Mark Zuckerberg in einer Menschenmenge in einem Lift
Mark Zuckerberg (hinten links) mit Beratern nach dem Meeting mit US-Senator Chuck Grassley im Capitol in Washington D.C. Alex Wong/Getty

Mark, wir hätten da noch ein paar Fragen

Mark Zuckerberg sagt vor dem amerikanischen Kongress aus. Davor ging er auf Medientour. Und wurde von Journalisten erstaunlich sanft angefasst. Fünf Punkte, bei denen wir gerne mehr gewusst hätten.

Von Adrienne Fichter, 11.04.2018

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Mark, wir hätten da noch ein paar Fragen
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Facebook-Chef Mark Zuckerberg übt sich in Demut. Nach langem Schweigen geht er anlässlich des jüngsten Datenskandals auf mediale «Entschuldigungstour» (die übrigens schon eine 14-jährige Tradition hat). Letzte Woche gab er der US-Webplattform Vox zum ersten Mal ein ausführliches Interview.

Dabei ist ihm trotz des Reuegestus ein genialer Coup gelungen: die Inszenierung als Wohltäter. Als ob es sich bei Facebook nicht um ein kapitalistisches Technologieunternehmen handle, sondern um ein gemeinwohlorientiertes Philanthropie-Projekt.

Er – der Architekt des grössten sozialen Netzwerks – schaffte es während fünfzig Minuten, geschliffen jegliche Haftung für die Missstände seiner Plattform zu negieren.

Wer genau hinhört, wird nämlich feststellen, dass Zuckerberg die «Community» (und nicht die Infrastruktur) in der Pflicht sieht. Die Facebook-Gemeinschaft ist für das Geschehen auf seinem Netzwerk verantwortlich. Sie soll für ihn arbeiten. Indem sie Selbstjustiz bei Hassreden und Medieninhalten (Bewertung von Fake News und seriösen Nachrichten) anwendet.

Der 33-jährige Milliardär widersprach sich dabei in seinen Antworten mehrfach. Der Vox-Journalist Ezra Klein fasste den gescholtenen Zuckerberg aber trotz kluger Fragen mit Samthandschuhen an. Er hakte (ob freiwillig oder unfreiwillig) nicht nach.

Dafür tun wir es. Fünf Punkte, bei denen wir gerne mehr wissen möchten.

1. Weltfrieden oder Neutralität?

Ist Facebook nun neutral oder eine Plattform für westliche Werte? Mark Zuckerberg wand sich geschickt bei der Frage nach der politischen Positionierung von Facebook: Einerseits betrachtet er es weiterhin als seine globale Mission, für den Weltfrieden, gegen Armut und Klimawandel zu kämpfen.

«And there’s been a big rise of isolationism and nationalism that I think threatens the global cooperation that will be required to solve some of the bigger issues, like maintaining peace, addressing climate change, eventually collaborating a lot in accelerating science and curing diseases and eliminating poverty. So this is a huge part of our mission.»

Mark Zuckerberg

Eine klassische demokratisch-liberale Agenda also.

Andererseits will er eine neutrale Plattform für die lokalen Werte bieten. Dies bedeutet im Endeffekt den Status quo. Weil Facebook in autoritären Staaten bisher pragmatisch und regelkonform mit Machthabern kooperiert hat.

Seine Argumentation ist dabei höchst geschickt: Er zeigte sich ernüchtert darüber, dass nicht alle Menschen die Werte seines globalen Pazifismus-Manifests von Januar 2017 teilten. Nationalismus und Isolationismus machten sich breit, was ihm Sorgen bereite. Er müsse akzeptieren, dass die Menschen noch nicht bereit sind für die Vision der grossen globalen Gemeinschaft.

Einsichtig erläutert er, dass er anderen Regionen keinen kalifornischen Kulturimperialismus aufoktroyieren wolle. Deswegen möchte er einen demokratischen Prozess ermöglichen, in dem Menschen sich und ihre lokalen Werte weltweit wiedererkennen.

