Europa muss im Streit mit Trump nachgeben

Die neutestamentliche Sicht auf den Zollkonflikt mit Trump: Warum angegriffene Länder beide Wangen hinhalten sollten.

Von Marco Salvi, 12.06.2018

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:

Auge um Auge, Zoll um Zoll: Im aktuellen Handelskonflikt zwischen den USA und den restlichen G7-Staaten verfestigen sich die Fronten. Dabei folgen viele Staaten dem Grundsatz aus dem Alten Testament buchstabengetreu.

Auf die Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, Zölle auf Stahl und Aluminium einzuführen, reagierte die internationale Gemeinschaft prompt. China, Russland, Mexiko und Kanada haben Vergeltungsmassnahmen gegen die USA angekündigt. Die EU wird demnächst ebenfalls Strafzölle auf Importe im Wert von 3,8 Milliarden Dollar erheben – nicht nur auf Stahl und Aluminium, sondern auch auf ausgewählte andere Dinge wie Harley-Davidson-Motorräder oder Kentucky-Bourbon-Whiskey.

Die andere Sicht im Handelskrieg

Avernir-Suisse-Ökonom Marco Salvi plädiert für eine gelassene Reaktion auf Trumps Zollpolitik. Es gibt aber auch eine andere Sicht: Warum die EU unnachgiebig bleiben sollte, das erklärt der Politikwissenschaftler Manfred Elsig. Für den grossen Überblick zum Handelskrieg sind Sie bei Mark Dittli bestens aufgehoben. Er beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Vergeltungsmassnahmen in der Höhe der amerikanischen Strafzölle sind nach den internationalen Handelsregeln der WTO legitim. Darüber hinaus möchten die EU, Kanada und Co. mit ihren selektiven Vergeltungszöllen wohldefinierte taktische Ziele erreichen: Sie versuchen, jene Gruppen zu treffen, die Trump mit seinen Zöllen bevorteilt (etwa die US-Stahlindustrie) oder die den grössten Einfluss auf die amerikanische Regierung ausüben können. Dies, ohne den Konsumenten und Unternehmen in der EU wehzutun. Daher trifft die Vergeltung die erwähnten, zum Teil skurrilen Güter.

Die Parabel des zornigen Nachbarn

Ist das die korrekte Reaktion? Eine Antwort könnte man in einer «Parabel des zornigen Nachbarn» formulieren – die so weder im Alten noch im Neuen Testament vorkommt, aber hiermit zur Aufnahme angeboten wird:

Ein schroffer und zorniger Mann liess sich im Dorfe nieder. Er entschied sich für ein Leben in Autarkie und weigerte sich kategorisch, das ihm von den Nachbarn angebotene Obst und Gemüse zu kaufen. Verwirrt ob dieser Unsitte, baten die Bewohner beim Dorfweisen um Rat.

«Wenn es sein Wille ist, so sei es», lautete die Antwort. «Diese Haltung wird ihm ein Leben voller Mühen bescheren und eine abwechslungsarme Diät.» Man könne zwar bedauern, dass der Nachbar nicht am Reichtum der Gemeinschaft teilhaben wolle, so der Weise, denn dadurch nähmen die Tauschmöglichkeiten im Dorf ab, was auch den Reichtum des Dorfes verringere. «Aber richtet nicht.»

Nun ergab es sich aber, später an jenem Tag, dass sich der zornige Nachbar plötzlich bereit erklärte, den vorzüglichen Saft seiner Reben für wenige Sesterzen zu offerieren. Die Dorfbewohner baten erneut um Rat.

Der Weise sprach abermals klar und offen: «Begegnet allen Menschen mit Achtung, auch dem Zornigen.» Denn nur die Törichten würden sich weigern, den fast geschenkten Wein zu kaufen, bloss weil der Verkäufer die eigene Ware meidet. Wer mit Vergeltung drohe und den Wein aufgebe, werde sich in einer noch schlimmeren materiellen Situation wiederfinden.

Ökonomen nehmen heutzutage Parabeln bekanntlich nur dann ernst, wenn sie in mathematischen Formeln geschrieben sind. Und sie reden technisch lieber von «unilateraler Zollliberalisierung» als von günstigem Rebensaft. Doch sie meinen damit ein und dasselbe: dass es sich lohnt, Zölle und weitere Handelshemmnisse einseitig zu senken – also ohne auf Reziprozität zu pochen –, um den Wohlstand in der Volkswirtschaft zu maximieren.

