Was diese Woche wichtig war

Corona-Zahlen steigen, mehr häusliche Gewalt – und das Aus für eine Nazi-Partei

Woche 41/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Reto Aschwanden, Ronja Beck, Adrienne Fichter, Oliver Fuchs und Christof Moser, 09.10.2020

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Schweiz startet holprig in den Covid-Herbst

Darum geht es: Am Mittwoch meldete das Bundesamt für Gesundheit 1077 positive Covid-Befunde, am Donnerstag waren es 1172. So viele wie zuletzt Anfang April (wobei damals viel weniger breit getestet wurde). Gesundheits­minister Alain Berset reagierte Anfang Woche zurückhaltend auf die stark steigenden Zahlen und sagte, dass sie vor allem auf einzelne grössere Ballungen, oder «Cluster», zurück­zuführen seien. Mehrere Kantone verschärften im Lauf der Woche ihre Massnahmen. Und die Arzneimittel­behörde Swissmedic teilte mit, dass ein erstes Zulassungsgesuch für einen potenziellen Impfstoff eingereicht worden sei.

Warum das wichtig ist: Es sind schlechte Vorzeichen für die kalte Jahres­hälfte. Die Weltgesundheits­organisation (WHO) setzt einen Grenzwert von 5 Prozent positiven Tests im Verhältnis zur Gesamt­zahl, unterhalb dessen sich das Infektions­geschehen noch gut nachverfolgen lässt. Dieser Wert ist nun in der Schweiz deutlich überschritten. Und der Präsident des Schweizer Labor-Verbands warnt, dass die Materialien für Tests bald knapp werden könnten. Mehrere Kantone reagierten diese Woche mit neuen Massnahmen – so führt etwa Bern eine strenge Maskenpflicht und verschiedene Begrenzungen bei Besucherzahlen ein. Erfreulich ist die Meldung, dass die Pharma­firma Astra Zeneca nun offenbar ein Zulassungs­gesuch für ihren Impfstoff eingereicht hat. Dieser gehört zu den am weitesten fortgeschrittenen Kandidaten und wird derzeit weltweit an Tausenden Probandinnen getestet.

Was als Nächstes geschieht: Die Einweisungen ins Spital und die Todes­fälle bleiben weiterhin um Längen hinter den Frühlings­monaten zurück. Beunruhigend ist aber, dass sich nun wieder mehr ältere Personen infizieren, die grund­sätzlich ein höheres Risiko für Komplikationen haben. Falls sich das Infektions­geschehen nicht verlangsamt, drohen schärfere Massnahmen wie etwa in Frankreich, Grossbritannien oder Spanien.

Halbe US-Regierung krank oder in Quarantäne

Darum geht es: Eine Woche nachdem die Trump-Beraterin Hope Hicks positiv auf das Coronavirus getestet wurde, hat ein grosser Infektions­herd die oberste Führung der Vereinigten Staaten fest im Griff. Der Präsident, die First Lady, die Mediensprecherin und zentrale Beraterinnen sind krank. Das oberste Militär­gremium ist beinahe komplett in Quarantäne – einer der Soldaten mit den Nuklearcodes ist infiziert. Dazu kommen die Partei­chefin der Republikaner und mehrere Senatoren.

Kontrolle vor den Unkontrollierbaren: Ein Marine bewacht den West Wing des Weissen Hauses. zuma wire/imago images

Warum das wichtig ist: Die Situation ist einerseits historisch – und sie war andererseits vollkommen vorhersehbar. Die US-Regierung, angetrieben von Trump selbst, ignoriert seit Beginn der Pandemie grund­legende Sicherheits­vorkehrungen. Immer wieder hielt der Präsident grosse Versammlungen ab, spielte die Infektions­gefahr herunter und redete Gesichts­masken schlecht. Resultat: An einer Zeremonie für die Kandidatin für das Oberste Gericht im und vor dem Weissen Haus hat sich offenbar ein sogenannter Superspreader-Event ereignet. Fazit eines «Spiegel»-Journalisten: «Die unkontrollierteste Ausbreitung in der Spitze einer Regierung, seit das Virus [im Frühling] unter der Führung des Iran zirkulierte.» Nach dem Ausbruch verschleppte die Regierung die Kontaktrückverfolgung, der Leibarzt des Präsidenten log über dessen Gesundheitszustand, und Trump und sein Vize gehen weiter komplett unnötige Risiken ein.

