Serie «Homestory» – Folge 3

Protestantische Disziplin, katholischer Genuss

Die junge Grüne Meret Schneider will die Welt mit Algen-Kaviar retten. CVP-Nationalrat Alois Gmür dagegen setzt auf christliche Werte wie Bier und will das Zölibat abschaffen. Serie «Homestory», Folge 3.

Von Daniel Ryser, Olivier Würgler und Goran Basic (Bilder), 21.06.2019

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Meret Schneider ist nach den Zürcher Wahlen im Hoch. Die «grüne Welle» hat die 26-Jährige in den Kantonsrat gespült, für die Nationalrats­wahlen steht sie auf dem sechsten Listen­platz. Die Politikerin setzt sich dafür ein, dass Menschen­affen Grund­rechte zugesprochen werden. Sie ist Co-Geschäfts­leiterin des Tier­rechts­vereins Sentience Politics, koordiniert die Initiative gegen Massen­tierhaltung, sitzt im Gemeinde­rat von Uster, neu im Kantonsrat, holt bei Restaurants die Essens­reste ab und verteilt sie. Schneider trinkt liter­weise Cola Zero und rennt den Halb­marathon in 1 Stunde und 22 Minuten.

«Meret Schneider, entspannen Sie auch manchmal?»

«Ja, wenn ich renne.»

Serie «Homestory»

Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.

Sie lesen: Folge 3

Pro­te­stan­ti­sche Disziplin, ka­tho­li­scher Genuss

Folge 4

Lust for Life

Folge 5

Highway to the Danger Zone

Folge 6

Und täglich grüsst das Murmeltier

Folge 7

Like a Prayer

Folge 8

Black Hawk Down

Folge 9

Brokeback Olten

Folge 10

Kommando Leopard

Folge 11

In einem Land vor unserer Zeit

Folge 12

Straight White Male

Folge 13

When the Man Comes Around

Folge 14

Die Posaune des linksten Gerichts

Folge 15

Guns N’ Roses

Folge 16

Wir Sonn­tags­schü­ler des Li­be­ra­lis­mus

Folge 17

Alles wird gut

Folge 18

Höhenluft

Folge 19

Im Osten nichts Neues

Folge 20

Here We Are Now, Entertain Us

Die Politikerin empfängt uns am Bahnhof Uster und führt uns in ein abgehalftertes Shopping­center aus den Siebzigern. Im Einkaufs­zentrum Uschter 77 steht die Hälfte der Geschäfte leer. Konsum­bedürfnisse können hier kaum entstehen. Höchstens das Bedürfnis, sich sofort eine Überdosis Heroin zu verpassen.

«Hallo? Habt ihr schon einmal Spaghetti all’arrabbiata gekocht, ihr Idioten?»: Meret Schneider.

«Frau Schneider, dieses Gebäude ist ein Bijou. Wir würden hier gerne ein Geschäft eröffnen.»

«Ich gebe euch vier Monate bis zum Bankrott.»

Uster, hier platzen Träume.

Im Uschter 77 liegt Schneiders Lieblings­veganer­laden, den sie uns zeigen will. Sie stellt uns die Verkäuferin Valentina vor.

«Warst du nicht neulich in der SRF-‹Rundschau› und hast dich dort als Tier­rechtlerin mit der Licht­gestalt des Schweizer Polit­journalismus, Sandro Brotz, gezofft?», fragen wir.

«Tja, so sieht man sich wieder», sagt Valentina.

«Was esst ihr am liebsten?», fragt Schneider.

«Kaviar.»

«O mein Gott, ihr linken Journalisten macht mich fertig. Aber Kaviar ist megaeasy vegan zu machen. Es gibt Algen-Kaviar. Du schmeckst den Unterschied eigentlich nicht.»

«Haben Sie jemals richtigen Kaviar gegessen, Frau Schneider?»

«Nein, ich glaube nicht. Aber jetzt sagt mal ehrlich: Was esst ihr am liebsten?»

«Lobster.»

Schneider führt uns durch das Sortiment diverser alternativer Fleisch-, Fisch- und Milch­erzeugnisse: veganer Reibkäse aus Nüssen, veganes Rührei auf Sojabasis, veganer Mozzarella, vegane Bolognese.

«Warum probiert ihr, das Leben der Nicht-Veganer zu imitieren?»

«Wir tun einfach pflanzliche Produkte in die Formen, in denen sich auch tierische Produkte befinden», sagt Schneider. «Ich könnte auch umgekehrt fragen: Warum quetscht ihr bei einer Wurst Schweine­fleisch in die Form einer Gurke? Wollt ihr die Gurke imitieren?»

Wir wollen einen veganen Brownie kaufen für 2 Franken und 30 Rappen, aber uns fehlt das nötige Kleingeld. «Das passt», sagt Schneider. «Zuerst gross von Kaviar und Lobster reden, und dann nicht mal Geld für einen Brownie haben.»

