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The Kids Are Alright

19.03.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Plötzlich waren sie geschlossen. Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat unvermittelt alle Schulen dichtgemacht. Nun: Wohin mit all den Kindern?

Seit Anfang dieser Woche stehen Eltern vor einem Betreuungsproblem. Vielen ist dabei unklar, ob sich Kinder überhaupt mit dem Virus anstecken können. Der Bund hat in dieser Hinsicht zurückhaltend, teilweise widersprüchlich kommuniziert. Die vielen E-Mails, die wir bisher von Ihnen erhalten haben, sind voll mit Fragen dazu.

Sind auch Kinder Träger des Virus? Wenn ja, können sie andere damit anstecken? Und können Kinder die Krankheit Covid-19 bekommen?

Wir haben uns mit den Fragen an Benjamin Hampel gewandt. Er ist Infektiologe und ärztlicher Co-Leiter von Checkpoint, einer Zürcher Gesundheits­klinik mit Schwerpunkt HIV und weitere übertragbare Krankheiten. Hampel erklärt, dass Kinder seltener an Covid-19 erkranken, also Husten, Fieber und schlimmstenfalls eine Lungenentzündung bekommen. Darum sei man anfänglich davon ausgegangen, dass sie sich auch nicht mit dem neuen Coronavirus anstecken können. Diese Annahme war falsch.

Entstanden ist sie nach den ersten Auswertungen von Daten aus China: «Kinder kamen dort so gut wie nicht vor, denn die Daten kamen nur von schweren Fällen, die hospitalisiert werden mussten. Also glaubte man, dass Kinder sich nicht anstecken können. Als man aber begonnen hat, auch Menschen mit leichteren Symptomen zu testen, waren da sehr wohl Kinder dabei. Eine Infektion mit dem neuen Coronavirus verläuft bei ihnen in der Regel mild oder sogar ganz ohne Symptome. Trotzdem können Kinder das Virus weitergeben.»

Eine neue Studie zeigt, dass Kinder ähnlich ansteckend sind wie Erwachsene (die Resultate gelten aber noch nicht als gesichert, weil die Studie noch nicht peer-reviewed wurde): Wissenschaftler haben die Verbreitung der Pandemie in der Region von Shenzhen in China untersucht. Sie haben festgestellt, dass 7,4 Prozent der Kinder, die Kontakt zu einem Virusträger gehabt hatten, später selber positiv getestet wurden. Bei der Gesamt­bevölkerung waren es im Durchschnitt 7,9 Prozent – kein signifikanter Unterschied, wie die Studie festhält.

Infektiologe Hampel warnt: Jetzt, wo vermehrt Kitas geschlossen würden, solle man Kinder auf keinen Fall zu ihren Grosseltern oder zu anderen Personen einer Risikogruppe schicken – auch wenn die Kinder gesund wirkten: «Das Szenario, dass ein Kind zwar keine Symptome hat, aber dennoch seine Grosseltern infiziert und diese schwer erkranken oder sogar sterben, ist real.»

Das heisst: Machen Sie sich keine Sorgen um Ihr Kind. Die Wahrscheinlichkeit, dass es schwer an Covid-19 erkrankt, ist sehr gering. Machen Sie sich Sorgen um Risikopersonen: Das sind ältere Menschen oder solche mit einer Vorerkrankung. Solange die Krippen noch offen haben, sind Kinder dort besser aufgehoben als im Haus der Grosseltern oder der Tante mit Diabetes. Hat die Kita zu? Weiter unten finden Sie Tipps dazu, wie Sie die Zeit als Familie in Ihrer Wohnung bewältigen.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Die neuesten Fallzahlen: Heute zählt die Schweiz gemäss Bundesamt für Gesundheit 3888 infizierte Personen. Am Montag waren es noch 2200 – die Fallzahlen verdoppeln sich derzeit innerhalb von etwa 3 bis 4 Tagen. Wie gestern an dieser Stelle schon erwähnt, stimmen die Daten aber vermutlich nicht auf den Tag genau.

  • Spitäler im Tessin fast voll: Als «dramatisch» bezeichnete Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit die momentane Lage im Kanton Tessin. Aktuell sind 638 Tessiner positiv auf das Virus getestet. Gemäss Koch konnte bisher sichergestellt werden, dass alle Patienten gepflegt werden können. Die Bettenzahl werde jedoch knapp. «Es ist aber absehbar, dass die Kapazitäten nicht reichen werden.»

  • Erste Schweizer Ausgangssperre: Seit Donnerstag, 18 Uhr, dürfen über 65-Jährige im Kanton Uri nicht mehr vor die Tür. Spaziergänge allein oder zu zweit sind während maximal 2 Stunden pro Tag erlaubt. Lebensmitteleinkäufe müssten durch Angehörige oder Freiwillige erledigt werden; Arztbesuche und Bestattungen im engsten Familienkreis sind weiterhin zulässig.

  • Swiss schraubt Betrieb massiv runter: Die Schweizer Fluggesellschaft reduziert ihren Flugplan aufgrund der eingebrochenen Nachfrage. Es fliegen derzeit noch 6 Maschinen. Von Zürich aus werden nur noch New York und eine Handvoll europäischer Städte angeflogen. Von Genf aus Grossbritannien, Griechenland und Portugal. Unterdessen sei auch ein kompletter temporärer Flugstopp möglich, sagte der Swiss-Chef heute.

