Geschmacksache – Folge 33

Italienischer Klassiker mit Westschweizer Charme.

Geschmacksache

Krautsourcing für gute Ravioli

Was wir als Kinder unter dem Namen Ravioli kennenlernten, war ein Verbrechen am Gaumen. Dabei lassen sich die Teig­taschen mit so viel Wunderbarem füllen. «Geschmacksache», Folge 33.

Von Michael Rüegg (Text) und Silvio Knezevic (Bilder), 21.02.2023

Vorgelesen von Miriam Japp
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Kinder lieben Dosen­ravioli. Diesem Gesetz folgend, zerrte meine Bekannte Nina vor vielen Jahren ihre damals kleine Tochter ins Zürcher Café Mandarin beim Bahnhof Stadel­hofen. Das Lokal gibt es nicht mehr. Wenn Sie mich fragen, vielleicht ein emotionaler, aber sicher kein gastronomischer Verlust. Das «Mandarin» musste weg, damit Santiago Calatrava ein Büro­gebäude bauen kann, das interessanter­weise an eine Konserven­dose erinnert.

Aus unerfindlichen Gründen standen zu jener Zeit gemäss Nina im Café Mandarin Dosen­ravioli auf der Karte. Entgegen allen Erwartungen lehnte das Kind jedoch den Verzehr der gezackten Vierecke ab. Nina war erstaunt, wenn nicht gar etwas stolz auf ihren Nachwuchs. Nach Fisch­stäbchen war dies bereits die zweite kulinarische Sünde, die ihre kleine Tochter ablehnte.

So reif war ich selber in jungen Jahren leider nicht. Ich habe gewisse Erinnerungen an Dosen­ravioli, die ich während meiner Kindheit in den 1980er-Jahren vorgesetzt bekam. Der Teig war dick und schleimig, der Inhalt pampig, leicht körnig, die «Sauce» säuerlich und in ihrer Konsistenz an Kleister erinnernd. Nichts, aber auch gar nichts berechtigt den Inhalt solcher Dosen, den Namen Ravioli zu tragen. Meine Mutter rettete die Situation jeweils, indem sie ein halbes Kilo Reibekäse darüber verteilte und den Dosen­inhalt im Ofen gratinierte.

Kaum Grenzen in der Füllungsfrage

Gute Ravioli haben einen hauch­dünnen Teig, unter dem sich eine wunderbare Füllung verbirgt. Diese besteht zum Beispiel aus Kalbfleisch, Parma­schinken, Mortadella, Gewürzen und Parmesan (ein Klassiker). Oder aus Resten eines Rinds­bratens (noch ein Klassiker). Oder aus Ricotta, etwa aus Büffel­milch, mit Zitronen­schale (es wimmelt hier von Klassikern). Im Grunde kann man Ravioli mit so ziemlich allem füllen, was auch ohne Ravioli gut schmeckt (innerhalb gewisser kulinarischer Grenzen, versteht sich).

Vor wirklich vielen Jahren sass ich mit Eltern und Schwester in einem zwielichtigen Lokal in der Pampa und bestellte «Fondue-Ravioli». Ich habe keine Ahnung, woher die kamen, hausgemacht waren sie nicht. Aber ich weiss jetzt, dass man Ravioli nicht mit einer Fondue­mischung füllen sollte. Hingegen kann man sie mit Fontina­käse füllen, das geht in die­selbe Richtung, aber ohne geschmackliche Grenz­erfahrung.

Als ich hier vor einiger Zeit Cannelloni mit Cicorino propagierte, schrieb ein Leser in den Kommentaren, er habe anstelle der Pasta­rollen Ravioli damit gefüllt. Genau darum geht es, liebe Leserin: Ideen abwandeln und damit Neues erzeugen. Als wir mal in grösserer Runde ein Haus in der Toscana gemietet hatten, stellten wir am letzten Abend aus allerlei Essens­resten eine Ravioli­füllung her. Wobei das scheusslicher klingt, als es war. Konkret bestand sie vor allem aus Saltimbocca, etwas übrig gebliebenem Brasato und den Abschnitten eines zuvor in Parma erstandenen Schinkens. Hat super funktioniert, die Tafel sprach Lob aus. Ausser für den Teig, der unterschiedlich dick war, weil wir keine Pasta­maschine dabei­hatten.

Es geht um die Wurst

Szenenwechsel, Westschweiz: Ich habe eine gewisse Schwäche für Saucissons aus der Romandie. Vor allem Neuen­burger. Wobei man wirklich auf die Qualität achten muss. Einmal bereitete ich zum Vergleich eine Wurst vom Gross­verteiler und eine aus der kleinen Neuenburger Metzgerei zu, die in einem Zürcher Spezialitäten­geschäft angeboten wird. Nebeneinander verkostet, brachte ich diejenige des Gross­verteilers nicht herunter.

