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Journalist im Fast-Ruhestand
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Wir geniessen ein Höchstmass an individueller Freiheit, und doch sind autoritäre Bewegungen im Aufwind. Wie ist das möglich? Das frage ich mich schon lange, daher interessierte mich der Artikel sehr. Leider habe ich nur Englich und Geografie studiert und nicht Soziologie und Philosophie. Deswegen kann ich mit Sätzen wie "Indem man seine eigene Freiheit zu einem kuriosen Quasi-Absolutum erhebt – mit einem illiberalen, autoritären Affekt, aber in ideologischem Gleich­klang mit den individualistischen Grund­tendenzen unserer Zeit" wenig bis nichts anfangen. Insofern hat mir der Artikel nur gezeigt, dass ich verständlichere Quellen suchen muss, um Hinweise zu erhalten, warum ein Höchstmass an individueller Freiheit den Aufwind autoritärer Bewegungen nicht ausschliesst.

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Ich wage mal: Vielleicht weil dieses Höchstmass an individueller Freiheit auch überfordert, langfristig anders in Frage stellt und daher nach einer Leitplanke gerufen werden muss, egal aus welchen Latten die gerade gebaut ist. Wenn sie nur die Hoffnung nicht zerstört, zu halten was sie zu halten verspricht. Huch, ich schweige jetzt wieder :-)

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Danke für diesen spannenden und anregenden Lektüre-Hinweis, dessen gute Zusammenfassung zu Überlegungen und Gedankengänge in viele Richtungen hin anregt.
Dass auch in diesem sehr erhellenden Ansatz der beiden AutorInnen über die gekränkte Freiheit Widersprüche und Konfusionen auftreten, ist nicht zu vermeiden. Sie hängen mit der letztlich unüberschaubaren Komplexität unseres Lebens und unserer Gesellschaften zusammen. Wir können immer nur einzelne Aspekte ans Licht holen.
Auf einen weiteren Aspekt möchte ich noch hinweisen: Kürzlich habe ich im Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Situation einen Kommentar gelesen, in dem jemand behauptete, dass er nie mehr, unter keinen Umständen, eine Maske tragen werde.
Ich sah bei diesen Worten ein quengelndes K. vor mir.
Die exzessive und auch absurde Verteidigung individueller Freiheiten einerseits und die gleichzeitige Faszination von Autoritäten und autoritärer Bewegungen andererseits mahnt sehr an das Verhalten Pubertierender. Irgendwie scheinen unsere Gesellschaften in der Pubertät steckengeblieben zu sein.
Wie können Gesellschaften erwachsen werden?

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Das Umgehen mit der eigenen Ignoranz, die einer hochkomplexen Welt gegenübersteht, finde ich auch einen zentralen Punkt. Historiker Yuval Harari hat es in einer Buchzusammenfassung einmal sehr treffend geschrieben:

The world is becoming ever more complex, and people fail to realize just how ignorant they are of what’s going on. Consequently some who know next to nothing about meteorology or biology nevertheless conduct fierce debates about climate change and genetically modified crops, while others hold extremely strong views about what should be done in Iraq or Ukraine without being able to locate them on a map. People rarely appreciate their ignorance, because they lock themselves inside an echo chamber of like-minded friends and self-confirming newsfeeds, where their beliefs are constantly reinforced and seldom challenged.

Hyperindivdualismus ohne Anerkennung der eigenen Beschränktheit scheint mir eine ungesunde Mischung um in einer Welt zu überleben, die uns kollektive Efforts abverlangt.

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Sehr einverstanden! Oder anders gesagt: wir wissen – vielleicht –, was wir wissen. Wir wissen – hoffentlich –, was wir nicht wissen. Wir wissen nicht – vermutlich –, was wir wissen. Wir wissen nicht – ziemlich sicher –, was wir nicht wissen.

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Der Individualismus ist die Kernbotschaft der Werbung. Werbung ist omnipräsent in unserem Leben und sie wird laufend aufdringlicher, eindringlicher und es ist fast unmöglich ihr zu entgehen.
Jede Generation wird stärker damit belastet als die Vorherige. Waren es in meiner Kindheit nur Anzeigen in Druckerzeugnissen und auf Plakaten im öffentlichen Raum, einen Fernseher hatten wir nicht, ist es für meine Kinder ein steter Strom auf allen Kanälen, den sie fast nicht mehr bemerken.
Die Botschaften kommen allerdings trotzdem an.

Wenn man einen Schritt Abstand nimmt und das heutige Leben mit diesem Gedanken im Hinterkopf betrachtet, muss man fast zum Schluss kommen, dass die Indoktrinierung durch Werbung unvergleichlich viel umfassender ist, als es die von religiöser und staatlicher Seite jemals war.

Selbst die chinesischen und russischen Propagandakanäle sind wesentlich unaufdringlicher als die Werbung. Und das sollte uns doch zu Denken geben, zumal die Werbung noch viel schamloser lügt als xi und putin.

