Blick aus dem Zug auf der Fahrt nach Lwiw.

Leben in Trümmern

Unterwegs

Fotograf Lesha freut sich, weil er endlich wieder mal Aufträge hat. Und er überlegt sich, welche Sprache er künftig mit seiner Frau reden will.

Von Lesha Berezovskiy (Text und Bilder) und Annette Keller (Übersetzung und Bildredaktion), 26.07.2022

Synthetische Stimme
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Mir geht es recht gut. Letzte Woche war ich viel für den Job unterwegs; erstmals seit Januar hatte ich wieder Foto­aufträge. Das letzte Mal beruflich gereist bin ich tatsächlich kurz vor dem Krieg, als ich für die Republik in Torezk auf Reportage war. Am Montag ging es also nach Lwiw, um den Bürger­meister Andrij Sadowyj zu fotografieren. Ich glaube sogar, es war das erste Mal überhaupt, dass ich so einen offiziellen Amtsträger vor der Kamera hatte, und ich war deshalb ziemlich nervös.

Für diesen Auftrag hatte ich wie so oft meine analoge Kamera dabei, die ich gegenüber einer Digital­kamera immer noch bevorzuge. Das hat allerdings den Nachteil, dass ich bis heute nicht sicher weiss, ob mir die Bilder gelungen sind. Die Zeit war nämlich ausserordentlich knapp, am Ende waren es gerade einmal zwei Minuten, die ich bekam. Sadowyj war schon zu spät zum Interview gekommen, die Journalisten haben dann auch noch etwas zu lange mit ihm geredet, und als sie sich verabschiedeten, war er eigentlich schon wieder zu spät dran für den nächsten Termin. Man kann sich vorstellen, wie geduldig er für mich dann noch posieren wollte …

Mit den Journalisten, die mit Sadowyj gesprochen hatten, hatte ich anschliessend noch zwei weitere Interview­termine. Da stand mir zwar mehr Zeit zur Verfügung, leider war dafür das Licht suboptimal. Mal schauen, es werden schon brauchbare Bilder dabei sein, das hat bisher immer geklappt.

Ich bin grundsätzlich immer sehr besorgt vor und während Foto­terminen. Was sich im Nachhinein meistens als unnötig herausstellt. Das war auch so, als ich für die Republik in Torezk unterwegs war: Es war Winter, hatte viel Schnee, keine Sonne, alles sehr eintönig. Auch damals stellten sich die Sorgen am Ende als unbegründet heraus. Ich war zufrieden mit dem Resultat.

Selbstporträt im Zug.
Asya.

Jedenfalls hat es mir Spass gemacht, wieder mal unterwegs zu sein, es war zwar kurz, aber intensiv. Ich bin mit dem Zug nach Lwiw gefahren und hatte am Abend sogar noch etwas Zeit, Freunde zu treffen, Oleg und Galya. Ich kenne sie nicht sehr gut, wir hören vor allem durch andere Freundinnen und Bekannte immer wieder voneinander, folgen uns aber gegenseitig auf Instagram. Weil ich nicht so eng befreundet bin mit ihnen, war ich auch zurückhaltend mit Fotografieren und zu schüchtern, sie posieren zu lassen. Bei ihrem Hund Asya war ich etwas mutiger.

Natürlich haben wir vor allem darüber gesprochen, wie es uns in den letzten Monaten ergangen ist. Oleg und Galya sind aus Mariupol geflohen, als dort die heftigen Angriffe und die Belagerung losgingen. Sie liessen ihre Wohnung und ihr Geschäft zurück und brachten sich in Lwiw in Sicherheit. Olegs Vater ist noch immer in der Nähe von Mariupol, in einem kleinen Dorf, und sie versuchen, nun auch ihn nach Lwiw zu bringen. Denn es geht ihm gesundheitlich leider schlecht. Er hatte etwas Land in Mariupol, und als er nachschauen ging, was mit der Stadt geschehen war, erlitt er einen leichten Schlaganfall. Er erholt sich langsam, und Oleg versucht, ihn so bald wie möglich zu sich zu holen.

Sie fühlen sich in Lwiw zwar sicher, aber nicht sehr willkommen. Sie erzählten mir von einer Wohnungs­besichtigung, an der sie zusammen mit Leuten aus Lwiw angestanden sind. Diese beklagten sich über die seit Kriegs­beginn steigenden Mieten: «Seit ihr in die Stadt gekommen seid, gehen die Mieten durch die Decke! Wie könnt ihr euch das überhaupt leisten? Müsstet ihr nicht an der Front kämpfen?» Und so ging es immer weiter. Es ist wirklich kaum zu glauben.

Zudem ist Galya Russin, das macht es für sie beide nicht einfacher. Sie lebt seit einigen Jahren in der Ukraine, hat aber immer noch einen eindeutigen Akzent, wenn sie ukrainisch spricht. Wie die meisten, die von Russland in die Ukraine ziehen. Sogar Leute, die schon vor der Unabhängigkeit herkamen, bekommen ihn teilweise nicht weg. Galya hat deswegen Sprach­kurse besucht, aber selbst da war sie Sprüchen ausgesetzt. Deshalb geht sie vorläufig nicht mehr hin.

Sommerstimmung in Kiew.

Es gibt grosse Unterschiede zwischen den beiden Sprachen. Ukrainerinnen können meistens beide fliessend – Ukrainisch und Russisch. In den zentralen und östlichen Landesteilen ist die russische Sprache für viele Menschen die Mutter­sprache, sie lernen aber natürlich auch Ukrainisch. So wie ich: Meine Familie spricht Russisch, ich denke und träume in Russisch, spreche aber auch fliessend Ukrainisch. Für Russinnen hingegen ist es nicht einfach, Ukrainisch zu verstehen oder zu sprechen.

Mit meiner Frau Agata zum Beispiel, aber auch mit anderen Freunden rede ich deshalb oft Russisch. Aber ich will versuchen, das in Zukunft zu ändern, und Agata wird, wenn sie aus Westeuropa zurückkommt, auch Sprachkurse besuchen, um ihr Ukrainisch zu verbessern. Bis vor einem halben Jahr haben wir nicht viel darüber nachgedacht, auch das hat sich geändert.

Agata hat ihren Aufenthalt in Mailand noch bis Ende Monat verlängert. Es läuft ihr gerade sehr gut, sie hat viele Aufträge. Ende Juli will sie aber wieder in Kiew sein, pünktlich zu ihrem Geburtstag am 2. August. Den werden wir wahrscheinlich einfach zu zweit feiern und später ein grösseres Essen veranstalten für unsere Freunde und Freundinnen.

Und dann ist da ja noch die Sache mit Agatas Papieren und dem Visum, auch das werden wir versuchen zu organisieren, damit sie im September noch mal nach Europa kann. Insgesamt haben wir also einen Monat lang einen gemeinsamen Sommer. Ich freue mich gewaltig darauf und hoffe, dass wir trotz allem ein paar friedliche Tage verbringen können.

Zum Fotografen

Lesha Berezovskiy arbeitet als freier Fotograf in Kiew. Er ist 1991 im ostukrainischen Bezirk Luhansk geboren. Als dort 2014 der Krieg ausbricht, zieht er in die Hauptstadt, wo er heute mit seiner Frau Agata lebt.

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