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Ich bin froh, dass die Republik mit Hartnäckigkeit und Fachwissen unsere dritte Gewalt beobachtet, Themen dazu öffentlich macht, die ich - wie wohl viele andere unter uns - einfach verschlafen würden. Ich danke Brigitte Hürlimann für die so wertvollen Beiträge, etwas vom wichtigsten in der Republik.

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Danke für den guten Artikel - und den sehr wichtigen Hinweis auf die fehlende Rechtsgrundlage.

Aber man muss die Zusammenhänge verstehen.

a) Die Gerichte wollen die Prozesse möglichst einfach erledigen, was in Zürich zu teilweise unhaltbaren Zuständen führte (weshalb das Bundesgericht wenigstens eine Zeitlang Oberrichter fast serienmässig in den Ausstand schickte).

b) Wenn Hinz gegen Kunz klagt, stehen sich zwei Parteien gegenüber, die beide möglichst günstig zu einem Entscheid kommen wollen, den sie selbst nicht zustande bringen. An diesen Fall denken wir immer. Und das ist zu kurz gedacht.

c) Wenn Hinz gegen die Bank und Kunz gegen die Versicherung klagen, dann wollen Hinz und Kunz wieder möglichst günstig zu einem Entscheid kommen. Aber die Bank und die Versicherung wollen etwas ganz Anderes: sie wollen ihre Praxis behalten, welche ihnen hilft, möglichst wenig zu bezahlen. Darum zwingen sie Hinz und Kunz in Prozesse, die nicht möglichst günstig sein sollen, sondern möglichst teuer, damit die Kunden aufgeben. Und zweitens wollen die Bank und die Versicherung - um beim Beispiel zu bleiben - keine Urteile, welche gegen sie lauten. Wenn die Bank und die Versicherung merken, dass sie den Prozess verlieren würden, dann schliessen sie einen Vergleich. Vielleicht zahlen sie dieses Mal zu viel, aber in zehn oder zwanzig anderen Fällen zahlen sie weiterhin zu wenig. Und das ist ihr Ziel.

d) Wenn die Vergleichsverhandlung nun öffentlich wäre, so wären nicht nur Hinz und Kunz zufrieden, sondern auch Meier und Müller und Kreti und Pleti, welche überlegen, ob sie den Entscheid der Bank oder Versicherung annehmen oder klagen wollen. Darum würde sich der Vergleich für die Bank und die Versicherung weniger lohnen, denn wenn bekannt wird, dass ihre Argumentation nicht verfing, riskieren sie mehr Prozesse. Für die Gerichte würde es bedeuten, dass ihr Risiko steigt, ein volles Urteil erarbeiten zu müssen und noch mehr Prozesse zu bekommen.

Dass das der Rechtssicherheit schadet, ist völlig egal. Bis jemand klagt.

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Danke für die Ergänzungen. Wenn ich Punkt d) noch ein bisschen weiterspinnen darf: Die Rechtssicherheit ist ein wichtiges Thema, aber ebenso die Rechtsentwicklung. Und die nimmt Schaden, wenn die Präjudizien nicht bekannt sind und nicht diskutiert werden können. Es gibt ganze Rechtsgebiete mit nur spärlicher Praxis. Oder eben: bekannter Praxis.

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Gratulation zu diesem Artikel, mit welchem Sie ein längst fälliges Thema aufgreifen. Mehr Transparenz wäre auch an den Gerichten wünschenswert.
Gegen die Öffentlichkeit von Vergleichsverhandlungen wird häufig ins Feld geführt, eine solche würde die Bereitschaft der Parteien hemmen, Zugeständnisse zu machen und aufeinander zuzugehen. Führt man sich vor Augen, dass das Gericht den Parteien aber zuerst vorträgt, wer mit wie grossem Risiko zu unterliegen droht und von den Parteien selten von dieser Verteilung abgewichen wird, findet so eine Bewegung aufeinander zu gar nicht statt. Geschützt wird vielmehr das Gericht, welches ihren Vergleichsvorschlag im Geheimen unterbreiten und danach nicht daran gemessen werden kann. Dabei wird den Parteien aber sugeriert, der Entscheid würde dann so ausfallen. Gerade in schwierigen Zivilprozessen oft der einzige Weg des Richters, den Fall zu erledigen. Die Nichtöffentlichkeit schützt also m.E. eher das Gericht als die Parteien.

