Röstis Beschönigungs­behörde

Im Umwelt­departement wurde ein Bericht so lange umgeschrieben, bis die Massnahmen gegen den Verlust der Biodiversität wirksamer aussehen, als sie es sind.

Von Cornelia Eisenach, Priscilla Imboden (Text) und Matthieu Bourel (Illustration), 06.05.2024

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Als das Bundesamt für Umwelt (Bafu) vor einem Jahr einen umfassenden Bericht zum Zustand der Biodiversität vorlegte, sorgte das bei Expertinnen für Stirnrunzeln. Die Medien­mitteilung dazu stellte die Situation gar rosig dar. Die Behörde verharmloste das Ausmass der bedrohten Tier- und Pflanzenarten.

Doch das war nur die Spitze des Eisbergs, wie sich nun zeigt. Nicht nur bei der Medien­mitteilung, auch bei den wissenschaftlichen Grundlagen beschönigt das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), zu dem das Bafu gehört. Es frisiert auch Berichte, die unliebsame Fakten zur Biodiversität enthalten.

Das verdeutlicht der Bafu-Bericht «Wirkung des Aktionsplans Biodiversität», der im Juni 2023 veröffentlicht wurde. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob die Schweiz bei ihren Biodiversitäts­zielen auf Kurs ist.

Er stellt die Fortschritte bei der Biodiversität ziemlich positiv dar. Doch das entspricht nicht den Tatsachen. Das zeigt ein Vergleich des publizierten Berichts mit internen und externen Gutachten, die dafür als Grundlage dienten.

Ausserdem wurden im Bafu-Bericht zentrale Aussagen, insbesondere zu Land­wirtschaft und Wasserkraft, umformuliert oder gelöscht. Das zeigt eine Auswertung der Republik, die den publizierten Bericht mit internen Versionen vergleicht, die die Republik gestützt auf das Öffentlichkeits­gesetz angefordert hat.

Der Absatz zum Thema Landwirtschaft beginnt in der ursprünglichen Version so: «In der Agrar­landschaft wirkt sich die derzeitige land­wirtschaftliche Praxis mit ihren hohen Stickstoff- und Pflanzen­schutzmittel­einträgen negativ auf die Arten­vielfalt aus.» In der veröffentlichten Version des Berichts hingegen heisst es zum Einstieg: «In der Agrar­landschaft gestaltet sich die Entwicklung bei den Biodiversitäts­förderflächen positiv.» Der Anteil dieser Flächen habe zugenommen. Die Stickstoff- und Pflanzenschutz­mittel finden erst weiter unten Erwähnung – dass sie mit der «derzeitigen landwirtschaftlichen Praxis» zu tun haben, wurde ganz gestrichen.

Damit verschleiert die Behörde, dass die Land­wirtschaft ein Haupt­treiber für den Verlust der Arten­vielfalt ist.

Das zeigt sich etwa bei der Anzahl und Vielfalt von Vögeln in der Schweiz. Sie ist viel kleiner als in den Nachbar­ländern Frankreich und Deutschland, wie eine Studie von Forschern der ETH Zürich und der Vogelwarte Sempach vergangenes Jahr darlegte. Insbesondere die Landwirtschaft sei Ursache dafür, schreiben die Studien­autoren in einem Blogbeitrag. Die Grösse der Förder­fläche allein sage wenig über den Zustand der Biodiversität.

Doch das ist nicht die einzige brisante Änderung im Bafu-Bericht. Auch «der Ausbau der Wasserkraft» wurde als Ursache für die beeinträchtigte Biodiversität in den Alpen gestrichen. Ursprünglich war diese Formulierung noch explizit enthalten.

Gestrichen oder geschönt wurde auch bei anderen Themen. Etwa Fakten, die auf die zunehmende Gefährdung der Biodiversität hinweisen. Oder darauf, dass die bisherigen Massnahmen nicht ausreichen und die Schweiz ihre Ziele verfehlt.

Zu all dem schreibt das Bafu in einer kurzen, summarischen Stellung­nahme an die Republik: «Im Allgemeinen ist es üblich, dass in einem Produktions­prozess Änderungen vorgenommen werden. Die veröffentlichte Version des Berichts basiert auf Fakten und Daten, die sachgerecht dargestellt werden sollen.»

