
Bräteln im Chili-Universum
Grillieren muss nicht bünzlig sein. Etwas Mut zur Exotik und der Griff nach (im besten Sinne) minderwertigem Fleisch heben die Stimmung deutlich. Geschmacksache, Folge 2.
Von Michael Rüegg (Text), Robin Kranz (Bilder) und Volker Hobl (Foodstyling), 07.07.2020
Grillieren – respektive Grillen, schweizerischer Bräteln – ist der Inbegriff sommerlicher Gemütlichkeit. Man gart Fleisch und Wurst auf einem Rost über Holzkohle oder Gasflamme. Dazu hat Eveline einen Reissalat mit Dosenfrüchten gemacht, Fränzi bringt ihren mayonnaiselastigen Härdöpfelsalat, Claudia Gurkensalat mit Dill, und Reto hat dicke Kartoffeln in Folie eingepackt. Die Plätzli vom Tankstellenshop liegen vormariniert in Plastik eingeschweisst. Man trinkt Bier und knabbert Zweifel-Chips aus der Tüte, auf dem Tisch stehen Thomy-Senf und Heinz-Ketchup.
Ich gebe zu, des Schweizers liebster Zeitvertreib an schönen Sommertagen ist nicht mein Ding. Grund ist ein Brätel-Trauma aus meiner Kindheit. Praktisch jeden Sonntag mussten wir zu Oma und Opa. Die hatten über der Werkstatt eine Dachterrasse. Dorthin gelangte man durch eine Winde, einen Holzdachstock, der müffelte und von dessen Decke Spinnweben hingen. Bevor man durch eine kleine Tür die Terrasse betrat, stiess man sich an einem ungünstig platzierten Balken den Schädel an. Auf der Terrasse selber sass dann im Trägershirt unter einer Pergola Opa und feuerte an.
Opa war Meister der Kremation. Kein Fleischerzeugnis war vor seinen Flammen sicher. Niemand konnte so schön ein Schweinskotelett verkohlen lassen wie er. Und jedes Mal, wenn zum Dessert die Cassata auf dem Tisch stand, blickte Opa zum Grill und meinte: «Jetzt hätten wir eine schöne Glut!»
Heute versuche ich krampfhaft, jede Brätlete weit weg von der akzeptierten Norm zu gestalten. Auf dem Rost landet beispielsweise ein Kalbsbraten, dazu gibts Kartoffelgratin aus dem Ofen. Oder ich knete Köfte und serviere sie mit Hummus, Taboulé und Cacık (wie Tsatsiki auf Türkisch heisst). Hauptsache, kein Reissalat, keine Folienkartoffeln und nix Ketchup.
Mein derzeitiger Favorit sind Tacos mit Steak vom Grill, das kommt auch bei meiner besseren Hälfte gut an, schliesslich besitzt sie respektive er die mexikanische Staatsbürgerschaft – allerdings ohne einen einzigen Tropfen Latinoblut in den Venen.
Wichtig fürs Gelingen dieser mexikanischen Brätel-Variante sind drei Dinge:
vernünftige Tortillas;
das richtige Stück Fleisch;
Salsas von überragender Qualität.
Wir machen also einen grossen Bogen um Supermarktware, die nach texanischen Provinznestern oder revolutionären Generälen benannt ist, und suchen entweder einen Laden mit mexikanischen Lebensmitteln auf oder bestellen die nötige Ware im Internet.
It’s the nixtamalisation, stupid!
Selber aus handelsüblichem Maismehl Tortillas herstellen zu wollen, ist eine kolossal dumme Idee. Denn gute Tortillas bestehen aus nixtamalisiertem Mais. Das ist nicht unerheblich und überdies chemisch interessant. Die Methode geht auf indigene Völker im heutigen Mexiko zurück, nextli bedeutet auf Nahuatl Asche, tamalli so viel wie Maisteig.
