Geschmacksache – Folge 23

Kein Stress: Geben Sie einem frisch gemixten Chimichurri mindestens zwei Tage Zeit, sich zu entfalten.

Geschmacksache

Eine echte Berühmtheit

Fernab der Heimat kann so mancher Star dem Rummel um seine Person entfliehen. Anders ergeht es der Grillsauce Chimichurri: Die kennt man auf der ganzen Welt. «Geschmacksache», Folge 23.

Von Michael Rüegg (Text) und Reinhard Hunger (Bild) 21.07.2021

Im Sommer vor Corona lag ich mit meinem alten Freund René in einem Zürcher Flussbad. Ich liess mir die Sonne auf den Bauch scheinen, René zog den Halb­schatten vor. Alle paar Minuten mussten wir daher unsere Bade­tücher verschieben. Im Laufe dieses Prozesses gerieten wir in die Nähe zweier junger Männer, die Spanisch sprachen. Es stellte sich heraus, dass sie Argentinier waren – einer davon in Zürich wohnhaft, der andere auf Reisen durch Europa.

Der in Zürich Wohnhafte musste bald mal verschwinden, weil seine Schicht an einer Hotel­réception begann. Wir blieben mit dem Verbliebenen im Gespräch – was tut man nicht alles, um seine Sprach­kenntnisse zu entstauben.

Ich will den Argentinier hier mal Sandro nennen.

Sandro und René fanden sich gleich thematisch, da Ersterer sich als angehender Film­regisseur outete. Und Letzterer seit seiner Jugend als Kamera­mann arbeitet. Wann immer ich für irgendwas einen Kamera­mann brauche, rufe ich René an. Und der machts dann, tipptopp. Er hat sogar einen Drohnen­flugschein, wie ich neulich herausfand. Und damit gleich auch, dass es Drohnen­flugscheine überhaupt gibt.

René und ich hatten ausgemacht, dass wir nach dem Bade an einem öffentlichen Grillplatz in der Nähe ein paar Würste über die Glut legen und dazu Bierchen kippen würden. Da Sandro nun ganz allein war, fassten wir uns ein Herz und boten ihm an, sich uns anzuschliessen.

Sehr gern, fand Sandro.

Als wir später im Laden das Nötige für den Grillabend zusammen­kramten, wollte der Argentinier sich an den auflaufenden Kosten beteiligen. Wir schlossen dieses Angebot beleidigt aus, schliesslich existiert kaum ein höheres Gut als die Gast­freundschaft. Und Film­studenten aus krisen­geschüttelten Ländern auf Europa­tour gehören ohne Unkosten­beitrag gefüttert, keine Widerrede!

Der Abend verlief in seiner Schlichtheit perfekt, wir konnten sogar eine bestehende Glut übernehmen und uns etwas zusätzliche Holzkohle bei unbekannten Mitgrilleurinnen erschnorren. Unser unbekannter Gast war ein wirklich reizender Tisch­genosse. Vor dem Abschied tauschten wir unsere Instagram-Profil­namen aus.

Sein Name sei Nobody

René und ich erschraken, als wir sahen, dass Sandro nicht weniger als 130’000 Follower hat. Respektive in der Mehrheit Followerinnen.

Der vermeintliche Rucksack­tourist stellte sich als unglaublich berühmt heraus. Nicht bloss in seiner Heimat Argentinien, sondern in ganz Latein­amerika. Sandro hatte offenbar die Haupt­rolle in einer absurd populären TV-Serie gespielt. Als Folge davon lächelte er von allen möglichen Zeitschriften­covers. Und das Internet will wissen, dass sein Einkommen im Jahr 2020 zwischen 9 und 12 Millionen US-Dollar betrug.

