Spuren des Geldes

Reden wir über Bestechung

Wo ist es schlicht eine Aufmerksamkeit? Und wo Korruption? Und wo zwar Korruption, aber eine Notwendigkeit? Überblick über eine Grauzone.

Von Mona Fahmy, 13.03.2018

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Für die einen ist es Schmiergeld, für die anderen eine nette Aufmerksamkeit. Schauen wir es uns mal pragmatisch an.

Reden wir über zwei konkrete Fälle

Fall 1: Stadler Rail

Die spanische Tochter von Stadler Rail verkaufte Diesellokomotiven an Südafrika – dabei flossen angeblich über 12 Millionen Franken an Schmiergeld. Der «Tages-Anzeiger» schilderte den Vorgang so: Der Lokomotivenhersteller Vossloh España verkaufte die Loks nicht direkt der staatlichen Bahngesellschaft, sondern über einen Zwischenhändler. Vom Zuschlag, den der verlangte, flossen 6,3 Millionen Franken an einen Anwalt der Regierungspartei ANC sowie an eine Freundin von Präsident Jacob Zuma. Zwischen 2014 und Oktober 2015 überwies Vossloh España laut «Tages-Anzeiger» dann weitere 5,9 Millionen Franken an die Firma eines ehemaligen hohen Staatsbeamten.

Stadler Rail wehrte sich, für die Zahlung habe man keine Anhaltspunkte. Man habe die Firma 2016 übernommen. Und davor alle Risiken prüfen lassen.

Für Profis war das keine sehr überzeugende Verteidigung. Bei einer Due Diligence prüft der Käufer zwar die Bücher und die rechtlichen Risiken, doch wenn die Checkliste abgearbeitet ist, gräbt man selten tiefer. Vossloh España erwähnte zwar das laufende Verfahren in Südafrika – aber gab eine Haftungsgarantie. Für Stadler Rail war der Fall damit wohl erledigt.

Bis er in den Medien auftauchte. Und wieder verschwand.

Fall 2: Novartis in Griechenland

Zwischen 2006 und 2015 soll Novartis in Griechenland zehn prominente Politiker bestochen haben, unter anderen den ehemaligen Ministerpräsidenten Antonis Samaras. Mit den angeblichen Schmiergeldzahlungen in der Höhe von 5 Millionen Euro soll sich der Pharmakonzern die schnelle Zulassung von Medikamenten und Preiserhöhungen erkauft haben.

Zwei Rechtshilfeersuchen sind beim Bundesamt für Justiz eingetroffen. Novartis sagt, man kooperiere mit den Behörden. Die angeschuldigten Politiker in Griechenland sprechen von einer Hexenjagd.

Die griechische Regierung beschuldigt Novartis zudem, Tausende Ärzte bestochen zu haben.

Die Zahlungen an die Politiker, sofern tatsächlich erfolgt, wären klar illegal. Zuwendungen von Pharmakonzernen an Ärztinnen sind allerdings weltweit üblich. Wie der «Beobachter» berichtete, zahlte die Pharmaindustrie Ärzten in der Schweiz allein im Jahr 2016 rund 155 Millionen Franken, 23 Millionen kamen von Novartis.

Nun: Wo liegen die Zahlungen im Bereich des Üblichen? Wo ist es eindeutig Bestechung? Und nach welchen Massstäben?

Reden wir über Gepflogenheiten

Das Dilemma, das international tätige Unternehmen in etlichen Ländern haben: Ohne Schmiergeld kein Geschäft.

Schmiergeld hat eine lange Tradition: Etwa in Afrika. Von den kolonialen Eliten erbte Afrika europäische Institutionen und Werte. Nur galten diese nicht für alle. Das Gesetz war da, um den weissen Herren zu dienen. Die lukrativen Jobs, Bildung und Wohlstand waren ihnen und ihrer Entourage vorbehalten. Wer etwas erreichen wollte, zahlte. Bestechung half. 

Dann kam die Unabhängigkeit, mitten im kalten Krieg. Fast überall übernahmen von Grossmächten unterstützte, finanzierte, bewaffnete Parteien oder Diktatoren die Macht. Und bildeten ihre eigenen elitären Kreise. Reich wird, wer zur richtigen Familie, zum richtigen Clan oder zur richtigen Ethnie gehört. Wer etwas erreichen will, zahlt. Bestechung hilft.