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Erst ein erwachsener Mensch kann Freiheit zentral als sozial erkennen. Meines Erachtens geht es eherum eine Phase der Dekadenz, die wir durchlaufen, die des kindisch gebliebenen Egos, das nie durch den reinen Druck der Verhältnisse (oder ganz einfach Erziehung) gezwungen war, angemessen sozial reife Verhaltensprozesse in sein Leben integrieren zu lernen. Ironischerweise konnte sich dies nur in Gesellschaften mit hohem Standard des Sozialstaates entwickeln! Deshalb verschwindet das Phänomen auch spätestens dann, wenn der Staat nicht mehr liefert;-)
Die"gesunde" Entwicklung zum Wert des Individuums und des "Privaten" ist ja seit einigen Jahren definitiv überschritten. Wer das zB an Schulen über Jahrzehnte miterlebt hat, hat genau verfolgen können, dieses vom Bestärken des Individuums hin zum Kippen ins reine kindische unreife Ego.
Die autoritären Tendenzen in Staaten wie Ungarn und auch Trumps fanatischste AnhängerInnen sind hingegen noch klassische Überbleibsel der vor 60er Jahre-Autoritätsgläubigkeit. Meloni bedient wohl Beide.
EsoterikerInnen und andere von diversen Verschwörungen und "höheren Mächten" überzeugte sind irgendwo dazwischen, oft einfach nicht genügend gebildet, oder zu träge, zu sehr in ihre Communities eingebettet, um ihre Widersprüche zu erkennen (zu wollen). Solange der Staat so grosszügig ist - so grosszügig sein kann, vielleicht ändert sich das bald - haben all sie halt die "Freiheit", sich allein auf sich selbst oder ihre Communitiy zu beziehen, sich darin zu "vereinzeln", bei jedem Versuch, sich an die im Reifeanspruch höher angesetzte soziale Freiheit im langfristigen Interesse aller zu halten, gekränkt zu "trötzeln".
Sie akzeptieren aber nur die Autorität des "Ich", und da sehe ich keine Gefahr einer"postfaschistischen Tendenz". Denn lauter "Ichs" bekämpfen sich in erster Linie immer untereinander. Das sehen wir auch an den stets inner kurzer Frist selbstzerstörten Führungsgremien und Gruppierungen dieser "Bewegungen". Autoritär gebaren sich die meist kurzlebigen "Führer" vor allem, weil sie auch nicht intellektuell in der Lage sind, Komplexität zu verarbeiten und erkennen. So kommen sie mit simplen Ideologien oder Überzeugungen daher. Aber das sind keine umfasssende Gedankengebäude, wie es zB der Marxismus war/ist. Deshalb ist es auch müssig, da grosse Theoriegebilde aufstellen zu wollen. Das meiste ist "warme Luft". Überall zusammengestiefelt aus Schnipsel von Thesen aus aller Welt und allen Zeiten. Sie müssen einfach gerade zu den eigenen Interessen passen, und unmittelbar dem Ego dienen. Grosse Sprüche gehören natürlich auch dazu, sie sollen die "Kränkung" am wirkungsvollsten fernhalten.
Putin gehört noch zur "alten Garde" der in echten autoritären Systemen sozialisierten Anführer und tendiert somit vor allem zu konservativen aus historischen Erzählungen gespeisten Sichtweisen, hat aber auch vor allem früher die "neoliberale Freiheit" gepriesen. Auch er erzählt "widersprüchliches Mischmasch", stark durchsetzt von klassichen männlichkeitsphantasien. Seine Dauer-Kränkung besteht wohl nicht zuletzt aus so banalen Zutaten wie dem Kompensieren seiner geringen Körpergrösse...
Der Handlungs- und Wandlungs-Druck durch Klimawandel, Schwinden von Ressourcen, kriegerische Auseinandersetzungen bis hin zu den demokratischen Wohlstandsländern, ...usw sind so starke aufkommende Gegenkräfte, dass die "Dialektik der Aufklärung" wohl wieder stark in Richtung "Freiheit als soziale Freiheit" steuern wird. Werden muss, denn sonst haben wir absolutkeine Chance, dies einigermassen in den Griff zu bekommen. In westlichen Demkratien wird sich das sehr schnell einstellen, in noch jungen Demokratien wird wohl noch ein paar Runden "geübt", denn es ist eine sehr mühsam erworbene gesellschaftliche "Reife" - wie auch die persönlich, individuelle - die Menschen auch durch "schlechte Erfahrungen" erwerben muss. Der grossspurige "Führer" muss erst die Sache an die Wand gefahren haben, bevor seine Wählenden merken, dass es wohl das auch nicht war. Sie wollten oft die "korrupten Eliten" einer vorangegangenen Hierarchieepoche ausschalten, wählen dafür aber den sich masslos überschätzenden Egomanen. Der sich natürlich autoritär als den "Retter" sieht.
Nicht zuletzt ist auch die neoliberale Äera der letzten 40 Jahre "beteiligt", die den Konsum und das Ego zuoberst aufs Podest stellten.

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Erfreuter Leser
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Nett zu lesen wie sogar bis in den Binswangerschen Text die drolligen Satzstellungen der Frankfurter Schule sich durch schlagen:). Oder durch sich schlagen;).
Jedenfalls vielen Dank fürs Lesen und Aufsummieren, lieber Autor - das war bestimmt kein Genuss. Und merci liebe R. P. für das Beigesteuerte. Mir wird im Gedächtnis bleiben, dass es ein Verständnis von Freiheit gibt das gut als territorial verstanden werden kann, im Sinne einer Landkarte oder eines Raums - mein Freiraum steht gegen den aller Anderen ("der Gesellschaft"), vereinfacht gesagt. Und da musste ich kurz an Robert Anton Wilsons "Prometheurs Rising" oder seinen Film "Borders" denken, die sich u. a. mit der Fehlleitung von territorialen Instinkten und ihrer Rolle für die Entstehung von Agression beschäftigen.

