Der Besuch der jungen Dame

Der Österreicher hält sich an Regeln. Ohne Wenn und Aber. Doch dann kam ein kosovarisches Mädchen und brachte das Land in Aufruhr. Ein Sittenbild.

Von Solmaz Khorsand (Text) und Paul Kranzler (Bilder), 23.02.2018

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

Frankenburg im Hausruckviertel, zwischen Linz und Salzburg. Eine ganz normale österreichische Gemeinde.

Recht und Ordnung sind dem Österreicher wichtig. Und was dem Österreicher wichtig ist, ist dem Frankenburger heilig. Frankenburg am Hausruck, Oberösterreich, 4800 Einwohner, 70 Vereine, ein Schloss und ein Museum. Das ist Österreich. Hier zeigen die Einheimischen, warum das Alpenvolk so tickt, wie es tickt. Und vor allem, warum es immer wieder austickt.

Ausgestorben ist dieses Frankenburg. Eine Schlafgemeinde, sagen die Einwohner. Hier gibt es keine Industrie, keinen Fremdenverkehr und kaum Landwirtschaft. Nur einen verwaisten Ortskern, durch den Lkw donnern, drei Gasthäuser, die sich mit ihren Ruhetagen abwechseln, und zwei Musikkapellen. Mit dem Auto ist man in einer Stunde in Linz.

Die heimische Blaskapelle walzt heim nach getaner Arbeit in der Aussegnungshalle.
Alle zwei Jahre findet unter der grossen Linde das «Frankenburger Würfelspiel» statt.

Seit einem halben Jahrhundert regieren die Sozialdemokraten in Frankenburg. Eine rote Arbeiterhochburg, jubeln sie. Trotzdem wählen die Bewohner überregional die FPÖ. Egal ob für das Amt des Bundespräsidenten oder für die Vertreter auf der Regierungsbank. Aus Protest, sagen die Frankenburger. Weil sich etwas ändern muss. Weil es so nicht mehr weitergeht.

Enttäuscht sind die Frankenburger vom österreichischen Staat. Weil er sich nicht immer an Recht und Ordnung hält. Weil er Ausnahmen macht. Und sich ausgerechnet Frankenburg ausgesucht hat, um damit anzufangen. Datum des Niederganges ist der 26. September 2007. Es ist jener Tag, an dem ein Mädchen aus Kosovo den österreichischen Rechtsstaat herausforderte. Und gewann.

Ihr Name ist Arigona Zogaj.

Berühmt und berüchtigt

Den Namen hört man ungern in Frankenburg. Hier nennt man sie nur bei ihrem Vornamen. «Die Arigona», sagen sie. Es ist ein unangenehmes Kapitel in der lokalen Chronik. Für jene, die sich für sie eingesetzt haben. Und vor allem für jene, die es nicht getan haben. «Wegen der Arigona ist Frankenburg erst berühmt und berüchtigt geworden», brummt Franz Janschitz. Es ist Montagabend in seiner Würstelbude am Sportplatz. Hier im Drive-by-Imbiss treffen sich die Frankenburger zum Kartenspielen, Politisieren und Biertrinken. Es riecht nach Zigaretten und Wurst, nach der würzigen Bosna-Wurst, der Spezialität des Hauses. Immer wieder sind die Journalistinnen in Janschitz’ Holzbude gepilgert, um nach dem hübschen Mädchen mit den langen braunen Haaren zu fragen. Fünf Jahre lang. Jeder kennt hier ihre Geschichte und das, was daraus gemacht wurde. Ein Mythos.

Ganz Frankenburg trifft sich in Franz Janschitz’ Würstelbude.
Besonders beliebt ist die würzige Bosna-Wurst, die man sich zu jeder Tageszeit abholt.

Mit acht Jahren floh Arigona Zogaj mit ihrer Familie aus Kosovo nach Österreich. Mit fünfzehn sollte sie in die Heimat der Eltern abgeschoben werden. Arigona weigerte sich. Die Teenagerin wollte nicht «zurück». Sie lebte in Frankenburg, ging hier zur Schule, tanzte hier in knappen Tops mit ihren Freunden und sprach besser Deutsch als Albanisch. Dem Staat war das egal. Als die Fremdenpolizei sie mit ihren Eltern und den vier Geschwistern am 26. September 2007 abholen wollte, war die Jugendliche verschwunden. Untergetaucht.