Trotzdem haben uns die paar Franken für Kalbs­bratwurst, Salat, Bier und Brot nicht gereut. Wir verabschiedeten uns in der Folge nicht nur von unserem neuen Freund Sandro, sondern auch vom Gedanken, jemals bei einem möglichen Aufenthalt in Buenos Aires mit ihm ein Gläschen trinken zu gehen. Sandro war an dem Abend zwar noch in Zürich, aber trotzdem lag nun plötzlich eine sehr grosse Distanz zwischen ihm und uns.

Wie es sich wohl anfühlen muss, wenn man endlich an einem Ort ist, an dem man einfach nur man selbst sein kann? Wenn keine Teenager kreischend hinter einem herrennen und Selfies machen wollen? Man nicht jedes Mal an Autogramm­karten denken muss, wenn man das Haus verlässt?

Ja, wir gönnten unserem Gast diesen Abend als Nobody in einem Zürcher Park von ganzem Herzen.

Eine Sauce für Fleisch und Seele

In Argentinien war ich noch nie. Und mittlerweile weiss ich auch nicht, ob ich je hinreisen werde. Beim Gedanken an ferne Länder erscheint stets Greta Thunbergs grimmiges Gesicht vor meinem geistigen Auge. Und damit der Halb­wunsch, auf dem Kontinent zu bleiben.

Wenn schon das Klima futsch machen, dann vielleicht dezenter, mit einem schönen Stück Rindfleisch auf dem Grill.

Dazu passt Chimichurri. Das ist die argentinische National­sauce. Sie ist noch viel berühmter als Sandro. Denn man kann das Zeug mittlerweile auch in Flaschen abgefüllt in Super­märkten kaufen. Doch ich rate dazu, es selber herzustellen. Ist ganz einfach, das Schlimmste daran ist der Abwasch.

Chimichurri ist sehr grün, kräftig im Geschmack und geht entweder auf einen gewissen Jimmy McCurry aus Irland zurück, der sie während der argentinischen Unabhängigkeits­kriege im 19. Jahr­hundert erfunden haben soll. Oder aber auf einen Fleisch­händler namens Jimmy Kerry. Oder aber einen Schotten mit Namen James C. Hurray, der sich argentinischen Gauchos angeschlossen haben soll. Ob eine dieser Versionen stimmt, lässt sich nicht sagen. Irgendwie hat die Sauce jedenfalls mutmasslich mit den Britischen Inseln zu tun.

Es gibt verschiedene Arten, Chimichurri herzustellen. Ich habe mich mit mir selber auf die folgende geeinigt.

Das Rezept: Chimichurri

Zutaten: 2 Bund glatte Petersilie, 3–4 EL getrockneter Oregano, 1–2 Knoblauch­zehen, ein halber TL getrockneter Thymian, 1 Schalotte, 1 Chili­schote, Abrieb und Saft einer halben Biozitrone, 1 TL Zucker, 1 TL Salz, etwas schwarzer Pfeffer, 1–2 dl Olivenöl.

  • Petersilie waschen und die abgezupften Blätter in ein hohes Gefäss geben, das sich zum Stab­mixen eignet (oder Mixtechnik nach eigenen Vorlieben wählen. Puristinnen hieven den schweren Stein­mörser aus dem Regal.)

  • Restliche Zutaten bis und mit Pfeffer dazugeben, vorher Knoblauch, Schalotte und Chilischote grob zerhacken.

  • Etwas Olivenöl (nicht das schlechteste nehmen) dazugeben und mit dem laufenden Stabmixer drauf rumdrücken. Nach und nach mehr Öl dazugeben. Es sollte keine Paste mehr sein, sondern eine dickliche Sauce.

  • Probieren und allenfalls etwas mehr Salz, Zitronen­saft, Zucker und Olivenöl zugeben. Doch Obacht: Ein frisch gemixtes Chimi­churri überzeugt geschmacklich noch nicht ganz. Es braucht erst eine Weile, bis es zur Vollendung findet. So 48 Stunden sollte man ihm schon Zeit geben.

