Breaking News: Wir sind nun eine mittlere Rebellion

1. Mai 2017 12 Uhr

Sie sind nun über 10 000 Mitglieder, zukünftige Leser, zukünftige Verlegerinnen. Merci, über 10 000 Mal!

Damit ändert sich der Status unseres gemeinsamen Unternehmens. Noch letzten Mittwoch schrieben wir: «Die Republik ist eine kleine Rebellion für Journalismus. Und gegen die Grossverlage.» Doch über 10 000 Leute sind keine kleine Rebellion mehr. Sondern eine mittlere.

Die Republik wuchs derart schnell, dass wir im Hotel Rothaus kaum Zeit hatten, durchzuatmen. Zwar vermuteten ein paar Leute, dass bei uns seit Tagen die Korken knallten. Schön wärs. Geknallt haben sie nur für fünf Minuten, letzten Mittwoch. Als wir das Minimalziel erreichten: die eigene Existenz. Es gab ein kurzes Hurray! Und ein paar lange Umarmungen. Und dann ging es zurück an die Arbeit.

Jetzt wissen wir, wie sich unerwarteter Erfolg anfühlt: struppig. Wenn Sie Ende Woche bei uns vorbeigekommen wären, hätten Sie ein gutes Dutzend Leute angetroffen, die aussahen, als hätten sie unter der Brücke geschlafen. Oder – im Fall unserer IT-Crew – überhaupt nicht.

Und so ist es auch. Wir fühlen uns nicht als Siegerinnen, sondern als Überlebende. Sie haben uns in wenigen Tagen ein überwältigendes Vertrauen ausgesprochen. Und ein Mandat gegeben: ein neues Modell für den Journalismus aufzubauen, kompromisslos in der Qualität, finanziert von den Leserinnen, ohne Werbung und ohne Bullshit.

Und Hölle ja, darüber freuen wir uns, Müdigkeit hin, Müdigkeit her. Wir freuen uns sogar sehr. Es wird keine kleine Aufgabe, Sie mit einem journalistischen Produkt zu überzeugen statt nur mit einem Plan. Immerhin sind Sie über 10 000. Aber es ist ein echtes gemeinsames Abenteuer. Wir werden alle Neuland betreten.

Die Zahl 10 000, gebildet aus vielen Portrait Fotos in Schwarz-Weiss

Bis Ende Mai läuft das Crowdfunding. Wir werden kreuz und quer durchs Land reisen, als wären wir die Flipperkugeln und die Schweiz der Kasten. Weil wir mit möglichst vielen von unseren zukünftigen Leserinnen reden wollen. Dann folgen zwei Wochen Schlaf und 6,5 Monate Aufbau. Wir müssen eine möglichst schöne, schlanke, einfache IT bauen (die Druckmaschine des 21. Jahrhunderts). Und eine möglichst schlagkräftige Redaktion gründen, gemischt nach Erfahrungen, Kenntnissen, Männern und Frauen. Und ab Januar 2018 geht es los.

Aber das ist Zukunft. Übers Wochenende hatten wir erstmals etwas Zeit zum Nachdenken. Und uns wurde klar, dass wir den Run auf die Republik keineswegs nur der Leistung der Kerncrew verdanken. Und auch nicht nur unserer rund fünf Dutzend Beraterinnen und Helfern im Hintergrund. Sondern auch der Leistung von unzähligen Journalistenkollegen. Und zwar nicht ihrer schlechten Leistungen. Sondern ihrer exzellenten.

Denn ohne dass man hervorragende Arbeit kennt, gibt es auch kein Bedürfnis nach ihr. Nur naive Leute wünschen sich schwache Konkurrenz. Denn im Journalismus wie im Leben ist man nur so gross wie die Leute an den Nebentischen – mal ein paar Zentimeter grösser, mal kleiner. Wer immer sich unter Zwerge begibt, um ein Riese zu sein, schrumpft schnell.

Insofern verbeugen wir uns offiziell vor der Konkurrenz. Sie macht unter harten Bedingungen oft hervorragende Arbeit: die Schweizer Seiten der «Zeit» etwa. Oder die WOZ, die mit dem monströs langen Islamistenporträt den Artikel des Jahres brachte. Oder der «Schweizer Monat», der es schaffte, den engen Gürtel der eigenen Ideologie zu sprengen, und der immer liberaler wird.

Sie alle schreiben regelmässig beneidenswerte Artikel – und beneidenswert schwarze Zahlen.

Aber auch die grosse Konkurrenz ist besser als ihr Ruf. Der «Tages-Anzeiger» etwa hat einen herausragenden Hintergrundteil und mit dem Quartett Loser/Cassidy/Häfliger/Lenz das schlagkräftigste Inland-Ressort seit Jahrzehnten. Und die NZZ hat zwar die Neigung, die Welt wie ein Theaterkritiker zu behandeln: Die Wirklichkeit wird hart getadelt, wenn sie nicht dem Lehrbuch entspricht. Aber ihre Breite und Sorgfalt bleiben vorbildlich. Und ihr Verlag ist der letzte der drei Grossverlage, der radikal auf Publizistik setzt.

Ebenso haben wir Respekt vor der AZ-Gruppe: Die Wanner-Familie ist die letzte echte Verlegerdynastie des Landes. Wie alle echten Verleger hat sie eine Leidenschaft für das Portemonnaie, aber auch für verlegerische Kühnheit: Watson, die «Schweiz am Wochenende» oder die «Aargauer Zeitung» sind von Ehrgeiz geprägt.

