Briefing aus Bern

Neue Corona-Regeln, kein Geld für Kampf gegen Sexismus – und Koch ist offiziell lustig

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (127).

Von Reto Aschwanden, Dennis Bühler, Bettina Hamilton-Irvine und Cinzia Venafro, 10.12.2020

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Die Schweiz bekommt die Fallzahlen einfach nicht runter. Darum sollen die Massnahmen weiter verschärft werden. Anfang Woche haben mehrere Deutsch­schweizer Kantone neue Regeln erlassen. Doch dadurch entsteht ein Flicken­teppich an Vorschriften, was die Lage in der klein­räumigen Schweiz unübersichtlich macht. Darum haben Simonetta Sommaruga und Alain Berset (der die Lockerungen im Herbst mittlerweile als «Fehler» bezeichnet) am Dienstag­abend angekündigt, der Bundesrat wolle am Freitag neue Massnahmen beschliessen, die landes­weit und bis am 20. Januar gelten sollen. Konkret sollen diese so aussehen:

  1. Sperrstunde ab 19 Uhr für Gastro­betriebe, Läden, Sport- und Freizeit­einrichtungen. Keine Sonntagsverkäufe.

  2. Im privaten Rahmen dürfen sich noch 5 Personen aus 2 Haushalten treffen. Vom 24. bis 26. Dezember und an Silvester ausnahmsweise 10 Personen.

  3. Ein Verbot von öffentlichen Veranstaltungen, ausser religiöse Feiern und Parlamentssitzungen.

Schon eine Woche später, am 18. Dezember, könnte je nach Entwicklung der Fallzahlen eine weitere Verschärfung beschlossen werden: Dann müssten Läden und Gastro­betriebe ganz zumachen. Besonders betroffene Branchen sollen finanziell entschädigt werden.

Derzeit werden die Kantone zu diesen Plänen konsultiert. Kritik kommt namentlich aus der Romandie. Nach zeitweise hohen Fall­zahlen sieht es dort gerade etwas besser aus. Darum wollten Westschweizer Kantone ihre strengen Regeln etwas lockern und etwa Restaurants wieder öffnen lassen. Dass nun, da die Zahlen in der Deutsch­schweiz steigen, landes­weite Regeln erlassen werden sollen, sorgt für Unmut. So zeigt sich die jurassische Regierung irritiert, dass man vor vollendete Tatsachen gestellt werde, weil der Bundesrat «vor die Presse tritt, bevor er die Kantone konsultiert hat».

Kontrovers werden die Ankündigungen der Landes­regierung auch von den Parteien aufgenommen. Die SVP lehnt den «massiven Eingriff des Bundes­rates» ab. Sie beschwört in einer Medienmitteilung den Föderalismus und kritisiert, der Bundesrat wolle «die Macht an sich reissen». Die Bevölkerung sei zunehmend weniger bereit, Einschränkungen hinzunehmen, darum seien die neuen Massnahmen zum Scheitern verurteilt. «Völlig realitäts­fremd» ist für die SVP die «5 Personen aus 2 Haus­halten»-Regel. Diese sei gerade für Patchwork­familien schlicht nicht umsetzbar.

Am anderen Ende des Parteien­spektrums begrüsst die SP, «dass der Bundesrat dem unkoordinierten Handeln endlich ein Ende setzt». Gleichzeitig fordern die Sozial­demokratinnen eine Strategie zur Entlastung des Gesundheits­personals und zur Sicher­stellung der Gesundheits­versorgung sowie sofortige Wirtschafts­hilfen. Auf die Frage der Republik, ob die SP glaube, für ihre Forderungen eine Mehrheit zu bekommen, wo doch das Parlament vergangene Woche das Covid-Mietgesetz bachab geschickt hat, sagte Co-Präsident Cédric Wermuth: «Seit gestern Abend ist die Situation wieder anders. Wir glauben an unsere bürgerlichen Partner und werden versuchen, den Schulter­schluss nochmals zu machen. Wer jetzt noch sagt, es brauche keine Massnahmen, ist realitäts­fremd.» Um vorwärtszumachen, verlangt die SP, die Landesregierung solle diese Woche eine Notbotschaft verabschieden, die das Parlament noch in der Winter­session behandeln kann.