Wir sitzen in ihrem Lieblings­restaurant, dem «Hut». Es ist auch das Lieblings­restaurant von Pedro Lenz, wenn er in Uster zu Besuch ist, wie ein Foto zeigt, das neben dem Eingang hängt.

Meret Schneider, ist es wirklich so trivial? Funktionieren Wahlen so einfach? Ein bisschen Klima­demos – und schon gewinnen die Grünen?

«Ja, wie soll es denn sonst sein? Wir haben einmal Obama und nachher haben wir Trump. Vor vier Jahren hat die SVP noch einmal zugelegt. Aber was sagt diese Partei zur Klima­politik? Hat sie überhaupt schon einmal etwas dazu gesagt? Jetzt redet Roger Köppel von Plan­wirtschaft und Klima­diktatur. Was er nicht begreift: Wir haben längst fucking Planwirtschaft.»

Unsere salon­kommunistischen Herzen beginnen ob dieser frohen Botschaft höherzuschlagen: Was, wir leben bereits in einer Planwirtschaft?

«Schaut mal die Landwirtschaft an. Die Produktion wird direkt durch Subventionen gesteuert. Oder die Raum­planung. Es geht ja auch in Zukunft nicht darum, den Menschen vorzuschreiben, was sie einkaufen sollen, aber man wird ihnen noch deutlicher sagen, dass sie es ökologischer machen sollen.»

Inspiriert von Tweets zur Klima­frage von Roger Köppel fragen wir sie, ob es nicht totalitär sei, den Planeten auf Ökologie zu trimmen.

«Wir roden Regen­wald in Brasilien, damit wir tonnen­weise Sojafutter importieren können. Ist es nicht eher ein bisschen totalitär, dass wir im grossen Stil ein Land abholzen, welches uns nicht einmal gehört? Acker­flächen, die wir in der Schweiz nicht haben, aus dem Ausland zu importieren? Wenn der Diktator den Leuten die Knarre an den Kopf hält und sagt: ‹Sorry Jungs, wir bauen hier Soja an, damit die Schweizer ihre Säue füttern können› – ich finde eher das totalitär.»

Sie erzählt uns von ihrer politischen Forderung, dass jedes Restaurant in der Schweiz in Zukunft ein veganes Menü anbieten müsse. Wir fragen sie, ob das nicht ein wahnsinniger Aufwand ist, und sie fragt uns: «Hallo? Habt ihr schon einmal Spaghetti all’arrabbiata gekocht, ihr Idioten?» Ihre Forderung würde die Wahl­freiheit nicht einschränken, sagt sie, sondern erhöhen.

Schneider bombardiert uns mit Argumenten und Zahlen, was es schon längst alles für Reglementierungen gebe in allen möglichen Bereichen im Kampf für einen besseren Planeten und dass es den freien Konsumenten so wenig gebe wie den freien Markt. «Wir importieren ja auch keine indischen Autos. Genauso gut könnten wir dem Konsumenten verbieten, brasilianische Poulets zu kaufen», sagt sie. Unsere Köpfe beginnen zu rauchen, und das Einzige, was uns angesichts der Zahlen noch von den Lippen kommt, ist die Frage: Wieso muss man die Welt überhaupt retten? Wäre es auf lange Sicht nicht am ökologischsten, wenn die Spezies Mensch einfach so bald wie möglich aussterben würde? «Für den Rest des Planeten wäre das wohl besser», sagt Meret Schneider. «Aber ein Massen­genozid wäre im Parlament noch weniger durch­setzbar als vegane Menüs. Darum bleibe ich bei den veganen Menüs.»


Die CVP wurde bei den Zürcher Kantons­rats­wahlen in Winterthur von der Alternativen Liste überholt. Wir fahren nach Einsiedeln, wo das Kloster steht, in CVP-Stamm­lande. Liegt nicht nur die BDP im Sterben, sondern auch die CVP? Schon als wir mit dem Zug in die Stadt einfahren, fällt uns neben der Sprung­schanze ein Gebäude mit dem «Einsiedler»-Logo auf. Unser Ziel ist die Brauerei, die CVP-Nationalrat Alois Gmür in vierter Generation führt. Als Erstes testen wir im Brauerei-Restaurant das Bier. Wir sind zufrieden. Bald sind wir angetrunken. Nach einer Stunde gesellt sich der Brau­meister zu uns und ordert eine neue Runde für alle. Das Geschäft laufe gut, sagt er, «auch wenn die Leute immer weniger Bier trinken». Einzig im Hitze­sommer 2018 sei der Bier­konsum von 54 auf 55 Liter im Jahr gestiegen – ansonsten sei er seit Jahr­zehnten rückläufig.

«Bier zum Beispiel. Bier ist ein christlicher Wert»: Alois Gmür.