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Ich würde es eher im Gedächtnis behalten als den Freihheitsbegriff von John Stuart Mill: Die Freiheit des Einzelnen hört dort auf, wo sie die Freiheit des/der Nächsten tangiert/einschränkt. In allen Dimensionen, räumlich ist eine von vielen. Freiheit ist also von jeher "sozial", denn ist sie es nicht, wird es einem auch nie gelingen, die eigene Freiheit zu verteidigen. Denn dann ist es ein sozialdarwinistisches "Fressen, die eigene Freiheit zu behalten, bevor man selber gefressen wird". Der Kampf aller gegen Alle. Es geht bereits in der erstenSekunde eine wesentliche, auch individuelle, Freiheit verloren: Frei Sein von Angst ums Leben. Die libertäre Ideologie ist extrem kurzsichtig und naiv, denn sie denkt, staatlich ungeregelte Räume würden persönliche Fairness produzieren oder zumindest erhalten. Den Respekt fördern, anderen die gleichen Räume zuzugestehen.
Doch diese würde als erstes zusammenkrachen: Ohne Regeln, die von akzeptierten Institutionen kontrolliert werden, vermuten Menschen immer und sofort, dass sie von anderen bevorteilt werden, das ist psychologisch sehr gut erforscht und auch immer wieder im Weltgeschehen zuweilen sehr überraschend zu beobachten. ZB. bei Plünderungen, sobald keine Kontrolle und Strafe gefürchtet wird. Nach Unruhen, bei "failed states", ... Libertäre frönen diesen Ideen nur im Schosse eines "sicheren Staates".
Nicht zufällig sind es fst nur Männer, die diese Ideen verlockend finden, sie sind verlockend wie ein autonomes Cowboyleben-Klischee in rauher Natur.
Menschen übernehmen nur Verantwortung von Gruppen ausserhalb ihrer engsten Familie oder Clans, wenn sie sicher sind, dass sie damit nicht ein "Verlustgeschäft" machen. Es wäre dumm, es nicht zu tun, ohne Regeln wird über kurz oder lang der Stärkere "gewinnen". Die moderne Regelung von Abmachungen, ohne dass man die Menschen persönlich gut kennt, ist der Vertrag. Und dieSanktioneierung bei Nichteinhaltung, die darin festgehalten wird. Der Erfolg dieser Praxis in Bezug auf Wohlstand Sicherheit in einer der Bestandteile heutiger gesamtgesellschaftlicher Erungenschaften von Wohlstand und Sicherheit.
Insofern leben wir eben tatsächlich in der besten der bisherigen Zeiten, diese Einsichten haben die Aufklärung und die folgende zunehmende Gleichheitsentwicklung gefördert. Sie basiert zwar auf einem positiven Menschenbild, aber die Möglichkeiten zu destruktivem Verhalten der Menschen werden darin auch gebändigt.

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Der Vormarsch der Autoritären: die spannendste gesellschaftliche Entwicklung unserer Zeit.

Wie kann ein Mensch es ablehnen, selbst zu entscheiden, wer ihn anführt?

Weil es zu anstrengend und zu unbefriedigend geworden ist.

Gesellschaften müssen politische Entscheidungen fällen. Dafür müssen Menschen sich miteinander austauschen und gemeinsam eine Meinung bilden. Im heutigen öffentlichen Diskurs ist das besonders schwierig geworden:

  • Wessen Stimme ein Zuhörer in der Diskussion hört, bestimmt sich nach Regeln, die er nicht kennt,

  • Diese Regeln bevorzugen den lautesten Schreihals und den gemeinsten Mistkerl,

  • Entscheidende Stimmen sind anonym,

  • Die Aufmerksamkeit der Zuhörer steht unter Dauerbeschuss.

Da verzichten die Anhänger Autoritärer Bewegungen gerne auf eine inhaltliche politische Auseinandersetzung. Viel zu anstrengend, frustrierend und chaotisch.

Und was haben ihnen die letzten 40 Jahre wirtschaftlich gebracht? Die Mittel- und Unterschichten der reichsten Länder sind seit 1980 weitgehend vom globalen Wachstum vergessen worden (Thomas Piketty).

Autoritäre Bewegungen bieten dagegen Zugehörigkeit, Selbstwertgefühl und Identifikation. Und man darf ein gemeiner Mistkerl sein.
Ein warmes Nest für selbstgerechte heroische Freiheitskämpfer.

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Freedom is just another word for nothin' left to lose

Janis Joplin vor 50 Jahren
für mich die beste Definition von Freiheit ever
Das was wir heute unter Freiheit verstehen ist eine hochgradige, materielle Abhängigkeit, und eins ganz sicher nicht .... sozial.

Mehr will ich dazu nicht sagen.

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Martin Hafen
Präventionsfachmann, Soziologe
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Das hängt vom theoretischen Standpunkt ist. Geld ist - das dürfte kaum zu bestreiten sein - eine genuin soziale Errungenschaft. Letztlich eröffnen Reichtum und "materieller" Besitz Inklusionsmöglichkeiten, die sonst nicht zur Verfügung stehen. Darum verfügen Obdachlose über weit weniger Freiheit , obwohl sie im wahrsten Sinne von J.J. "nothing left to lose" haben.

