«Seit ich nach republikanischer Art über Justiz berichte, sprenge ich Grenzen, eine nach der anderen»
Von Brigitte Hürlimann, 02.12.2019
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Als ich mit dem Journalismus begann, und das ist schon bald vierzig Jahre her, da hackte ich meine Texte in ein grünes Ungetüm namens Hermes, eine mechanische Schreibmaschine, gross, laut und unglaublich schwer.
Korrekturen wurden handschriftlich oder mit Tipp-Ex angebracht, Abschnitte mit Schere und Klebstreifen verschoben. Zum Recherchieren gab es ein Bakelit-Telefon mit Wählscheibe, ein paar Telefonbücher und das rudimentäre Papierarchiv der Redaktion. Erreichte man die gesuchte Person telefonisch nicht, schrieb man ihr einen Brief. Oder ein Telegramm, wenn es unglaublich dringend war.
Und heute arbeite ich also für ein Onlinemagazin. Es ist ein Glücksfall. Ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Eine Revolution. Nicht nur, weil sich die Arbeitsgeräte, die Recherche- und Kommunikationsinstrumente so radikal verändert haben, sondern wegen der schier unbegrenzten Möglichkeiten. Schluss mit dem engen Korsett der Zeitungsspalten, mit der begrenzten Formenvielfalt, Schluss mit der autistischen Arbeitsweise.
Heute wird diskutiert, argumentiert, gestritten: mit den Leserinnen, den Redaktionskollegen, ja sogar mit den Chefs.
Und zwar mit allen auf Augenhöhe.
Als Teamleiterin Justiz plant, koordiniert und redigiert sie Beiträge aus dem Korrespondenten-Netzwerk und dem Redaktionsteam Inland, Justiz und Medien. Abo #4592
Mein Themenschwerpunkt ist der gleiche geblieben, seit vielen Jahren. Es sind die Justiz und die Gerichtsbarkeit, die mich faszinieren und die ich den Leserinnen näherbringen, verständlich machen will. Seit ich dies nach republikanischer Art tue, sprenge ich Grenzen, eine nach der anderen. Eine der nachhaltigsten Grenzerfahrungen war eine Reise nach Polen, der Besuch von drei Vernichtungslagern der nationalsozialistischen Besatzer: Majdanek, Treblinka, Auschwitz. Danach war nichts mehr im Leben wie zuvor.
Ich habe darüber eine Reportage geschrieben, und es war der schwierigste Text in meiner bisherigen journalistischen Laufbahn.
Wie das Unfassbare in Worte kleiden, wie die Abgründe beschreiben, wie das Entsetzen, die Wut, die Trauer und die Angst – gepaart mit der Erkenntnis, dass das alles noch nicht vorbei ist?
Die Reise nach Polen hat viel, sehr viel mit Justiz zu tun. Es waren denn auch Rechtsstudentinnen und -studenten der Uni Fribourg, die sich ins Thema «Polen und die Shoa» knieten. Und sich danach dem unmittelbaren Erleben vor Ort aussetzten. Professor Marcel Niggli, der Studienleiter, wiederholte es immer und immer wieder: Wir alle müssen Verantwortung übernehmen, hier und heute. Wir müssen hinschauen und begreifen. Und wir dürfen nicht schweigen. Niemand von uns.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch «Republik bei Stromausfall» – einer Sammlung der Lieblingsgeschichten der Republik-Redaktion. Mehr zum Buch erfahren Sie hier.