Serie «Corona-Cooking» – Folge 3

Eine rein pflanzliche Fischsuppe

Können wir diesen Sommer bereits wieder ans Mittelmeer fahren? Falls nicht, holen wir Südfrankreich auf den heimischen Balkon. Ganz ohne Beifang. Die dritte Folge der kleinen, aber feinen Corona-Serie für Heimgastronomen.

Von Michael Rüegg (Text) und Lukas Lienhard (Bilder), 16.04.2020

Eines meiner grössten Mankos ist meine Abneigung gegen Fisch und andere Meerestiere. Ich schaue sie mir in ihrem natürlichen Habitat sehr gern an, aber vermeide den Verzehr.

Lebendig sind Meerestiere viel interessanter als tot. Beim Tauchen auf Bali, zum Beispiel, sassen auf einem Korallen­stock massenhaft Putzergarnelen. Hält man seine Hand hin, performen sie eine Maniküre. Als Shrimp-Paste können sie das nicht mehr.

Ich machte schon immer einen Bogen um Fische als Nahrungs­mittel. Als Kind fand ich ihren Geruch so abstossend, dass ich selbst in den Sommer­ferien am Meer die Fritten nicht runterbrachte, die im selben Öl gebrutzelt hatten wie die Sardinen. In der Migros-Filiale des Kaffs, in dem ich aufwuchs, musste man in der Mall an der Fisch­abteilung vorbei. Dort heraus roch es so streng, als ob die Kühlkette nie erfunden worden wäre. Der Chef der Fisch­abteilung hiess Herr Killer. Für mich war er nur der Orca.

Serie «Corona-Cooking»

Gerade in Krisen­zeiten gilt es, die schönen Seiten im Leben nicht völlig auszublenden. Nun denn: Die Vorräte sind gehamstert – Zeit, etwas damit anzufangen. Hier ist die kleine, aber feine Corona-Serie für Heim­gastronomen.

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Ve­ge­ta­ri­sche Bouil­la­baisse

Folge 4

Ma­lay­si­sches Schweine-Curry

Nach einem halben Leben machte ich einen kleinen Sprung: Ich entdeckte nämlich, dass ich rohen Fisch im Gegensatz zu gekochtem durchaus geniessbar bis gut fand. Meine Tante Eva in New York hatte mich in einen Sushi-Laden geschleppt und irgendwas zusammen­bestellt. Ich war der Frau an dem Tag das erste Mal begegnet und wollte als wieder­gefundener Neffe keinen schlechten Eindruck machen. Zumal sie keine Nachkommen hat und mehrere Immobilien besitzt.

Also ass ich, ohne zu murren. Und ich mochte es.

Etwa ein Jahr nach Sushi folgte der nächste Meilen­stein. Im Wissen um meine Sympathie für rohen Fisch traute ich mich an meine erste Auster. Ich hatte einen Koch kennengelernt, der mir Mut zusprach. Entjungfert hat mich dann eine Bélon-Auster. Ich setzte sie an die Unterlippe, wuselte mit der kleinen Gabel in der Schale herum und schlürfte an dem Viech. Der Koch sprach: «Stell dir vor, du isst eine Meeres­welle.» Genau das wars. Eine wabbelig-salzige Welle mit leicht nussigem Nachgeschmack. Noch heute denke ich bei jeder meiner Austern an des Kochs Worte.

Seither esse ich ab und an rohe Meeres­tiere. Nur gekocht mag ich sie selten, und wenn, dann in geringen Dosen. Und nur ganz frisch. Ein paar wenige Fischrezepte bringe ich selber zustande, aber sie sind nicht mein Stecken­pferd. So etwas wie einen Fisch­eintopf kriege ich nie und nimmer runter.

Und genau hier liegt mein Problem. Ich würde nämlich unglaublich gern Bouillabaisse mögen. Da ist alles drin, was ein geniales Gericht ergibt. Wenn man mal von Fisch, Muscheln und Garnelen absieht.

Drama im Topf

Meine teure Freundin Bettina und ich bekochen uns regelmässig gegenseitig, meist in der Absicht, einen Vorwand für die Konsumation von Wein zu finden. Als sie schwanger wurde, litt unser Hobby für längere Zeit. Seit ihr Kind da ist, setzt die familiäre Logistik gewisse Grenzen. Als alles noch weniger kompliziert war, servierte ich ihr eines Abends eine vegetarische Bouillabaisse, die ich aus dem Studium diverser pescetarischer Rezepte abstrahiert hatte. Es handelt sich gleichzeitig um eine Art Dekonstruktion des Eintopfes, da die ikonischen Zutaten, die für den Fisch einspringen, einzeln zubereitet und erst am Schluss dekorativ zusammengefügt werden.