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Heute leben sie von einem enttäuschten Hyper­individualismus, der in aggressives Ressentiment umschlägt, schreibt Daniel Binswanger.

Könnte sein.

Aber ist der Individualismus wirklich so hyper? Wer die Attraktivität in den Fussballstadien, den Andrang zu Konzerten der Pop-oder Schlager-Industrie, den Schlangen vor Verkaufsläden, wenn das neue IPhone im Laden hängt oder die Masse der Besucher eines Schwingerfestes betrachtet, kommt zum Schluss, dass der Individualismus wohl kleiner ist, als in der Theorie angenommen. Demgegenüber stimmt es allerdings, dass die Möglichkeit zu individuellem Verhalten da wäre. Eine gefühlte Möglichkeit allerdings. Und die Marktgurus impfen die Gesellschaft damit, zwecks Steigerung der Absatzzahlen. Alle müssen individuell alles haben. Hyperindividualismus für den Markt?

"Sind strukturelle ökonomische Faktoren oder gesellschaftliche Werte­verschiebungen für die neue Radikalisierung verantwortlich", fragt Binswanger weiter?

Die ökonomischen Faktoren sind sicher wichtig. Neben vielen anderen. Wer individuell sein muss, aber aufgrund eben der ökonomischen Faktoren kaum Zeit dazu hat, weil das Rädchen im täglichen Kampf ums Haus, die Wohnung, die Miete, die Reise, die Finanzierung der Kinder sich drehen muss, ist eingeklemmt in Zwängen konträr zum Individualismus, die ihn frustriert zurücklassen in der Mechanik der persönlichen Psyche. Sie lässt ihn je nach dem destruktiv werden oder drängt ihn hin zu "individuellen" Wohlfühl-Sicherheiten, von denen es immer mehr gibt. Aufgefächert, individuell jeweils für die lädierten Seelen. Marktgerecht und nachhaltig.

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Im Sinne einer Ergänzung: es könnte auch sein, dass nicht primär die "Individualisierten" das Problem sind, sondern diese zu Folgeproblemen führt. Reckwitz (Die Gesellschaft de Singularitäten) meint, dass die Individualisierung zu einer Polarisierung der Gesellschaft mit Verlierern auf unterschiedlichsten Ebenen (auch ökonomischen) führt....

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Ich denke auch, dass ein übersteigerter Individualismus ein entscheidender Punkt ist (siehe auch Reckwitz).
Aber der Satz "....weshalb die Mobilisierung gegen den Staat, gegen sämtliche Formen kollektiver Aktion im Namen des Gemeinwohls der neue ideologische Kerngehalt des autoritären Gedanken­guts darstellt." lässt bei mir die Frage offen, warum der Trumpismus in den USA gerade aus religiösen Gruppierungen gespiesen wird, die kollektive Aktionen geradezu zelebrieren?

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Simon Reber
Software Entwickler, Familienvater
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Die kollektiven Aktionen religiöser Gruppierungen haben nichts mit kollektiven Aktionen in Namen des Gemeinwohls zu tun. Besser wäre es diese als solidarische Aktionen zu bezeichnen.
Religion hat das Ziel, die eigene Gruppierung von anderen Gruppierungen abzugrenzen, ein Ziel das auch der Trumpismus sehr ausgeprägt verfolgt. Wer nicht zur eigenen Gruppe gehört, ist dem Teufel verfallen und muss diesem mit Gewalt entrissen werden. Die Deep State Verschwöhrungstheorie, welche von Trumps Unterstützern als absolute Wahrheit verstanden und geglaubt wird, passt wie angegossen auf die Erzählungen der evangelikalen Fanatiker.

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Verena Goanna •in :)) Rothen
fotografie, texte, webpubl&lektorin
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Wobei wir auch hier bei altem, an sich überholtem Religionsverständnis sind.
Allerdings ist in den US Religion ja offenbar tatsächlich oft einem solchen, eher Sekten-üblichen Verständnis nahe.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr Hofstetter, guter Einwand! Wir stellen ja tatsächlich fest, dass der Anti-Etatismus einhergeht mit einer Zelebrierung der eigenen "Community". Man kann dafür wohl zwei Erklärungsansätze geltend machen: Erstens, das grosse ganze war früher die "Nation", aber die hat de facto an Bindekraft verloren. Daher die Forderung nach einem neuen Nationalismus von Seiten konservativer Sozialliberaler wie Rorty und Fukuyama (sie werden bei Amlinger und Nachtwey kritisiert). Oder aber man sagt: Was verloren ging, ist ein genuin universalistischer Begriff der politischen Gemeinschaft. Das stellt in der heutigen globalisierten Welt dann allerdings die Anschlussfrage: Wie lebt man die universalistische Gemeinschaft? Herzlich, DB

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Lese gerade "Das Experiment" von Yascha Mounk ...

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Theologin/Seelsorgerin
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Zweimal den Beitrag gelesen, zweimal angesetzt zu kommentieren und dann doch wieder gelöscht.

