Am Gericht

Wenn der Chef sich in die Ehe einmischt

Sie solle sich scheiden lassen, sagt der Chef zur Mitarbeiterin – oder die Arbeitsstelle kündigen. Das sei ein Eingriff in die Ehefreiheit, kontert die Frau. Nun entscheidet das Kreisgericht.

Von Sina Bühler, 19.12.2018

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Ort: Kreisgericht Rorschach
Zeit: 22. November 2018, 9 Uhr
Fall-Nr.: VV.2018.36-Ro3ZE-MAR
Thema: Missbräuchliche Kündigung

Am Kreisgericht Rorschach ist für diesen Morgen eine Scheidungs­verhandlung angesetzt. Das noch verheiratete Paar setzt sich im Warteraum so weit auseinander wie nur möglich und würdigt sich keines Blickes. Und fast könnte man meinen, auch die zweite Verhandlung, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit stattfindet, sei eine Ehescheidung. Als beide Parteien eintreffen, reichen sich alle die Hände. Nur der ältere Herr in der Ecke tut so, als sähe er die jüngere Frau nicht. Deren Anwalt meint: «Sagen Sie ihr nicht einmal Grüezi?» Dreimal muss er nachfragen, erst dann schüttelt der Angesprochene den Kopf.

Obwohl sich der Mann derart verletzt zeigt, geht es nicht etwa um eine zerrüttete Ehe, sondern um ein gescheitertes Arbeits­verhältnis. Der Mann hat die Frau entlassen, weil ihr Ehemann eine Stelle in der gleichen Branche angetreten hat. Ist damit eine unzumutbare Konkurrenz­situation entstanden? Besteht die Gefahr, dass die Ehegatten Geschäfts­geheimnisse austauschen? Über diese und andere Fragen hat Kreisrichter Martin Rechsteiner zu befinden.

Ungerührt sitzt der ältere Herr im Gerichtssaal, flankiert von einer Anwältin und einem Anwalt. Er ist der Finanzchef einer Laborfirma, er bleckt die Zähne, schaut nach unten, nach oben oder nach vorne – aber nie zur Klägerin hinüber, seiner ehemaligen Mitarbeiterin. Deren Mimik ist expressiver. Schon als der ehemalige Chef sie nicht grüssen mochte, draussen, vor dem Saal, hatte sie sich abgewandt, mit zitterndem Kinn, fassungslos über die Manieren des Mannes. Wenn ihr Anwalt spricht, versucht sie krampfhaft, keine Emotionen zu zeigen, was ihr nicht immer gelingt.

Die Klägerin ist medizinische Praxis­assistentin, lebt im Kanton Bern an der Sprachgrenze und ist perfekt bilingue. Sie hat mit ihrem Mann drei kleine Kinder und ist die Haupt­verdienerin der Familie. Mehrere Jahre lang war sie für die St. Galler Firma im Aussen­dienst tätig, als Vertreterin für Labor­analysen in Arztpraxen. Ihr Arbeits­zeugnis ist ausgezeichnet. Sie war derart engagiert, dass sie selbst während des Mutterschafts­urlaubs noch im Einsatz stand. Im Herbst 2017 bekam sie eine Lohn­erhöhung, stolze tausend Franken mehr. Doch nur kurze Zeit später ist es mit der Harmonie plötzlich vorbei.

Pflichtbewusst und loyal teilt die Mitarbeiterin im November 2017 ihrem Unternehmens­chef mit, der Ehemann sei neuerdings auch in der Labor­branche tätig. Er habe eine neue Stelle gefunden, mache Lieferungen und hole Retouren ab, verkaufe Material und Geräte. Doch es gibt einen markanten Unterschied zwischen den beiden: Die Frau ist im Gesundheits­wesen ausgebildet, der Mann hat Detail­händler gelernt. Die Firma, für die er arbeitet, bietet auch keine Labor­analysen an – anders als die Firma der Ehefrau.

Und wie reagiert der Firmen­chef auf die Offenheit und Ehrlichkeit der Mitarbeiterin? Mit einer unangebrachten und übergriffigen Frage: «Willst du dich scheiden lassen?» Die Mitarbeiterin reagiert schockiert und antwortet mit einem klaren Nein. Also wird ihr mitgeteilt, man wolle den Ehemann treffen – ihm vorschlagen, er solle doch seine Stelle wieder kündigen. Die Vorgesetzten reden davon, dem Gatten bei der Stellen­suche behilflich zu sein, ihm vorübergehend einen Lohn auszuzahlen, bis er einen Job gefunden hat; eine Arbeit, die ihnen in den Kram passt.