Unter den Saucissons hat diejenige au choux eine gewisse Sonder­stellung. Man sollte meinen, es gäbe nichts Deutscheres als Sauerkraut, doch vermischt man es mit Schweine­fleisch und stopft es in einen Darm, wird daraus eine ikonische Spezialität aus der französischen Schweiz. Die Vermengung mit dem Kraut macht die Masse sehr locker, zur eigentlichen Un-Wurst. Man schneidet sie auf und die Füllung quillt undiszipliniert heraus. Das brachte mich auf die Idee, sie als Ravioli­füllung zu verwenden. Nach dem erwähnten Grundsatz: Was schmeckt, geht rein.

Im Ergebnis handelt es sich um eine der Form nach italianisierte Variante einer saucisson mit papet vaudois. Denn auf die Ravioli kommt etwas Lauchrahm, drüber fein gehobelter Gruyère oder Etivaz. Das ergibt eine wunderbare Vorspeise. Wer Zeit und Geduld hat, macht daraus genügend Ravioli für eine Hauptspeise.

Hartweizen­dunst oder Semolina bringt man am besten aus einem italienischen Supermarkt mit. Falls gerade keine Reise nach Italien geplant ist, geht auch Knöpfli­mehl oder ein vernünftiges Pasta­mehl, das führen mittlerweile auch grössere Super­märkte. Was den Teig angeht, wimmelt es von Meinungen darüber, was genau hineingehört und in welchem Verhältnis. Ich habe aufgehört, streng einem Rezept zu folgen. Dies, weil je nach Mehl oder Dunst und Mahlgrad etwas anderes dabei herauskommt. Einmal habe ich zu grob gemahlenen Griess genommen, dann zerbröselte alles. Vielleicht hätte ich die Sache mit der Zugabe von Weiss­mehl retten können. Meine Laune war dann aber bereits dahin.

In der Regel nehme ich 200 bis 300 Gramm Hartweizen­mehl (wie gesagt, nicht zu grob), ein ganzes Ei, einen bis zwei Teelöffel Olivenöl und einen halben bis ganzen Teelöffel Salz. Und: Wasser, bis die Sache sitzt. Der Clou liegt darin, einen sehr festen Teig herzustellen, der feucht genug ist, um nicht zu zerbröseln, und trocken genug, damit am Ende nichts festklebt. Viel Erfolg. Wer am nächsten Tag keinen Muskel­kater in Händen und Unterarmen hat, hat nicht richtig geknetet.

Ravioli «Saucisson au choux»

Zutaten (als Vorspeise für 4 Personen, Inhalt der Wurst reicht auch für grössere Mengen): 1 Saucisson au choux, etwas Bouillon, etwa 250 g Hartweizen­dunst, 0,5 TL feines Salz, 1 Ei, 1 EL Olivenöl, 1 kleine Zwiebel, 1 kleine Stange Lauch, etwas Butter, 1 dl Chasselas, 1 dl Rahm, gut gereifter Gruyère oder Etivaz zum Drüberhobeln.

  • Die Saucisson in heisser, aber nicht kochender Bouillon (so 70 Grad sind angemessen) 50 Minuten ziehen lassen. Rausnehmen und erkalten lassen, dann die Füllung heraus­kratzen und beiseitestellen.

  • Während die Wurst zieht, kann man den Teig vorbereiten. Dazu den Hartweizen­dunst und Salz in eine Schüssel geben, das Ei dazu, gut vermischen, Öl dazu, gut vermischen. Nun hat man ein bröseliges Etwas vor sich. Der Trick besteht im Weiteren darin, langsam kleine Mengen handwarmes Wasser dazuzugeben und mit den idealer­weise vorher gewaschenen Händen so lange daran zu arbeiten, bis ein knapp fester Teig daraus wird. Das gelingt nicht immer gleich gut. Der Teig sollte möglichst wenig Feuchtigkeit aufweisen, sonst bleiben die Ravioli auf dem Unter­grund kleben. Gleichzeitig muss er aber feucht genug sein, damit er nicht zerfällt. Den Klumpen zu etwas formen, was wie ein kleiner Braten aussieht, fest in Klarsicht­folie packen und eine Stunde in den Kühl­schrank legen.

  • Zwiebel in dünne Halb­ringe schneiden. Beim Lauch idealerweise den mittleren Teil, der weder weiss noch richtig grün ist, schräg in dünne Ringe schneiden. Beide in etwas Butter oder Öl anschwitzen, mit dem Chasselas ablöschen. Auf die Hälfte oder etwas mehr einkochen lassen. Rahm dazugeben und bei kleiner Flamme kurz weiter­köcheln. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Beiseite­stellen und später wieder erwärmen.