Was als Nächstes geschieht: Gemäss seinem Arzt ist der Präsident «noch nicht über den Berg», mache aber gute Fortschritte. Es dürfte allerdings Wochen dauern, bis im Weissen Haus wieder so etwas wie Normal­betrieb einkehrt. In drei Wochen wählt das Land.

Jeden Monat stirbt in der Schweiz eine Frau durch die Hand ihres Partners

Darum geht es: Letztes Jahr ist die Zahl der Straftaten im häuslichen Bereich gestiegen. Gemäss dem Schweizer Bundesamt für Statistik registrierte die Polizei 2019 19’669 Fälle, das sind 6,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Frauen sind viel häufiger die Geschädigten, ihr Anteil macht 72 Prozent aus. Insgesamt kamen 29 Menschen ums Leben, 15 der Tötungs­delikte ereigneten sich in der Partnerschaft, wobei 14 Frauen und 1 Mann zu Tode kamen. Das heisst: Rund alle vier Wochen stirbt eine Frau durch die Hand ihres Partners.

Wenn das Heim keinen Schutz bietet: Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu. In Pictures Ltd./Corbis/Getty Images

Warum das wichtig ist: Am gefährlichsten ist es zu Hause. Die Mehrzahl der Tötungs­delikte in der Schweiz wird im häuslichen Umfeld begangen. Die 29 Fälle in diesem Bereich machen fast zwei Drittel der insgesamt 46 Tötungs­delikte im Jahr 2019 aus. Gestiegen ist auch die Zahl der angezeigten Tätlichkeiten, der schweren Körper­verletzungen, Vergewaltigungen und Zwangsheiraten – Tag für Tag erleiden Frauen in den eigenen vier Wänden Gewalt.

Wie es weitergeht: Fachleute rechnen damit, dass es im laufenden Jahr zu noch mehr häuslicher Gewalt kommt, da die Menschen namentlich während des Lockdowns öfter daheim festsassen, wo Homeoffice und Homeschooling zu mehr Stress und Aggressionen führen können. Statistisch bestätigt hat sich das bisher nicht. Es gibt allerdings Opferhilfe­stellen, die berichten, dass die Zahl der Neuaufnahmen seit dem Lockdown deutlich gestiegen sei. Die Taskforce gegen häusliche Gewalt von Bund und Kantonen hat bereits Ende April eine Plakat­aktion gestartet, um Betroffene wie auch Angehörige und Nachbarn zu ermutigen, sich bei Polizei und Hilfs­einrichtungen zu melden.

US-Kongress wendet sich gegen «moderne Räuberbarone»

Darum geht es: Die demokratische Mehrheit im Justiz­ausschuss des US-Repräsentanten­hauses hat am Dienstag einen Report vorgelegt, der die Markt­macht der sogenannten Gafa-Monopole auf Schärfste verurteilt. Gemeint ist die Dominanz von Google im Bereich Suchmaschine, Apple bei den App-Verkäufen, Facebook bei Online­werbung und sozialen Netzwerken sowie Amazon in Sachen E-Commerce.

