Die richtige Antwort auf Zölle sind Gegenzölle

Warum das Alte Testament eine gute Richtschnur ist und die EU im Handelsstreit gegenüber Trump hart bleiben muss.

Von Manfred Elsig, 12.06.2018

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Die EU solle sich im Handelsstreit mit Donald Trump wie Jesus von Nazareth verhalten, sagen manche Beobachter – und dem US-Präsidenten nach dessen Zoll-Erstschlag auch die andere Wange hinhalten, statt zurückzuschlagen.

Nun, die EU ist dieser Empfehlung nicht gefolgt. Sie ist ihrer Linie treu geblieben und hat die massive Erhöhung der Zölle auf Aluminium und Stahl, die der US-Präsident Ende Mai definitiv beschlossen hat, mit Gegenmassnahmen beantwortet. Staaten wie China, Indien, Kanada, Mexiko, die Türkei und Russland taten dies ebenso. War das die richtige Reaktion?

Die Antwort auf diese Frage ist simpel: ja.

Die USA hatten seit Monaten verbesserten Marktzugang für ihre Produkte gefordert und gleichzeitig freiwillige Einschränkungen beim Export in die Vereinigten Staaten verlangt – das Ganze ohne jegliche Gegenleistungen. Um die Handelspartner unter Druck zu setzen, wurden Strafzölle angedroht. Diese Einschüchterungstaktik konnte die EU schlichtweg nicht akzeptieren.

Die andere Sicht zum Handelskrieg

Der Politikwissenschaftler Manfred Elsig befürwortet eine harte Linie gegenüber den USA. Es gibt aber auch eine andere Sicht: Warum Europa und andere Nationen gelassen bleiben sollten, das erklärt Avenir-Suisse Forscher Marco Salvi. Für den grossen Überblick zum Handelskrieg sind Sie bei Mark Dittli bestens aufgehoben. Er beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Einzig Korea hat sich bereit erklärt, seine Exporte in die USA zu reduzieren. Und China hat (erfolglos) angeboten, mehr Produkte aus den USA zu kaufen. Andere Länder, wie die Schweiz, haben die Zölle zähneknirschend akzeptiert.

Die EU-Kommission hat dagegen von Anfang an mit offenen Karten gespielt und die Drohungen aus Washington zurückgewiesen. Sie hat ihre Haltung stets klar kommuniziert – und so reagiert, wie sie es bei ähnlich gelagerten Fällen politisch motivierter Zölle in der Vergangenheit auch getan hatte. Alles andere wäre unglaubwürdig gewesen und hätte den US-Präsidenten in der Annahme bestärkt, dass er wie ein verwöhntes Kind alles kriegt, was er will.

Anders als Korea oder die Schweiz ist die EU wirtschaftlich in der Lage, dem Druck der USA entgegenzutreten. Ihre Strategie lässt sich mit wissenschaftlichen Studien untermauern und ruht auf zwei Pfeilern: auf Mobilisierungseffekten in den USA und auf der disziplinierenden Rolle der Welthandelsorganisation.

Mobilisierung innerhalb der USA

Beim ersten Pfeiler der Strategie geht es darum, die Mobilisierung gegen einseitige Zollmassnahmen zu fördern und deren Popularität in wichtigen Wahlkreisen zu schwächen. Die EU hat deshalb bereits im Mai eine mögliche Zoll-Produktepalette vorgestellt, die von Levi’s-Jeans und Harley-Davidson-Motorrädern bis zu Cranberries, Orangensaft und Kentucky Bourbon reicht.

Nehmen wir den Fall von Harley Davidson, einer Firma mit Sitz in Wisconsin und weiteren Produktionsstätten in Pennsylvania und Missouri. Die zusätzlichen EU-Zölle auf Motorräder zielen darauf ab, die Opposition in diesen Bundesstaaten zu stärken. Was gelingen könnte, da etwa Wisconsin ein sogenannter Swing State war, der 2016 nur knapp für Trump stimmte.

Wisconsin wird ausserdem von einem republikanischen Gouverneur regiert und mehrheitlich von Republikanern im Kongress repräsentiert. Diese Trump nahestehenden Kreise will die EU in die inneramerikanische Koalition holen, die gegen Zölle auf Stahl und Aluminium lobbyiert.

Zu dieser Koalition zählen nebst den betroffenen Politikern auch US-Exportunternehmen, die aufgrund von EU-Gegenzöllen in Europa Marktanteile verlieren könnten. Auch die Automobilindustrie, die auf günstige Stahl- und Aluminiumimporte angewiesen ist, zählt dazu. Der Druck dieser Akteure könnte Donald Trump zum Umdenken bewegen.