Bei all den klugen Analysen und Erklärungsansätzen komme ich für mich immer wieder an folgenden Gedanken: Eine grosse Kraft, die Menschen bewegt, ist die Angst um sich selber. Die Angst um sich selber steckt hinter mehr Handlungen, als uns bewusst ist. Menschen, die aus Angst um sich selber handeln, handeln letztlich destruktiv. Wenn genügend Menschen, die aus Angst um sich selber destruktiv handeln, in Bewegungen zusammenfinden, und dann "jemand starkes" die Bewegung für eigene Zwecke nutzt (auch hinter dessen Zwecken steckt Angst um sich selbst), kann eine Gesellschaft kippen.

Was fehlt, sind Gegenbewegungen. Menschen, die zeigen dass es sinnvoll ist, der Angst um sich selbst keine Macht zu geben. Auch wenn alles düster aussieht...

Edit: Aus Erklärungsansätzen machte mein Natel Erklärungsnöte. Das habe ich mal zurück geändert.

Edit 2: Ein anderer Leser machte schon den Hinweis auf Herrn Binswangers Das Ethos der Gnadenlosigkeit - der Text kam mir in diesem Zusammenhang auch in den Sinn.

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Johanna Wunderle
Unity in Diversity
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Liebe Frau B. , Frau H. und Frau Goanna und viele anderen.
Der Gedanke, dass es Gegenbewegungen gibt und vor allem der Gedanke, dass wir Gegenbewegungen generieren können, sollten wir jetzt unaufhörlich und ohne uns entmutigen zu lassen, unaufhörlich pflegen.
Ich habe die Rezension von Daniel Binswanger gelesen und hatte den Eindruck, dass die Autorinnen neue Begriffe kreiert haben, doch keine wesentlich neue Gedanken. Ausserdem schienen sie die Materie nicht in den Griff zu haben.
Was wir brauchen ist die Vorstellung neuer Bewegungen und Projekte und zwar solche Projekte die auf einer BREITEN BASIS stehen. Wo viele Bürgerinnen und Bürger sich gemeinsam einsetzen können. Wo Menschen zusammen Verantwortung übernehmen können für wirkliche Freiheit.
DIE FREIHEIT DIE SOZIAL IST.
Analysen machen Sinn wenn sie wegweisend sind um bessere Handlungen einzuleiten.
Darum bin ich froh über die Kolumnen der Republik.
Meines Erachtens wäre es jetzt auch an der Zeit, vermehrt Projekte vorzustellen, die das Gemeinwohl stärken. Solche gibt es.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe Frau B., vielen Dank für Ihre Überlegungen. Angst ist sicherlich ein ganz zentraler Faktor. Müsste man dann nicht sagen: Wir müssen wieder lernen uns zu ängstigen für uns alle - und nicht mehr nur für uns selbst? Könnte die Klima-Bewegung in der Hinsicht etwas fundamentales verändern? Ich denke, sie ist eine Quelle positiver Entwicklungen, die über die reine Umweltpolitik hinausgehen. Aus den Gründen, die Sie ansprechen. Herzlich, DB

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Theologin/Seelsorgerin
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Das sich 'für uns alle' ängstigen könnte der erste Schritt sein, ja. Meine Hoffnung ist, dass wir dann wirklich nicht bei der gemeinsem Angst/Sorge stehenbleiben...

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Leserin
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Fehlt die Gegenbewegung wirklich? Oder fällt sie durch andere Strebungen auf, die du grad mal nicht erwähnt hast?

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Theologin/Seelsorgerin
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Ich bin unsicher, was Du mit "andere Strebungen" meinst. Kannst Du das erläutern?

(Was mich persönlich betrifft, so ist das Christentum meine Gegenbewegung. Leider gelingt es aber Religionsvertreter:innen immer weniger, die guten und lebensbestärkenden Aspekte verständlich zu erzählen. Im Gegenzug werden diejenigen Vertreter:innen lauter, die das Christentum benutzen um Macht auszuüben oder auszugrenzen. An anderer Stelle schrieb ich im Dialog, dass das nichts mit dem Christentum zu tun hat, wie ich es verstehe.)

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Wenn Hyperindividualismus als das "Recht des Stärkeren" verstanden wird, löst sich der scheinbare Widerspruch mit dem Autoritarismus.
Natascha Strobl hat hier vor einigen Tagen m.E. eine weitaus bestechendere Analyse vorgetragen (nämlich dass vor allem Abstiegsängste den Faschismus wieder erstarken lässt).

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Wie berechtigt diese Abstiegsängste sind, hat O. Nachtwey schon in seiner Analyse "Die Abstiegsgesellschaft", edition suhrkamp 2682, 2016 beschrieben.

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Herzlichen Dank. Herrn Binswanger, dass er uns anspruchsvolle Lektüre wie diese (oder neulich Habermas‘ Strukturwandel reloaded) gedanklich so konzis auseinandersetzt und einordnet, ohne simplifizierende Abstriche in inhaltlicher und sprachlicher Hinsicht. Und der Republik, dass sie solches ihrer Leser*innenschaft samstäglich zumutet.

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Ich finde, es wäre hilfreicher, wenn wir die relevanten inhalte so einfach wie möglich formulieren können. Die vielen hinweise auf die frankfurter schule helfen eigentlich wenig, den inhalt zu erkennen, und erfordern zu vielen scholastischen ballast, böse gesagt.

