«Motherhood at 13».

Ansichten aus Afrika

Voyeurismus und Unverständnis

Mit ihrem Projekt «Motherhood at 13» rüttelt die Fotografin Cebisile Mbonani an Tabus der südafrikanischen Gesellschaft. Teil 2.

Von Flurina Rothenberger (Text) und Cebisile Mbonani (Bilder), 28.03.2020

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Fragt man Cebisile Mbonani, wer sie inspiriert, dann nennt sie die nigerianische Fotografin Yagazie Emezi. Mit ihr teilt sie das Interesse an der Bericht­erstattung über Frauen. Und Cebisile würde gerne wie Emezi mit ihrer Kamera in die verschiedenen Ecken Afrikas und der Welt reisen.

Bis diese Gelegenheit kommt, widmet sich Cebisile in differenzierten Porträts den Frauen in ihrem eigenen Land Südafrika. An einem Punkt unseres Gesprächs sagt sie: «Die Fotografie ist die einzige Tätigkeit, bei der ich nicht über Arbeit, Karriere, Geld oder die Deckung meiner Ausgaben nachdenke. Wenn ich fotografiere, bleibt mein Kopf bei einer Sache, bei der Frage, wie man diese Geschichte richtig erzählt.»

Du wählst für dein Projekt «Motherhood at 13» ein interessantes Aufmacher­bild, es zeigt die Schul­uniform und nicht das Baby. Der gewählte Bildausschnitt verweist subtil auf die Verwundbarkeit und Unsicherheit, die man als Mädchen empfindet, wenn der Körper sich zu dem einer Frau entwickelt.
Es war mir wichtig, das Projekt aus pädagogischer Sicht vorzustellen, bevor ich die Protagonistin, Busisiwe Nombulelo Jiyane, in ihrer Rolle als junge Mutter zeigte. Sie sieht sich selbst in der Zukunft als gebildete, berufstätige Mutter und bemüht sich trotz ihres Kindes sehr darum, die Highschool abzuschliessen. Interessanter­weise wurde dieses Bild im Unterricht an der Market Photo Workshop heftig diskutiert. Ebenso eine andere Aufnahme, die Busisiwe noch in der Schul­uniform beim Stillen zeigt. Die Mehrheit unserer Mentoren waren männlich und warfen mir vor, das Mädchen zu sexualisieren. Unsere Gastdozentin dagegen verstand die Bilder unter dem Aspekt der mütterlichen Verantwortung. Bis zu diesen Debatten war mir nicht bewusst, dass man etwas Sexuelles aus diesen Bildern lesen könnte.

«Motherhood at 13».

Das zeigt, wie wir mit unserem Voyeurismus und unserem Unverständnis konfrontiert werden. Weibliche Perspektiven wie deine erweitern die Art und Weise, wie wir Bilder lesen. Erzähl uns etwas mehr von «Motherhood at 13».
Ich habe nach einem Arbeits­thema gesucht, das persönlich ist und mit dem ich mich identifizieren kann. Eines Tages diskutierten eine Freundin und ich über die häufigen Schwangerschaften unter unseren Klassen­kameradinnen während der Highschool und darüber, wie wertend die Gespräche zu diesem Thema waren. Ich beschloss, eine Geschichte aus der Perspektive junger Frauen zu erzählen, die als Teenager mit der Mutterschaft zurecht­kommen müssen. Ich suchte in meinem Township Soweto nach werdenden oder jungen Müttern. Ich erhielt viele Hinweise, aber jedes Mal, wenn ich mich mit einem Mädchen traf, lehnte ihre Familie die Idee ab. Schliesslich sprach ich mit Lehrern meiner ehemaligen Highschool, und sie stellten mich einer grossen Gruppe von betroffenen Schülerinnen vor. Ich war sehr transparent mit meinen Plänen, und die siebzehn­jährige Busisiwe zeigte Interesse. Sie war kurz vor ihrem fünfzehnten Geburtstag schwanger geworden und kümmerte sich nun um ihre achtzehn Monate alte Tochter Lwandle Jiyane. Sie sagte: «Als ich schwanger war, zweifelte ich an mir, aber nun lobt sogar meine Grossmutter, wie gut ich mich um mein Baby kümmere.» Teenager-Schwanger­schaften sind ein Tabuthema in unseren Communitys, doch Busisiwe ist eine von vielen jungen Frauen in den Townships, die sich trotz aller Wider­stände um sich und ihr Kind bemühen.

«Motherhood at 13».
«Motherhood at 13».
«Motherhood at 13».

Warum, glaubst du, war Busisiwe einverstanden damit, ihre Geschichte zu teilen?
Sie lebte in einem anderen Township, Orange Farm, als ein Nachbar­junge sie schwängerte. Schnell wurde in der Schule über sie getuschelt, und Freundinnen wandten sich von ihr ab. Da holte ihre Grossmutter sie zu sich nach Soweto, wo ihre Tochter zur Welt kam und Busisiwe in der Highschool neu anfangen konnte. Ihre Welt dreht sich um gute Schul­leistungen und das Wohl­ergehen ihrer Tochter, die unentwegt ihre Aufmerksamkeit fordert. Alle sind auf das Kind fokussiert. Das geht allen Müttern so, aber für eine Teenagerin ist es besonders schwierig, wenn sie als Individuum nicht mehr wahrgenommen wird. Was ich unseren Gesprächen entnahm, war, dass sie sich mit anderen Dingen beschäftigen wollte, und das Projekt erlaubte ihr, das zu tun. Es war eine Abwechslung, und es ging dabei um sie als junge Frau. Jedes Mal, wenn ich einen Besuch absagen musste, war sie sehr enttäuscht.