Dabei werden ganze Maiskörner in einer Mischung aus Wasser und Asche oder Kalk gekocht. Erst dann wird die feuchte Masse zu einem Teig vermahlen. Auf der chemischen Ebene hilft die stark alkalische Flüssigkeit, die Mehrfachzucker-Moleküle in der sogenannten Hemicellulose der Maiskörner aufzubrechen, wodurch Klebstoffe freigesetzt werden. Das Ergebnis des Prozesses sind bessere Nahrungsmittelwerte, eine gute Klebrigkeit, eine deutliche Reduktion allfällig vorhandener Schimmeltoxine und überdies ein kräftigeres Aroma. Die waren schlau, diese Azteken (und ihre Vorgängervölker).
Sofern Sie nicht zu Hause nixtamalisieren möchten, empfiehlt es sich, Ihre Tortillas käuflich zu erwerben. Wenn Sie schon dabei sind, halten Sie Ausschau nach der grünen Salsa verde und der roten Salsa Chipotle. Letztere besteht aus unglaublich köstlichen geräucherten Jalapeño-Chiles, denen ich mal separat eine Kolumne widmen werde. Sie können diese Salsas auch selber herstellen, das Ergebnis ist aber selten besser, weil die Qualität der hier erhältlichen Frischzutaten nicht an die in Mexiko verwendete Ware herankommt.
Was wir aber definitiv selber machen wollen, ist ein pico de gallo. Zu Deutsch: Hahnenschnabel. Das sind in feinste Würfel geschnittene Tomaten mit Zwiebeln, frischen Jalapeños, Koriander und Limettensaft.
Mjamjam, dicker Lempen
Das Wichtigste aber ist das Fleisch: Hier empfiehlt es sich, nach einem Second Cut zu greifen. Das sind zweitklassige Stücke, die im Schatten von Filet, Huft und Entrecôte vor sich hindümpeln. Man bekommt sie selten in der Fleischabteilung, und selbst gute Metzgereien preisen sie nicht an. Obwohl sie perfektes Grillfleisch sind.
Für unsere Tacos verwenden wir skirt, flaches Muskelfleisch, das zwischen Bauch und Brust liegt. Andere Stücke aus dem Second-Cut-Universum heissen flank, hanger oder spider steak. Die deutschen Namen wie Leistenfleisch, dicker Lempen oder Schlossbeindeckel klingen weniger appetitlich.
Die meisten dieser Stücke sind grobfasrig und geschmacksintensiv. Einzig bei flank oder arrachera, wie es in Lateinamerika heisst, hatte ich mal ein etwas unglückliches Erlebnis. Flank heisst auch Nierenzapfen, und im schlimmsten Fall hat das Steak einen wahrnehmbaren Uringeschmack.
Second Cuts sind sehr entspannt und auch für untalentierte Grilleure keine Herausforderung. Ich erinnere mich, wie ich einmal zwei flank steaks zu einer Brätlete mitbrachte. Während sie auf dem Grill lagen, vergass ich mich in einer Konversation, bis irgendwer fragte, ob das da nicht meine Stücke seien. Verdammt, dachte ich, zu lange drauf. Doch siehe da: Während andere auf ihren vormarinierten Schuhsohlen herumkauten, war mein Steak innen noch schön rosa, wie es sein muss.
Für sechs Personen kaufen wir bei der Mexikanerin ein: ca. 60 Maistortillas, 3 frische Jalapeño-Chiles (Alternative: 3 Peperoncini), 8 frische Chile Poblano (Alternative: 2–3 grüne Peperoni), 6 Limetten, 3 Avocados, Salsa verde, Salsa Chipotle.
Zu den Chile Poblano: Das Chili-Universum Mittelamerikas reicht von mild über pikant, scharf, sehr scharf und verdammt scharf bis hin zu absurd scharf. Darin beziehen die mittelgrossen Chile Poblano (wörtlich: die Chilis aus der Stadt Puebla) in der milden Fraktion Stellung. Sie sind dünnwandiger als Peperoni, aber fleischiger als andere Schoten.
Anderswo kaufen wir ein: 1,2 Kilo skirt steaks, 4 oder 5 Tomaten, eine grosse Handvoll Zwiebeln, einen Bund Koriander, Knoblauch, Crème fraîche.
