Serie «Corona-Cooking» – Folge 2

Das Schmorgericht als Seelenwärmer

Der Lockdown setzt uns zu. Statt mit Psycho­pharmaka können wir ihn mit Soulfood bekämpfen. Am besten eignen sich hierzu herzhafte Topfgerichte, die stundenlang im Homeoffice vor sich hin schmoren. In der zweiten Folge der kleinen, feinen Corona-Serie für Heimgastronomen: Gulasch.

Von Michael Rüegg (Text) und Lukas Lienhard (Bilder), 15.04.2020

Mein langjähriger Freund Walter stammt aus dem tiefen Süden der USA. Seine Urgrosseltern wurden noch als Sklaven geboren. Er selber war Tierarzt in New York, wo er jahrzehntelang kleinen Hunden Prozac verschrieb, das dann nicht selten deren Besitzerinnen schluckten.

Wenn ich bei Walter in Brooklyn zu Besuch war, fuhren wir einmal die Woche mit der Subway rüber nach Manhattan in ein Südstaaten­restaurant, das cornbread, grits, okra und fried chicken und green tomatoes auftischte.

Soul food war das. Essen, das nicht nur den Körper nährt, sondern die Seele.

Jeder und jede von uns hat ein anderes Konzept von Soulfood. Gerichte, die uns ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit geben, uns erden. Das kann Omas Nudel­auflauf sein. Oder das obligate Cordon bleu vom Schwein nach zwei Wochen ägyptischem Halal-Buffet am Roten Meer.

Die besten Soulfood-Qualitäten haben meines Erachtens gute Schmor­gerichte. Schmoren bezeichnet einen Zubereitungs­vorgang, bei dem die Hauptzutat – in der Regel Fleisch – erst angebraten und dann bei geringerer Temperatur weitergegart wird. Schmoren eignet sich für günstigere Fleisch­stücke, weshalb es auch in unsicheren Zeiten ein sicherer Wert ist.

Ausserdem sollte man das Filet im Moment dem medizinischen Personal überlassen, die haben viel zu tun und müssen darum das Kurzbraten pflegen. Während der Rest im Homeoffice schmort.

Serie «Corona-Cooking»

Gerade in Krisen­zeiten gilt es, die schönen Seiten im Leben nicht völlig auszublenden. Nun denn: Die Vorräte sind gehamstert – Zeit, etwas damit anzufangen. Hier ist die kleine, aber feine Corona-Serie für Heim­gastronomen.

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Gulasch

Folge 3

Ve­ge­ta­ri­sche Bouil­la­baisse

Folge 4

Ma­lay­si­sches Schweine-Curry

Man kann durch Schmoren ganz schreckliche Resultate erzielen. Fade, trockene Braten etwa, wie Oma Rüegg sie mit verblüffender Konstanz jeden Sonntag­abend hinbekam. Am schönsten werden Gerichte, die aus kräftigen Zutaten komponiert werden. Einer meiner all time favourites ist Bœuf bourguignon. Während ich diese Zeilen hier tippe, liegt im Kühlschrank ein Kilo Rinds­schulter zusammen mit Zwiebeln, Knoblauch und Karotten und chillt im Inhalt einer Flasche Burgunder. Doch Obacht, nicht jedes Rezept verlangt, dass das Fleisch einen Tag im Wein liegt.

Sollten Sie noch nie ein Bœuf bourguignon zubereitet haben, wird es erstens höchste Zeit, zweitens sollten Sie einen Blick auf das Rezept des Schmortopf-Herstellers meines Vertrauens, Le Creuset, werfen. Wenn Sie nun auch noch meinem Ratschlag folgen und das Bœuf vorgängig 24 Stunden im Burgunder marinieren, kann nicht viel schiefgehen. Dass Sie dazu ebenfalls einen Burgunder oder einen schönen Schweizer Pinot noir zu trinken haben, versteht sich von selbst.

Die mediterrane Version eines Bœuf bourguignon nennt sich Daube provençale. Anstelle des Burgunders nimmt man dafür einen Côtes du Rhône, je nach Rezept finden schwarze Oliven und Orangen­schale ihren Weg hinein. Meine letzte Daube stiess bei den beiden bekochten Damen auf grossen Anklang, dazu servierte ich Couscous mit Butter und Zitronen­schnitzen. Schliesslich grenzt Nordafrika praktisch an Marseille. Sollten Sie eine Daube kochen, buddeln Sie am besten Ihr Schul­französisch aus und googeln «daube recette».

Weil ja zu Corona-Zeiten keine Flasche im Keller vor unserem Durst sicher ist, hier noch der wohlmeinende Hinweis, dass zur Daube natürlich alle möglichen Rhône-Weine gut passen, allen voran Châteauneuf-du-Pape und seine günstigeren Cousins wie Gigondas und Rasteau. Ebenso Languedoc-Weine von entsprechender Qualität, etwa aus Pic Saint-Loup oder La Clape.