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Als Durchschnittsbürger habe ich Mühe mit solchen Beiträgen. Vielleicht habe ich es zu schnell gelesen, aber mein Erkenntnisgewinn ist ziemlich nahe bei null.

Kann es sein, dass autoritäre Akteure gerade von der Boomergeneration einfach öfter gewählt werden? Die haben ja den Kapitalismus in vollen Zügen ausgekostet. Und jetzt wo die Rechnung kommt und es nicht mehr so angenehm ist, wählt man diejenige Person, die das wieder richten soll, weil sie ausschliesslich die „Interessen des Volkes“ berücktsichtigt. Viele machen den Fehler und denken, dass bei weniger Solidarität mehr für die Dominanzgesellschaft übrig bleibt.

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(durch User zurückgezogen)
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Ihre Einwendungen sind sehr interessant und berechtigt. Allerdings sehe ich hier noch keine Widersprüche zum von Herrn Binswanger Gesagten, zumal die ökonomischen (und - ja - weitere) Bezüge zu Sozioökonomischem und -kulturellem im Buch selbst durchaus berücksichtigt worden sein könnten - man sollte es sich für eine genauere Beurteilung wohl selbst vornehmen.

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Als Ergänzung zu diesen Überlegungen finde ich „Verbot und Verzicht - Politik aus dem Geiste des Unterlassens“ von Philipp Lepenies aufschlussreich. Der Neo-Liberalismus hat das Recht auf freien Konsum praktisch als Grundrecht etabliert. Der verantwortungsbewusste Staatsbürger ist zum selbstbezogenen Konsumenten verkommen. Die damit verbundene Vorstellung von Freiheit führt zu einer Annäherung von libertärem und autokratischem Gedankengut.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr K., vielen Dank für diesen Hinweis. In der Tat, die Überlegungen vn Lepenies gehen in eine ähnliche Richtung. Anschliessen liessen sich hier wohl auch die Überlegungen von Omri Boehm, der in seinem Buch "Radikaler Universalismus" kritisiert, dass sich zwar ein Universalismus der Rechte etabliert hat, mindestens theoretisch, was per se auch nicht zu kritisieren ist, dass man aber die Frage eines Universalismus der Pflichten völlig abgeschrieben hat. Herzlich, DB

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Vielleicht wäre es nützlich, sich in dieser Diskussion etwas eingehender mit dem Begriff Freiheit zu befassen. Streng genommen bedeutet Freiheit nichts anderes als Absolutheit, was für totale Unabhängigkeit steht. In unserer Welt des Relativen, kann sie jedoch nur eine relative Bedeutung haben. Die Frage lautet daher immer: „Frei oder unabhängig von was oder von wem?“ Wir streben nach Freiheit und stossen dabei ständig an Grenzen und Zäune und wir leben dabei die Illusion, dass das Gras auf der anderen Seite des Zauns grüner sei. Dabei haben wir die meisten dieser Grenzen selbst errichtet, indem wir von einer Abhängigkeit in die nächste stolpern.
Die äusseren Abhängigkeiten sind uns durch die Pandemie und den Ukraine Krieg wieder mehr ins Bewusstsein gerückt. Der viel schlimmeren inneren Abhängigkeiten und Grenzen sind sich die wenigsten bewusst (kulturelle Konditionierung, Vorurteile, Befindlichkeiten, u.s.w.).
In diesem Zusammenhang scheint mir, dass die sogenannten Freiheitskämpfer meistens sehr selektiv ein paar Grenzen aussuchen (die gerade hip sind), an denen sie sich mit viel Lärm abarbeiten können.
Freiheit ist nur sozial, wenn jeder und jede die Verantwortung für ihr Tun übernehmen.

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Leben wir nicht – bei allen Krisen und beängstigenden Perspektiven – in einer Epoche, die mehr Freiheiten bietet als jede andere zuvor?

Ich denke da ein "Ja" vorauszusetzen ist gefährlich, da es die Analyse verkürzt:
Bedenkt man mal die materiellen Freiheiten, ist es z.B. so dass eine Familie früher, die mit einem einzelnen Gehalt eines Arbeiters (normalerweise der Mann) sich ernähren konnte und sich ein Haus leisten konnte mehr Freiheiten hatte als eine Familie die mit einem (relativ viel kleineren) Einkommen von 2 Eltern die auch noch länger arbeiten und sich gerade mal knapp eine Wohnung leisten können.

Auch andere Bereiche sind nicht so einfach "freier", der war on drugs kam nach den Hippies auf (btw explizit um gegen die Freiheiten von Protestys und BIPoC vorzugehn - Zitat von Ehrlichman im Link) kam vor noch nicht so langer Zeit auf.

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Verena Goanna •in :)) Rothen
fotografie, texte, webpubl&lektorin
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Ich würde mir auch wünschen, dass gerade das Fazit, dass Freiheit zutiefst sozial sein müsse, um demokratisch zu bleiben, mit Beispielen unterlegt würde.
Auch mir beibt der Essay diesmal zu abstrakt. Und nicht besonders erhellend.

Dass die ganz gezielte Manipulation von Meinung und gerade der Definition eben dieser (welcher?) „Freiheit“ immens geworden ist — lange bevor das dann ganz offen politisch von autokratisch tickenden Guys dann ausgenützt wurde — bleibt erst noch ganz ausgeblendet.