Skirt (oder alternativ einen anderen Second Cut) findet man entweder in Internet-Metzgereien oder bei ausgewählten Metzgern. Falls Sie in Zürich wohnhaft sind, empfiehlt sich der Gang zur «Metzg» an der Zürcher Langstrasse, telefonische Reservation Ihrer Stücke wird nahegelegt. Wenn Sie im Anschluss vor dem nahen Rothaus herumlungern, erspähen Sie vielleicht auf dem Balkon Ihre Lieblings-Republik-Journalistin. Und mit etwas Glück und Sommerbräune im Gesicht kommen Sie an der Ecke sogar in den Genuss einer kostenlosen Personenkontrolle durch eine Streife der Zürcher Stadtpolizei.
Die Vorbereitungen
Fleisch: Ich rechne jeweils mit gut 200 Gramm Fleisch pro Person. Die Steaks mariniere ich mit einem Schluck Tequila oder Mezcal, Salz, Pfeffer, gestossenem Knoblauch und ein paar Spritzern Limette. Verwenden Sie für die Marinade ruhig diesen schrecklichen Fusel mit dem kleinen Plastiksombrero auf dem Deckel, der seit Jahren zuhinterst in der Hausbar steht. Besser, man lässt ihn verdampfen, als dass man ihn trinkt.
Pico de gallo: Von den Tomaten die fleischigen Aussenwände abschneiden, das wabblige Innere kann weg. Mit dem schärfsten Messer in winzige Würfel schneiden. 1 bis 2 Zwiebeln fein hacken. 2 bis 3 frische Jalapeños entkernen und ebenso klein hacken. Koriander hacken. Alle Zutaten mischen, mit Limettensaft und Salz abschmecken und in eine dekorative Schale füllen.
Tortillas: Entweder bei grosser Hitze in einer Pfanne, direkt auf der Herdplatte oder über der offenen Gasflamme auf beiden Seiten einige Sekunden toasten, warm stellen (am besten in einer tortillera oder im warmen Ofen).
Garnitur: Zwiebeln halbieren und in Streifen schneiden. Die Chile Poblano in feine Streifen schneiden. Die sind übrigens nicht scharf, dafür leicht bitter, im Gegensatz zu den hochgezüchteten zuckersüssen Supermarkt-Peperoni. Beides zusammen mit etwas Olivenöl in der Pfanne andünsten, mit Salz abschmecken. Auf einer Platte verteilen und warm stellen. Hier kommen die fertigen Steakstreifen drauf.
Guacamole: Einer guten, reifen Avocado sollte man geschmacklich nicht in die Quere kommen, indem man ihr mit zu vielen anderen Zutaten die Show stiehlt. Ich nehme für meine Guacamole pro reifer Frucht den Saft einer knappen halben Limette, eine kleine zerstossene Knoblauchzehe, grob gemahlenen Tellicherry-Pfeffer und etwas Fleur de Sel. Keine Tomaten, keine Zwiebeln und schon gar keinen Frischkäse.
Die Zubereitung ist schnell erzählt: Das Fleisch abtupfen und auf den sehr heissen Grillrost legen. Die gesamte Garzeit beträgt selten mehr als fünf Minuten, das Fleisch soll innen noch rosa sein. Auf einem Brett das Steak anschliessend in dünne Streifen schneiden und auf die Garnitur legen. Auf dem Tisch stehen pico de gallo, Guacamole, Salsas, Limettenschnitze und Crème fraîche bereit. Die Gäste greifen im Sinne eines Self-Empowerments nach Tortillas, befüllen sie mit dem, was auf dem Tisch liegt, und loben den Grilleur oder die Grilleuse in den höchsten Tönen.
¡A la salud!
Mexikanisches Bier ist das Getränk der Wahl. Wenn Sie Glück haben, finden Sie noch Restposten von günstigem Corona, dessen Verkaufszahlen in den vergangenen Monaten eingebrochen sind. Allerdings trinke ich lieber andere Marken, etwa Pacífico, Dos Equis oder Modelo. Wer auf Wein setzt: Argentinien und Chile wären keine Missgriffe, Malbec und ihre Blends passen gut. Nicht per se falsch sind auch australischer Shiraz oder Cabernet Sauvignon aus Mexikos Nachbarstaat Kalifornien. Wer aus Prinzip auf Überseewein verzichtet, wird in Süd- und Südwestfrankreich und Spanien fündig, bei Grenache-Assemblages, Tempranillo und derlei.