Sollte übrigens eines Tages neben der Hefe und dem Klopapier auch das Rindfleisch ausgehen, können Sie auf gut Glück mit dem Mobility-Citroën auch ein Reh überfahren und daheim im Bad ausnehmen. Jetzt, da die Strassen so leer sind, kommt das Wild ja wieder in die Stadt. Machen Sie sich im Bedarfsfall diesen Umstand zunutze.

Damit hätten wir bereits zwei Seelen­wärmer zur Minderung von Isolations­symptomen besprochen. Die belgische Variante mit dem dunklen Bier lasse ich fürs Erste weg, man soll ja nicht alles Pulver auf einmal verschiessen. Es folgt also Nummer drei, diesmal aus dem Osten.

Das Gulyás, auch Gulasch genannt

«Noch ein Löffel Rahm» – es war der 1878 geborene ungarische Schriftsteller und Dramatiker Ferenc Molnár, der die Küche seines Landes in diesem kurzen Satz­fragment auf den Punkt brachte.

Eines von Molnárs Lieblings­lokalen in Budapest gehörte den Geschwistern Spiegel, bestehend aus zwei Brüdern und einer Schwester. Diese sass an einem Tischchen nahe der Schwing­türe. Wenn ein Teller aus der Küche kam, beäugte Frau Spiegel das Serviergut und fragte, für wen das Gulyás oder das Paprikahuhn sei. Im Falle eines prominenten Gastes griff Madame zum Schöpflöffel und gab aus einem nebenstehenden Topf einen weiteren Löffel sauren Rahm darüber. Daher die Definition der ungarischen Küche nach Molnár: «Noch ein Löffel Rahm.»

Unser Gulasch wird keine Suppe, sondern ein Fleisch­eintopf. Dafür legen wir zuallererst gewisse Regeln fest, gegen die ein Grossteil der kursierenden Rezepte verstösst.

  1. Ausser Zwiebeln und Knoblauch kommt kein Gemüse jedweder Art in den Topf, es sei denn, es wurde vorgängig getrocknet und gemahlen. Also keine Kartoffeln, Peperoni und derlei G’lumpert.

  2. Paprika ist kein Gewürz, sondern die Hauptzutat. Rezepte, die «zwei Teelöffel Paprika verwenden», gehören aufs Altpapier.

  3. Das Verhältnis zwischen Fleisch und Zwiebeln beträgt eins zu eins.

  4. Das Fleisch wird nicht angebraten. Streng genommen macht diese Tatsache unser Gulasch nur zu einem halben Schmor­gericht. Diesen Widerspruch spülen wir notfalls mit einem Glas Weisswein runter.

Westlich der Pannonischen Tiefebene ist es nicht so leicht, die Hauptzutat in zufrieden­stellender Qualität zu finden. Den Paprika kauft man am besten in Ungarn, doch bereits die Super­märkte in Bregenz haben vernünftige Mengen anständigen Paprikas im Regal. Falls wir wegen geschlossener Grenzen gerade nicht nach Bregenz fahren können, nehmen wir halt, was wir hier finden.

In der Regel wird edelsüsser Paprika verwendet, auf Ungarisch édes. Man kann einen Teil jedoch durch die schärfere Variante ersetzen, was dann auf den Namen csípős hört. Allenfalls lohnt sich ein Blick ins Balkan-Regal des Supermarkts, einige Filialen mit anständigem Anteil Secondos an der Kundschaft haben in den letzten Jahren begonnen, südslawische Produkte zu führen. Darunter könnte durchaus Ersatz für ungarischen Paprika zu finden sein.

Wir benötigen für vier Personen mit normalem Appetit: 1 kg Rinds­schulter, 1 kg gelbe Zwiebeln, 4 EL Brat­butter (es sei denn, Sie haben noch Rinder­nieren­fett oder Gänse­schmalz vorrätig), 1 EL Zucker, 4 cl Essig, 2 dl Rotwein, 10 EL Paprika, Rinds­bouillon (Würfel oder Pulver), 2 Lorbeer­blätter, 3 EL getrockneten Majoran, 1 TL Thymian, 1 EL Kümmel, 6 Knoblauch­zehen, Crème fraîche à discrétion.

  • Zwiebeln blättrig schneiden und mit dem Zucker und dem vorgängig im Mörser gemahlenen Kümmel im Fett dünsten, sie dürfen blond werden, aber nicht braun.

  • Mit dem Essig und dem Wein ablöschen. Dann einen guten Liter Wasser dazu und mit dem Schwingbesen das Paprika­pulver einrühren.

