: Der Oberste Gerichtshof hat entschieden, dass das umstrittene Abtreibungs­medikament Mifepriston vorerst weiter eingesetzt werden darf. Ein Bundes­richter in Texas hatte die Zulassung für das Medikament ausgesetzt, das Berufungs­gericht entschied jedoch, dass es mit Einschränkungen weiterhin verwendet werden darf.

  • USA II: US-Präsident Joe Biden gab diese Woche offiziell seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekannt. Er wird erneut mit seiner Vize­präsidentin Kamala Harris antreten. Konkurrenz hat Biden innerhalb der Demokratischen Partei kaum.

  • Europa: Die hohe Luftverschmutzung verursacht in Europa jährlich mehr als 1200 vorzeitige Todesfälle bei Menschen unter 18 Jahren, wie aus einem Bericht der Europäischen Umwelt­agentur hervorgeht. Obwohl sich die Luftqualität verbesserte, sei die zu hohe Luft­verschmutzung nach wie vor ein hohes Gesundheits­risiko, insbesondere für Kinder und Jugendliche.

  • Deutschland: Nach monatelangen Verhandlungen haben sich Gewerk­schaften und Arbeit­geber am Wochenende im Tarifstreit geeinigt: Die Einkommen von rund 2,5 Millionen Angestellten im öffentlichen Sektor werden angehoben. Die Verhandlungen zwischen der Deutschen Bahn und der Eisenbahn­gewerkschaft EVG dagegen sind nach landesweiten Streiks erneut gescheitert.

  • Schweiz: Die Quartals­zahlen der Credit Suisse zeigen, dass die inzwischen übernommene Grossbank in den ersten drei Monaten des Jahres 61 Milliarden Franken an Kunden­geldern verlor. Gleichzeitig erzielte sie einen Vorsteuergewinn von 12,4 Milliarden Franken, der jedoch auf eine Abschreibung der vom Bund entwerteten AT1-Anleihen zurück­zuführen ist.

Die Top-Storys

Menschen, nicht Bits Eine «künstliche Intelligenz» ist die Summe von Milliarden menschen­geschaffener Daten. Aber was ist sie wirklich? Der Vater der virtuellen Realität, Jaron Lanier, sieht in ihr ein kollaboratives Werkzeug, von Menschen für Menschen. In einem aufbauenden Appell plädiert er für weniger Mystik, mehr Transparenz – und die Anerkennung all jener, die hinter einer künstlichen Intelligenz stehen.

Anti-Erdoğan Am 14. Mai wählt die Türkei Parlament und Regierung neu. Recep Tayyip Erdoğan will weiter regieren, obwohl er gesundheitlich angeschlagen ist. Ihm entgegen stellt sich Kemal Kılıçdaroğlu. Doch der 74-jährige Politiker hat selbst ein Handicap: Er ist Alevit. Nun hat er in einem dreiminütigen Video auf Twitter offen über seine Religion referiert. «Das Video wurde in wenigen Tagen über 35 Millionen Mal angeklickt.

Schmuddelstopp Amsterdam kämpft seit Jahren mit einem Übermass an Touristen, die vornehmlich an Sexarbeiterinnen und Joints interessiert sind. Neue Regeln sollen nun im berühmten Rotlichtviertel De Wallen für mehr Anstand und Ordnung sorgen und vor allem stark alkoholisierte junge Briten fernhalten. Eine NZZ-Reportage (Paywall) wirft ein kritisches Licht auf die Pläne.

Illustration: Till Lauer

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