«With a community of more than 2 billion people all around the world, in every different country, where there are wildly different social and cultural norms, it’s just not clear to me that us sitting in an office here in California are best placed to always determine what the policies should be for people all around the world. And I’ve been working on and thinking through: How can you set up a more democratic or community-oriented process that reflects the values of people around the world?»

Mark Zuckerberg

Mit anderen Worten: Er stellte sich in diesem Interview soeben einen Freipass aus, so weiterzumachen wie bisher. Denn gerade in asiatischen Staaten führte der Laisser-faire-Modus von Zuckerberg und Co. dazu, dass Regimekritiker, oppositionelle Medien und Minderheiten dank Facebook ungehindert gejagt werden. In Kambodscha, Sri Lanka oder auf den Philippinen. Die lokalen Kulturen berücksichtigend (und Hilferufe von Verfolgten ignorierend).

Der Konzern bezog fast nie offiziell Stellung. Und positionierte sich damit klar. Zugunsten der Autokraten.

Was wir noch gefragt hätten: «Herr Zuckerberg, Sie widersprechen sich: Sie möchten die lokalen Werte in anderen Regionen mehr berücksichtigen. Andererseits verachten Sie Hassreden und propagieren klassische westliche Werte. Lassen Sie also Diktatoren nun weiterhin schalten und walten, oder greifen Sie durch?»

2. Wohlwollender Diktator oder Community-Demokratie?

Es war eine geniale Einstiegsbemerkung von Ezra Klein: In Anlehnung an ein früheres Zitat Zuckerbergs (Facebook sei kein gewöhnliches Unternehmen, sondern ein politisches System, eine Regierung) hält Klein fest, dass doch in einer Demokratie die Leader sich alle vier Jahre zur Wahl stellen müssen. Er stellt Zuckerbergs Analogie damit infrage. Und er zweifelt daran, dass der Facebook-CEO angesichts seiner Stimmenmehrheit im Aktionariat sich seinen Usern gegenüber verpflichtet fühlt.

Mark Zuckerberg ging nicht auf die spitze Bemerkung ein. Er schaffte es, von der Aktionärsstruktur seines Unternehmens abzulenken, und umschiffte auch gleich die Frage der Haftung.

Zuckerberg möchte «Governance»-Strukturen für die Verbreitung der «Inhalte» aufbauen, in der die Facebook-Gemeinschaft sich quasi gegenseitig kontrolliere.

«My goal here is to create a governance structure around the content and the community that reflects more what people in the community want than what short-term-oriented shareholders might want.»

Mark Zuckerberg

Dabei schwebt ihm eine Art Gewaltenteilung mit einem «Gerichtshof» gemäss eines Supreme Courts vor.

«Right now, if you post something on Facebook and someone reports it and our community operations and review team looks at it and decides that it needs to get taken down, there’s not really a way to appeal that. I think in any kind of good-functioning democratic system, there needs to be a way to appeal. And I think we can build that internally as a first step. But over the long term, what I’d really like to get to is an independent appeal.»

Mark Zuckerberg

Mit dieser Chiffre lenkt der gutmütige Staatsmann Zuckerberg von der eigentlichen Aktienfrage ab. Und wälzt die Verantwortung für die Veröffentlichung und Löschung der Inhalte auf seine Nutzerinnen ab.

«But if we don’t do it well, then I think we’ll fail to handle a lot of the issues that are coming up.»

Mark Zuckerberg

Das Wort «Community» verkommt so zur Farce, wie das auch Internet-Soziologin Zeynep Tufekci bemerkt hat: «Wenn Facebook wirklich eine Gemeinschaft wäre, dann müsste Zuckerberg nicht so viele Stellungnahmen zu Entscheidungen machen, die er selber allein getroffen hat in der Vergangenheit.»

Was wir noch gefragt hätten: «Herr Zuckerberg, Sie nehmen also Nutzerinnen stärker in die Pflicht. Um beim Staatsvergleich zu bleiben: Wenn die Community eine derart wichtige Rolle übernehmen muss für Ihren Unternehmenserfolg, warum beteiligen Sie sie dann nicht am Unternehmen? Wie ist Ihre Stimmenmehrheit an Facebook noch zu rechfertigen, wenn die User derart viel Verantwortung übernehmen müssen?»