Die Anzeichen verdichten sich, dass im US-Kongress Opposition sowohl von Republikanern als auch von Demokraten gegen die Strafzölle wächst.

Die Rolle der Welthandelsorganisation

Parallel dazu bringt die Europäische Union die Welthandelsorganisation WTO ins Spiel. Sie beruft sich damit auf das internationale Handelsrecht, um im Endeffekt mittels einer Klage einen Handelskrieg abzuwenden.

Das WTO-System beruht auf über lange Jahre ausgehandelten Rechten und Pflichten. Eine gewisse Flexibilität ist möglich, sodass Staaten Zölle unter gewissen Auflagen aufgrund von signifikanten Importzunahmen erhöhen können (die Rede ist von sogenannten Schutzklauseln). Diese Zölle müssen jedoch im Normalfall mittelfristig wieder abgebaut werden, sonst können andere Staaten Retorsionsmassnahmen beschliessen.

Gemäss der WTO sind also temporäre Zollerhöhungen erlaubt – doch WTO-Mitglieder sollten die Regeln des Freihandels nicht über längere Zeit missachten.

Trump behauptet nun, dass seine Stahl- und Aluminiumzölle aufgrund der nationalen Sicherheit notwendig seien; und er versucht, eine schwammige Formulierung im WTO-Regelwerk zu nutzen, um diese Zölle langfristig anwenden zu können. Es ist davon auszugehen, dass die WTO-Richter dieser Argumentation nicht folgen und die Zölle als unzulässiges Abwehrmittel gegen die ausländische Konkurrenz einstufen werden.

Sollte der US-Präsident nach einem solchen Entscheid nicht von seiner Linie abrücken, so haben die klagenden WTO-Mitglieder das Recht auf ihrer Seite und können zusätzlich gezielte Handelssanktionen anwenden. Gleichzeitig lässt die EU die Türe offen für Gespräche. Die Gegenzölle, die frühestens am 20. Juni in Kraft treten, können jederzeit zurückgenommen werden.

Den Multilateralismus hochhalten

Die Politik der EU ist konsequent und transparent. Ob sie wirkt, ist allerdings schwierig abzuschätzen, da ein Spieler am diplomatischen Schachbrett sitzt, der zurzeit ausser Rand und Band ist.

Donald Trumps Handelspolitik ist durchtränkt von einer merkantilistischen Ideologie, die man von einem wirtschaftlich starken Land nicht erwartet hätte. Seine Fixierung auf Handelsdefizite nimmt obskure Ausprägungen an. Und sie ist obendrein inkonsequent. Trump ignoriert beispielsweise, dass die USA im bilateralen Handel nicht nur Defizite, sondern etwa mit Kanada auch Überschüsse erzielen. Den für die USA profitablen Dienstleistungshandel zieht er gar nicht erst in Betracht, ebenso wenig wie den Kapitalverkehr.

Sicherlich sind manche Entwicklungen in der Weltwirtschaft, die Trump anspricht, problematisch: etwa der strukturelle Stahlüberschuss oder der forcierte Technologietransfer in China. Doch mit ihrem rücksichtslosen Vorgehen verspielen die USA zunehmend das Vertrauen. Immer deutlicher zeichnen sich die Konturen einer isolierten Weltmacht ab, die sich in der internationalen Politik vollständig ins Abseits spielt. Bei der WTO haben die USA fast alle Alliierten verloren – aus der G7 ist de facto eine G6 geworden, wie am jüngsten Gipfeltreffen übers Wochenende deutlich geworden ist.

Die Europäische Union ist angesichts dieser Entwicklungen gezwungen, die Fahne des Multilateralismus und des internationalen Rechts hochzuhalten. Darum ist ihr Handeln nach dem alttestamentlichen Motto «Auge um Auge, Zoll um Zoll» in der gegenwärtigen Situation absolut angebracht.

Der Autor

Manfred Elsig ist Professor für internationale Beziehungen und Vizedirektor des World Trade Institute an der Universität Bern. Er studierte Politikwissenschaften in Bern und Bordeaux und doktorierte in Europäischer Handelspolitik an der Universität Zürich. Elsig arbeitete bei der UBS und beim Kanton Zürich und unterrichtete an der London School of Economics und am Graduate Institute in Genf.

Debatte: Kann ein Handelskrieg verhindert werden?

Was nun? Kommt es zu einem globalen Handelskrieg? Und wie sollten andere Staaten, inklusive die Schweiz, auf Trumps Provokationen reagieren? Könnte es sogar sein, dass Trump das Richtige tut? Debattieren Sie heute ab 8 Uhr mit Republik-Autor Mark Dittli.

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