«Früher, als ich die Lehre gemacht habe, hat man Baustellen noch professionell bewirtschaftet», sagt Gmür. «Wenn ein Haus gebaut wurde, haben wir als Erstes einen grossen Kühl­schrank vorbeigebracht. Den haben wir am Montag mit Bier gefüllt. Und am Donnerstag nochmals. Damals wurde Bier getrunken, es war eine wahre Freude. Heute wird auf den Bau­stellen nicht mehr getrunken. Die Suva hat es verboten.»

Gmür will kommenden Herbst noch einmal antreten. Die Luzerner Wahlen, in denen die CVP auch in einem Stamm­land verliert, stehen bei unserem Treffen noch bevor. Deshalb will Gmür von einer Partei im Sterbe­bett nichts wissen. Im Gegenteil. In der CVP Schwyz verspüre er eine grosse Euphorie. Er gehe sogar davon aus, dass man im Kanton nicht nur seinen Sitz halten werde, sondern auch der SVP den Sitz des nach 24 Jahren abtretenden Stände­rats Peter Föhn abjagen werde. Und diese Verschiebung sei auch zwingend nötig, denn auch wenn die CVP bei den Wahlen in Zürich verloren hat, begrüsst Gmür grundsätzlich eine Verschiebung der politischen Macht­verhältnisse von rechts in Richtung Mitte.

«In der vergangenen Legislatur ist es im Nationalrat viel härter geworden», sagt Gmür. «Die rechte Ideologie ist im Nationalrat durchgedrungen.»

«Was meinen Sie damit?»

«Jeder Staatsangestellte wird auf eine Kosten­stelle reduziert. Ich mache Ihnen ein Beispiel: In der Frühlings­session haben wir die Personal­kosten des Bundes auf den Stand von 2019 eingefroren. Gleichzeitig hat der Nationalrat vierzig neue Stellen beim Grenzwacht­korps beschlossen, und der Bund hat vierhundert neue Kilometer an National­strassen über­nommen, die unter­halten werden müssen. Wer soll die unterhalten? Ideologie hin oder her: So etwas kostet nun halt einmal Geld und braucht zusätzlich Personal.»

Nationalrat Gmür sitzt in zwei Kommissionen, bei den Finanzen und der Sicherheits­politik. 25 Leute sitzen dort. Die Verteilung der vergangenen vier Jahre: 9 SVP-Parlamentarier, 4 von der FDP. Macht 13. «Die Entscheide in der Kommission wurden in dieser Legislatur häufig mit 13 zu 12 gefällt. Die SVP-/FDP-Mehrheit gegen alle anderen. Mit vernünftigen Anliegen kommt man fast nicht mehr durch. Man konnte froh sein, dass der Ständerat Entscheide des Nationalrats dann häufig korrigiert hat.»

Mehr Bier. Wir reden über den Katholizismus und landen schnell wieder beim Alkohol. «Das Zölibat muss fallen», sagt der CVP-Politiker. «Diese Missbrauchs­fälle, es ist kaum zu glauben», sagt er, und wir fragen, ob diese Fälle nicht nur der Kirche schadeten, sondern auch der CVP. «Es ist sicher nicht förderlich», sagt er. «Wobei wir uns schon abgrenzen. Die Kirche hatte früher einen grösseren Einfluss auf die Partei. Letztlich vertreten wir ja nicht den Katholizismus. Wir versuchen, die christlichen Werte zu vertreten.»

«Was sind das eigentlich, christliche Werte?»

«Bier zum Beispiel. Bier ist ein christlicher Wert. Die Mönche haben es entwickelt und gebraut. Auch Wein gehört dazu. Zur christlichen Kultur gehören die Fasnacht, Weihnachten und Ostern. Das sind Feste. Die Leute können aufatmen und sich erholen. Wenn ich zu den Muslimen schaue, die dürfen nicht einmal Alkohol trinken. Die Werte, die wir haben, die müssen wir pflegen. Auch die Achtung voreinander. Deshalb darf man das Christen­tum nicht einfach verdammen.»

Gmür sagt, dass er fast jede Woche die katholische Messe im Kloster besuche.

«Gehen Sie auch zur Beichte, Herr Gmür?»

«Nein, mit dem Beichten habe ich nichts am Hut. Das mache ich mit mir selber aus.»

«Wir als Protestanten können nicht beichten.»

«Haha, ihr müsst das bis ans Lebens­ende herumtragen. Wir können die Sünden loswerden. Wir können einmal überborden, und dann kommt die Lossprechung.»

«Kann man so auch das Lebe­männertum des ehemaligen CVP-Präsidenten Christophe Darbellay erklären?»

«Wir können sündigen. Wir dürfen! Nein, im Ernst: Walliser ticken einfach anders.»

«Was heisst das, sie ticken anders? Saufen die einfach zu viel Weisswein?»

«Die trinken gleich viel Weisswein wie ich Bier. Beim Weisswein hängt es natürlich ein bisschen mehr an.»

«Und schwups hat man ein uneheliches Kind.»

«Ja gut, das kann passieren.»

«Wie viele uneheliche Kinder haben Sie?»

«Keines. Ich habe genug eheliche.»

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