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Lieber Herr H., Sie greifen einen ganz zentralen Punkt auf, den wir in unserer Beschwerde aufgeführt haben. Die Mindestforderung lautete, dass die Medienvertreter wenigstens die vorläufige gerichtliche Einschätzung hören dürfen, bevor sie aus dem Saal gewiesen werden. Wir haben dazu einen einschlägigen Kommentar des Zürcher Rechtsanwalts Urs Schenker zitiert. Er fordert sogar für die Instruktionsverhandlungen, dass die "freie Erörterung des Streitgegenstandes" öffentlich sein sollte (im Handkommentar zur ZPO). Beste Grüsse, Brigitte Hürlimann

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Nichtöffentliche Gerichtsverhandlungen haben für mich immer den Ruch des Gemauschelten.

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Ich wäre wirklich auch sehr froh, wir könnten häufiger drinnen bleiben. Gerade bei den Zivilprozessen. Und wir würden wenigstens erfahren, wie die Sache ausgegangen ist.

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Frage an Frau Hürlimann: ist es der Klägerin erlaubt über den Ausgang der Vergleichsverhandlung zu berichten oder konstruiert man ein schwarzes Loch 🕳 aus dem nichts entfliehen kann. Danke

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In den meisten Fällen wird in den Vergleichen Stillschweigen vereinbart. Das heisst, beide Parteien verpflichten sich, den Inhalt der Vereinbarung geheim zu halten (was im konkreten Fall wohl vor allem den Interessen der Beklagten dient). Würde sich die Klägerin nicht daran halten, würde sie den Vergleich missachten, was Folgen hat. Falls die Bank irgendeine Summe bezahlt hat, könnte sie diese zurückfordern: weil sich die Klägerin nicht ans Verabredete hielt, vertragsbrüchig wurde. Aber eben: Das sind lauter Mutmassungen.

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Die verfassungsrechtlichen Probleme sehe ich, ich sehe auch das Problem der fehlenden gesetzlichen Grundlage (das Bundesgericht hat seinen Entscheid zum Teil auf die Nichtöffentlichkeit der Schlichtungverhandlung gestützt und diese Bestimmung analog angewendet, das ist nicht besonders überzeugend, man könnte auch e contrario auf die Öffentlichkeit der gerichtlichen Vergleichsverhandlung schliessen). Wer aber an solchen Vergleichsverhandlungn je (oder wie ich oft) teilgenommen hat, weiss das das BG pragmatisch richtig entschieden hat. Die Parteien haben das Recht, sich so zu einigen, wie sie es wollen und - wo die Dispositionsmaxime gilt - auch Lösungen zu treffen, die vom Gesetz abweichen und die das Gericht nicht überprüfen kann. Eine solche Einigung käme in vielen Fällen nicht mehr zustande, wenn die Presse dabei sässe. Die Richter würden sich hüten, ihre Meinung bekannt zu geben. Wenn dann nämlich das Urteil anders ausfiele, würde die Presse über sie herfallen.

Dass es so nicht zu Präjudizien kommt, ist richtig. Präjudizien haben aber nur dann eine grössere Bedeutung, wenn sie vor oberen Instanzen stattfinden, Urteile der ersten Instanz sind von geringer Bedeutung.

Ich bringe einmal ein Beispiel aus meiner Praxis. Ich vertrat eine Arbeitnehmerorganisation, die von einem ihrer Sekretäre eingeklagt wurde. Es ging um Überstunden. Sekretäre erhalten in der Regel keine Überstunden bezahlt, man erwartet von ihnen, dass sie auch ausserhalb der Arbeitszeit für die Organisation da sind (Beratungen, Teilnahme an politischen Versammlungen etc.). Meine Klientin (und ich) machten geltend, dass der Sekretär als leitender Angestellter nicht dem Arbeitsgesetz unterstehe, weshalb ihm weder Überstunden noch Überzeit zu vergüten seien. Ein nicht ganz unvernünftiger aber auch nicht 100 Prozent erfolgsversprechender Standpunkt, man stelle sich aber vor, was passiert wäre, wenn ausgerechnet eine Arbeitnehmerorganisation ein Urteil erstritten hätte, das das Recht auf Überzeitentschädigung für einen ihrer Angestellten verneint hätte. Die Presse hätte dies weidlich ausgeschlachtet.

Es war also allen Beteiligten klar, dass man unter Mithilfe des Richters hier eine vernünftige Lösung finden musste, die weder die Organisation ruinierte, noch den Mitarbeiter entschädigungslos liess und das ging nur hinter verschlossenen Türen.