Am besten, Sie beginnen dramatisch: indem Sie die (idealerweise auf dem Markt, derzeit wohl eher beim Grossverteiler) erstandenen Zutaten aufreihen, sich daran erinnern, dass Sie als Kind mehr Fantasie besassen als heute, und zur Rede ansetzen:

«So, lieber Fenchel, du spielst den Drachen­kopf, ihr Rüebli seid die Scampi, die Kartoffel übernimmt den Part der Muscheln, der Sellerie gibt die Oktopus-Tentakel, und du, Lauch, du bist der Seeteufel.»

Wenn die Zutaten entsprechend gebrieft sind und sich auf ihre Rollen vorbereiten können, dürfen Sie mit der Zubereitung beginnen. Das hier ist für gut zwei Personen gedacht. Als grosse Vorspeise oder leichter Hauptgang.

Erster Akt: Die Vorboten

1 kg reife Tomaten, etwas Olivenöl, Abschnitte vom Gemüse aus dem zweiten Akt, 1 Zwiebel, 2–3 Knoblauch­zehen, 1 Peperoncino, Pfeffer und Fenchelsamen

Wir nehmen 1 kg reife Tomaten und legen sie mit etwas Olivenöl in eine feuerfeste Gratin­form. Der Ofen ist bereits auf 190 Grad aufgeheizt. Nun machen wir einen Zeit­sprung in den zweiten Akt, das hier ist schliesslich modernes Theater, da geht so etwas. Wir bereiten das Gemüse vor und schnippeln davon das Zeug weg, das wir nicht wollen. Also Sellerie­grün, Lauch­grün, was beim Rüebli­schälen übrig bleibt, des Fenchels Grün und seine Abschnitte.

Statt in den Hausmüll kommt dieses Zeug klein geschnitten zusammen mit dem Peperoncino, den grob zerteilten Knoblauch­zehen und einer grossen gehackten Zwiebel in die Gratin­form. Denn: Bouillabaisse war ein Armeleute­gericht, sie nahm ihren Anfang als Verwertung von Fisch­abfällen. Dem Umstand wollen wir auf diese Weise Tribut zollen.

Ein paar zerstossene Pfeffer­körner und einen Löffel Fenchel­samen darüber und für etwa 45 Minuten ab in den Ofen.

Zweiter Akt: Aufzug der Heldinnen

1 Fenchelknolle, 1 Stange Lauch, 2 Stangen Sellerie, ein paar kleine Rüebli mit Kraut, 1 grosse Kartoffel, 1 Eigelb, Olivenöl, 1 Knoblauch­zehe, Piment d’Espelette, Orangenschale

Den Fenchel schneiden wir entlang der Breitseite in Scheiben, die dünn sind, aber nicht gleich auseinander­fallen. Die Scheiben sollen aussehen wie Harfen aus dem Himmel­reich des Herrn. In einer Bratpfanne mit Olivenöl und einer Prise Salz anbraten. Die Rüebli putzen und einen Zentimeter Grün dran lassen. In kochender Bouillon ein paar Minuten garen. Sellerie diagonal in daumen­lange Stücke schneiden, zu den Rüebli hinzugeben, kurz mitgaren. Kartoffel in etwa 5 mm dicke Taler schneiden. Fenchel­harfen entfernen und dafür Kartoffel­scheiben in die Pfanne und beidseitig braten. Zuletzt den diagonal ca. 1,5 cm dick geschnittenen Lauch anbraten, mit der Bouillon ablöschen.

Mittlerweile sind die Tomaten im Ofen längst geröstet, also Form rausnehmen, Ofen etwas abkühlen lassen, danach das zubereitete Gemüse zum Warm­halten reintun.

Die heissen Tomaten und den Rest in einem Topf mit dem Kartoffel­stampfer zu einem Mus quetschen (allenfalls erst mit einem Messer bisschen Harakiri machen, sonst spritzen die Drecks­tomaten durch die ganze Küche). Den Stampf nun mit dem Gemüse­sieb Ihrer Küchen­maschine oder einem Passevite in fest und flüssig trennen. Fest kann gehen, flüssig bleibt. Falls das Ergebnis zu sehr an Tomaten­sauce erinnert, noch einmal durch ein Sieb geben. Es soll eine Essenz sein, kein Sugo.