Selbst die SVP-nahe Presse leistet immer wieder Exzellentes. Die «Weltwoche» etwa mit der Recherche, die den SVP-Bundesratskandidaten Bruno Zuppiger abschoss. Oder kurz vor seinem Tod ein letztes Porträt des Literatur-Nobelpreisträgers Dario Fo brachte, geschrieben als Dario-Fo-Drama: Es war ein kleines Meisterwerk.

Wir von der Republik sind dagegen, einfach aus Prinzip Dinge schlecht zu finden, selbst wenn man die Urheberin nicht mag. Oder die Leistungen der Konkurrenz kleinzureden. Und wir hoffen, dass unsere Leser, Abonnentinnen und Verleger das auch so halten. Denn ein klarer Blick auf die Welt braucht zwei Dinge: Genauigkeit und Grosszügigkeit – eigentlich sind beide dasselbe.

Wir sind überzeugt, dass die mittlere Rebellion unserer zukünftigen Leser sich nicht gegen die Journalistinnen richtet. Sondern für sie einsteht. Und für ihre Arbeit. Der durchaus spürbare Zorn hinter der Rebellion richtet sich gegen die Urheber der Unzufriedenheit: das Management der grossen Verlage.

Denn dieses schafft Bedingungen, unter denen vernünftiger Journalismus nicht mehr möglich ist. So etwa entstanden Online-Tretmühlen, wo junge Journalisten ein bis drei Artikel pro Tag schreiben – bei diesem Ausstoss würde selbst ein Pulitzer-Preisträger keine vernünftige Arbeit machen. Die Karriere der Jungjournalistinnen sieht dann so aus: Sie verrichten ein paar Jahre anonyme Akkordarbeit, bevor sie ausgebrannt den Beruf wechseln. Und niemand wusste, dass sie da waren.

Oder: In grossen Zeitungen werden immer mehr Funktionen auf eine schrumpfende Anzahl von Leuten verteilt – ohne Budget. Das Organisationsmodell dieser Zeitungen gleicht dann einem Ehepaar mit zu kurzer Bettdecke (einfach mit 150 Leuten): Wo immer man gerade ein Körperteil bedeckt, wird an einer anderen Stelle einer frei.

Oder: In seriösen Wirtschaftszeitungen wird zunehmend über «Konvergenz» gesprochen. Und damit ist nicht mehr die Konvergenz von Print und Online gemeint. Sondern die Konvergenz zwischen Redaktion und Werbeabteilung. In den gemeinsamen Sitzungen fallen dann Sätze wie: «Über Salt dürft ihr ab jetzt wieder kritisch schreiben – die schalten keine Inserate mehr.»

Das Unfaire daran ist, dass dafür nicht die Chefetage, sondern die Journalisten geradestehen müssen. Wird eine Zeitung kaputtgespart oder kaputtorganisiert, merkt man das als Leser oder Leserin nur langsam. Sie wird einfach immer nur etwas dünner und grauer. Eine Zeitung stirbt nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln. Wird sie dann eingestellt, weint ihr kaum jemand eine Träne nach – weil die Redaktion ja schon lange schlechte Arbeit machte. Dabei war das nicht das Versagen der Journalisten, sondern ein Managemententscheid Jahre vorher.

Deshalb:

Verlagsmanager, Verlagsmanagerinnen! Gegen euch richtet sich diese mittlere Rebellion der Republik! Denn ihr vergesst eure Verpflichtungen. Die Verpflichtungen gegenüber den Leuten, die bei euch arbeiten, damit sie die Chance haben, überhaupt gute Arbeit zu tun. Gegenüber euren Lesern und Leserinnen, die nicht mit halbfertiger Ware beliefert werden wollen. Und gegenüber der Öffentlichkeit: Denn auch in einer Demokratie werden durch schlechte Informationen schlechte Entscheidungen gefällt.

Wir von der Republik wissen, dass eure Aufgabe nicht leicht ist. Die Inserate verschwinden im Netz, damit Umsatz und Einnahmen. Wir verstehen, dass hart kalkuliert werden muss. Dass euer Job vielleicht der schwierigste in der ganzen Branche ist. Aber das rechtfertigt nicht, ihn schludrig zu tun. Unser Vorschlag wäre: 1. Redet vor euren Entscheiden mit der Redaktion – was braucht sie, was nicht, um gute Arbeit zu tun? 2. Spart – aber klug, mit teilweisem Ausbau. Konzentriert die Kräfte, wo euer Produkt sinnvolle und exzellente Arbeit tun kann – und streicht bei dem Rest. 3. Teilt dann euren Leserinnen und Lesern mit, was ihr tut, warum ihr es tut, wie ihr es tut – sie werden es verstehen.

In der Krise zeigt sich, wer Kopf und Herz hat. Es ist Zeit, sich zu bewähren.

Jedenfalls, geehrte Kolleginnen Journalisten, geehrte Kollegen Verlegerinnen: Die Republik hat alles Interesse an eurem Wohl. An einer starken, brillanten, tatkräftigen Konkurrenz. Denn man lebt und arbeitet nie allein. Und man wächst nur gemeinsam.

Wir von der Republik wünschen euch nur das Beste.

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