Aus der Redaktion

In eigener Sache: Zum Baukartell

Die Reaktionen auf unsere Serie zum Bündner Baukartell waren gewaltig. Auch in den Schweizer Medien. Dort wurden und werden Dinge erzählt, die einer Richtigstellung bedürfen. Vor allem deshalb, weil es jetzt um persönliche Angriffe auf unsere Reporterin geht.

Von Constantin Seibt, 09.06.2018

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Morgen Sonntag sind in Graubünden Wahlen. Kein Wunder, gingen noch einmal alle Akteure in die Offensive.

Die Frage ist nur, wie. Im Wahlkampf ist einiges erlaubt, allerdings nicht alles. Im Fall des Bündner Baukartells wurde in den letzten Wochen derart viel Unfug geschrieben, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als zu antworten.

Wir tun das ungern. Es gibt bei Medien eine weit verbreitete Unsitte, die man sonst von Boxern kennt, das sogenannte Glaskinn: hart im Austeilen, weich im Nehmen. Eigentlich gilt für unsere Redaktion die Faustregel: Hauptsache, sie schreiben deinen Namen richtig.

Uns war klar, dass die Baukartell-Serie nicht alle begeistern würde. Sie erwischte mehrere Akteure auf dem falschen Fuss: die SVP, die den Polizeikommandanten Walter Schlegel als Regierungsratskandidaten aufgestellt hatte; die CVP, deren Ständerat Stefan Engler lange Chef des Tiefbauamts war.

Am härtesten traf es die BDP, deren Kandidat Jon Domenic Parolini bereits 2009 über die Kartellabsprachen informiert wurde, aber nichts dagegen unternahm. Und deren zweiter Kandidat Andreas Felix sogar zurücktreten musste. Felix war sein Berufsleben lang Funktionär des Graubündnerischen Baumeisterverbandes: Entweder wusste er alles über die Absprachen. Oder, falls nicht, war er blind.

Kein Wunder also, gab es Angriffe. Diese hätten uns kalt gelassen, wenn nur die Republik betroffen gewesen wäre. Aber in den letzten Tagen fingen mehrere Medien an, direkt und persönlich auf unsere Reporterin Anja Conzett zu feuern.

Und damit wurde für die Republik die rote Linie überschritten.

Eigentlich hätte uns das nicht überraschen sollen. Denn die Abwehrangriffe beim Baukartell-Skandal verliefen nach einem klassischen Muster. Wenn die Botschaft nicht passt, greift man die Boten an. Einen nach dem anderen.

1. Der Angriff auf die Boten: Unterländer!

Am 3. Mai feuerten die beiden mächtigsten Männer der Bündner Presse eine Breitseite auf die Republik ab: Somedia-Verleger Hanspeter Lebrument und sein Geschäftsführer Andrea Masüger. Ihr Vorwurf: Man ist in unseren Garten getreten. Masüger warf uns unter dem Titel «Die Heizer aus dem Unterland» vor, «kalten Kaffee» aufgekocht zu haben. Das «Unterländer Rechercheportal» habe die Bündner als «Kriminelle», «Gauner» und «geldgierige Bergler» beschrieben. Und das vor den Wahlen.

Im Artikel daneben schoss der Verleger gegen die Republik und die Eidgenössische Wettbewerbskommission (Weko). Dabei unterstellte Lebrument der Republik, sie habe ihre Story «in enger Zusammenarbeit mit der Weko» verfasst. Er brachte dafür nicht den mindesten Beweis.

Später schrieb der Somedia-Verleger Lebrument mehrmals, die Wahlen seien «irregulär» und müssten eigentlich verschoben werden, weil die Enthüllungen zum Baukartell noch vor den Wahlen gekommen seien.

Das war eine verblüffende Haltung für einen Verleger, dessen Zeitungen eigentlich dafür sorgen sollten, seine Leserinnen vor der Stimmabgabe zu informieren. Lebrument argumentierte weniger als lokaler Verleger, sondern als lokaler Fürst.

Zu Graubündens Ehre muss man feststellen: Niemand nahm seinen Vorschlag ernst.

2. Der Angriff auf den Boten: Adam Quadroni

In einer Titelgeschichte recherchierte der «Weltwoche»-Journalist Philipp Gut rund um den Mann, der das Baukartell auffliegen liess: Whistleblower Adam Quadroni. Gut zählte dessen über 300 Betreibungen auf, sprach mit mehreren verfeindeten Geschäftspartnern Quadronis und schloss, die Republik-Geschichte sei ein «Märchen».

Der Titel der «Weltwoche» lautete «Falscher Heiliger». Nur: Bei der Aufdeckung krimineller Machenschaften kommt es nicht darauf an, ob der Enthüller ein untadeliger Mensch ist – meistens ist er es nicht. Sondern ob die Geschichte stimmt, die er erzählt.

Nichts gegen Kritik. Aber was die Geschichte des Baukartells betrifft, sind die «Weltwoche»-Recherchen von Gut praktisch unbrauchbar. Warum? Eine detaillierte Zusammenfassung von «Infosperber» finden Sie hier, eine kurze Zusammenfassung lesen Sie auf den folgenden Zeilen.