Diese Arbeit regt dazu an, über Stigma und Schande nachzudenken. Warum grenzt die Gemeinschaft das schwangere Mädchen aus, nimmt das Kind aber schnell in ihrer Mitte auf?
Ich glaube, das liegt an unserer Kultur. Die meisten von uns wachsen bei unseren Grossmüttern auf. Das wiederum hängt mit der Arbeits­migration zusammen, aber auch mit den vielen Teenager-Schwangerschaften. Was andere Adoption nennen, ist unter uns Afrikanern ganz normal. Viele Frauen kümmern sich um Kinder, die nicht ihre eigenen sind. Entsprechend werden wir als Mädchen gewarnt, sobald die Periode einsetzt. Ich war dreizehn, als meine Grossmutter sagte: «Wenn du schwanger wirst, bleibst du arm wie wir.» Ich wurde von starken Frauen erzogen, und die Angst, die sie mir einflössten, sollte uns alle schützen. Unsere Gesellschaft hat heftige Ansichten über minder­jährige Mütter und hält die moralischen Standards für Frauen viel höher als für Männer. Wenn ein Mädchen schwanger ist, wird es in der Gesellschaft schnell stigmatisiert. Deshalb schämten sich so viele Familien, beim Projekt mitzumachen.

Wird der Vater des Kindes nicht zur Rechenschaft gezogen?
Wenn ein Mann eine Frau ausserehelich schwängert, so schuldet er ihrer Familie Schaden­ersatz, wir nennen das lobola. Diese Tradition variiert je nach Kultur­kreis. Die Familie von Busisiwe hat nie lobola erhalten, deshalb erlauben sie dem jungen Vater nicht, sein Kind zu besuchen. Das kommt oft vor, der Mann kann oder will lobola nicht bezahlen, und so wachsen diese Kinder ohne jeglichen Kontakt zu ihren Vätern auf. Das ist ein Problem. Ich habe viele junge Männer erlebt, die sich mit lobola heraus­reden und die junge Mutter alleinlassen.

«Motherhood at 13».
«Motherhood at 13».
«Motherhood at 13».

Was glaubst du, warum werden trotz Vorwarnung so viele Mädchen schwanger, einige erst dreizehn Jahre alt?
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass kein Erwachsener bereit ist, die jungen Menschen aufzuklären. In schwarzen Communitys ist das Thema Sex ein Tabu. Beginnt deine Periode, wirst du angewiesen, dich von Jungs fernzuhalten, damit hat es sich. Niemand erklärt dir, weshalb. Mädchen werden aus verschiedenen Gründen schwanger. Es kann einvernehmlicher Sex gewesen sein, aber auch sexueller Missbrauch, dann ist die Angst noch grösser, darüber zu sprechen. Trotz vieler öffentlicher Safer-Sex-Kampagnen wird mit dem Thema weiter Scham, Strafe und Angst assoziiert. Keiner bringt jungen Menschen bei, wie sie Sexualität risikofrei erforschen können. Kommen solche Fragen auf, reagieren Eltern und Lehrer irritiert und frustriert und weisen dich an, online nachzuschauen. Aber wenn du kein Geld hast, ist auch das eine Hürde: Internet ist teuer, und zudem sind Internet­cafés vielen zu öffentlich und zu peinlich.

Was sind die nächsten Schritte bei diesem Projekt?
Ich habe diese Arbeit gemacht, um infrage zu stellen, was uns als Kindern und Jugendlichen zum Thema Sex und zu unseren Geschlechter­rollen beigebracht wird. Ich bin derzeit auf der Suche nach Partnern, damit ich mit diesem Projekt Highschools besuchen kann. Ich möchte Workshops durchführen, in denen Schüler offen über Sexualität diskutieren können und aufgeklärt werden, wie Schwangerschaften verhindert werden. Ausserdem möchte ich daran erinnern, dass es nicht Teil der Lösung sein kann, schwangere Mädchen, ihre Kinder und Familien zu beschämen und auszugrenzen.

Zur Fotografin

Cebisile Mbonani wurde 1990 in Soweto geboren. Ihre Familie stammt aus Nquthu in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal. Sie studierte an der renommierten AFDA-Schule in Johannesburg und absolvierte zudem den Studiengang Foto­journalismus an der Market Photo Workshop. Folgen Sie ihr auf Instagram.

Zu dieser Bildkolumne

Warum sollen wir gerade jetzt nach Afrika blicken? Falsche Frage, sagt Flurina Rothenberger. Die richtige laute: Warum erst jetzt? In ihrer wöchentlichen Kolumne «Ansichten aus Afrika» stellt Flurina Rothenberger junge Fotografie aus Afrika vor. Hier finden Sie den Podcast «Aus der Redaktion» zu dieser Kolumne.

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