  • Daher Chimichurri in einem sterilisierten Konfitüren­glas ein paar Stunden bei Zimmer­temperatur herum­stehen lassen. Danach in den Kühlschrank oder in den kühlen Keller stellen und einige Tage durch­ziehen lassen. Wie lange es sich hält, ist schwer zu sagen. Es dürfte gut eine Woche sein.

Chimichurri serviert man am besten zu einem am Stück gebratenen Rinds­filet, einem Entrecote, einem Tomahawk-Steak oder was immer gerade herumliegt. Auch zu Schweins­bratwurst auf Brot oder in einem Steak-Sandwich macht es sich gut. Fleisch­verächter geniessen es mit Halloumi oder Grill­gemüse. Und wenn etwas übrig ist: zum Apéro ein bisschen aufs Weiss­brot träufeln.

Argentiniens Weine: Sollen wir?

Das ist wieder so eine Gewissens­frage: Soll man Weine aus Übersee trinken? Ich bin der Meinung, man darf sich ein solches Tröpfchen gelegentlich gönnen. Es gibt hervorragende Malbecs und Blends aus Argentinien, sogar reinrassige Petit Verdots, denen das Hochland­klima sehr behagt. Dabei muss man nicht zwingend auf Erzeugnisse eines Zürcher Musikers zurück­greifen, der eine Vorliebe für Seiden­tücher um den Hals besitzt. Wer dennoch möchte, dass ein Schweizer seine Pfoten im Spiel hat, dürfte problemlos fündig werden. Auch ein gewisser Zement­baron erzeugt mitunter hervor­ragende Tropfen um Mendoza herum. Und er soll nicht der Einzige sein. Schweizerinnen engagieren sich in dieser Region ziemlich stark im Weinbau.

Ich selber kaufe gelegentlich einzelne Flaschen gehobener Rotweine aus Mendoza und lasse sie ein paar Jahre im Keller liegen. Solche Erzeugnisse sind der Stolz ihrer Produzentinnen und haben mitunter ein grandioses Preis-Leistungs-Verhältnis. Zum Beispiel stellt der Lafite-Teil der Rothschild-Familie in einem Joint Venture mit den Lokal­matadoren Catena einen entzückenden Rotwein namens «Caro» her, der wie ein Bordeaux im Leder­sattel daherkommt – halb Cabernet Sauvignon, halb Malbec. Der langen Rede kurzer Sinn: lieber weniger trinken, dafür etwas Gutes.

Geschmacksache

Folge 3

Risotto aus dem Früch­te­korb

Folge 4

Au­ber­gi­nen­pa­sta

Folge 5

Nek­ta­ri­nen­sa­lat

Folge 6

Cannelloni

Folge 7

Macadamia Nut Pie

Folge 8

Hack

Folge 9

Ki­cher­erb­sen zum Apéritif

Folge 10

Mapo-Tofu

Folge 11

Kartoffeln mit bunten Saucen

Folge 12

Weih­nach­ten in Zeiten ku­li­na­ri­scher Monogamie

Folge 13

Mu­schel­pa­sta

Folge 14

Mohnkuchen

Folge 15

Boeuf Bour­gu­i­gnon

Folge 16

Chipotle Suppe

Folge 17

Orec­chiet­te mit Cima di Rapa und Salsiccia

Folge 18

Cholera

Folge 19

Granola

Folge 20

Baba au Rhum

Folge 21

Dumplings

Folge 22

Grünes Curry

Sie lesen: Folge 23

Chi­michur­ri

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Carbonara

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Paneer mit einer Tomaten-Butter-Sauce

Folge 26

Paella

Folge 27

Potluck Christmas

Folge 28

Pâté en croûte

Folge 29

Zabaione

Folge 30

Œufs en Meurette

Folge 31

Donburi mit Pilzen und Zucchetti

Folge 32

Ge­mü­se­sup­pe «Ver­nis­sa­ge»

Folge 33

Ravioli «saucisson au choux»

Folge 34

Zucchetti-«Pesto»

Folge 35

Mi­ni­ma­li­sti­sche Ki­cher­erb­sen­sup­pe