Aus ihrem Versteck schickte das Mädchen mit den dunklen Augen eine Videobotschaft. «Ich will jetzt niemanden erpressen. Das mit dem Selbstmord habe ich ernst gemeint. Wenn ich zurück muss, dann bring ich mich lieber um, weil unten habe ich keine Zukunft», liess sie die Öffentlichkeit im breiten Oberösterreichisch wissen.

Das sass. Österreich war von nun an gespalten. In die einen, die sie unterstützten, Demonstrationen organisierten und den Innenminister anflehten, der Familie humanitären Aufenthalt zu bewilligen. Und in die anderen, die dafür plädierten, dass der Staat ein Exempel statuieren müsse. Dass Recht Recht bleiben müsse, so, wie es der Innenminister versprochen hatte. Ausnahmslos.

Würfeln um Leben oder Tod

«Alle haben gewusst, wo die Arigona ist. Und keiner hat was verraten. Wie geht das?», sagt Franz Janschitz. Mit dem langen weissen Bart und dem grauen ausgewaschenen T-Shirt sieht er aus wie der Weihnachtsmann der Hells Angels. Genervt wandert der 72-Jährige hinter die Theke. Immer noch empört ihn die Wurschtigkeit der Behörden und der Leute. Wie es möglich war, dass eine 15-Jährige einem Staat auf der Nase herumtanzen konnte. Und er ist wütend auf die Medien und das Image, das sie von Frankenburg in die Welt transportierten. Als «Gemeinde mit Herz» wurde Frankenburg verkauft, nur weil einige glaubten, sich solidarisch mit dem Mädchen zeigen zu müssen.

Imbisswirt Franz Janschitz spielt im «Frankenburger Würfelspiel» den Henker.

Zehn Tage nachdem die Polizei vor Arigonas Tür gestanden war, demonstrierten hunderte am Frankenburger Marktplatz gegen die Abschiebung der Familie. Ein «Zeichen der Frankenburger Zivilgesellschaft», herzten die Zeitungen. «Das waren keine Frankenburger. Die kamen von ausserhalb», will Janschitz klarstellen. Die Männer in der Würstelbude pflichten ihm bei. Keine echten Frankenburger sollen bei dieser Demonstration mitmarschiert sein. Ihre Haltung war eine ganze andere: abschieben ohne Wenn und Aber. Was Recht ist, muss Recht bleiben.

Seit Jahrhunderten ist die Gemeinde bekannt für juristische Präzision. Seit 1625. Damals rebellierten protestantische Bauern gegen den katholischen Statthalter des Kaisers. Er machte kurzen Prozess mit den Aufständischen. Wenn auch kreativ. Die Bauern durften um ihr Leben würfeln. Wer gewann, war aus dem Schneider. Wer verlor, wurde hingerichtet. Als «Frankenburger Würfelspiel» ging das sadistische Strafgericht in die Geschichte ein. Alle zwei Jahre wird es unter der grossen Linde am Würfelspielgelände im Ort mit 700 Laiendarstellern nachgespielt. Imbisswirt Janschitz hat dabei eine der wichtigsten Rollen. Er ist stolz darauf, hat er sie sich doch hart erarbeitet. Er spielt den Henker.

Ortsansicht Frankenburg.
700 Laien spielen alle zwei Jahre beim «Frankenburger Würfelspiel» mit.

Geht er auf in seiner Rolle? «Das ist ja nur ein Spiel», sagt Janschitz. «Früher waren die Menschen Leibeigene und mussten tun, was ihnen gesagt wurde.»

An dieser Einstellung hat sich nicht viel geändert. Nicht in Österreich. Und definitiv nicht in Frankenburg. Komme, was wolle. An Regeln muss man sich halten.

Das lebende schlechte Gewissen

Wie sehr, sollte auch Paula Hengl bis zu ihrem Lebensende nicht vergessen. In der Nazizeit verliebte sich das damals 17-jährige Bauernmädchen in einen jüdischen Zwangsarbeiter aus Polen, der auf ihrem Hof arbeiten musste. Einer Nachbarin missfiel das. Sie verriet das Mädchen. Statt die Sache unter den Tisch zu kehren, meldete der Ortsleiter die «Rassenschande» nach Linz. Von dort kam die Order: Hinrichtung. Alle Zwangsarbeiter im Dorf wurden zusammengetrommelt, um den jungen Juden am Galgen hängen zu sehen. Paula Hengl kam zur Strafe für ein Jahr ins KZ. Danach kehrte sie zurück nach Frankenburg. Und alle taten so, als sei nichts gewesen.