  • Schweiz steht vor einer Rezession: Eine Expertengruppe des Bundes erwartet aufgrund des Coronavirus für 2020 einen massiven Einbruch der Wirtschaft. Das Bruttoinlandprodukt werde um 1,5 Prozent schrumpfen – und die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen.

  • Die Europäische Zentralbank (EZB) startet ein Notkaufprogramm: Die EZB will Staats- und Unternehmensanleihen in Höhe von 750 Milliarden Euro kaufen. Mit ihrem Notkaufprogramm will die Zentralbank die Zahlungsfähigkeit der Firmen sichern und vor allem stark verschuldete Staaten wie Italien unterstützen. Indem die EZB nun Milliarden in den Markt pumpt, will sie die Zinsen senken. Firmen können so günstiger Darlehen aufnehmen.

Die besten Tipps und interessantesten Artikel

Wie können sich Eltern und Kinder auf die langen Tage in der eigenen Wohnung vorbereiten? Der britische «Guardian» hält Ratschläge dazu bereit, wie wir nicht nur die Krise, sondern auch einander aushalten:

  • Diskutieren Sie über Sorgen und Ängste, aber auch Erwartungen, die Sie aneinander haben.

  • Seien Sie ehrlich zu Ihren Kindern (bleiben Sie bei den Fakten!). Und nehmen Sie wiederum deren Gefühle ernst.

  • Planen Sie einigermassen strukturierte Tagesabläufe. Routine gibt Halt.

  • Yoga geht auch im Wohnzimmer, Rennen auch im Treppenhaus.

  • Geben Sie einander Raum: Familienrituale sind wichtig, Zeit für sich ebenfalls.

  • Planen Sie auch – virtuelle – Kontakte mit anderen Menschen. Das gilt auch für Ihre Kinder und deren Freundinnen.

Was sich auch zu lesen und zu browsen lohnt:

  • Wir Menschen sind besser als unser Menschenbild: Das ist die tröstliche Botschaft des niederländischen Historikers Rutger Bregman, den Republik-Journalist Daniel Graf interviewt hat. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus unterschiedlichsten Disziplinen zeigen, dass der Mensch dem anderen häufig mehr solidarischer Partner als Wolf ist, gerade in Krisenzeiten.

Frage aus der Community: Ich desinfiziere regelmässig mein Smartphone. Ist das überhaupt sinnvoll?

Ihr Smartphone – eine Keimschleuder? Die Ansicht ist weit verbreitet, aber unter Experten umstritten. Unabhängig davon lautet der allgemeine Ratschlag auch hier: Hände waschen.

Ihr Smartphone kommt vor allem mit Ihren Händen in Kontakt. Nun kann das Virus Sars-CoV-2 mehrere Stunden, sogar Tage, auf Flächen überleben. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich bei einem Gespräch mit einer infizierten Person anstecken, ist viel, viel grösser als eine Ansteckung über Ihr Smartphone.

Wenn Sie Ihr Smartphone reinigen wollen, sind desinfizierende Tücher eine gute Lösung. Achten Sie darauf, dass keine Feuchtigkeit in die Öffnungen gerät. Ertränken Sie Ihr Telefon nicht in Alkohol.

Zum Schluss eine gute Nachricht: Sie können jetzt auch Daten spenden

Sie möchten helfen, aber gerne digital? Auf der Plattform Faster Than Corona sammelt ein Lehrbeauftragter der Universität Fribourg zusammen mit Ärzten Daten über die Verteilung von Symptomen in der Bevölkerung. Gesunde, Infizierte und Kranke können mit einer «Datenspende» zur Erstellung von Statistiken und zur Forschung weiterer Wissenschaftler beitragen. Denn: Mehr Daten sind (meistens) bessere Daten. Und Daten erlauben es Statistikerinnen, Muster zu finden, die andere Wissenschaftler wiederum als Hypothesen überprüfen können.

Bleiben Sie lieber umsichtig, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund.

Bis morgen

Ronja Beck, Oliver Fuchs, Marie-José Kolly, Daniel Ryser und Elia Blülle

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilen. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Nachdem unsere Kolleginnen vom Onlinemagazin «Bajour» die Solidaritäts­plattform «Gärn gschee – Basel hilft» in die Welt gesetzt haben, gehts nun mit Kultur weiter: Gestern zerrten sie Manuel Gagneux, Kopf der Band Zeal & Ardor, vor den Livestream. Weitere Ausgaben sind geplant.

PPPPS: Sie wollen mehr davon, und zwar noch heute? Das Netzwerk #lovestream zeigt Ihnen, wann ein Onlinekonzert oder ein Podcast läuft. Für heute Abend um 21 Uhr stehen funkige Sounds des Aargauer Rappers Benji Bonus auf dem Programm.

PPPPPS: Homeoffice mit Kindern kann sehr schnell sehr lustig werden. Ein Twitter-Thread kennt das Erfolgsrezept: Sprechen Sie statt von Ihren Kindern immer von Ihren «Kollegen». Das tönt dann zum Beispiel so: «Meine Kollegin hat mich während der Arbeit frisiert und sitzt nun unter dem Schreibtisch und singt.»

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