Diese Idee sollte sich in der aktuellen Auseinandersetzung auch Europa zu Herzen nehmen. Die ökonomisch sinnvollste Antwort auf die Zölle von Trump ist: Cool bleiben! Und die eigenen Zölle senken, die trotz mehrerer Liberalisierungsrunden in den letzten Jahrzehnten noch bestehen blieben.

In seiner Kolumne bei der «New York Times» bemerkte der US-Ökonom Paul Krugman kürzlich, dass «die einfachsten ökonomischen Zusammenhänge» in der Handelspolitik leider kaum eine Rolle spielen würden. Die Feststellung ist in der Tat bitter. Was Krugman allerdings übersieht, ist, dass eine konziliante, ohne Vergeltung auskommende Politik nicht nur ökonomisch sinnvoll wäre – sondern auch politisch klug sein kann.

Die weltwirtschaftliche Verflechtung fördern

Viele Länder haben in den letzten drei Jahrzehnten ihre Zölle ohne Gegenleistung gesenkt. Das geschah weder aus Nächstenliebe, noch weil sie besonders neoliberal ticken. Vielmehr lag es in ihrem eigenen Interesse.

Indem sie beispielsweise die Einfuhrbarrieren für halb fertige Produkte senkten, konnten aufstrebende Länder wie China einen Teil der Produktionskette der Industrienationen übernehmen. Damit setzte eine weltweite Spezialisierung ein. Das Smartphone bleibt zwar designed in California, die arbeitsintensiven Verarbeitungsprozesse der einzelnen Komponenten finden jedoch in zwei Dutzend Ländern statt. Die chinesische Regierung konnte ihr Ziel erreichen, eine Industriemacht zu werden.

Quasi als Nebenprodukt davon hat die Verzahnung der Weltwirtschaft stark zugenommen. Heute sind viele US-Konzerne auf ihre chinesischen Partner angewiesen, wollen sie international wettbewerbsfähig bleiben.

Wenn andere Länder also innerhalb der USA Verbündete gewinnen wollen – etwa in der Technologie- oder Pharmabranche –, die beim zornigen Donald Trump vorsprechen und gegen dessen Zölle lobbyieren würden, sollten sie dafür sorgen, dass möglichst viele Vorleistungen für US-Firmen aus den Vereinigten Staaten nach Asien oder nach Osteuropa ausgelagert werden.

Eine Eskalationsspirale vermeiden

Genau dazu würde eine einseitige Zollsenkung seitens der EU beitragen. Sie würde zu einer noch enger verflochtenen Weltwirtschaft führen – in der die Anreize immer kleiner werden, dass ein Land von sich aus Zölle beschliesst. Und genau deshalb wäre es auf die lange Sicht auch schädlich, wenn die von Trump angegriffenen Länder nun mit Gegenmassnahmen auf die Provokationen reagieren würden – sprich: mit flächendeckenden Zollerhöhungen.

Und sowieso. Wenn der zornige Nachbar auf seinem Wege weitergeht und es zu einer Eskalationsspirale bei den Zöllen kommt, muss früher oder später ohnehin eine Zeit kommen, in der wir das Gesetz der Vergeltung aufgeben.

Darum macht es für alle von Trump bezollten Länder Sinn, dessen Erstschlag nicht mit einem Gegenschlag zu beantworten. Besser wäre es, sie würden dem US-Präsidenten nach der einen auch noch die andere Wange hinhalten.

Der Autor

Marco Salvi ist Senior Fellow und Forschungsleiter Chancengesellschaft bei Avenir Suisse. Er studierte Volkswirtschaft und Ökonometrie an der Uni Zürich, promovierte an der EPFL und ist Dozent für Ökonomie an der ETH Zürich. Salvi arbeitete bei der Zürcher Kantonalbank und war Mitglied der Direktion.

Debatte: Kann ein Handelskrieg verhindert werden?

Was nun? Kommt es zu einem globalen Handelskrieg? Und wie sollten andere Staaten, inklusive die Schweiz, auf Trumps Provokationen reagieren? Könnte es sogar sein, dass Trump das Richtige tut? Debattieren Sie heute ab 8 Uhr mit Republik-Autor Mark Dittli.

Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob die Republik etwas für Sie ist? Dann testen Sie uns! Für 21 Tage, kostenlos und unverbindlich: