Aus der Arena

Sprache der Gewalt

Der Mord an einem Tankstellen-Kassier in Deutschland zeigt auf drastische Weise: Wer mit Begriffen wie «Diktatur» und «Faschismus» aufwiegelt, ebnet den Weg zur Gewalt.

Von Daniel Ryser, 21.09.2021

Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 27’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!

«Wenns die Richtigen trifft, hab ich nichts dagegen», kommentiert ein rechtsextremer Querdenker in einem Telegram-Chat den Mord an einem Tankstellen-Kassier in Deutschland. Der 20-Jährige hatte sich am letzten Samstag geweigert, einem Mann, der keine Maske trug, Bier zu verkaufen, worauf dieser ihm in den Kopf geschossen hat.

Es ist nicht mehr schönzureden: Jeder, der von einer Diktatur spricht, weil er mit den Corona-Massnahmen nicht einverstanden ist, legt den Boden für solche Taten. Auch in der Schweiz. Denn in einer Diktatur gibt es ein sogenanntes Widerstands­recht: das Recht, sich zu wehren, wenn der Staat Demokratie und Rechts­staat zerstört. Der 49-jährige Masken­gegner leitete daraus ab, einen Studenten erschiessen zu müssen, der die Regeln durchsetzte und damit in seinen Augen verantwortlich gewesen sei «für die Gesamtsituation».

Viele von denen, die jetzt über Diktatur klagen, gerade auch rechte Journalisten, haben in den letzten zwanzig Jahren Grund­rechts­abbau beklatscht. Der Staat wisse schon, was er tue, schrieben sie. Jetzt, wo ihre eigene Mittelstands-Lebens­realität Einschränkungen erfährt, kritisieren sie das nicht wie Demokraten, sondern behaupten, wir lebten in einer Diktatur.

In der Schweiz wird am 28. November ein weiteres Mal über die Covid-Politik abgestimmt. Gewinnt man die Abstimmung, wird man sagen: Das Volk hat gesprochen! Verliert man die Abstimmung, wird man sagen: Diktatur!

Wer eine Abstimmung verliert, wie die Linke das in den letzten Jahren immer getan hat, wenn es um Grund­rechte ging, kann weiter für Veränderungen mit politischen Mitteln kämpfen oder kann das tun, was zum Beispiel der Luzerner Jungfreisinnige Nicolas A. Rimoldi tut: behaupten, die Gesetze dieses Landes würden für einen selbst nicht gelten, sie seien nicht legitim, denn wir lebten in einer faschistischen Diktatur.

«Der Spruch: Wenn Worte töten könnten, ist längst aus dem Irrealis in den Indikativ geholt worden», sagte Heinrich Böll 1959. «Worte können töten, und es ist einzig und allein eine Gewissens­frage, ob man die Sprache in Bereiche entgleiten lässt, wo sie mörderisch wird.» Darüber sollten Leute, die heute ständig von Diktatur sprechen und twittern, dringend nachdenken.

Man kann nicht «Wir sind der Sturm» in einem Chat-Forum posten, wie Rimoldi das im Hinblick auf eine Demonstration in Bern getan hat, diesen QAnon-Slogan, der auf den Sturm des US-Kapitols verweist, und sich dann bei der Polizei beschweren, dass sie den angekündigten Sturm verhindert.

Wer Menschen permanent mit Begriffen wie «Faschismus» und «Diktatur» aufwiegelt und gleichzeitig immer die Hände in Unschuld wäscht, wer sich derart weigert, die Wirkung der eigenen Worte zu reflektieren, der wird zur Gefahr für das friedliche Zusammen­leben und ebnet den Weg für Gewalt.

Wenn Sie weiterhin unabhängigen Journalismus wie diesen lesen wollen, handeln Sie jetzt: Kommen Sie an Bord!