Mama verdient Geld
Fast jeder zweite Mann findet, dass Kinder darunter leiden, wenn ihre Mutter erwerbstätig ist. Der Punkt ist: Mütter haben schon immer gearbeitet. Man kann ihnen nur das Leben leichter oder schwerer machen.
Von Olivia Kühni und Anna Traussnig, 11.11.2019
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Es gibt viele interessante Details zu entdecken im neuen Familienbericht, den das Bundesamt für Statistik vergangene Woche veröffentlichte. Eines der spannendsten: 42 Prozent der Männer und 31 Prozent der Frauen in der Schweiz finden offenbar, dass ein Kind im Vorschulalter darunter leidet, wenn seine Mutter berufstätig ist.
Nicht «als Chefin eines Milliardenkonzerns Tag und Nacht in der Welt unterwegs» – nein, schlicht berufstätig. (Nach den Vätern, ob Tag und Nacht in der Welt unterwegs oder schlicht berufstätig, wurde nicht gefragt.)
«Ein Kind im Vorschulalter leidet darunter, wenn seine Mutter berufstätig ist» – stimmen Sie zu?
Befragte Personen im Alter von 15 bis 80 Jahren, in Prozent (2018)
Quelle: BFS Mikrozensus Familie, Erhebung zu Familien und Generationen (EFG).
In diesen Zahlen spiegelt sich auch ein kultureller Wandel, der mitten im Gange ist. Betrachtet man nur die Altersgruppe von 20 bis 49 Jahren, fällt die Zahl denn auch etwas tiefer aus: Hier stimmen der Aussage nur 36 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen zu – und die Werte sind seit derselben Umfrage vor einer Generation deutlich gesunken.
Entwicklung der Zustimmung: «Ein Kind im Vorschulalter leidet darunter, wenn seine Mutter berufstätig ist»
Personen im Alter von 20 bis 49 Jahren, in Prozent (1994/95; 2018)
Quelle: BFS Mikrozensus Familie, Erhebung zu Familien und Generationen (EFG).
Selbstverständlich darf man das so sehen. Die Sache ist nur: Mütter haben immer schon gearbeitet. Einerseits natürlich unentgeltlich für die Familie im und ums Haus – kochen, putzen, pflegen, waschen, betreuen, die Finanzen verwalten, das Familienleben organisieren.
Doch auch früher schon kamen Arbeiten ausserhalb des Hauses hinzu, die wegen ihrer oft informellen Natur in keiner Statistik auftauchten: die Feldarbeit der Bauersfrauen, die Büroarbeit von Handwerkergattinnen, die Kassenführung von Metzgersfrauen.
Seit mindestens zwanzig Jahren arbeiten Mütter nun zunehmend ganz offiziell gegen Geld im formellen Arbeitsmarkt. Sie sind, eben, berufstätig.
Und wie!
Frauen in der Schweiz gehören weltweit zu den aktivsten im Arbeitsmarkt, wie ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt. Satte 82 Prozent aller 25- bis 54-jährigen Frauen hierzulande sind erwerbstätig. Im Durchschnitt aller EU-Staaten sind es 75 Prozent, im OECD-Mittel gar nur 70 Prozent.
Die meisten Frauen bleiben selbst dann im Job, wenn sie Mütter werden: Drei von vier Müttern mit mindestens einem Kind unter drei Jahren sind erwerbstätig.
Die Mehrheit der Mütter bleibt erwerbstätig
Erwerbsquoten nach Geschlecht und Familiensituation, 25- bis 54-Jährige
Die Angaben zum Alter des Kindes beziehen sich jeweils auf das jüngste Kind im Haushalt.
Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE).
Die hohen Zahlen haben einerseits mit der seit langer Zeit gut laufenden Schweizer Wirtschaft zu tun – ausgebildete Arbeitskräfte werden fast in allen Branchen gesucht. Andererseits aber auch mit der Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Weltweit nirgends, ausser in den Niederlanden, arbeiten so viele Erwerbstätige Teilzeit wie in der Schweiz, nämlich 27 Prozent. Die meisten berufstätigen Mütter von kleinen Kindern arbeiten denn auch im Teilzeitpensum.
Vollzeit oder Teilzeit?
Erwerbssituation von Eltern, 25- bis 54-Jährige (2018)
Lesebeispiel: Knapp 13 Prozent der Mütter von Kleinkindern arbeiten Vollzeit. Die Angaben betreffen alle Haushalte mit Kindern, also sowohl Eineltern- als auch Paarhaushalte. Die Pensenangaben sind Jahresdurchschnittswerte. Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE).
Selbst hier aber ist über die vergangenen knapp zehn Jahre eine interessante Entwicklung festzustellen: Es wird tendenziell aufgestockt.
Der Anteil der nicht erwerbstätigen Mütter ist um rund 9 Prozent (auf 24 Prozent) geschrumpft. Trotzdem haben die Kleinpensen bis höchstens halbtags anteilmässig nicht zugenommen – weil dafür wiederum der Anteil der grösseren Pensen um 8 Prozent (auf 32 Prozent) zugelegt hat. Sehr vereinfacht könnte man sagen: Halbtags ist die neue Nicht-Erwerbstätigkeit.
Hohe Pensen nehmen zu
Entwicklung der Erwerbssituation, 25- bis 54-Jährige mit Kind 0–3 Jahre
Hohes Pensum = 50–89 Prozent, niedriges Pensum = unter 50 Prozent. Quelle: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE).
Spannend ist auch, dass sich der gesellschaftliche Umbruch in allen Schichten zeigt: Über alle Einkommensklassen hinweg ist es heute nichts Aussergewöhnliches, dass Frauen einen wesentlichen Teil zum Haushaltseinkommen beitragen. Noch 2007 waren es vor allem die Haushalte der oberen Mittelschicht – wo sich typischerweise Akademiker finden –, in denen Frauen deutlich über 20 Prozent des Einkommens beisteuerten.
Frauen tragen in allen Schichten zum Einkommen bei
Beitrag zum Haushaltseinkommen, Paare mit Kindern, in Prozent
Lesebeispiel: In Familien des niedrigsten Einkommensfünftels trugen Frauen 2017 durchschnittlich 28 Prozent des Haushaltseinkommens bei. Quelle: Erhebung über die Einkommen und die Lebensbedingungen.
Wer überzeugt ist, dass die Erwerbstätigkeit von Müttern den Kindern schadet, muss in höchstem Masse alarmiert sein. Denn Mütter, die sich den ganzen Tag ausschliesslich mit ihren Kindern beschäftigen («das bisschen Haushalt»), sind für weite Teile der Bevölkerung schon immer eine Illusion gewesen.
Harmlos aber ist die Haltung nicht.
Wertvorstellungen sind nicht unschuldig. Sie entscheiden, wie wir unser System bauen – Schulen, Kitas, Sozialversicherungen, das Steuersystem, um nur einige Beispiele zu nennen. Nämlich allzu oft immer noch so, als wären Mütter tatsächlich nicht berufstätig.
Und das schafft dann tatsächlich Leiden.