Im Gespräch

«Neutralität, das ist kein Igel, der sich einrollt und nur die Stacheln zeigt»

Martin Dahinden war Botschafter in den USA und Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. In Folge 19 des Podcasts erklärt er, warum Neutralität nicht bedeutet, dass die Schweiz im Russland-Ukraine-Krieg passiv bleiben muss.

Von Roger de Weck, 25.03.2022

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«Neutralität, das ist kein Igel, der sich einrollt und nur die Stacheln zeigt»
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Neutralität stammt vom lateinisch ne uter: «keiner von beiden». Aber was bedeutet das heute, im Russland-Ukraine-Krieg, für die Schweiz? «Wirtschafts­sanktionen sind keine Kriegs­handlungen», antwortet Martin Dahinden, früher Botschafter in Washington und Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammen­arbeit (Deza). Und was wird morgen aus der Neutralität, in Cyber­kriegen? Noch wisse es niemand, resümiert der Fachmann, der dazu auch eine Studie verfasst hat.

Was Sie im Podcast erwartet:

  • Die schweizerische «Partnerschaft für den Frieden» mit der Nato – kein Bruch des Neutralitäts­rechts (00:50)

  • Seit 1993 hält der Bundesrat Wirtschafts­sanktionen für zulässig – selbst wenn die Uno keine Sanktionen vorsieht (03:07)

  • Neutralitätsrecht und Neutralitäts­politik – das sind zwei Paar Schuhe. Die Schweiz muss das Neutralitäts­recht achten, aber eine Neutralitäts­politik gemäss den Landes­interessen verfolgen: Neutralitäts­politik ist eine Grauzone (05:18)

  • Die Überhöhung der Neutralität als Schweizer Identitäts­merkmal: Sie ist in der Bundes­verfassung keineswegs das alles überragende Dogma (08:45)

  • Im Lauf der Geschichte wandelte sich das Verständnis von Neutralität immer wieder (10:45)

  • Die Wende des Bundesrats – er hätte sie sorgfältiger vorbereiten sollen: «Ich hätte noch drei Tage gewartet» (15:45)

  • Das Problem mit der Neutralität in Cyber­kriegen: Ab wann genau herrscht in hybriden Konflikten «Krieg»? Was tun, wenn von Servern in der Schweiz Angriffe ausgehen? Ist zur Abwehr von Cyber­attacken ein Zusammen­spiel mit anderen Ländern zulässig? Die Diskussion fängt erst an – und zu wenig Fachleute befassen sich mit solchen Fragen (19:25)

  • Die Guten Dienste – die Schweiz und andere neutrale Staaten haben auf diesem Feld kein Monopol. Es ist ein heftig umkämpfter Markt, weil man damit nützliche Kontakte und Goodwill erntet (25:59)

  • Das Pendant zur Neutralität ist das humanitäre Engagement. Aber warum werden Geflüchtete aus dem Syrien­krieg schlechter behandelt als Geflüchtete aus dem Russland-Ukraine-Krieg? (32:50)

  • Eine neutrale Ukraine mit «Sicherheits­garantien» des Westens: Was wäre das? Und wie steht es eigentlich um Finnlands und Schwedens Neutralität? (37:25)

  • Russland oder: Wenn Politik das Gegenteil dessen bewirkt, was sie bezweckt (39:55)

  • Micheline Calmy-Rey meint, die Europäische Union solle neutral werden wie die Schweiz: Dafür ist die EU zu gross. Auch für die USA ist Isolationismus illusorisch (42:41)

  • Ist die Schweiz im Jahr 2050 noch neutral? Neutralität ist kein Igel, der die Stacheln zeigt: Neutralität bedeutet nicht, passiv zu bleiben, sondern das eigene Umfeld mitzugestalten. Wäre ein EU-Beitritt vereinbar mit der Neutralität? (46:40)

Zur Person

Martin Dahinden war Leiter der Direktion für Entwicklung und Zusammen­arbeit (Deza) und Schweizer Botschafter in den USA. Er ist Stiftungsrat-Mitglied des Thinktanks ICT4Peace und lehrt Sicherheits­politik an der Universität Zürich.

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