Dazu zählt in einer politisch instabilen Lage nicht der langfristige Gewinn: der Aufbau von Institutionen, Firmen, Geschäftsbeziehungen – von Vertrauen. Sondern der kurzfristige: Wenn man nicht weiss, was morgen kommt, holt man sich heute, was greifbar ist.

Im Nahen Osten und in Nordafrika beklagt sich zwar jeder und jede über die ausufernde Korruption. Als Teil des Problems sieht sich niemand. Das bisschen Steueroptimierung? Das Bakschisch fürs Ausstellen der Dokumente? Das gehört seit jeher dazu. In einigen Ländern ist es unmöglich, innert nützlicher Frist etwas Amtliches zu bekommen, ohne dem zuständigen Beamten den Lohn aufzubessern.

Die Faustregel ist: Je mehr Stempel man in einem Land braucht, desto mehr hängt die Einnahmequelle der Beamten von Schmiergeld ab. Zahlt man, stehen einem die Institutionen nicht im Weg. Wenn nicht, erhält man zwar auch, was man braucht, doch es dauert – manchmal jahrelang.

Zwar hört man offiziell überall Beteuerungen, man würde die Korruption nach den verschärften Vorgaben des Westens bekämpfen. Doch das Problem bleibt, dass man von den westlichen Kolonialmächten zwar die Institutionen übernahm – aber nicht deren Sinn und Zweck. Sie wurden (und sind) für die herrschende Verwaltung gebaut, nicht für die Bürgerinnen.

Das gilt nicht nur in Nahost und in Afrika, auch in Südamerika und in Asien, Kick-backs, Bares, Geschenke und Gefälligkeiten haben schon manchen die Türen geöffnet. 

Reden wir über Moral

Kurz: Jeder, der in anderen Ländern Geschäfte macht (oder auch nur dort lebt), betritt eine Grauzone.

Die praktischen Fragen sind: Wo ist es Usus? Tradition? Und wo sind die Grenzen überschritten? Dass Millionenzahlungen wie in Südafrika oder an die griechischen Politiker inakzeptabel sind, leuchtet ein. Was ist aber mit dem allgemein üblichen Bakschisch? Was, wenn es mehr sind als nur ein paar Franken?

Und dazu gilt: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Das gilt vielerorts auch fürs Geschäft. In manchen Ländern ist es unhöflich, ohne Aufmerksamkeit zum Treffen mit wichtigen Geschäftspartnern zu erscheinen.

Die philosophische Frage ist: Dem Rest der Welt westliche Moralvorstellungen aufzwingen zu wollen, ist arrogant. Wer ist der Westen überhaupt?

Die praktische Frage ist: Was passiert wohl, wenn eine Firma sich weigert, den Vertragspartnern eine Gefälligkeit zu erweisen? Kann sie das Geschäft dann vergessen? Die Antwort ist einfach. Entweder ist das Produkt so einmalig und die Nachfrage so gross, dass die Firma ohne Einbussen ethisch handeln kann. Oder, was oft wahrscheinlicher ist, die Konkurrenz kommt zum Zug.

Im Extremfall muss sich eine Firma entscheiden, ob sie mit reiner Weste aus dem Geschäft geht oder mit Schmiergeld überleben will. Faustregeln gibt es hier keine, rechtlich wäre die Sache klar. In der Praxis handeln manche Verantwortliche nach Gutdünken und aufgrund der Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Bei weniger Vorsichtigen fliesst das Schmiergeld direkt zum Empfänger. Oft wird aber ein dem lokalen Geschäftspartner oder Politiker nahestehender Anwalt, eine Treuhänderin oder ein Berater für irgendwelche Dienstleistungen entschädigt. Das Geld erreicht darauf auf Umwegen den Empfänger.

Aufs Geschäft zu verzichten, fällt nicht jedem leicht.

Reden wir über Scheinheiligkeit

Am massivsten setzen die USA und von ihr finanzierte Institutionen Länder unter Druck, die Korruption zu bekämpfen. Sie haben als Einzige die Macht zum Weltpolizisten.

Nur: Konsequent geht es in der Polizeistation nicht zu. Bisher hat noch jede US-Regierung ihren Unterstützern die Wahlkampfspenden mit geschäftlichen Vorteilen vergolten. Mehr oder weniger offensichtlich. Die Regierung unter Donald Trump bemüht sich nicht einmal mehr, die Vetternwirtschaft zu verbergen.

Und was ist mit uns in der Schweiz? Sind wir tatsächlich besser?