3. Qualitätsjournalismus oder nun doch Ferienfotos?

Der Facebook-CEO beschwörte im Vox-Interview mehrfach die Wichtigkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen. Er platzierte dabei ganze sechs Mal den Begriff «meaningful», ohne genau zu konkretisieren, was er damit meint. Klar wird dabei: Das goldene Zeitalter für Medien ist damit vorbei. Es wird am Algorithmus geschraubt – zugunsten von Freunden, zulasten von Medien. Zuckerberg möchte, dass die in Facebook investierte Zeit das Wohlbefinden steigere und nicht senke.

Dafür habe der Konzern umfangreiche Forschung betrieben. Mit dem Befund: Passive Aktivitäten wie der stumpfe Konsum von News führe zu Frustration. Das soll sich ändern. Nun sollen «gehaltvolle Beziehungen» zwischen Menschen aufgebaut werden.

Da die Nachrichten (ob von seriösen Anbietern oder Verschwörungstheoretikern) für ein vergiftetes Debattenklima und schlechte Laune sorgen, werden diese wohl bald verbannt werden (oder in den Bezahlbereich verlagert). Viele der mittlerweile abhängig gewordenen Medien wird dies in den Ruin treiben.

«So this is another shift we’ve made in News Feed and our systems this year. We’re prioritizing showing more content from your friends and family first, so that way you’ll be more likely to have interactions that are meaningful to you and that more of the time you’re spending is building those relationships.»

Mark Zuckerberg

Danach folgte in einigen Antworten der Widerspruch: Zuckerberg bekennt sich mehrfach zur Förderung des Qualitätsjournalismus.

«So I do think a big responsibility that we have is to help support high-quality journalism.»

Mark Zuckerberg

Mit der Bevorzugung von seriösen Nachrichtenquellen und lokalen Medien sowie dem Einrichten von Bezahlschranken für Medieninhalte.

Also was denn nun? Um eine eindeutige Aussage foutiert sich der Facebook-CEO weiterhin. Denn irgendein Parameter seines streng geheim gehaltenen Algorithmus muss priorisiert und ein anderer geopfert werden.

Was wir noch gefragt hätten: «Herr Zuckerberg, wie können Sie behaupten, dass Qualitätsjournalismus eine wichtige Priorität für Facebook habe, wenn Sie doch ab jetzt die Beiträge von Facebook-Usern bevorzugen und die News algorithmisch abstrafen?»

4. Frühwarnsystem oder Versagen?

Es ist eines der heissesten Eisen, die Klein angesprochen hat: die Verfehlungen von Facebook in den asiatischen Ländern.

Dort, wo Facebook ein Synonym für das Internet bedeutet. Dort, wo die Zivilgesellschaft schwach ausgeprägt ist und nicht oppositionelle Populisten, sondern die Machthaber selbst Facebook zur sozialen Ächtung nutzen. Dort, wo aufwieglerische Gerüchte in geschlossenen Kanälen wie Whatsapp zirkulieren, die bereits zur Ermordung von Unschuldigen führten. Und gegen die Facebook angeblich bei ihrer Aufklärungsarbeit nicht ankommt (sofern sie nicht als Verstoss gegen die «Community-Richtlinien» gemeldet werden).

Diese Probleme haben bei uns eine grosse Priorität, bekräftigt Zuckerberg.

«The Myanmar issues have, I think, gotten a lot of focus inside the company.»

Mark Zuckerberg

Und erzählt von einer Episode, die sich im Nachhinein als wahre Bombe entpuppte: Via Facebook Messenger haben User aus Burma (Myanmar) letztes Jahr zwei Falschnachrichten herumgeschickt. Muslime würden einen Terroranschlag gegen Buddhisten am 11. September 2017 planen und umgekehrt. Das installierte Frühwarnsystem habe die Links als missbräuchlich eingestuft und die Mitarbeiter benachrichtigt, sagte Zuckerberg zufrieden. Die Links wurden verbannt.