Am Freitag, 11. Dezember, wird der Bundesrat über die vorgeschlagenen Massnahmen entscheiden. Diese dürften im Grossen und Ganzen den am Dienstag vorgestellten Massnahmen entsprechen – und das Minimum an Einschränkungen bilden, denn der Bundesrat betont, dass die Kantone noch schärfere Massnahmen beschliessen können.

Das heisst: Bis am 20. Januar wird das öffentliche und auch private Leben deutlich eingeschränkt. Der eigene Haushalt wird noch stärker zum Lebens­mittelpunkt. Wir werden eigen­artige Weihnachten erleben und einen surreal ruhigen Silvester.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Bundespräsidien: Überall die SVP

Worum es geht: SVP-Bundesrat Guy Parmelin ist neuer Bundes­präsident. Die vereinigte Bundesversammlung hat ihn gestern mit 188 Stimmen gewählt. Das ist kein Glanz­resultat, aber ganz okay. Zum Vergleich: SP-Bundes­rätin Sommaruga schaffte es vergangenes Jahr mit 186 auf etwa gleich viele Stimmen.

Warum Sie das wissen müssen:
Nach fünf Jahren in der Landes­regierung führt der Waadtländer das Siebner­gremium an. Somit sind nächstes Jahr mit Andreas Aebi im Nationalrat, Alex Kuprecht im Ständerat und eben Guy Parmelin alle drei Bundes­präsidien in SVP-Hand.

Wie es weitergeht:
Spannend wird das Präsidial­jahr vor allem bei Guy Parmelin. Das umstrittenste Wirtschafts­dossier derzeit ist das Rahmen­abkommen mit der EU. Parmelins Partei bekämpft es, als Wirtschafts­minister steht er aber dahinter.

Armee: Munitionslager Mitholz wird geräumt

Worum es geht: Die Bewohnerinnen der Berner Oberländer Gemeinde Mitholz müssen ihr Zuhause für rund zehn Jahre verlassen. Der Bundesrat hat definitiv entschieden, das unter dem Ort verschüttete Munitions­lager der Armee räumen zu lassen.

Warum Sie das wissen müssen: Seit den Fünfziger­jahren schlummern in der Erde von Mitholz Spreng­stoffe. Zuletzt kam eine Expertengruppe des Bundes zum Schluss, dass diese Gefahr um einiges höher ist als in den vergangenen Jahren angenommen.

Wie es weitergeht: 500 bis 900 Millionen Franken soll die Räumung kosten. Geräumt wird ab 2030, trotzdem müssen die ersten der 50 bis 60 betroffenen Familien wahrscheinlich bereits ab 2025 wegziehen, sagte Verteidigungsministerin Viola Amherd in der Videobotschaft. Grund: Es müssen Schutz­bauten um die Bahn­linie und die National­strasse erstellt werden. Dafür müssen Häuser weichen. Diese werden jetzt bewertet, «damit gemeinsam mit den betroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern konkrete Lösungen für die Zukunft gesucht werden können», so das Verteidigungsdepartement.

Tabakwerbung: Nationalrat wählt liberaleren Weg

Worum es geht: Vor vier Jahren versenkte das Parlament das Bundes­gesetz über Tabak­produkte sang- und klanglos – nun ist es auf Kurs. Noch sind sich National- und Ständerat allerdings uneinig, wie stark der Eingriff in die freie Markt­wirtschaft zugunsten des Jugend­schutzes sein soll. Die Volks­vertreterinnen haben diese Woche für einen liberaleren Weg plädiert, als ihn die Standes­vertreter im Herbst 2019 einschlugen.