Es kommt tatsächlich zum Treffen der Eheleute mit den Vorgesetzten der Frau, und es fällt denkbar unangenehm aus. Die Klägerin erzählt vor Gericht, man habe ihren Mann ausgelacht, ihn mit absurden Vorwürfen eingedeckt: Er solle sie, die Frau, beeinflusst, ja sogar einer Gehirn­wäsche unterzogen haben. Doch das Ehepaar lässt sich nicht einschüchtern, und beide beschliessen, weder ihre Arbeits­stellen zu kündigen, noch die Scheidung einzureichen. Daraufhin entlässt die Laborfirma ihre Mitarbeiterin.

So weit die Version der Klägerin, der Finanz­chef jedoch schildert den Vorfall ganz anders. Er verneint die Frage nach einer Scheidung zwar nicht, gibt aber an, das sei «gar nicht so gemeint gewesen», einfach ein Spruch in einer lockeren Atmosphäre oder aber ein sanfter Hinweis darauf, dass der neue Job des Mannes zu Ehe­problemen führen könnte. Der Chef ist ein Patron alter Schule. Jovial und zutiefst beleidigt darüber, dass sich die Mitarbeiterin zuerst an den CEO gewandt hatte – und nicht an ihn. Ausgerechnet diese junge Frau, die er doch über Jahre hinweg gecoacht hatte, als ein besorgter, umsichtiger Mentor. Er hält sich, mit anderen Worten, für einen grosszügigen Vorgesetzten, vor allem im Umgang mit seinen Aussendienst­mitarbeiterinnen.

Es ist eine der wenigen Überlegungen, die er vor Gericht einigermassen zu Ende führt. Sonst hört man von ihm ziemlich wirre Aussagen wie: «Es ist sogar passiert! Am Morgen kommt der Ehemann mit einem Angebot vorbei. Zufällig, das kann es geben.» Sagts und hebt süffisant lächelnd den Kopf, als sei die Geschichte schon fertig erzählt. Doch es bleibt unverständlich, wovon er eigentlich spricht. Mehrere Fragen versteht er offensichtlich nicht. Und beantwortet sie dennoch.

Sein Anwalt Oliver Kunz ist da schon präziser. Selbst innere Konflikte der ehemaligen Mitarbeiterin scheint er zu kennen, sinniert er doch darüber nach, wie fürchterlich es sein muss, wenn sich die Eheleute über ihr Berufs­leben nicht austauschen können. Also auf etwas verzichten müssten, was doch in einer Ehe üblich sei. Es drohe «ein spillover von Informationen», doppelt er nach und betont gleichzeitig immer wieder, bei den beiden Jobs der Eheleute gehe es um sich konkurrenzierende Tätigkeiten. Auch wenn der Mann Handschuhe und anderes Material verkaufe. Das diene bloss als Türöffner für eigentliche Labor­dienste, so Oliver Kunz.

Der Rechtsanwalt zieht noch ein ganz anderes Register – obwohl er einräumt, dass dies eigentlich nichts mit der Prozessfrage zu tun hat: Er wittert hinter dem Vorgehen der Eheleute einen Masterplan, eine orchestrierte Sache. Denn inzwischen arbeitet die Frau bei derselben Unternehmens­gruppe wie ihr Mann. In einer anderen Firma allerdings, die Laboranalysen anbietet. Dort verkauft sie die gleichen Dienst­leistungen wie zuvor bei der alten Arbeit­geberin. Sie ist also bei der Konkurrenz gelandet, verdient dort zwar erheblich weniger, doch das scheint Anwalt Kunz nicht von seiner Verschwörungs­theorie abzubringen. Er unterstellt der Klägerin Geheimnis­krämerei, unlautere Absichten, unzulässiges Gebaren. Und will zuletzt gar ihre Bewerbungs­briefe sehen, in denen er Beweise für den perfiden Masterplan des Ehepaars vermutet.

Der Anwalt der Klägerin, Paul Rechsteiner, hält nichts von solchen Mutmassungen. Sie seien wohl erfunden worden, weil die bisherigen Argumente nichts taugten, sagt er, und in der Hitze des Gefechts wischt er ein dickes Standardwerk, den Kommentar zum Arbeitsrecht, mit Elan zu Boden – ungefähr so, wie er das Argumentarium des Gegen­anwalts verbal weggewischt hat. Seine Klientin sei nur deshalb entlassen worden, weil sie sowohl die Scheidung als auch eine Kündigung verweigert habe. Das sei ein Eingriff in die Ehefreiheit und die Kündigung klar missbräuchlich, weshalb die Frau mit 30’000 Franken zu entschädigen sei.

Der Ball liegt nun beim Kreisgericht, das sein Urteil noch nicht gefällt hat; «aus prozessualen Gründen», wie es heisst.

Das Urteil

Wie der Richter entschieden hat, lesen Sie hier.

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