Machen wir uns nichts vor, auch bei uns erhalten Menschen Aufträge, Jobs oder Verwaltungsratssitze, weil sie jemandem zu einem geschäftlichen Vorteil verhalfen oder verhelfen werden – und nicht, weil sie ihren Job so gut machen.

Das Milizsystem der Schweizer Politik erdet die Parlamentarier und Parlamentarierinnen. Aber es ist auch nicht selten durch erstaunlich lukrative Mandate für erstaunlich unklar definierte Leistung eine Form der Korruption.

Und was Bestechung im Ausland betrifft, war die Politik der offiziellen Schweiz bis vor kurzem höchst lax: Bis 1999 konnten Unternehmen Schmiergeld an ausländische Beamtinnen legal von den Steuern abziehen. Erst dann wurde die Bestechung ausländischer Amtsträger im Rahmen der Revision des Korruptionsstrafrechts als Verbrechen im Strafgesetzbuch aufgeführt. Und der Bundesrat strich die steuerliche Abzugsfähigkeit. 

Schmiergelder an Private konnte man allerdings weiterhin von den Steuern abziehen. Legal. Daran änderte sich nichts – selbst als Privatbestechung 2006 im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) strafbar wurde. Da Privatbestechung kein Offizialdelikt war und nur auf Antrag von Geschädigten verfolgt wurde, mussten die Steuerämter nichts melden, falls sie in einer Steuererklärung bei Abzügen auf Schmiergeld stiessen. 

Damit ist seit kurzem Schluss. Im revidierten Korruptionsstrafrecht, das am 1. Juli 2016 in Kraft trat, steht Privatbestechung im Strafgesetzbuch und ist ein Offizialdelikt. 

Im Auslandgeschäft werden Unternehmen dennoch weiterhin nicht um Gefälligkeiten herumkommen, wenn sie bestimmte Aufträge bekommen wollen. Die Zahlungen laufen heute meist über Mittelsleute. Verbucht unter: Consulting-Aufwand. 

Aus Angst vor Strafe passiert dagegen Absurdes. Firmenleute schicken etwa Weihnachtspäckchen mit Schokolade zurück, weil der Wert des Päckchens das «sozial übliche» Limit für Geschenke übersteigt.

Auch ein Beitrag zur Korruptionsbekämpfung. 

Reden wir über Bestechung

Die Auswirkungen von Korruption auf ein Land sind massiv schädlich, keine Frage. Es ist richtig, sie zu bekämpfen. Nur: Es macht nicht den geringsten Sinn, Unternehmen unter Druck zu setzen, während man gleichzeitig korrupte Eliten mit viel Geld an der Macht hält, weil es den eigenen geostrategischen Interessen dient. Genauso gut kann man ein Kind dazu bringen, Spinat zu essen, während man selbst gleichzeitig einen Hamburger mit Pommes und Ketchup verzehrt.

Die Frage ist: Kann Korruption überhaupt wirksam bekämpft werden?

Hier verhält es sich wie beim Kampf gegen Geldwäscherei und Steuerhinterziehung: Er gelingt nur, wenn alle Staaten mitmachen. Ernsthaft mitmachen. Solange noch zu viele Menschen an der Macht sind, die direkt von Korruption profitieren, wird es zwar immer wieder grosse Fälle in den Schlagzeilen geben – samt rollenden Köpfen. Doch nachhaltig wird sich wenig ändern. Der kürzlich publizierte Korruptionsindex 2017 von Transparency International verdeutlicht auch, dass «die meisten Länder wenig oder gar keinen Fortschritt» im Kampf gegen Korruption machen.

Der Kampf gegen Korruption wird erst dann erfolgreich, wenn es in Regierungen und Wirtschaft genügend Vorbilder gibt. Derzeit sind es noch nicht so viele.

Bleibt die Frage: Wie würden Sie sich entscheiden? In welcher Lage würden Sie unter der Hand wie viel zahlen? Und was ist Ihr Preis?

Debatte: Und jetzt ganz ehrlich: Wie hoch ist Ihr Preis?

Sind Sie schon einmal bestochen worden, zumindest versuchsweise? Haben Sie selbst schon einmal bestochen? Und wenn nein, in welcher Lage würden Sie unter der Hand wie viel zahlen? Sowie last but not least: Was wäre Ihr Preis? – Hier gehts zur Debatte.

Illustration Friederike Henkel

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