Warum Sie das wissen müssen: Mehr als zwei Millionen Menschen in der Schweiz rauchen, die meisten von ihnen haben als Minderjährige damit begonnen. Gemäss einer aktuellen Umfrage greifen rund 70 Prozent der Zürcher Schülerinnen im Alter von 16 bis 17 Jahren gelegentlich oder regelmässig zur Zigarette, E-Zigarette oder Shisha, bei den gleichaltrigen Jungen sind es rund 60 Prozent. Die Politik hat auf solche Zahlen bisher mit Schulter­zucken reagiert: Als der Bundesrat 2016 Werbe­verbote vorschlug, wies das Parlament dies entrüstet zurück. Inzwischen aber hat der Wind gedreht – auch wegen einer Volksinitiative, die ein lückenloses Verbot für Tabak­werbung verlangt, die Kinder oder Jugendliche erreicht. Vor einem Jahr hat der Ständerat den vom Bundesrat überarbeiteten Gesetzes­entwurf sogar verschärft. Ganz so weit will der Nationalrat nun allerdings nicht gehen: In der Presse und im Internet soll Tabak­werbung nicht grundsätzlich verboten sein, wohl aber in Publikationen, die sich an Minder­jährige richten. Zudem soll entsprechende Werbung in Kinos und im öffentlichen Raum verboten werden. Ferner sollen Tabak­firmen keine Veranstaltungen mehr sponsern dürfen, die inter­nationalen Charakter haben oder auf ein minder­jähriges Publikum abzielen.

Wie es weitergeht: Die Vorlage geht 2021 noch einmal in den Ständerat. Einer der grössten Zank­äpfel wird sein, ob die Kantone strengere Werbe-, Sponsoring- und Verkaufs­förderungs­vorschriften erlassen dürfen als der Bund. Der Nationalrat will dies verhindern, der Ständerat und die kantonalen Gesundheitsdirektorinnen machen sich dafür stark.

Pestizide: Im Parlament hat der Streit angefangen

Worum es geht: Mit der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative stehen zwei Volks­begehren an, welche die Wasser­qualität in der Schweiz verbessern wollen. Nun will das Parlament den zwei radikalen Initiativen aus dem Links-Grünen-Lager den Wind aus den Segeln nehmen.

Warum Sie das wissen müssen: Viele Gemeinden haben ein massives Pestizidproblem, wie Recherchen des «Blicks» unlängst zeigten. Wie das Problem angegangen werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Herzstück des informellen Gegen­vorschlags aus dem Parlament ist ein sogenannter Absenk­pfad für Pestizide, den der Ständerat im September beschlossen hat und den der Nationalrat nun auch mitträgt. Der Senkpfad am Rande bewirtschafteter Fläche soll mithelfen, das Trinkwasser sauberer zu halten. Links-Grün scheiterte im Rat. Sie wollten eine Lenkungs­abgabe auf Mineral­dünger und Futtermittel­importe wieder in die Vorlage aufnehmen.

Wie es weitergeht: Eine links-grüne Minderheit streitet nun mit Bauern­vertretern über die Details des Absenk­pfades. Sie fordert bis 2025 minus 10 Prozent, bis 2030 minus 20 Prozent. Die Bauern aber wollen den gesamten Nährstoff-Absenkpfad streichen. Ihrer Meinung nach würde die Absenkung zu einer Reduktion des Nutztier­bestands führen. Und das wiederum zöge einen tieferen Selbstversorgungs­grad der Schweiz nach sich.

DNA-Analysen: Bundesrat will erweiterte Auswertungen

Worum es geht: Strafverfolgungs­behörden sollen in Zukunft mehr Informationen aus einer DNA-Spur herauslesen dürfen, auf die sie an einem Tatort stossen. Diese sogenannte Phäno­typisierung soll ihnen ermöglichen, den Täter­kreis einzugrenzen. Der Bundesrat hat einen entsprechenden Gesetzesvorschlag verabschiedet.