Rotstift im General­sekretariat

Zur Frage, wer die Änderungen vorgenommen hat, schweigt sich das Amt aus. Die direktesten Eingriffe geschahen aber bei der Version, die das Bafu zuhanden des General­sekretariats des Uvek verfasste. Das bedeutet: Der Stab von SVP-Bundesrat Albert Rösti, der dem Departement seit 2023 vorsteht, hat den Rotstift angesetzt.

Wie die Republik bereits aufgezeigt hat, trimmt Röstis General­sekretär Yves Bichsel das Departement mit unzimperlichen Methoden auf SVP-Kurs und foutiert sich dabei um wissenschaftliche Grundlagen.

Das heisst: Wirtschaftliche Interessen gehen vor, sei es bei der Land­wirtschaft, sei es bei der Wasserkraft. Der Umwelt­schutz bleibt links liegen. Dazu passt auch, dass Rösti vor seiner Wahl in den Bundesrat Präsident des Wasserwirtschafts­verbands war.

Die Akademie der Natur­wissenschaften Schweiz schreibt in einer Stellung­nahme zur Republik-Recherche, es sei eine Tatsache, dass die Biodiversität in der Schweiz trotz Förder­massnahmen in vielen Bereichen weiter abnehme. «Man kann Tatsachen aus einem Bericht löschen, ihre Gültigkeit büssen sie damit nicht ein.»

«Diese Änderungen zeigen den Versuch, den Umfang der Probleme im Bereich Biodiversität in der Schweiz herunter­zuspielen oder die Situation schönzureden», sagt Raffael Ayé, Geschäftsführer der Naturschutz­organisation Birdlife Schweiz. Dass die Bundes­verwaltung im Nachgang unliebsame Aussagen weggelassen oder zensiert habe, sei weder transparent noch zielführend.

Teure Expertisen ausgeblendet

Der Bundesrat hat sich 2012 das Ziel gesetzt, den Zustand der Arten­vielfalt zu verbessern, und dafür die Strategie Biodiversität Schweiz verabschiedet. Im Rahmen der Strategie wurden zehn Ziele festgelegt, die bis 2020 hätten erreicht werden sollen. Doch der dafür ausgearbeitete Aktions­plan trat erst mit mehrjähriger Verspätung 2017 in Kraft. Im Jahr 2021 wollten die Behörden wissen, ob der Plan wirkt.

Dafür hat das Bafu fünf externe und ein internes Gutachten in Auftrag gegeben und die Ergebnisse in einer Wirkungs­analyse des Aktionsplans zusammengefasst. Doch offenbar wollte man im Umwelt­departement die Erkenntnisse der teuer eingekauften Evaluationen Ende 2021 nicht so stehen lassen. Sie zeigten nämlich auf, dass nur ein Drittel der Massnahmen auf Kurs waren.

Das Bafu evaluierte selbst noch einmal und kam zu erfreulicheren Ergebnissen. Gemäss dieser Bafu-internen Evaluation waren Ende 2022 mehr als die Hälfte der Massnahmen auf Kurs. Auch hier schönte das Amt breit abgestützte Erkenntnisse, zu einer Zeit, als Simonetta Sommaruga Umwelt­ministerin war.

Das sei irreführend, kritisiert Raffael Ayé von Birdlife. Denn um mehr Massnahmen auf Kurs zu bringen, habe die Bundes­verwaltung nicht bei den Projekten mehr Gas gegeben, sagt Ayé, der auch in der Begleit­gruppe für den Bericht sass. «Sie hat einfach die Ziele runtergeschraubt.»

Das bestreitet das Umwelt­departement nicht. Im Bericht steht: «Die Beschleunigung der Umsetzungs­arbeiten ging jedoch mit einer Reduktion der Ziele und damit einer geringeren Wirkung der Massnahmen und Projekte zu Gunsten der Biodiversität (…) einher.» Das sei aufgrund der Empfehlungen in den Evaluations­berichten erfolgt, schreibt das Bafu auf Anfrage.

Geschäftsprüfungs­kommission schaut hin

Die Republik hat Politikerinnen auf ihre Recherche und die Zustände im Departement Rösti aufmerksam gemacht. Diese zeigen sich fassungslos.