Auch die im totalen Gegensatz zu der behaupteten Hyperindividualisierung geradezu gleichmachende oder wenigstens eine ungeheure Anpassung auf die perfekte Oberfläche fordernde und in nur schon eigener Bewegung einschüchternder Wirkung (auch an Veranstaltungen, sogar aktueller Musik, zu der sich früher alle möglichst frei bewegt hätten) der Hochglanz Social Media taucht hier in der Abgrenzung hyperindividualistisch zu gemeinschaftlich ausgerichtet komplett nicht auf.

Generationen mit Perfektionserwartungen, die never ever eintreffen können in einem Leben. Welche Perfektion eine extrem autoritär bis diktatorisch ausgerichtete Rechte hingegen verspricht — zunehmend via Frauen übrigens, Meloni ist da höchstens in Italien die erste — aber genau das versprechen sie doch: Geborgenheit, neue Einbettung in den starken Armen derer, denen alles Recht, aller Individualismus eben gerade ehal ist; bei denen alles Unperfekte nur von bestimmten Anderen verursacht sein könne, und einem Versprechen, das wieder zu richten. Das Problem ist nur: Es sind Gauner•innen. Und zwar geraee eben keine Ned Kelleys und Robin Hoods. Sondern solche, die nur eine, ihre eigene Agenda kennen und achten; wo, wie ich zutiefst erschrocken letzthin selber erlebt habe, Respekt, insbesondere please respect tatsächlich in ein Schimpfwort, das man sich also auch nicht bieten lassen würde, umdefiniert wurde. Und ich hätte halt wirklich nicht um Respekt bitten dürfen; das mache natürlich hässig und wütend — ich bin bis heute noch immer bis in die Knochen geschockt. — Ein cleanes, perfektes, hindernis- und schmerzfreies Leben, also … wenn da nur die Menschen, die anders denken, ticken, aussehen, leben, oder auch nur leben möchten, und dafür auch sich zu einem please respect noch erfrechen, nicht wären. Sondern nur das Biotop der Perfekten (und gar nicht mal so wahnsinnig starken; sonst wäre Respekt für andere nämlich eine Selbstverständlichkeit).

Weshalb sollten das aber gerade zuallererst die Boomer sein, die sich so verhalten, die autoritär wählen? Wobei viele davon tatsächlich heute wieder wegschauen; oder eben doch lieber jetzt endlich wenigstens eine perfekte junge Generation hätten.

Mir macht viel viel mehr Sorge, dass das ungeheuer fordernde, in zumindest vorgegebener Perfektion und behüteter Sorglosigkeit bis hin zur Langeweile (die in den Zehner-Jahren allzu oft Hauptthema zum Beispiel der Achtziger- bis Neunziger-Jahrgänge war) aufgewachsene, und durchaus noch jüngere Teile der Gesellschaft sein könnten, die sich — fast ohne das überhaupt gross zu merken und ohne gross politisch sich überhaupt zu positionieren — geschweige denn Konsequenzen durchzudenken oder auch nur viel eigene Fantasie noch zu entwickeln im Leben — immer wieder so entscheiden und immer wieder und weiter sich so involvieren könnten. Denn so langweilig das auch war, die Sorglosigkeit und scheinbar easy Welt wäre ja dann doch vorzuziehen. Da allerdings nicht durch eigene Anstrengungen erlebtund ermöglicht, sondern auf dem Boden derer, die sich dafür teilweise heftig erst einsetzen mussten, kann das doch auch jetzt nur eine Autorität von aussen richten. — Sowas.

Aber ja, keine Ahnung. Nicht wirklich. Ist wirklich extrem verworren und dunstig.

Und weder habe ich selber die Zeit gefunden, mich inzwischen mit Habermaas (wenigstens per Abstract-Suche oder sowas) mal zu befassen noch mit dem Strobl Podcast, vorläufig. Und das hier vorgestellte Buch werde ich wohl ohnehin ganz weglassen. Für einmal tönt dieses nicht so, als ob es irgendwelche der Fragen auch nur aufhellen könnte, die mir persönlich für gesellschaftsverbindend oder auch nur allein und für Zukunfts-gerichteten Austausch in Gesprächen hilfreich scheinen könnten.

Danke trotzdem für die Präsentation dieser Gedanken.