Gut schreibt, Quadronis geschäftlicher und privater Ärger habe nichts mit seiner Enthüllung des Baukartells zu tun. Als die Weko 2012 über einen Treuhänder Quadronis Beweispapiere erhielt, sei dieser schon Konkurs gewesen.

Nur: Quadroni zeigte die Papiere bereits 2009 dem Tiefbauamt und dem damaligen Gemeindepräsidenten von Scuol, Jon Domenic Parolini. (Der danach übrigens als Erstes einen befreundeten Baulöwen anrief.) Und bereits Vorkommnisse vor seinem Austritt aus dem Kartell im Jahr 2006 galten den anderen Baumeistern als Kriegserklärung.

Kurz: Was die zentrale Geschichte des Baukartells betraf, entdeckte «Weltwoche»-Redaktor Gut kein einziges falsches Detail an Quadronis Aussagen. Und auch nicht in der Republik-Serie. Also griff er den Charakter von Quadroni an – die einfachste Masche, die es im Journalismus gibt.

Gut schrieb Quark. Der aber nachgedruckt wurde.

3. Der Angriff auf die Botin: Anja Conzett

In einem zweiten Artikel in der «Weltwoche» legte Philipp Gut unter dem Titel «Unerträgliche Wahrheit» mit Gerüchten nach: Die Bündner SP stecke hinter der Republik-Geschichte und habe einen Sonderdruck finanziert, den die Republik in Graubünden in die Haushalte verteilte.

Das war – wie Gut beim Schreiben bereits wusste – blanker Unfug. Ich weiss das, denn ich war dabei.

– Die Idee, die Kartell-Geschichte zu drucken und in die Haushalte zu verteilen, entstand bei einer Retraite von Chefredaktion und Marketing: Wir wollten experimentieren, wie eine gedruckte Republik funktioniert.

– Die Baukartell-Geschichte der Republik hatte auch nie das Geringste mit der SP oder der Weko zu tun: Den Plan, sie zu schreiben, fassten wir Ende Januar. Damals dachten wir, die Recherche werde ein, zwei Wochen beanspruchen. Es wurden dann mit Unterbrüchen fast drei Monate. So viel zum Timing.

Danach tat Gut etwas Übles: Er griff, um seine beweisfreie These zu stützen, die Integrität unserer Reporterin Anja Conzett an. Er schrieb, dass Conzett bis im Herbst letzten Jahres mit einem SP-Grossrat liiert gewesen sei. Und dass Conzett 2016 für kurze Zeit im Vorstand der Bündner SP gewesen sei. Eine Sitzung hatte ihr gereicht, um zu erkennen, dass das nicht ihre Sache war – sie trat gleich wieder aus.

Den kurzen Ausflug in die Politik machte Conzett in einer Zeit, als sie vom Journalismus genug hatte, Soziologie studierte und Neues suchte. Sie hatte zuvor ihren Job bei der «Südostschweiz» gekündigt. 2015 hatte sie dort über die veraltete Struktur des Bündner Jägerverbands geschrieben. Dessen Chef meldete sich bei ihrem Chef – genau, bei Verleger Hanspeter Lebrument – und drohte mit Tausenden Kündigungen von Abonnements und dem Stopp regelmässiger Druckaufträge. Lebrument tobte. Conzett wurde ein bereits geschriebener Frontkommentar gestrichen, und man riet ihr, einige Zeit «die Füsse ruhig zu halten». Das brachte ein ohnehin fast volles Fass zum Kippen. Sie kündigte.

«Weltwoche»-Redaktor Gut ignorierte alle Tatsachen und konstruierte einen direkten Zusammenhang zwischen Conzett, der SP, dem Baukartell und den Wahlen. Andere Medien kläfften mit: zuerst die Bündner Netzzeitung «GR Heute». Dann am Freitag BDP-Grossratskandidat Oliver Hohl im «Bündner Tagblatt».

Dazu ist Folgendes zu sagen:

1. Es ist ein uraltes Phänomen, dass Frauen in der Öffentlichkeit weit härter angegriffen werden als Männer. Um diese zum Schweigen zu bringen. Trolle wie Herr Hohl sind quasi eine Geschlechtskrankheit.

2. Wir kennen kaum eine Reporterin, die (oft zur Verzweiflung der Abschlussredaktion) so skrupulös alle befragt wie Anja Conzett.

Soweit die Angriffe gegen alle greifbaren Boten.

Den Kern der Geschichte hat niemand auch nur ansatzweise bezweifeln können: Es gab jahrelange systematische Absprachen im Baumeister-Kartell. Die Behörden blieben untätig. Und die Bündner Polizei schickte mit einem riesigen Aufwand den nicht kranken Mann, der es aufgedeckt hatte, in die Psychiatrie.

Der Rest ist Lärm.

Constantin Seibt, Chefredaktor Republik

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