Es geht um Macht: Facebook-Chef Mark Zuckerberg bei einer Anhörung vor dem US-Kongress im Juli 2020. Graeme Jennings/pool/epa/keystone

Warum das wichtig ist: Selten haben sich amerikanische Politikerinnen so deutlich so kritisch über ihre landeseigenen Techkonzerne geäussert. Von «Räuberbaronen», die das «Internet kaputtmachen», war die Rede. Der mit Spannung erwartete – und lange von republikanischen Mitgliedern hinaus­gezögerte – 450-seitige Report ist eine umfangreiche Analyse der Internet­wirtschaft und eine Recherche zu den Praktiken der Techkonzerne. Die Ausschuss­mitglieder sind klar inspiriert worden von Brüssels Regulierungs­eifer. Denn die EU-Kommission erarbeitet derzeit ein Digitale-Dienste-Gesetz, das griffige Instrumente für das Wettbewerbs­recht vorsieht und Ende dieses Jahres vorgestellt werden soll. Dabei sollen klare Regeln für die Daten-Interoperabilität und für künftige Zukäufe von Start-ups festgelegt sowie Verbote für gewisse Geschäfts­felder ausgesprochen werden – etwa wenn Plattformen ihren Daten­schatz ausnutzen und eigene Angebote entwickeln. Die EU-Regulierung soll den digitalen Wettbewerb stärken und die zementierte Stellung von Gafa aufbrechen. Genau dieselben inhaltlichen Punkte wurden von den Amerikanern in ihren Bericht aufgenommen. «Der Wettbewerb muss die beste Idee belohnen, nicht das grösste Unternehmens­konto», so die demokratische Abgeordnete Val Demings.

Was als Nächstes geschieht: Von einer Reform des Wettbewerbs­rechts ist man in den USA noch weit entfernt. Die Analyse und die Empfehlungen haben aber mehr als nur Empfehlungs­charakter. Der Report fliesst in die laufenden Unter­suchungen der US-Wettbewerbs­behörde gegen Amazon und Facebook ein. Und trotz des Big-Tech-freundlichen Kurses von Donald Trump wird auch das US-Justiz­ministerium wohl demnächst Klage einreichen gegen Google wegen Markt­missbrauchs durch sein Betriebs­system Android. Sollte Joe Biden am 3. November gewählt werden, wird der Kongress­bericht wohl in Massnahmen gegen die vier Monopolisten münden.

Rechtsextreme Partei in Griechenland als «kriminelle Vereinigung» verurteilt

Darum geht es: Die Führung der rechts­extremen griechischen Partei Chrysi Avgi («Goldene Morgenröte») ist von einem Athener Gericht schuldig gesprochen worden, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Der Prozess dauerte über fünf Jahre. Unter den Verurteilten ist auch der Gründer und Anführer der Partei, Nikolaos Michaloliakos. Der Holocaust-Leugner und Nazi-Verehrer stand gemeinsam mit 67 weiteren Angeklagten vor Gericht.

Nazis raus! Proteste vor dem Gericht in Athen, das über die Partei «Goldene Morgenröte» urteilt. Yorgos Karahalis/ap photo/keystone

Warum das wichtig ist: Auslöser des Verfahrens gegen die rechts­extreme Partei war der Tod des antifaschistischen Musikers Pavlos Fyssas, der 2013 von einem Anhänger der «Goldenen Morgenröte» erstochen worden war. Der Täter gestand und wurde ebenfalls schuldig gesprochen. Die Tat führte zu Haus­durchsuchungen und Ermittlungen gegen die Partei­spitze sowie zahlreiche Funktionäre. Neben dem Mord werden den Angeklagten, darunter sind auch 18 frühere Abgeordnete der Partei, weitere tätliche Angriffe zur Last gelegt. Die «Goldene Morgenröte», die enge Kontakte zur Neonazi-Szene unterhält, ist wegen ihrer Angriffe auf Migranten und politische Gegner berüchtigt. Gegründet wurde die Partei in den 1980er-Jahren, sie hatte im Zuge der schweren Wirtschafts­krise ab dem Jahr 2010 an Einfluss gewonnen. Sie war die erste rechts­extreme Partei, die den Sprung ins Parlament schaffte. Bei den Wahlen 2015 wurde sie drittstärkste Kraft. Seit der Wahl im Juli vergangenen Jahres ist sie erstmals seit Jahren nicht mehr im griechischen Parlament vertreten. Im Vorfeld des Urteils­spruchs war befürchtet worden, die blosse Verurteilung des Mörders von Musiker Fyssas und Freisprüche für die Partei­spitze könnten die Partei wieder stärken. Noch Ende 2019 hatte die Athener Staats­anwältin erklärt, es lägen keine ausreichenden Beweise für Bildung und Betrieb einer verbrecherischen Organisation vor. Mit dem Gerichts­beschluss ist nun klar, dass nicht nur ein Einzel­täter verurteilt wird. Das Urteil gilt als das härteste in einem Massen­prozess in Griechenland seit Verurteilung der Mitglieder der Militär­junta im Jahr 1975.