Warum Sie das wissen müssen: Heute darf aus einer DNA-Spur lediglich auf das Geschlecht geschlossen werden. Künftig sollen auch die Augen-, Haar- und Haut­farbe, die biogeografische Herkunft sowie das Alter eruiert werden dürfen. Umstritten ist vor allem der Umgang mit Informationen zur Herkunft, da diese Diskriminierung verstärken können. Allerdings zeigt ein Fall aus den Niederlanden exemplarisch, dass Phänotypisierung auch das Gegenteil bewirken kann: Als ein 16-jähriges Mädchen im Jahre 1999 in der Nähe eines Asylheims vergewaltigt und ermordet wurde, stellten Anwohner, Medien und die Polizei die Asyl­bewerber sogleich unter General­verdacht. Eine DNA-Analyse aber zeigte, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit europäischer Abstammung war – dies stellte sich 2012 als richtig heraus, als ein Bauer aus der Umgebung überführt werden konnte. In der Schweiz soll DNA-Phäno­typisierung nach dem Willen des Bundesrats nur bei schweren Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung zum Einsatz kommen.

Wie es weitergeht: Das Parlament wird im kommenden Jahr damit beginnen, das Gesetz zu beraten. Zu diskutieren geben wird unter anderem, ob die Phäno­typisierung auch bei ungeklärten Fällen aus der Vergangenheit angewendet werden darf, etwa beim Fall Emmen aus dem Jahr 2015.

Sexismus: Ständerat verhindert Kampagne

Worum es geht: Grünen-National­rätin Regula Rytz wollte, dass der Bund eine breit angelegte Kampagne gegen Sexismus lanciert. Nachdem sie vom Bundesrat und vom Nationalrat Unter­stützung erfuhr, hat der Ständerat ihre Motion nun aber hauchdünn mit 21 zu 20 Stimmen abgelehnt. Damit ist das Anliegen vom Tisch.

Warum Sie das wissen müssen: Rytz begründete ihre Motion mit einer 2019 publizierten Studie von Amnesty International, wonach 59 Prozent der Frauen in der Schweiz sexuelle Belästigung erlebt hätten. Jede fünfte Frau gab an, ungewollte sexuelle Handlung im strafrechtlichen Bereich erlebt zu haben. Die von Rytz beantragte Präventions­kampagne hätte mehrere Jahre dauern und über Social Media, Plakate, Inserate und Kinospots verbreitet werden sollen. Wie viel sie gekostet hätte, ist unklar. Im Ständerat setzte sich am Mittwoch die Haltung des SVP-Politikers Jakob Stark durch, wonach eine «derart fette Kampagne» angesichts der finanziellen Belastung durch die Corona-Pandemie unverhältnis­mässig sei. Seine Partei­kollegin Barbara Steinemann fand, Schweizer Männer seien hoch­anständig, Belästigungen gingen von Männern aus bestimmten Ländern aus.

Wie es weitergeht: Gar nicht. Weil der Ständerat die Motion ablehnte, ist sie vom Tisch.

Witz der Woche

Das Arosa Humor­festival beweist echten Humor, indem es Daniel Koch mit der Humor­schaufel ehrt. Der ehemalige Corona-Beauftragte des Bundes­amts für Gesundheit habe «die Schweiz kompetent, aber stets charmant und mit der nötigen Prise Humor durch die erste Welle der Corona­krise geführt», begründet das Festival seine Wahl. Lustig ist das vor allem, weil Koch während seiner Amtszeit im Namen der Regierung das Arosa Humor­festival verboten hat. Ebenfalls lustig ist, dass Koch die Auszeichnung gemäss seiner Aussage «stellvertretend für die Humor- und Kleinkunst­szene» entgegen­nahm, obwohl er dieser ja beim besten Willen nicht angehört – auch wenn er gern mal mit Anzug in die Aare springt oder mit Langlaufskis über eine Wiese rennt. Zu guter Letzt hat uns auch Kochs Konkurrenz ein Lachen entlockt: Nominiert für den Humor-Preis war nämlich auch Bundesrat Ueli Maurer. Der Mann also, der gern sexistische Witze erzählt und keine Angst vor schlechter Laune hat. Dass das alles irgendwie ziemlich lustig ist, war hoffentlich die erklärte Absicht des Humorfestivals.

Illustration: Till Lauer

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