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Vielleicht haben wir kein Höchstmass mehr an individueller Freiheit? Dieses wird uns zwar von überallher suggeriert und dadurch haben wir es allenfalls schon verinnerlicht; aber was für Freiheiten haben wir eigentlich noch? Haben wir Freiheiten über Zeit und Raum nicht schon längstens verwirkt? Weil wir sie gar nicht mehr zu nutzen wissen? Nutzen in dem Sinne, dass wir uns vom Korsett mannigfaltiger Abhängigkeiten befreien würden? Ist die Lebensgestaltung mittels Smartphone ein individueller, befreiender Akt? Oder nicht viel mehr ein Beweis dafür, wie abhängig wir von Apps sind und im grösseren Ausmass von den IT-Giganten? Kann eine fast allgemein gültige Lebensgestaltung und Werthaltung befreiend sein, wenn wir in einer Welt leben, in der Krieg herrscht und das Damoklesschwert der Klimakatastrophe allgegenwärtig über uns hängt? Weil wir davon wissen, welcher Gefahren wir ausgesetzt sind, genügen wir von uns selbst oder allenfalls noch in einer Community als Nabel der Welt. Sie schützt uns immer weniger davor, uns nicht zu radikalisieren - nicht selten weil wir zu den Guten gehören wollen. Individuelle Freiheit müsste heutzutage ganz anders gelebt werden. Sie bestünde darin, Verantwortung für die Welt zu übernehmen. In ihr wäre das ICH nicht das Zentrum, sondern ein kleiner Teil einer Lösung für die Zukunft des Planeten. Wem dieser Gedanke nicht ganz fremd ist, wird einer pseudoindividualistischen Werteordnung wenig abgewinnen können.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr Hofstetter, vielen Dank für Ihren kritischen Einwand. Sie stellen natürlich die zentrale Frage: Ist die Freiheit der Multi-Opitionsgesellschaft tatsächlich eine Freiheit im vollen Sinne? Auch Nachtwey und Amlinger würden das bestimmt verneinen. Aber hier liegt ja die heutige "Dialektik der Freiheit". Wahlmöglichkeiten sind tatsächlich in höherem Masse gegeben als in früheren Zeiten, auch wenn sie durch den verschärften Wettbewerb gleich wieder relativiert werden. Aber Wahlmöglichkeiten als solche sind noch keine Freiheit. Herzlich, DB

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Weltbürger
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Herzlichen Dank Herrn Binswanger für den Buchtipp. Ich habe die Leseprobe schon gelesen. Sehr interessant. Ich werde mir "Das Dickleibige" am Montag gleich kaufen.

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Hermann Witzig
Beginn Leser jetzt Hörer zum Café
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Ist es denkbar, dass ein finanziell beraubtes Volk, welches in ihrem Führer soziales Denken wittert, auf individuelle Freiheiten verzichtet und dafür Schutz vor Kolonialherrschaften unterstützt ?
Im Norden der Dom Rep hatten sich 10 Tausende vergiftet, um sich und ihre Kinder vor der Unterwerfung durch Spanier zu entziehen.

Könnte Krieg bis zum letzten Blutstropfen eine ähnliche Motivation zugrunde liegen ? Oder ist das Volk nicht „so“ informiert wie wir ?

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Immer wieder hab ich's versucht. Aber die naheliegendste Ursache von Exremismus und Verschwörungsgläubigen, nicht -theorien, BITTE, finde ich nicht: Angst vor Verlust und beschränkte Urteilsfähigkeit, welche zu Hass führen gegen alle und alles, was offensichtlich 'anders' ist. DIES wird von faschistoiden 'Gesellschfttühtenden' (Königen, Milliardären, usf.) missbraucht zur Hetze....

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chris mueller
MitBürger von nebenan
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Danke für den interessanten Einblick :-)
Verständnisfrage, ist folgender Satz so gemeint?
"... weshalb die Mobilisierung gegen den Staat ... den neuen ideologischen Kerngehalt des autoritären Gedanken­guts darstellt."

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr Mueller,

Vielen Dank! Hier eine leider etwas verspätete Antwort: ja, das ist so gemeint. Herzlich, DB

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Herr Binswanger, darf man als Journalist eigentlich Selbstreferenzieren? Ihre persönliche Entwicklung könnte hilfreich sein, um diesen Artikel besser einordnen zu können. Ich denke da z. B. an https://www.republik.ch/2022/04/16/…nlosigkeit

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr S., ja, meine Überlegungen haben natürlich mit Arbeiten zu tun, die mich schon länger umtreiben. In diesem Kontext auch interessant: Amlinger und Nachtwey berufen sich auch relativ extensiv auf Michael Sandel und auf dessen Kritik der Meritokratie. Ein Buch, das mir für diese ganze Debatte sehr wichtig erscheint und über das ich ja auch schon ausführlich geschrieben haben https://www.republik.ch/2021/02/06/…ritokratie

Herzlich, DB

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(durch User zurückgezogen)
anonymer Anonymiker
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Gehöre zur Generation der Individualisten und finde es ehrlich gesagt nicht so schlimm. Der Individualismus fördert auch viele positive Auswüchse. Ich bin aktuell im Hotel und bin mir sicher das es um einiges günstiger wäre, wenn alle das Hotelzimmer so sauber wie wir hinterliessen. Aktuell werden die Kosten von egoistischen Verhalten noch an sehr vielem Orten externalisiert anstatt individualisiert. Es ist doch das gleiche beim Littering, oder beim CO2. Und genau dort sehe ich den Punkt. Sobald der Individualismus die Kosten nicht internalisieren kann, wird zur Autorität gegriffen. Nur dieser kann externalisierte Kosten adressieren, wobei es doch niemals perfekt sein wird, da man nur seine eigenes Optimum auf das Problem projeziert.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Liebe(r) Anonym 6, die Problematik der Externalisieren ist sicherlich ein Punkt der ins Zentrum der Debatte führt. Nicht umsonst spricht ja der Münchner Soziologe Stephan Lessenich von der "Externalisierungs-Gesellschaft". Und können wir der inadäquaten (und ineffizienten) Externalisierung entgehen, ohne ein Gemeingut anzuerkennen und Dispositionen zu seinem Schutz zu treffen? Herzlich, DB

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