Ortszentrum Frankenburg.

Johann Gebetsberger presst die Lippen zusammen. Der Schuldirektor sitzt in seinem Büro im Gymnasium in Vöcklabruck, einer Kleinstadt wenige Kilometer von seinem Heimatort Frankenburg entfernt. Jahrelang hat er Paula Hengls Geschichte verfolgt. «Sie war das lebende schlechte Gewissen», sagt er. «Natürlich haben alle gewusst: Wenn man die Paula nicht verraten hätte, wäre niemand zu Schaden gekommen.» Wer sie sah, wurde an die eigene Verantwortung erinnert. Gar Mitschuld.

Bis zu ihrem Tod 2005 hat Gebetsberger Paula Hengl aufgesucht. Sich bemüht, ihr Leben zu rekonstruieren, eine Diskussion in der Bevölkerung anzuregen über Recht und Unrecht und vielleicht sogar einen Gedenkstein zu errichten, in der Waldlichtung, wo Paulas Michael ermordet wurde. «Lasst die arme Frau in Ruhe, damit sie ihre Schuld abschliessen kann, haben sie gesagt», erzählt Gebetsberger. «Selbst fünfzig Jahre danach war sie immer noch die Schuldige, weil sie sich auf diese Beziehung eingelassen hatte.» Immer noch irritiert ihn diese Haltung.

Kollektive Kontrolle

Gebetsberger, 58, kariertes Hemd, graues Sakko, sitzt für die Alternative Liste im Gemeinderat, einen Ableger der Grünen. Seit Jahrzehnten begreift er sich in der Rolle des Aufklärers. Egal ob im Gemeinderat oder als Regisseur beim «Frankenburger Würfelspiel». Ein gescheiter Mann sei er, der Gebetsberger, sagen die Frankenburger, aber leider halt ein Grüner.

«Die Menschen würden alles wieder machen», sagt Schuldirektor Johann Gebetsberger.

Es war auch Gebetsberger, der die erste Demonstration in Frankenburg organisierte. Die Demonstration für das kosovarische Mädchen Arigona. «Danach ist die Stimmung in Frankenburg gekippt», erinnert er sich.

Gerüchte kamen auf. Dass die arme Arigona gar nicht so arm sei. Dass sie stehle. Dass die älteren Brüder gewalttätig seien. Bis heute halten sich diese Gerüchte. Am beliebtesten ist dieses: dass Arigona ihr Promi-Status zu Kopf gestiegen sei und sie überall eine Sonderbehandlung verlange: «Wissen Sie nicht, wer ich bin?»

Eine seltsame Dynamik hätte sich in Frankenburg entwickelt, erzählt Gebetsberger. Das ging so weit, dass angefeindet wurde, wer Arigona half. Christian Limbeck-Lilienau etwa, den alle im Ort «Baron» nennen, ihm gehört das Schloss in Frankenburg. Er hatte Arigonas Familie bei ihrer fünfjährigen Asyl-Odyssee für zwei Jahre eine Wohnung in seinem Schloss angeboten. Die Frankenburger mochten das gar nicht. Bald bekam der Baron kein Benzin mehr an der Tankstelle. So sieht kollektive Kontrolle aus.

Fasching in Frankenburg.

Johann Gebetsberger presst wieder die Lippen zusammen. Ernüchtert haben ihn diese Geschichten. «Ich bin leider zur Meinung gekommen: Die Menschen würden alles wieder machen», sagt er.

Was haben die Unsrigen?

Dieses Gefühl beschleicht auch Erni Preuner im Dezember 2015. Damals besucht sie eine Informationsveranstaltung im überfüllten Kulturzentrum. 700 Leute sind gekommen, die Stimmung ist aufgeheizt. Der Grund: ein geplantes Asylquartier für 250 Flüchtlinge. Eine Frechheit sei das, einer kleinen Gemeinde dieses Zentrum aufbürden zu wollen. Und überhaupt. Das seien doch gar keine richtigen Flüchtlinge. Das seien Wirtschaftsflüchtlinge, die stehlen und vergewaltigen. Vielleicht auch noch ein paar Terroristen, wer weiss. «Da habe ich mich zum ersten Mal für Frankenburg geschämt», sagt Erni Preuner. Sie ist eine zierliche Frau mit kurzen dunkelroten Haaren und ernsten Augen.