  • Nun den Teig mit der Pasta­maschine möglichst dünn auswallen und mit jedem frisch ausgewallten Teigblatt und der Wurst­füllung gleich Ravioli herstellen. Den restlichen Teig zwischen­durch wieder in Folie gewickelt kühl stellen.

  • Für die Ravioli gibt es unterschiedliche Gerätschaften und Techniken. Ich verwende gerne einen hochwertigen runden Ravioli­stempel aus Messing, den ich mal von einem Freund ausgeliehen und nie zurück­gegeben habe. Man gibt die Wurst­füllung aufs Teigblatt, legt ein Blatt drüber und drückt den Stempel fest nach unten. Aufwendig, aber mit sehr hübschem Ergebnis. Im schlimmsten Fall kann man mit einer kleinen leeren (oben und unten Deckel weg) Dose Teig ausstechen und mit der Gabel rundherum gut festdrücken. Eine weitere simple Variante: Man macht Rechtecke im Seiten­verhältnis 1:2, gibt auf die Mitte der einen Hälfte etwas Füllung, klappt den Teig zusammen und verschliesst den Rand. Falls man vermeiden möchte, dass die Dinger im heissen Wasser aufplatzen, sollte man die Luft vor dem Verschliessen heraus­drücken. Ein bisschen Eiweiss auf den Rändern klebt zudem gut. Auf Youtube dürfte es diverse Tutorials geben, von denen man sich inspirieren lassen kann.

  • Ravioli in heissem, aber besser nicht sprudelndem Wasser 3 bis 4 Minuten ziehen lassen. Auf vorgewärmte Teller geben, Lauch­rahm drauf, etwas Käse drüber­hobeln und schwarzen Pfeffer drübermahlen.

Besorgen Sie sich Grand Cru Chasselas

Mein Grossvater in Bern hatte eine Sammlung kleiner bedruckter Gläser ohne Stiel, von jedem Feuerwehr­jubiläum eines. Man trank früher den Chasselas aus diesen schmucklosen Behältnissen. Seither hat sich westlich der Bundes­stadt im Weinbau das eine oder andere getan. Die Winzerinnen der Waadt haben sich vor ein paar Jahren durchgerungen, eine Grand-Cru-Klassifizierung einzuführen. Allerdings werden damit nicht wie in Frankreich Lagen bezeichnet, sondern Erzeugnisse. Sprich, das Label wird immer wieder aufs Neue vergeben. Preislich bleiben die Weine dabei mehr als fair. Es ist fast unmöglich, einen wirklich teuren Chasselas zu finden.

Auch wenn das Angebot an gutem welschem Chasselas in der Deutsch­schweiz vergleichsweise mager ist: Besorgen Sie sich eine kleine Auswahl an Grand-Cru-Chasselas, am besten verbunden mit einem Wochenende in der West­schweiz, und legen Sie sie für ein paar Jahre in den Keller. Sie werden erstaunt sein, was Sie dereinst im Glas haben – und zu welchem Preis-Leistungs-Verhältnis.

Geschmacksache

Folge 3

Risotto aus dem Früch­te­korb

Folge 4

Au­ber­gi­nen­pa­sta

Folge 5

Nek­ta­ri­nen­sa­lat

Folge 6

Cannelloni

Folge 7

Macadamia Nut Pie

Folge 8

Hack

Folge 9

Ki­cher­erb­sen zum Apéritif

Folge 10

Mapo-Tofu

Folge 11

Kartoffeln mit bunten Saucen

Folge 12

Weih­nach­ten in Zeiten ku­li­na­ri­scher Monogamie

Folge 13

Mu­schel­pa­sta

Folge 14

Mohnkuchen

Folge 15

Boeuf Bour­gu­i­gnon

Folge 16

Chipotle Suppe

Folge 17

Orec­chiet­te mit Cima di Rapa und Salsiccia

Folge 18

Cholera

Folge 19

Granola

Folge 20

Baba au Rhum

Folge 21

Dumplings

Folge 22

Grünes Curry

Folge 23

Chi­michur­ri

Folge 24

Carbonara

Folge 25

Paneer mit einer Tomaten-Butter-Sauce

Folge 26

Paella

Folge 27

Potluck Christmas

Folge 28

Pâté en croûte

Folge 29

Zabaione

Folge 30

Œufs en Meurette

Folge 31

Donburi mit Pilzen und Zucchetti

Folge 32

Ge­mü­se­sup­pe «Ver­nis­sa­ge»

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Ravioli «saucisson au choux»

Folge 34

Zucchetti-«Pesto»

Folge 35

Mi­ni­ma­li­sti­sche Ki­cher­erb­sen­sup­pe