Oligarchen, willkommen im Bundeshaus!

In keiner ernst zu nehmenden Demokratie ist die Finanzierung von Parteien und Kampagnen so undurchsichtig wie in der Schweiz. Der Bundesrat will nichts ändern – und stützt sich auf veraltete Daten und seltsame Argumente.

Ein Kommentar von Elia Blülle und Adrienne Fichter, 04.09.2018

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Herbst 2019: Der eidgenössische Wahlkampf geht in die entscheidende Phase. Von allen Plakatwänden grinst ein Mann mit dickem Schnurrbart. Leuchtend gelbe Schrift verkündet: Ataman in den Nationalrat! Auch auf Facebook seit Wochen dasselbe Bild. Nur mit der deutlich aggressiveren Botschaft: Schluss mit dem Berner Sumpf!

Zu viel für einen Jux. Wer finanziert seinen Wahlkampf? Ataman ist für Journalisten nicht zu sprechen. War er politisch jemals aktiv? Nachfrage bei allen kantonalen Sektionen. Niemand kennt ihn. Ataman ist ein leeres Blatt. Bis das Schweizer Fernsehen zwei Wochen vor der Wahl berichtet: Ataman ist Anwalt mit Kanzlei in Winterthur – und offenbar eng befreundet mit der Familie des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der Titel des SRF-Beitrags: «Wahlkampf in Zürich wird finanziert aus Ankara.»

Die letzten Jahre im Reduit verbracht?

Ataman gibt es nicht. Das ist ein erfundenes Szenario. Aber ein realistisches. Denn in der Schweiz können sich ausländische Staaten, Firmen und Privatpersonen in Wahlkämpfe einmischen, ohne dass es die Öffentlichkeit bemerkt.

Der Bundesrat sieht darin kein Problem. Liest man seine Botschaft zur von ihm abgelehnten Transparenz-Initiative, könnte man meinen, dass er sich die letzten Jahre im Reduit verkrochen und noch nie von den Untersuchungen um Cambridge Analytica gehört hat, dass er die ausländischen Zahlungen an das Gripen-Komitee und das Geldspiel-Referendum vergessen hat.

Seine Naivität bekräftigte er letzte Woche auch in einer Interpellation des CVP-Nationalrats Fabio Regazzi. Der Bundesrat verlangt weder Transparenz noch eine Blockade von ausländischen Zuwendungen. In der Antwort zur Interpellation schreibt er, dass eine Offenlegungspflicht kaum durchsetzbar wäre, da man sie leicht umgehen könne.

Das ist eine doppelte Bankrotterklärung:

  1. Der Bundesrat kapituliert, bevor er mögliche Lösungen diskutiert.

  2. Der Bundesrat hat den technologischen Wandel verschlafen. Obwohl das Verteidigungsdepartement ausländische Propaganda als eine der grössten Cybergefahren benennt, wird sie von der Regierung ignoriert.

Eine Zeit, als Nokia den Handymarkt beherrschte

Die Regierung begründet ihre Haltung auf Basis einer Studie des Institutes Sotomo aus dem Jahr 2012. Der Befund: Der Einfluss des Geldes auf politische Entscheide werde überschätzt. Die Untersuchung stützt sich auf Daten aus dem letzten Jahrzehnt zu Print- und Plakatwerbung aus einer Zeit, als MySpace noch mehr Mitglieder als Facebook hatte und Nokia den Handymarkt beherrschte. Aus einer Zeit, in der Wählerinnen Medienartikel noch nicht via Facebook-App gelesen haben. Algorithmisch vorsortiert. Die Studie von Sotomo ist für das Jahr 2018 also in etwa so aussagekräftig wie ein Aufklärungsbuch aus den 1950ern.

Ereignisse aus den letzten Jahren zeigen, dass digitale Kampagnen an Relevanz gewonnen haben. Gelder für politische Werbung verlagern sich in die sozialen Medien. Donald Trump hat 2016 fast sein ganzes Wahlkampfbudget in Facebook-Kampagnen investiert. Die Kampagnen wurden aus Russland, Mazedonien und anderen Staaten mit Inhalten unterstützt.

Aber auch in den Nachbarländern der Schweiz gibt es Beispiele von dubiosen Machenschaften: In Österreich wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz Opfer einer Hetzkampagne. «Die Wahrheit über Sebastian Kurz» hiess eine anonyme Facebook-Seite. Lange Zeit wusste niemand, wer dahintersteckt, bis Journalisten den Tatort der Kampagnenzentrale ausfindig machten: Tel Aviv. Dort hat SPÖ-Parteiberater Tal Silberstein sein Büro. In die Kampagne wurden geschätzte 500’000 Euro investiert.

Selbst Facebook reagiert

Diese Beispiele haben für politischen Druck gesorgt. Die Zeiten des globalen «anything goes» im Internet sind vorbei. Selbst die oft gescholtenen Technologiekonzerne wie Facebook passen ihre Algorithmen an nationale Gesetze an, weil Länder wie die USA und Grossbritannien ausländische Einmischung verbieten. Erst im Mai hinderte Facebook amerikanische Ultrakonservative daran, das irische Abtreibungsreferendum zu beeinflussen.

Der Konzern blockierte alle ausländischen Werbekampagnen. Kampagnenleiter müssen sich für die kommenden Kongresswahlen in den USA neuerdings mit amtlichem Ausweis verifizieren. Jede Facebook-Benutzerin soll Bescheid erhalten, wer hinter welchen Botschaften steht und wie viel Geld dafür ausgegeben worden ist.

Facebook wendet die Transparenzrichtlinien auch für Schweizer Parteien an. Mit anderen Worten: Facebook würde einen aus der Türkei gesponserten Kandidaten Ataman noch eher verhindern als die Gesetzgebung der Schweiz. Das müsste dem Bundesrat zu denken geben.

Die Transparenz-Initiative

Ein linkes überparteiliches Komitee will mit einer Initiative erreichen, dass Parteien, Wahl- und Abstimmungskomitees ihre Finanzen offenlegen müssen. Anonyme Spenden über 10’000 Franken sollen verboten werden. Die Budgets müssten vor den jeweiligen Abstimmungen publik gemacht und die Herkunft der Gelder deklariert werden. Der Bundesrat lehnt das Begehren ohne Gegenvorschlag ab. Voraussichtlich in der Wintersession behandelt auch das Parlament die Initiative, bevor sie dann 2019 zur Abstimmung kommen wird.

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