«Uns geht es doch so gut. Wir wissen doch gar nicht, was Krieg ist», sagt sie. Ihre Freundinnen hören konzentriert zu. Normalerweise sprechen sie nicht über Politik, wenn sie sich montagabends im «Patrix» verabreden, einer Lounge, wo sich die Frankenburger treffen, wenn sie sich etwas gönnen wollen. So wie diese sechs Frauen, alle Mitte fünfzig, verheiratet, Kinder. Montag ist ihre Auszeit von Job, Familie und Alltag. Sie sind hier, um abzuschalten, vielleicht noch, um einen Cocktail im schummrigen Vorraum zu schlürfen, bis sie sich ins Hinterzimmer zurückziehen und Line Dance tanzen. «Da braucht man keinen Partner. Das geht auch ohne Mann», sagen sie und lachen. Ihre Ehemänner sind es, die am Stammtisch immer gescheit über Politik sprechen. Heute machen sie es zur Abwechslung.

«Es geht nur um Neid», sagt Erni Preuner.

«Nein, es geht um Unrecht!», kontert Iris Wiener. «Die Unsrigen haben doch auch nach dem Krieg ihr Land aufgebaut. Das sollen die da unten auch machen.»

Erni Preuner schaut auf den Boden.

«Die haben die Nikes und die Levis-Hosen. Und was haben die Unsrigen?», schiesst ihre Freundin nach. «Nichts. So gehen sie dann auf der Strasse herum.» Sie steht auf, reckt den Kopf, steckt die Hände in die Hosentaschen und stolziert mit aufgeblasenem Brustkorb herum. «Genau so», sagt sie.

Montagabend tanzen die Frankenburgerinnen Line Dance im «Patrix».

Preuner fährt sich durch die kurzen Haare. Sie verachtet Pauschalisierungen. Mit ihrem Sohn, einem Stadtplaner, spricht sie immer wieder über die grossen Zusammenhänge. Sie weiss, es ist nicht alles so einfach. Es ist nicht alles schwarz-und-weiss. Gut oder böse.

Und wie halten es die Frauen mit Frankenburgs berühmtestem Flüchtling, Arigona? Nun verzieht selbst Preuner den Mund. «Na gut. Die ist kein gutes Beispiel», sagt sie. «Sie hat die Situation ausgenutzt. Die war wirklich eine Rotzpiepn.»

Unter Lemmingen

Die Rotzpiepn hat die Schule abgeschlossen, die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen und studiert jetzt Jura in Linz. Jura, «damit ich weiss, was mir da passiert ist», wiederholt Rosa Kienast die Worte von Arigona. Ihres einstigen Schützlings.

Drei Wochen hat Arigona bei ihr gelebt, in einem Einfamilienhaus in Ungenach, einem Ort nicht weit von Frankenburg entfernt. Kienast grinst. Sie ist 72 Jahre alt und war bis zu ihrer Pensionierung Religionslehrerin. Sie hat es sich in der schmalen Essecke im Vorraum ihrer Küche gemütlich gemacht. Aufregend und aufreibend sei die Zeit damals mit Arigona gewesen. Kienast erinnert sich an jedes Detail. An die Nacht, als der Anruf kam und ihr Lebensgefährte auf den Parkplatz eines Einkaufszentrums gelotst wurde. Dort traf er den Kontaktmann, der ihn zu Arigona führte. Um 3 Uhr morgens rief er bei ihr an: «Kannst du bitte ein Bett herrichten? Wir sind zu zweit.»

Ihr Partner ist Josef Friedl, Pfarrer Friedl. Seit vierzig Jahren sind die beiden ein Paar. In Ungenach wusste jeder von ihrer Beziehung und hat sie toleriert. Und das, noch ehe er sie 2009 öffentlich machte und die Kirche ihm die Verantwortung über mehrere Pfarrgemeinden entzog. Nur die Pfarre in Ungenach durfte er behalten. Zu beliebt war er hier.