Journalisten tendieren dazu, Rechtsstreitigkeiten zu sensationalisieren (siehe ETH-Artikel der Republik). Damit verliert oft eine Partei das Gesicht und wehrt sich dann um so heftiger gegen eine Niederlage. Viele vernünftige Lösungen sind deshalb nur hinter verschlossener Türe möglich. Und im Gegensatz zum Strafprozess wo es um den sogenannten Strafanspruch des Staates und damit der Öffentlichkeit geht, besteht kein Interesse der Öffentlichkeit daran, zu erfahren, wie sich die Parteien einigen, da Verträge (und der Vergleich ist ein Vertrag) Privatsache sind. Wenn das Gericht entscheiden muss, dann besteht auch im Zivilprozess ein Interesse der Öffentlichkeit zu kontrollieren, ob der Entscheid a) fachlich fundiert ist und b) der Rochter nicht korrupt ist. Aber beim Vergleich hat der Richter nur die Rolle eines Vermittlers. Er kann keiner Seite seine Meinung aufzwîngen. Deshalb wiegt die Privatsphäre der Parteien stärker.,

Geradezu maoistisch ist die Idee, dass auch Schiedsgerichtsverhandlungen öffentlich sein müssen. Die Partei, die sich einem Schiedsgericht unterwirft, tut dies, um ihre Privatsphäre oder ihre Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Der nächste Schritt wäre zu verlangen, dass alle Gespräche in der Anwaltskanzlei und alle kontradiktorischen Verhandlungen de rOrgane von zwei Vertragspartnern live auf dem Internet übertragen werden.

Und ebenfalls etwas stalinistisch mutet die Idee an, man müsse die Partei fast zwingen, ihren Fall öffentlich zu machen, damit sich für das zugrunde liegende Problem eine Rechtssprechung herausbilde. Diese Idee, der Zivilprozess müsse gesellschaftsrelevant sein, prägte die Zivilprozessordnung der DDR: Seien wir in unserer supertransparenten Zeit froh, um jeden Winkel, in den die Medien nicht eindringen können. Einigungen zwischen privaten Konfliktparteien müssen - anders als Gerichtsurteile - nicht objektiv gerecht und auf alle gleich gelagerten Fälle anwendbar sein. Wer Gerechtigkeit udn Willkürfreiheit im Privatrecht verlangt, der übersieht, dass er damit im Endeffekt jedes private Handeln unter staatliche Aufsicht stellt. Ein Arbeitgeber kann zum Beispiel einem Arbeitnehmer einmal eine Missbrauchsentschädigung auszahlen, obwohl der Arbeitnehmer die Kündigung hundert Mal verdient hat, einfach, weil man ein Beweisverfahren , in dem Mitarbeiter als Zeugen auftreten müssen, vermeiden will und findet, drei Monatslöhne zu zahlen, lohnen sich um den Kerl friedlich loszuwerden. Wenn die Presse im Gerichtssaal sitzt, wird dies der Arbeitgeber viel weniger tun, weil er damit ja faktisch die Missbrauchsgründe anerkennen und für weitere Mitarbeiter ein Präjudiz schaffen würde. würde.

Das Urteil scheint mir im Ergebnis ok zu sein. Wäre es anders ausgefallen, hätte man wohl die ZPO ändern müssen.

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Geschätzter Hans, wie immer bereichernd, deine Analyse zu lesen. Ich bin selbstredend nicht mit allem einverstanden. Um drei Punkte zu erwähnen: Die Parteien können jederzeit aussergerichtliche Vergleichsgespräche führen, die sind vollkommen nichtöffentlich. Wer das Gerichtsverfahren wählt, wählt ein öffentliches Verfahren. Als Mindestforderung muss die vorläufige gerichtliche Einschätzung öffentlich sein, denn hier geht es um die Würdigung des zuvor öffentlich Gesagten. Aber als Hauptpunkt bleibt die verfassungsrechtliche Dimension der Republik-Beschwerde: Die Öffentlichkeit wird ohne gesetzliche Grundlage, ohne Prüfung der Verhältnismässigkeit und ohne öffentliches Interesse an der Einschränkung eines Grundrechts grundsätzlich und generell ausgeschlossen. Das ist höchst problematisch. Beste Grüsse, Brigitte

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Ich weiss erst dank Artikeln wie diesen überhaupt, dass grundsätzlich jeder in eine Gerichtsverhandlung sitzen kann. Ich habe aus Neugier versucht Informationen zu anstehenden Verhandlungen im Internet zu finden. Für Zürich bin ich auf folgende Quelle gestossen: https://www.gerichte-zh.ch/verhandl…erich.html.

Ist das als Gerichtsreporterin Ihre Referenz oder wie informieren Sie sich?

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