  • Nun das Fleisch einlegen, salzen, etwas Bouillon­konzentrat (ich nehme die Rinds­bouillon von Sirocco, erhältlich im gehobenen Detail­handel), Lorbeer­blätter, Thymian und gepressten Knoblauch dazugeben. Zwei Stunden zugedeckt bei geringer Temperatur köcheln lassen.

  • Falls am Ende zu viel Flüssigkeit da ist, etwas einkochen lassen. Nur im Notfall mit etwas angerührter Maisstärke binden. Vor dem Servieren abschmecken.

Während das Gulasch also seine Zeit braucht, haben wir welche, um die Beilage herzustellen.

Der Knödel als ultimative Waffe gegen den Frust

Zu Beginn des Lockdowns gingen alle Brot­sorten weg wie sprichwörtliche warme Semmeln. Die Schweiz deckte sich mit Brot ein. Und Mehl. Und Hefe. Es ist also davon auszugehen, dass im Schweizer Durchschnitts­haushalt viel altes Brot herumsteht.

Statt damit die Verdauungs­trakte der Stockenten zu belasten, können Sie es in Form von Knödeln wieder aufleben lassen. Ich habe damals beim veganen Weihnachtsmenü, als die Welt noch andere Sorgen hatte als Covid-19, den Silser­knödel als Variante des Servietten­knödels vorgestellt.

Dieser hier ist ähnlich, aber rund. Er kommt damit aufs Gulasch zu liegen, was toll aussieht. Ein heller Bommel, auf einer dunklen Masse schwimmend.

Sie schneiden in mühevoller Kleinarbeit Ihr überschüssiges Weissbrot in kleine Würfel. Die dabei anfallenden Krümel unbedingt auffangen. Wenn Sie so 400 bis 500 Gramm Brotwürfel beisammenhaben, hacken Sie eine Zwiebel und dünsten sie. Brotwürfel, zwei verquirlte Eier, etwas gehackter Peterli, Pfeffer, Salz, 1 bis 1,5 EL Mehl und die Zwiebeln gehen zusammen mit 1,5 bis 2 dl Milch (die Sie in der noch heissen Pfanne kurz angewärmt haben) in eine Schüssel und werden dort von Ihnen sanft geknetet.

Die Kunst besteht darin, die Masse genügend zu kneten und zu pressen, dass Sie danach Kugeln formen können, die sich im Salzwasser oder in der Bouillon nicht auflösen. Trotzdem sollten die Knödel innen fluffig bleiben. Wenn Sie das Zeug zu Zement pressen, schmeckt es mässig ideal. (Bislang sind mir die Knödel nur einmal misslungen, sie haben sich im Wasser aufgelöst.) Sollten Sie Kerbel mögen, können Sie anstelle von Peterli Kerbel hineingeben. Ich gebe immer etwas Knoblauch hinein, weil ich Knoblauch vergöttere.

Wie bereits im vorgängigen Abschnitt sanft angedeutet, formen Sie nun mit angefeuchteten (und wie immer mehrmals täglich gewaschenen) Händen Kugeln, von der Grösse her etwa Billard­kugeln, also kleiner als Tennis­bälle. Die lassen Sie zehn bis fünfzehn Minuten im heissen, aber nicht kochenden Wasser oder in Bouillon ziehen. Dann auf dem Gulasch anrichten. Zum Schluss gehackten Peterli darüber und reichlich Crème fraîche dazu. Sollten die Gäste die Authentizität des Gulyás anzweifeln, greifen Sie zu «noch einem Löffel Rahm».

Die Weinfrage: Zum Gulasch passt so einiges, ganz besonders aber ein Burgen­länder Blaufränkisch. Ich persönlich trinke zu meinem exklusiv einen Eisenberger Reserve des Weinbergs Szápáry. Eisenberg a. d. Pinka ist ein wunderbares kleines Gebiet im Süden des Burgen­landes, einen Steinwurf von der ungarischen Grenze entfernt, das an guten Lagen schwere, facetten­reiche Rotweine hervorbringt. Die Gegend war vor knapp hundert Jahren sogar eine eigene Republik, allerdings nur etwa 40 Tage lang und diktatorisch regiert aus dem nahegelegenen Dreckskaff Felsőőr (deutsch: Oberwart) – K.-u.-k.-Nachwehen halt.

Wenn Sie isoliert essen, müssen Sie die Flasche übrigens nicht an einem Abend austrinken. Das Gulasch schmeckt am nächsten Tag noch besser.

Zum Fotografen und zur Foodstylistin

Lukas Lienhard, 38, lebt in Zürich. Er ist spezialisiert auf die Fotografie von Essen und Kulinarik, von der Reportage über einen Landwirt bis zum Porträt einer Spitzenköchin. Dschin Halbheer ist als Foodstylistin an der Serie beteiligt, sie ist Sous-Chefin in der Krone Altstetten.

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