SP-Nationalrätin Martina Munz, Mitglied der Umwelt­kommission, sagt: «Ich bin schockiert. Es darf nicht sein, dass bei uns Fachberichte von Amts­stellen geschönt und für politische Ziele missbraucht werden.»

Ebenso befremdet ist Kathrin Bertschy von der Grünliberalen Partei. Sie sass bereits vor zehn Jahren in der Begleit­gruppe Biodiversitäts­strategie und sagt: «Wenn die wenigen Massnahmen, die man beschlossen hat, nicht einmal wissenschaftlich korrekt beurteilt werden, dann ist das nur noch zum Haareraufen.»

Mitte-Ständerätin Heidi Z’graggen präsidiert die Subkommission der Geschäftsprüfungs­kommission, die vor drei Jahren in einem Bericht zum Schluss kam, dass die getroffenen Massnahmen zum Schutz der Biodiversität nicht wirksam genug seien. Die Kommission empfahl dem Bundesrat, mehr zu tun und mehr Personal einzusetzen, besonderes Augenmerk auf die Land­wirtschaft zu legen und Subventionen zu überprüfen, die zum Biodiversitäts­verlust beitragen.

«Jetzt prüfen wir im Rahmen der Nachkontrolle, ob der Bundesrat unsere drei Empfehlungen umgesetzt hat», erklärt Z’graggen. Zum Befund der Republik sagt sie: «Grundsätzlich sind wissenschaftliche Erkenntnisse wesentlich, um gute Entscheide fällen zu können.» Was die Politik damit mache, sei eine andere Frage. «Es ist aber wichtig, dass sie transparent macht, warum sie Empfehlungen umsetzt oder nicht.»

Die Biodiversität hat derzeit im Parlament einen schweren Stand. Der Bundesrat wollte mit neuen Massnahmen gegen den Arten­verlust angehen – und damit auch gleich der Biodiversitäts­initiative, die im Herbst an die Urne kommt, den Wind aus den Segeln nehmen. Diese will mehr Mittel für den Schutz der Biodiversität und diesen auch in der Verfassung verankern.

Der Ständerat wollte aber über den bundes­rätlichen Gegen­vorschlag zur Initiative nicht einmal diskutieren und schickte ihn direkt bachab. Grund war der Widerstand des Bauern­verbandes. Dieser versucht sogar, das Rad zurück­zudrehen.

Vor Jahren hatte das Parlament beschlossen, dass die Bauern 3,5 Prozent ihrer Äcker zu Biodiversitäts­flächen umfunktionieren müssen. Die Umsetzung wurde zweimal verschoben, zuletzt im vergangenen Dezember. Dies, obwohl Bauern­präsident Markus Ritter mit dieser Massnahme geworben hatte, um die Trinkwasser- und Pestizid­initiativen zu bodigen.

Im vergangenen Februar entschied der Nationalrat dann, die Vorgabe gleich ganz zu streichen, was sogar der Bundesrat als «Verstoss gegen Treu und Glauben» bezeichnete. Wenn der Ständerat mitmacht, was wahrscheinlich ist, wird diese Vorgabe geschreddert.

Bereits unter Bundesrätin Sommaruga

Die desolaten Zustände im Bundesamt für Umwelt haben eine längere Vorgeschichte. So verzichtete bereits Bundesrätin Simonetta Sommaruga darauf, eines der zehn Ziele der Strategie Biodiversität Schweiz umzusetzen: die Kommunikation. Die bundesrätliche Strategie schreibt vor, dass «Wissen über Biodiversität in der Gesellschaft bis 2020 ausreichend vorhanden» ist. Dieses Wissen müsse namentlich für die Öffentlichkeit auf «gut verständliche Weise zugänglich gemacht» werden, was der Bundesrat in den Aktionsplan aufnahm.

Die Bevölkerung schätzt nämlich die Situation beim Arten­schwund viel positiver ein, als sie es ist. Sie ist laut Umfragen mehrheitlich der Ansicht, dass die Biodiversität in der Schweiz in einem guten Zustand sei. Dies, obwohl ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebens­räume in der Schweiz bedroht sind.