Was als Nächstes geschieht: Den Verurteilten drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, dem des Mordes Angeklagten lebenslänglich. Die Urteils­begründung des Athener Gerichts und das Strafmass werden in diesen Tagen erwartet.

Zum Schluss: Qbanon

Am Dienstag kündigte Facebook an, alle Profile von QAnon zu sperren, einer Gruppe oder einer Person, die im Netz Verschwörungs­erzählungen verbreitet. Das betrifft Facebook-Seiten und -Gruppen wie auch Instagram-Accounts. Das Unter­nehmen erklärte, damit werde QAnon gleich behandelt wie bewaffnete Milizen und Terror­gruppen. Der Bann bezieht sich allerdings nur auf Accounts, die ganz im Zeichen von QAnon stehen, Posts von Einzel­personen mit entsprechenden Inhalten sind nicht betroffen. Auch muss sich noch zeigen, wie wirkungsvoll die Sperre sein wird, denn schon vor dem Bann änderten QAnon-Accounts zur Tarnung ihre Namen.

Was sonst noch wichtig war

  • Luxemburg: Der Europäische Gerichts­hof hat ein Grundsatzurteil gefällt und bestätigt damit: Eine flächen­deckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungs­daten ist nicht zulässig. Er lässt aber Ausnahmen für die Bekämpfung schwerer Kriminalität und bei konkreter Bedrohung der nationalen Sicherheit zu.

Die Top-Storys

Die China-Connection Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) lässt seit diesem Sommer im chinesischen Shenzhen eine Design­schule bauen. Es ist eine Zusammen­arbeit mit dem Harbin Institute of Technology, dem chinesischen Äquivalent zum US-amerikanischen MIT. Das grenz­übergreifende, bisher kaum bekannte Projekt sorgt beim Personal der ZHdK für Bauchweh, schreibt die WOZ. Denn wer in China lehren will, zahlt einen besonderen Preis: seine Unabhängigkeit.

Ein Land kämpft sich aus seinem Trauma Seit der gefälschten Wahl von Alexander Lukaschenko gehen in Belarus Hundert­tausende auf die Strassen, aller Gewalt und Repression durch die verhasste Regierung zum Trotz. Drei Filmemacher haben für den britischen «Guardian» Menschen begleitet, die die Proteste verschieden erleben. Der 20-minütige Film erzählt die Geschichte von einem Filme­macher, der verhaftet und misshandelt wurde; einem Psychologen, der den Traumatisierten beisteht; und einer Journalistin, die verprügelt im Spital liegt.

Heiri auf Abwegen Er soll einer der grössten Waffen­händler der vergangenen Jahrzehnte sein: Heinrich Thomet, Schweizer, gelernter Landwirt, der sich chronisch bedeckt hält. Obwohl ihm Hollywood sogar eine Filmfigur gewidmet hat (gespielt von Bradley Cooper in «War Dogs»), weiss man überraschend wenig über den Mann, der mit Krieg reich geworden ist. Die «NZZ am Sonntag» zeichnet nun nach, in welchen kruden Geschäften Thomet seine Hände im Spiel hatte. Und wie er bis heute nie dafür gerade­stehen musste.

Illustration: Till Lauer

Was diese Woche wichtig war

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