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Unsere Eltern, die digitalen Kuratoren

Von Adrienne Fichter, 25.02.2019

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Haben Sie Eltern, die bereits pensioniert sind? Ja? Dann kennen Sie dieses Phänomen: Trotz fehlenden beruflichen Verpflichtungen sind unsere Eltern furchtbar beschäftigt. Und zwar immer mehr mit ihrem Smartphone.

Die meisten haben wohl eine analoge berufliche Laufbahn hinter sich. Umso mehr blühen sie in ihrem neuen Hobby auf: Sie sind nun digitale Kuratoren.

Und zwar auf Whatsapp. Möchten sie sich auf öffentlichen Plattformen wie Twitter und Facebook nicht exponieren, haben sie den Messenger­dienst zu ihrem Quasi-Social-Network erkoren.

Den halben Tag verbringen sie mit dem Konsum und der Weiterleitung von Videos und Memes. Diese harte Arbeit wird dabei nicht mit ein paar Klicks erledigt, nein. Sorgfältiges Kuratieren braucht schliesslich Zeit. Die Filmchen werden mit liebevollen Kommentaren angereichert, die Empfängerinnen sorgfältig ausgewählt. Unsere Eltern machen dabei eine personalisierte Auswahl, fast wie ein Algorithmus.

Die schlüpfrigen Witze werden dem ulkigen Kollegen von früher geschickt, die Satire der politisch interessierten Tochter, das Tierfilmchen dem katzen­liebenden Enkel.

Unsere Eltern bespassen uns also mit der täglichen Befüllung von Familien-Chatgruppen und sorgen wahlweise für Lacher oder genervtes Augenrollen.

Dass damit – sicherlich unbeabsichtigt – jede Menge Müll mittransportiert wird, liegt auf der Hand. Und kann auch politische Folgen haben: Im brasilianischen Wahlkampf waren Familien-Gruppen die Haupttreiber der Fake-News-Schwemme. Manipulierte Videos zogen die grössten Kreise. Die soziale Herkunft der Eltern spielte dabei keine wesentliche Rolle.

Eine neue Studie zeigt ausserdem, dass die Senioren die Haupt­katalysatoren bei der Verbreitung von Falsch­informationen sind. Sie teilten siebenmal mehr Fake News als die jüngste untersuchte Altersgruppe. Seniorinnen und Senioren vermögen angeblich die Qualität der Nachrichten­quellen weniger gut zu beurteilen. Auch hier war das Bildungsniveau irrelevant.

Rentner sind also die grössten Fake-News-Schleudern. Wohlgemerkt: Die Studie bezieht sich auf die USA und den Wahlkampf 2016. Es existieren noch keine Zahlen zu Europa. Somit gilt die Unschulds­vermutung für unsere Eltern.

Umso ärgerlicher für sie sind die neuesten drakonischen Massnahmen des Mutter­konzerns Facebook, die nun auf Europa ausgeweitet worden sind.

Massenversände sind nicht mehr möglich. Das Empfänger­publikum wird künstlich reduziert. Auf fünf Kontakte.

Was für ein Schock für unsere fleissigen Senioren-Kuratoren! Wohin nun mit all den vielen Videos? Es müssen neue Kanäle her.

So meldete sich ein älteres Mitglied meiner Familie kürzlich neu bei Signal an, einem verschlüsselten Messengerdienst. Ich war entzückt über diese Entdeckung. Und später ernüchtert über ihre Beweg­gründe: Weder der Schutz der Privatsphäre noch die verschlüsselte Kommunikation spielten dabei eine wesentliche Rolle. Nein, schuld sei die Zensurmassnahme von Whatsapp, lautete die Begründung. Neue Alternativen zur Weiter­verwertung des vielen digitalen Materials seien nötig.

Falls Sie bisher Ihre Liebsten von einem Wechsel zu Signal oder Threema überzeugen wollten und damit argumentativ gescheitert sind, ein kleiner Trost:

Whatsapp vergrault seine Fans von selbst. Denn mit der geplanten Einführung von Werbung wird der populärste Dienst zur endgültigen Spassbremse.

Was jedoch nicht bedeutet, dass Sie künftig von den Tierfilmchen verschont bleiben werden.

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