Diese Essenz nun mit dem Weisswein und dem Abrieb einer halben Orange aufkochen. Derweil ein Eigelb mit dem gepressten Knoblauch, einer guten Prise Salz und etwas Piment d’Espelette (Alternative: scharfes Paprika) mit dem Schwing­besen verrühren. Olivenöl erst tröpfchen­weise dazugeben, dann so lange weiter hineingiessen, bis die Konsistenz einer Mayonnaise entspricht.

Dritter Akt: Die Vereinigung

2 dl Weisswein, 2 EL Pernod, Salz und Pfeffer, Zitronen­saft, ein paar Safran­fäden. Eventuell: Nori-Algen und/oder Mönchsbart

Zur köchelnden Tomaten­essenz nun den Pernod geben, mit Salz und Pfeffer und Zitronen­saft abschmecken. Zu guter Letzt noch den Safran beigeben. Ich selber bin kein Riesenfan von Safran, ein wenig schmeckt, doch zu viel Safran riecht nach Leichenhalle.

Nun drapieren Sie die falschen Fische, Muscheln etc. in zwei grossen Schüsseln. Seien Sie kreativ. Nutzen Sie die Bühne. Falls Sie bescheissen wollen und dem Gericht etwas mehr Aroma der hohen See verleihen wollen, können Sie nun eine Handvoll in Streifen geschnittene Nori-Algen beigeben. Oder Sie schmeissen etwas kurz angebratenen Mönchs­bart hinein.

Nun servieren Sie die Schüssel mit den Vegi-Fischen, erst dann kommt vor den Augen des Gastes als Höhepunkt die Essenz hinein, idealer­weise aus einem Teekrug gegossen – schöne Exemplare gibts bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur. Als Tüpfelchen auf dem i nun noch einen Löffel Rouille drauf, so heisst unsere gepimpte Mayonnaise mit bürgerlichem Namen, bedeutet übrigens Rost, also oxidiertes Eisen. Falls Sie das alles lieber vegan hätten, lassen Sie den Rost einfach weg.

Zur Bouillabaisse können Sie haus­gemachte Baguette servieren. Die Hefe dafür finden Sie entweder gehortet im Tiefkühl­fach Ihres Kühl­schranks oder nirgendwo.

Spätestens jetzt (und nach einem Blick in die Küche) wird Ihnen bewusst, dass Sie einen sehr grossen Aufwand betrieben haben, um eine verdammte Gemüse­suppe herzustellen. Aber sofern Sie Ihre Arbeit gut gemacht haben, werden Sie nun mit einem nicht sehr alltäglichen Mahl dafür belohnt.

Und der Wein?

Sie können es mit einem vernünftigen weissen Südfranzosen versuchen, da gibt es mittlerweile wirklich schöne Sachen, ich denke etwa an einen Picpoul de Pinet oder, so Gott will, auch an einen Rosé aus der Provence. Weisser Bordeaux wäre ebenfalls keine per se dumme Idee, vielleicht keine allzu holzbetonten jungen Pessac-Léognans. Die klassische Wahl scheint mir ein Sauvignon blanc aus der oberen Loire zu sein, ein Pouilly-Fumé oder Sancerre.

Falls Sie eine Abneigung gegen Franzosen hegen: Die Steiermark und das Südtirol bringen ebenfalls schöne Exemplare hervor. Falls das noch immer zu weit weg ist: Ein ganz netter Sauvignon blanc kommt aus einem Weinberg in Winterthur, heisst «Rufus» und trägt einen feschen Luchs auf dem Etikett, der aussieht, als ob er vor Jahren der Sozialistischen Internationale beigetreten wäre.

Zum Fotografen und zur Foodstylistin

Lukas Lienhard, 38, lebt in Zürich. Er ist spezialisiert auf die Fotografie von Essen und Kulinarik, von der Reportage über einen Landwirt bis zum Porträt einer Spitzenköchin. Dschin Halbheer ist als Foodstylistin an der Serie beteiligt, sie ist Sous-Chefin in der Krone Altstetten.

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Ma­lay­si­sches Schweine-Curry