«Now, in that case, our systems detect that that’s going on. We stop those messages from going through. But this is certainly something that we’re paying a lot of attention to.»

Mark Zuckerberg

Doch gleichzeitig lüftete er damit ein Geheimnis, worüber in der Vergangenheit spekuliert worden ist: dass Facebook die Nachrichten mitliest und gegebenenfalls löscht. Es war die Information, die viele User aufhorchen liess: Greift Facebook auch in meinen Nachrichtenverkehr ein? Auf Nachfrage von Bloomberg präzisierte der Konzern: Links und Bilder werden im Facebook-Messenger mit künstlicher Intelligenz geprüft. Um gegen strafrechtliches Material wie Kinderpornografie vorzugehen.

(Dumm nur, dass die Version der automatischen Erkennung im Fall von Burma gar nicht stimmte: Es waren Organisationen, die die Nachrichten massenhaft gemeldet hatten und damit die Aufmerksamkeit der Zentrale erregten. Die künstliche Intelligenz hatte versagt.)

Was wir noch gefragt hätten: «Herr Zuckerberg, haben Sie soeben zugegeben, dass Facebook also doch imstande ist, Messenger-Apps nach Fake News zu durchleuchten und kompromittierende Inhalte zu löschen?»

5. Mithilfe oder Mitschuld?

An einer Stelle des Vox-Interviews offenbart sich Zuckerbergs sonderbare Wahrnehmung der vergangenen Ereignisse. Zehn Jahre lang hätten sich die Menschen auf die positiven Seiten seines Netzwerks konzentriert, sagt er. Nun drehe sich alles nur noch um die Risiken.

«So for the first 10 years of the company, everyone was just focused on the positive. I think now people are appropriately focused on some of the risks and downsides as well.»

Mark Zuckerberg

Mit anderen Worten: Die Menschen haben sich geändert, nicht Facebook. Er bedient dabei sein beliebtes Narrativ des «Missbrauchs» seiner vermeintlich neutralen Plattform. Doch de facto lud die Plattform geradezu zum Missbrauch ein. Wie ich schon an anderer Stelle erwähnt habe, ist Facebook so konstruiert, dass es zur Selbstbedienung aus einem globalen Datenangebot und damit zu Interventionen in anderen Nationalstaaten geradezu animiert.

Gemäss des langjährigen Credos «Move fast and break things» hat das Unternehmen Werkzeuge gebaut, die man seit ihrer Geburt hätte für Verleumdung, Volksverhetzung und Diffamierung einsetzen können. (Früher sogar noch viel mehr, wie der Datenskandal um Cambridge Analytica gezeigt hat.)

Im letzten Teil des Interviews beschäftigt er sich mit der Frage, wie er die Integrität von Wahlen sicherstellen kann. Er betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sein werde, um die ausländische Einflussnahme zu verhindern.

«Civic engagement, both being involved in elections and increasingly working to eliminate interference and different nation-states trying to interfere in each other’s elections, ends up being really important.»

Mark Zuckerberg

Damit gibt er zwischen den Zeilen eine Bankrotterklärung an die künstliche Intelligenz ab. Denn es wird indirekt klar, dass ein globaler Automatisierungsprozess bei der Begutachtung von politischen Kampagnen gar nicht funktionieren kann. Die Maschine ist zu gross und zu schnelllebig, sie wird die Herkunft von Werbekunden nicht erkennen können. Zuckerberg braucht also viele Signale von seinen Usern. Und ist damit extrem auf die Mithilfe von lokalen Expertinnen angewiesen.

Was wir noch gefragt hätten: «Herr Zuckerberg, wie werden Sie bei den Millionen von täglichen Datenströmen sicherstellen, dass bei den Kongresswahlen im Herbst nur Kampagnenleiter aus den USA mitwirken können? Wie möchten Sie die Herkunft aller Akteure überprüfen? Verschicken Sie als digitaler Konzern zur Verifikation jetzt tatsächlich Postkarten mit Codes an Ihre Werbekunden

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