Um diese Lücke zwischen Wahrnehmung und Realität zu schliessen, schrieb das Bafu 2020 eine grosse Kommunikations­kampagne öffentlich aus. Der Auftrag sollte fast 9 Millionen Franken kosten. Doch kurz vor dem Zuschlag zog Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Notbremse.

Warum Sommaruga das Kommunikations­projekt stoppte, ist unklar. Bekannt ist: Sie stand unter Druck und wollte keine weitere Flanke auftun im Bundesrat, wo sie oft unterlag. Vielleicht war es aus Furcht vor dem immer lauter werdenden Vorwurf der Behörden­propaganda. So wurde auf die Biodiversitäts­initiative verwiesen, die damals eingereicht wurde: Im Vorfeld einer Abstimmung müssten die Behörden Zurück­haltung üben.

Doch bei der Kommunikation über die Arten­vielfalt und die Massnahmen zu deren Erhaltung herrscht eine grosse Lücke: Das halten vier der fünf vom Bafu bestellten externen Gutachten zur Wirkung des Aktionsplans fest. Sie empfahlen, diese Lücke möglichst schnell zu schliessen.

Das ist bis heute nicht geschehen. Der Bafu-Bericht zum Aktions­plan widmet dem Thema nur noch zwei Sätze. Die «Dach­kommunikation» solle gestärkt werden, heisst es schmallippig.

So kann man die Bevölkerung im Glauben lassen, die Situation sei besser, als sie es ist, und es gibt weniger Druck, unbequeme Entscheide zu fällen.

Klima der Angst

Angesichts all dessen erstaunt es nicht, dass im Bundesamt für Umwelt tiefe Unzufriedenheit herrscht. Viele Angestellte verlassen das Amt. Doch niemand will reden. Sogar jene, die gekündigt haben, verweisen an die Medienstelle ihres früheren Arbeitgebers.

Bafu-Mitarbeiterinnen machten aber im August 2022 in einer Umfrage des Bundespersonal­verbandes Aussagen, die den Befund der Republik bestätigen. Fachwissen werde oft weniger stark gewichtet als politische Aspekte, kritisieren sie. «Erwartet werde, dass die von oben erwünschte Position vertreten werde und nicht die aus fachlicher Sicht korrekte», steht im Bericht zur Umfrage. Dafür werde eine starke Kontrolle durch die Hierarchie wahrgenommen.

Im Fokus der Kritik stand Amtsdirektorin Katrin Schneeberger. Im Umfrage­bericht ist die Rede vom «Fehlen einer klaren und starken Haltung und Ambitionen für Umwelt­anliegen». Statt dass man für gesetzlich vorgegebene Umwelt­anliegen einstehe, gehe es nur um das Schliessen von Kompromissen.

Schneebergers schlechter Ruf bei den Mitarbeiterinnen hält an, wie die neueste Umfrage des Personalamts der Bundes­verwaltung zeigt. Im Bafu ist die Unzufriedenheit mit der «obersten Leitung» auffallend hoch und ist im vergangenen Jahr sogar weiter angestiegen.

Verlängerter Arm der Politik

Das Bafu ist also bereits recht stark darauf getrimmt, das Fachwissen auf die Politik auszurichten, statt der Politik möglichst objektives Fachwissen zur Verfügung zu stellen, als Albert Rösti Anfang 2023 das Steuer übernimmt. Es ist somit ein Leichtes für seinen Stab, diese fragwürdige Entwicklung weiterzutreiben. Die Schönfärberei des Biodiversitäts­berichts ist ein Hinweis darauf, dass man gewillt ist, dies zu tun.

Das Bundesamt für Umwelt gibt seine Aufgabe als auf der Wissenschaft basierendes Kompetenz­zentrum schleichend auf. Es droht zu einem verlängerten Arm der Politik, einer Art Beschönigungs- oder Propaganda­behörde zu verkommen. Das ist gravierend, denn damit fehlen künftig die Grundlagen, die es braucht, um mit bestem Wissen Entscheide zu fällen.

Und es geht auch wertvolle Zeit verloren. Während die Verwaltung und der Bundesrat der Öffentlichkeit vorgaukeln, sie würden wirksam dagegen vorgehen, nimmt das Arten­sterben seinen Lauf. Die Grundlage des Lebens verschwindet – unsichtbar und unwiderruflich.

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