Pfarrer Josef Friedl hat bis vor einem Jahr die Familie Zogaj finanziell unterstützt.

Josef Friedl lächelt. Sein Lächeln ist ein bisschen schief. Vor acht Jahren hatte er einen Schlaganfall. Seitdem sitzt der 74-Jährige im Rollstuhl. Er hat sich zurückgezogen aus dem Tagesgeschehen. Er habe keine Kraft mehr, sagt er. Früher hat er immer den Mund aufgemacht, wenn Dinge in die falsche Richtung liefen. Das haben ihn sein Vater und sein Glauben gelehrt. Nie wollte er sich hinter der Kanzel und dem Kollar verstecken, wie das viele Kollegen machen.

Er wollte Nächstenliebe leben, und das ohne Kompromiss. In den 1980er-Jahren nahm er Flüchtlinge aus Polen auf. 1993, als die FPÖ zum Ausländervolksbegehren aufrief, stellte Friedl ein Schild auf: «Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.» Frei nach dem Matthäus-Evangelium. Am Tag darauf hatten Unbekannte das Schild beschmiert und seine Autoreifen zerstochen.

Die Revolution des Pfarrers

«Du warst immer schon ein Revoluzzer», sagt Rosa Kienast. Sie übernimmt das Sprechen für ihren Mann, sie weiss, dass es ihn ermüdet. «Erinnerst du dich, als sie dich zum 65. Geburtstag gefragt haben, was du noch vorhast? Erinnerst du dich, was du da gesagt hast? Vielleicht mache ich noch einmal Revolution, hast du gesagt. Und dann kam die Arigona.» Kienast kichert. Friedl lächelt.

Arigona war seine Revolution. Er holte sie nach einer Woche aus ihrem Versteck und wurde zu ihrem Pressesprecher. Er machte Druck auf Politik und Medien. Viel Zuspruch bekam er dafür. Selbst der Bundespräsident sprach ihm seine Anerkennung aus. Doch dann kippte die Stimmung. Friedl blieb allein und wurde von oberster Stelle verleugnet. Keiner wollte riskieren, sich seinen Ruf zu ramponieren, weil er eintrat für das kosovarische Mädchen. Schliesslich waren ja Wahlen zu gewinnen. Von den Hassmails und den Morddrohungen erfuhr Rosa Kienast erst später. Auch vom Strick, den man Friedl geschickt hatte, erzählte er ihr lange nichts.

Nun beobachtet er das aktuelle Geschehen aus der Ferne. Wie sie wieder gegen Menschen hetzen. Wie sie wieder von den «Unsrigen» und den «Ihrigen» sprechen. Das habe es doch schon einmal gegeben. Das habe es viel zu oft in Österreich gegeben. Und trotzdem. Josef Friedl bleibt optimistisch. Nein, er sei nicht enttäuscht von seiner Gemeinde. Obwohl sie auch in Ungenach mehrheitlich die Rechtspopulisten wählten, im Oktober 2017, bei der jüngsten Nationalratswahl.

«Das, was in den Leuten drinnen ist, lässt sich so schwer wegtun. Der Österreicher ist so. Der ist nur so geprägt», philosophiert Rosa Kienast. «Ganz werden wir es nie wegkriegen. Nur langfristige Erziehung kann etwas bewirken. Man muss eine Einstellung bekommen, warum ich etwas tue und warum nicht», ergänzt Friedl. Es klingt versöhnlich.

Sie bleiben hoffnungsvoll. Dass die Leute auch anders können, haben sie bei Arigona bewiesen. «Hier in Ungenach haben alle brav zu uns gehalten. Keiner hat verraten, dass sie bei mir lebt», erzählt Rosa Kienast. «Das hat mich überrascht.»

So geht es manchmal eben auch. Auch in Österreich. Trotz aller Regeln.

Debatte: Warum tickt Österreich so rechts?

Seit dem 18. Dezember sitzen mit Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) Rechtspopulisten auf Österreichs Regierungsbank. Sie erhielten bei der Nationalratswahl knapp 58 Prozent der Stimmen. Was läuft falsch in einer reichen Demokratie, die sich so eine Spitze wählt? Diskutieren Sie mit Autorin Solmaz Khorsand – hier gehts zur Debatte.

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!